Gegen das Vergessen

Bündnis gegen Rechts

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Jahreswechsel
2000/2001:
Drohungen und
rechte Gewalt
in der
Oberpfalz

Sein Tatmotiv war "Hass auf Ausländer": Vor zehn Jahren starben bei einem Feuer in der Altstadt von Schwandorf drei Türken und ein Deutscher

"Der Braune" galt vielen als Spinner und wurde zum Brandstifter

Josef Saller, der aufgrund von Indizien verurteilt wurde, wird von Neonazis gefeiert - Eine Initiative, die an die Opfer erinnert, stösst auf eher ablehnende Reaktionen

von Hans-Peter Kastenhuber

Schwandorf - Natürlich fiel so einer auf inder Kleinstadt. Wenn Josef Saller schwarzgekleidet mit Springerstiefeln durch Schwandorf lief, oft ähnlich ausstaffierte Kameraden im Schlepptau, wurde der merkwürdige junge Mann sehr wohl registriert.

In der Lackiererei, wo Saller Auszubildender war, galt er als "unser Brauner". Ernst genommen hat ihn kaum jemand. Noch nicht einmal die eigenen Skinhead-Spezln, die er zu einer Wehrsportgruppe formieren wollte und denen er stets reichlich Material von der inzwischen verbotenen Nationalistischen Front (NF) und von der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) mitbrachte. Den Verzicht auf "Saufen, Rauchen und Weiber" predigte er den Kameraden. Damit erschien er freilich selbst ihnen als Spinner.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1988 sollte sich beweisen, daß Saller tatsächlich ein Spinner war, allerdings kein harmloser. Ein Brand mitten in der Altstadt schreckt kurz nach Mitternacht die Schwandorfer auf. Vier Menschen kommen in den Flammen ums Leben: das türkische Ehepaar Osman und Fatma Can, sein zwölfjähriger Sohn Mehmet und der 47 Jahre alte Deutsche Jürgen Hübener. Sie ersticken in ihren Betten und verbrennen bis zur Unkenntlichkeit. Zwölf weitere Bewohner können sich in letzter Minute retten. Manchen bleibt nur der verzweifelte Sprung aus dem Fenster, bei dem sie sich teilweise schwer verletzen.

In Widersprüche verwickelt

Schnell steht fest, daß ein Brandstifter das tödliche Feuer gelegt hat. Frisch angebrachte "Ausländer raus" -Aufkleber an einem Nachbarhaus bringen die Ermittler bald auf die Spur von Josef Saller. Der 19jährige verwickelt sich bei Verhören in Widersprüche, wird verhaftet und gesteht schließlich, aus "Haß auf Ausländer" das unter anderem von drei türkischen Familien bewohnte Haus angezündet zu haben. Obwohl er wenige Tage später dieses Geständnis widerruft, führen etliche Indizien und belastende Zeugenaussagen im Mai 1990 zu seiner Verurteilung. Weil ihm die Mordabsicht nicht nachzuweisen ist, verhängt eine Jugendstrafkammer des Landgerichts Amberg wegen schwerer Brandstiftung nach Erwachsenenstrafrecht zwölfeinhalb Jahre Haft gegen Saller.

Den Schwandorfern fällt die Einordnung des schrecklichen Anschlags von Beginn an recht schwer. Schon als wenige Wochen nach dem Verbrechen etwa 1500 Türken aus Nordbayern in der Oberpfälzer Stadt zusammenkommen, um für ein friedliches Miteinander von Deutschen und ausländischen Mitbürgern zu demonstrieren, reihen sich kaum Einheimische in den Trauerzug ein. Auch Oberbürgermeister Hans Kraus läßt sich an diesem Tag nicht blicken. Der CSU-Politiker hat Sorge, durch die Kundgebung könne der Eindruck entstehen, daß "in unserer Stadt rechtsradikales Gedankengut zu Hause ist".

Zehn Jahre nach der Tat haben auch die traurigen Erfahrungen mit weiteren Mordanschlägen auf Ausländerhäuser in Mölln und Solingen nichts an dieser Einstellung von OB Kraus geändert. Mit - vorsichtig ausgedrückt -großer Skepsis beobachtet er Bemühungen einer von der Stadträtin Irene Maria Sturm angeführten Initiative, das Gedenken an die ausländerfeindliche Schandtat wachzuhalten. Vor dem längst wiederaufgebauten Brandhaus möchte Sturm, die bis vor kurzem für die Grünen im Landtag saß und die Partei nach ihrer gescheiterten Wiederwahl enttäuscht verlassen hat, auf einem neu angelegten kleinen Grünstreifen einen Gedenkstein für die Opfer aufstellen. Als Sprecherin eines "Bündnis gegen Rechts" sammelt sie dafür Unterschriften.

"Da werden alle verunglimpft"

Den Oberbürgermeister ärgert ganz besonders der Name der von 18 Gruppierungen aus dem linken Spektrum unterstützten Initiative. "Alle Rechten werden da verunglimpft, und ich gehöre schließlich selbst dieser Kategorie an." Im übrigen nimmt die Schwandorfer CSU die Haltung ein, daß es nicht Aufgabe der Stadt sei, mit Gedenksteinen an Mordopfer zu erinnern. So verkündete der Zweite Bürgermeister Michael Kaplitz, so schaffe man "Mordopfer zweier Klassen". Und er warnte davor, Saller mit der Einordnung als politischer Verbrecher "eine politische Gloriole umzuhängen".

Daß es vielleicht doch guten Grund gäbe, an den politischen Hintergrund des Verbrechens zu erinnern, zeigt ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der SPD-Stadtratsfraktion, Helmut Hey.

Der Rechtsanwalt schließt sich zunächst ganz vehement der These an, daß Verbrechensopfer nicht unterschiedlich behandelt werden dürften. Die Frage, ob politisch motivierte Verbrechen nicht doch einen anderen Stellenwert einnähmen, irritiert ihn merklich. Er könne sich gar nicht daran erinnern, daß die Tat einen politischen Hintergrund hatte, versichert er und verspricht, sich doch noch mal die Prozeßunterlagen anzuschauen.

Wochen zuvor haben Heys SPD und die CSU im Stadtrat gemeinsam die Behandlung eines Dringlichkeitsantrags der Kollegin Sturm zur Gedenksteinaufstellung abgelehnt, weil sie in der Angelegenheit keine Dringlichkeit feststellen konnten. Hey macht im Gespräch allerdings auch kein Hehl daraus, daß ihm der Aktionismus der Ex-Grünen ganz grundsätzlich ziemlich auf die Nerven geht.

Schließlich doch geblieben

Nicht geläufig ist dem Schwandorfer Sozialdemokraten der Name Leyla Kellecioglu. Die 29jährige Frau mit dem Geburtsnamen Can hat in der Brandnacht 1988 ihre Eltern und ihren Bruder verloren. Auch wenn sie sich zunächst kaum vorstellen konnte, weiter in einer Stadt und in einem Land zu bleiben, in dem junge Rechtsextremisten Ausländerhäuser anzünden, ist sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern doch geblieben. "Das hier ist schließlich meine zweite Heimat", sagt sie - und daß sie den Deutschen ganz allgemein keine Schuld am Tod ihrer Familienangehörigen gebe. "Schlechte Menschen gibt es auch bei uns."

Die panische Angst der ersten Wochen und Monate nach dem Anschlag ist nach und nach wieder verschwunden. "Die kommen wieder", war zunächst der bestimmende Gedanke. Leyla Kellecioglu überredete ihren Mann, umzuziehen. Sie wollte raus aus ihrem ebenfalls hauptsächlich von ausländischen Familien bewohnten Haus. "Am Klingelschild sollten nicht lauter türkische Namen stehen." Geblieben ist die Angst vor Sallers Haftentlassung. "Er soll leben, aber nicht hier", sagt Leyla Kellecioglu.

Briefkontakte angeregt

Noch sitzt Saller in Straubing ein. Das letzte Drittel seiner Haftzeit wurde ihm nicht erlassen. Das deutet auf ein nicht ganz unproblematisches Verhalten hinter Gittern hin. Im "Thulenet" einem rechten Netzwerk im Internet, wird Saller auf der Liste der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." geführt. Briefkontakte zu den "inhaftierten Kameraden" werden dort angeregt, um "ihnen die schwere Zeit in der Gefangenschaft ein klein wenig schöner zu gestalten". So betreut, wundert es nicht, daß Saller aus der Haft heraus Skinhead-Magazinen Interviews gegeben hat, in denen von Schuldeinsicht oder Reue nichts zu spüren war. Als größten Wunsch äußerte er den nach einem "besatzer- und ausländerfreien Deutschland in germanisch-preußischer Tradition in den Grenzen von 1938, ein Europa ohne Neger, Rote und Hakennasen".

Nürnberger Nachrichten v. 08.12.1998