Cigerxwin’s
100 jähriges Jubiläum
Kurden
feiern ihren großen Volksdichter
ein
Beitrag zum Verstehen kurdischer
Kultur von
ABDALLAH
OSMAN
Kurden
in Heimat wie in der Diaspora würdigen
ihren bekanntesten Volksdichter
Cigerxwîn in diesem Jahr mit
vielen, bunten kulturellen
Veranstaltungen. Cigerxwîn (zu
lesen: Dschegerkhün. Das kurdische
Wort bedeutet etwa blutende Leber
und ist des Dichters Künstlername
bzw. Pseudonym.), der 1903 im Dorf
Hesar zwischen Mardin und Amude in
heutigem Syrisch-Kurdistan geboren
ist, wäre jetzt 100 Jahre alt, wenn
er nicht am 22.10.1984 im
schwedischem Exil im Alter von 81
Jahren gestorben wäre. Weil die
Verdienste, die Bekanntheit und
Beliebtheit Cigerxwîns in der
kurdischen Kultur- wie Volksszene
kaum übertroffen werden kann,
hatten kurdische Vereine, nicht
zuletzt auf Initiative von PEN
(Internationaler
Schriftstellerverein – kurdische
Sektion) dieses Jahr 2003 zum Jahr
Cigerxwîns erklärt und es mit
vielen Gedenkveranstaltungen
gefeiert – so auch am
gestrigen Samstag, den 22.11.2003 in
Berlin, in der Werkstatt der
Kulturen. Hier versammelten sich
rund 60 Interessenten mit 6
Referenten (A. Bali, A. Cheikho, Z.
A. Kizil Yaprak, Z. A. Han, M.
Raschid, G. Dilberz) aus Berlin, dem
Bundesgebiet und Ausland, um unter
Bildern Cigerxwîns und
Nationalfahnen ihrer Heimat
Kurdistans sich mit ihrem großen
Dichter und seiner Zeit
auseinanderzusetzen. Veranstalter
war der Verein „Volkshaus
Kurdistan“ (Mala Gelê Kurdistan)
in Berlin-Kreuzberg, dessen
Mitglieder sich als Kommunisten
Kurdistans angeben. Hier meine
wichtigsten Eindrücke und
Schlussfolgerungen:
Die
Region Amude ebenso das gesamte
Ost-Kurdistan (also die heutigen
Teile Turkisch-, Irakisch- und
Syrisch-Kurdistans) stand zu Cigerxwîns
Geburts- und Kindheitszeit, d.h. bis
etwa 1920 unter Hoheit des
Osmanischen Sultanats. Zuvor hatte
es 100 Jahre lang erbitterte,
vergebliche Widerstandskämpfe
kurdischer Fürstentümer gegen die
totale Besatzung durch Türken (mit
ihren preußisch-deutschen Waffenbrüdern)
und europäische Kolonialisten
gegeben. Kurdische Kommunen waren
zerstört, ausgebeutet und
zersplittert. Das Gebiet
Mardin-Bhotan mit Amude in seiner
Mitte war Jahrhundertlang
(16.-18/19. Jh.) Zentrum kurdischer
Renaissance - wurde seit 1917 durch
Briten, Franzosen und Türken brutal
in drei Teile gespalten und steht
bis heute noch unter fremder
Besatzung bzw. Verwaltung. Die
Dreispaltung und feindliche
Besatzung Ostkurdistans hatten den
Zusammenbruch der kurdischen
Zivilisation zur Folge gehabt.
Betroffene kurdische Gemeinden
wurden zwangsweise zurück in
archaische, dörfliche Lebensweisen
geführt. In übrig gebliebenen Städten
Kurdistans wurden nunmehr Militärkasernen
der Besatzung anstelle von Bazaren
(Märkten), Gefängnisse anstatt von
Schulen und Universitäten, Prügel
und Kriminalisierung anstelle von
Kultur und Erziehung installiert.
Die Fremdverwaltungen gingen zur
Ausspielung gesellschaftlicher
Gegensätze in kurdischen Regionen
über, so z.B. Benutzung großer
Landbesitzer gegen die Bauern und
das gemeine Volk. Der Heimatort
Cigerxwîns (also Syrisch-Kurdistan)
stand von 1920-1945 unter französischem
Mandat. Frankreich bzw. Großbritannien
überliessen 1946 die Verwaltung
Syriens nur Arabern.
Erwähnenswert
ist das Engagement und
Parteiergreifung Cigerxwîns für
gewisse französisch-kurdische Erwägungen,
im Vorfeld des 2. Weltkrieges, eine
autonome kurdische Region in Jazeera
(Heimatort Cigerxwîns) zu
errichten. Diese Versuche haben nie
gefruchtet. Dagegen wurde die
kurdisch-syrische Region Iskenderun
(Hatay) an die Türkei als Preis für
ihre Neutralität im 2. Weltkrieg
abgetreten. Als Kurden nach dem 2.
Weltkrieg feststellten, wie ihre
einzig gebliebene Brücke zur freien
westlichen Demokratie, nämlich die
kurdische Republik Mehabad 1946 an
den Iran fiel, gingen Cigerxwîn und
seine Zeitgenossen nach Damaskus, um
da noch etwas zu erreichen. Der
langjährige Machtkampf um Damaskus
fiel allerdings 1957/58 - mit
Unterstützung der USA, GB und ihrer
„Nazis“ - an arabische
Nationalisten. Für Kurden, die im
Westen als prosowjetisch galten, waren
auf einmal alle Türen geschlossen;
das kleine Fenster des Asyls für
vereinzelte Kurden nach Europa ergab
sich erst seit Mitte der 1960er
Jahre, während des kalten Krieges.
In
solch einer Zeit, Heimat, Umwelt ist
Cigerxwîn geboren und aufgewachsen.
Zudem hatte er seine Eltern frühzeitig
verloren, so daß er sich bei
Verwandten u.a. als Herdetreiber und
Aushilfskraft durchschlagen musste.
Cigerxwîn, dessen richtiger Name
Scheich Mus Hassan ist, besuchte als
18jähriger eine kurdische Schule.
Damals und noch bis etwa 1969/70
hatte es vereinzelt in kurdischen Dörfern
und Gemeinden kurdische
Selbstverwaltungen mit eigenen
Gelehrten gegeben, die Schulen und
Ausbildung betrieben. Cigerxwîn hat
solche eine Schule 1928
abgeschlossen und wurde selbst zum
Lehrer (Mullah). Seither engagierte
sich Cigerxwîn für die Einführung
des lateinischen Alphabets in die
kurdische Schriftsprache. Diese
wurde bis dato Jahrhunderte lang in
arabischen Buchstaben geschrieben.
Heutzutage schreibt man Kurdisch in
beiden Alphabeten. Erste Versuche,
Kurdish in lateinischem Alphabet zu
schreiben, soll auf das Jahr 1920 in
Südkurdistan (Irak) zurückgehen.
Die
Grenzen, die Kurdistan teilten waren
noch bis etwa 1970 durchlässig,
noch nicht eingezäunt und mit Wachtürmen
übersät. Kurden hatten diese künstlich-feindlichen
Grenzen nie akzeptiert oder
respektiert. Cigerxwîn wanderte
damals in Kurdistan wie jedermann
ohne Rücksicht auf Grenzen.
Zwischen 1918-1938 hatte es
bekanntlich große kurdische Aufstände
gegen die türkische Unterjochung
gegeben mit sehr vielen Opfern, Leid
und Vertriebenen. Einige davon waren
Mitglieder der
Widerstandsorganisation „Hoybûn“
(Erwachen), die Zuflucht im südlichen
(also syrischen) Kurdistan
suchten und neue Kontakte, so auch
1927 mit Cigerxwîn fanden. Die
Mitarbeit des Lehrers Cigerxwîn in
„Hoybûn“ öffnet ihm neue
Horizonte. Er wanderte 1930 nach
Amude (Stadt!) um kurz danach sich in
Damaskus – damals ein Zentrum
kurdischer Widerstandsarbeit –
niederzulassen. So wirkte er hier
seit 1932 mit vielen anderen
kurdischen Intellektuellen bei der
ersten kurdischen Zeitschrift „Hawar“
(Hilferuf) des kurdischen Fürsten
C. Bedirkhan mit. In der ersten
Ausgabe von „Hawar“ vom 4.Juli
1932 ist die erste Veröffentlichung
Cigerxwins dokumentiert.
Ideologisch
betrachtet sah sich Cigerxwîn gerne
als Linke in den rechten Reihen. Er
wollte anscheinend damit versöhnen,
nicht spalten, für das ganze Volk
da sein, nicht gegen Teile von ihm
agieren. Für dies seine
Grundeinstellung, die ihn lebenslang
geprägt hat, steht seine Biographie
und seine Liebe zur Poesie. So stand
Cigerxwîn, zumindest nominell, seit
Mitte der 1960er Jahre bis zu seinem
Ableben im Zentralkomitee (Politbüro)
der PDK (Kurdische
Demokratische Partei – die
Rechten). Er sollte als Gegengewicht
zu Osman Sebri (1905-1994),
ebenfalls ein bekannter kurdischer
Politiker und Literat, herhalten,
der im Zentralkomitee der PDK-die
Linke saß.
In
seinen Gedichten stellt er der
altertümlichen Religiosität die
modernitäre Suche nach dem
richtigen Weg (Wahrheitssuche), den
archaischen Stammesstrukturen die
zivile, linksrevolutionäre
Alternative und den
kollaborierenden, passiven Großgrundbesitzern
die Werktätigen (Bauern) entgegen.
Doch Cigerxwîn war kein Dogmatiker,
Fanatiker oder Machtanstreber, um
sich an das ideologische, im Volke
trennende Elemente festzuklammern.
Er hatte eine für Volk und
Individuum nützliche Botschaft
mitzuteilen, wollte verstanden und
anerkannt werden. Cigerxwîn war
lebenslang wie die meisten
kurdischen Persönlichkeiten
Pragmatiker, dessen Züge sich
sowohl aus Mittelpunktualität
Kurdistans (Zentralität und lange
Erfahrungen mit umgebenden Völkern
zwingt Kurdistan und Kurden nun mal
in Gleichgewichtshaltung!) wie
auch aus seinen Erkenntnissen, die
er persönlich bei den vielen,
vielen Besuchen, Treffen und
Versammlungen mit Menschen in
Kurdistan und anderswo erlangte,
ergeben. Also er lernte immer dazu,
wollte Wandel und Anpassung
Kurdistans an das Moderne und die
Gleichheit seines Volkes mit anderen
Völkern in der Welt sehen; er
wirkte immer in diese Richtung hin.
Cigerxwîn
hat in seinen Gedichten Gedanken,
Ideen, Ideologien aufgegriffen und
thematisiert. Seine Versen sprechen
sehr viel das nationale, völkische,
das Kurdentum an, ohne aber Hass
gegen andere Völkern zu säen. Im
Gegenteil: Cigerxwîn gilt als der
internationalistische, linke Dichter
der kurdischen Poesie schlechthin.
Er wollte bis zu seinem Lebensende
eher als bürgerlicher, linker
Meister (Hostad) als ein
angestammter Mullah angesehen
werden. Kurden mussten, um dem
feindlichen Druck der Araber und Türken
entgegenzuhalten, ideologische
Barrieren wie des mystischen (sufistischen)
Islamismus, kommunistischen
Internationalismus oder
freiheitliche Demokratie aufbauen.
Cigerxwîn
war eine sehr charismatische
Gestalt, nicht groß und ein wenig
von breiter Statur. Er war eine
bescheidene, ruhige Persönlichkeit
und kannte seine Landsleute wie kein
anderer; er hatte Familie mit
Kindern genauso wie es sich in
Heimat gebietet. Cigerxwîn hat sich
gerne und er wurde ebenso von
anderen Leuten als Seyda (Lehrer,
Ratgeber) genannt; er sehnte sich
schon nach einer Führungsrolle, als
Thronfolger Gottes auf Erde (Khalife),
Senator (Scheich) oder Gelehrte
(Mullah), doch Politiker konnte er
nicht werden. Seine Mitgliedschaft
in „Hoybûn“ seit 1927 und im
Vorstand der PDK seit Mitte der
1960er Jahre sowie seine
vergeblichen Versuche, in den 1930er
bzw. 1940er Jahren als kurdischer
Politiker ins Parlament von Damaskus
gewählt zu werden vermochten ihm
keine politische Karriere zu gewähren.
Sein Verhältnis zu kurdischen
Nationalführern seiner Zeit war
lebenslang mit Zurückhaltung
bestimmt. Obwohl er den legendären
zu den USA gewechselten Mustafa
Barzani in den 1960er Jahren
getroffen und bewundert haben soll,
hat Cigerxwîn ihn bzw. keinen
anderen noch lebenden „Führer“
in seinen Gedichten je erwähnt oder
gar gelobt. Für dies seine Haltung
sprechen sowohl seine
charakteristische Abstandshaltung zu
„Führern“, also zu der
Personenkult wie auch seine
pro-sowjetische, linksrevolutionäre
Linie.
Grundwerte
und Weisheiten der kurdischen,
orientalischen Kultur sollen ihn
inspiriert haben – nicht die
Parolen und Fahnen von menschlichen
Führern. Er sei „Prophet, aber
keiner vom Himmel“ [nebî me ne
semawî me]. Man solle Cigerxwîn an
seinen Worten, nicht an seinen
(politisch-parteilichen) Taten
messen, denn er soll gesagt haben: „Macht
wie ich es sage, nicht wie ich es
getan habe“ oder „folgt meinen
Worten nicht meinen Taten“ [Bi ya
min bikin wekî min nekin].
Kritiker
Cigerxwîns unterstellen ihm, die
Sowjetunion bzw. den Kommunismus für
ihre zeitweise, wiederkehrende antikurdische
Politik, z.B. beim Fallenlassen der
ersten kurdischen Republik in
Mehabad durch Stalin 1946 an den
Iran wissentlich nicht kritisiert zu
haben. Cigerxwîn hätte außerdem
kurdenfeindliche Ideologien des türkischen
Kemalismus und des arabischen
Baathismus kaum thematisiert.
Cigerxwîn hätte in seinem späten
Lebensabschnitt, z.B. von Stockholm
aus, politisch-ideologische
Selbstkritik üben müssen und nicht
bis zum Ende an seine unerklärte
Treue zum Kommunismus (zuletzt in
der Gestalt der Sozialistischen
Partei Kurdistans – Komkar)
festhalten brauchen. Alleine die
selbstverständliche Erkenntnis, daß
in Kurdistan zu Lebzeiten Cigerxwîns
kaum Einrichtungen mit Angestellten
oder Industrien mit Arbeitern
gegeben hatte, so daß deswegen auch
keine Klassengegensätze gegeben hätte,
wäre genügend, um seinen
marxistisch-leninistischen
Klassenkampf für kurdische Verhältnisse
als realitätsfern zu berichtigen.
Der bei Cigerxwîn kommunistisch gefärbte,
ideologisierte Klassengegensatz
zwischen der aus Großgrundbesitzern
und religiösen Führern bestehenden
kurdischen Elite auf der einen und
den Landarbeitern (Bauern, Dörflern) auf
der anderen Seite würde auf eine
Paradoxie hindeuten, da der
Volkspoet Cigerxwîn parteilich
gesehen selbst genau bei dieser
Elite beheimatet war. Hier würde
ein Widerspruch zwischen
ideologischer Einstellung (Wort) und
der praktischen Politik (Tat)
entstehen.
Doch
Cigerxwîn soll Anfang der 1980er
Jahre die Frage, ob seine
rechtsgerichtete politische Partei,
in der er sich seit Mitte der 1960er
Jahre als Politbüro-Mitglied
engagierte, je einen Erfolg erreicht
hätte, mit den Worten
geantwortet haben: „Gibt es denn
eine bessere Partei als diese?“.
Cigerxwîns
Kunst der Poesie variiert zwischen
der klassischen (gereimte Zeilen mit
Gleichklang) und der modernen (lose,
freie Zeiler) Dichtkunst. Von der
freien Schreibweise war Cigerxwîn
kaum begeistert und hat wenig davon
geschrieben. Die klassische
Dichtform dominiert bei ihm und
charakterisiert ihn. Diese variiert
zwischen der sehr tief zurückliegenden
kurdischen Volkskultur (z.B.
Gebetslieder der Yeziden) und der
gesamten vorderorientalischen, späteren
islamischen Dichtkunst, deren
gereimte Zeilen musikalischen
Gleichklang ergeben und zwischen dem
Wort (Körper) und dem Geist (Seele)
Harmonien erzeugen. Cigerxwîn hatte
anfänglich (1930-1945) ein
Gedichtband (Dîwan)
zusammengeschrieben, welches er
angeblich aus dem Grunde nie veröffentlichen
ließ, weil er darin viele
arabischstämmige Vokabulare benutzt
hätte. Der kurdische Volkspoet
gelang spätestens seit 1932 zu der
Überzeugung, daß er seine
Gedichte, Schriften analog zu
Ferdewsi (Persischer Poet) möglichst
rein kurdisch, also mit wenig
fremdsprachigen Wörtern verfassen
sollte. Dieser Überzeugung ist er
bis zum Schluss treu und erfolgreich
geblieben. Viele Cigerxwîns
Gedichte sind spätestens seit Mitte
der 1970er Jahre zu weitverbreiteten
Volksliedern (vor allem revolutionärer
Marschgesang) geworden und haben
erheblichen Beitrag zur
Wiederbelebung der Bildung in der
kurdischen Sprache beigetragen, die
Cigerxwîn eigentlich lebenslang als
das effektivste Mittel für Freiheit
und Gleichheit seines Volkes
erachtete. Hier liegt auch der
Grund, warum sich der Dichter
Cigerxwîn 1960-1962 auch als Lektor
für kurdische Sprache an der
Universität Baghdads betätigte und
hier mindestens drei Werke
(Kurdische Grammatik und kurdisches
Wörterbuch) veröffentlichte.
Gedichte
Cigerxwîns haben neben Politik
(Widerstand, Nationalismus und
Internationalismus), Gesellschaft
(Arbeit und Klassenkampf), Folklore
(Volkskultur) und Weisheiten vor
allem Gestalten und Mythen
kurdischer Geschichte als Themen und
Inhalte. Cigerxwîn hebt immer
wieder die Wichtigkeit der Kontinuität
des kurdischen Überlebenskampfes
hervor, indem er oft die traurige
Gegenwart mit der großen, frühen
Vergangenheit verbindet. Er hat
beinahe jeden Namen und jeden Mythos
vom historischen Wert in seine
Zeilen untergebracht und sie
heroisch mit der Hoffnung auf die
Zukunft der Gegenwart verbunden.
Cigerxwîns
Einsatz für Gleichberechtigung der
Geschlechter ob in Familie, bei
Arbeit oder in Bildung findet großen
Platz in seinen Versen. Das alte
kurdische Sprichwort „Loewe ist
Loewe, ob Mann oder Frau“ [ºêr
ºêr e çih jin e çih mêr e]
betonte Cigerxwîn immer wieder in
seinen Worten und Zeilen. Zudem hat
er einige Liebesgedichte, in denen
er mit hoher Wortkunst Liebeleien,
z.B. Kussszenen zwischen Mann und
Frau beschreibt. Cigerxwîn war kein
praktizierender Muslim und kein
Mystiker (Sufi). Er bleibt auf der
Erde und verbindet seine Wortwahl für
die Beschreibungen von Liebesszenen
nicht mit Gott und Seele. Ich und
Gott findet in Cigerxwîns Gedichten
keine Rolle. Als Kommunist
interessierte er sich eher für
Mensch, Gesellschaft und Natur. Er
vergötterte die Natur, nicht
menschliche Führer. Die Bindung
zwischen Kurden und der Natur (z.B.
Berge) findet große Beachtung bei
Cigerxwîn. Bei Kurden steht die
Natur (Xweza) sowieso für Gott (Xweda)
da.
Von
den etwa 21 bekannten Buch-Veröffentlichungen
Cigerxwîns sind 8 Gedichtsbände (Dîwans),
1 Erzählung, 2 kurdische Wörterbücher,
1 kurdische Grammatik, 2 Geschichte
Kurdistans, 1 Kurdische Folklore, 1
Eigenbiographie, 1 Ahmed Khani sowie
ein weiteres Gedichtsband (Salar û
Midya). Seine Bücher sind 1945-1957
in Damaskus (5), 1961-1962 in
Baghdad (3), 1973 in Beirut (2) und
der Rest 1980-1995 in Stockholm (11)
veröffentlicht worden. Diese Bücher
sind unter Kurden verbreitet und
meistens in kurdischen Vereinen verfügbar.
Fachmännische
Studien bzw. Veröffentlichungen über
das Werk und Wirken Cigerxwîns
liegen in bescheidenem Umfang mit
anwachsender Qualität in
kurdisch vor. In internationalen
Sprachen wie Englisch, Arabisch oder
Deutsch gibt es leider nur
vereinzelte Titeln. Cigerxwîn ist
daher außerhalb des kurdischen
Radius kaum bekannt.
Cigerxwîn,
der die meiste Zeit seines Lebens im
kurdischen Damaskus (1930-1980) in
Armut verbrachte, wurde Anfang der
1960er Jahre zum Lektor der
kurdischen Sprache an der Universität
Baghdad berufen. Anfang der 1970er
Jahre hielt er sich sehr oft in
Libanon auf. Ab 1980 bis zu
seinem Tode am 22.10.1984 lebte er
im schwedischen Exil. Der Leichnam
des 81 jährigen Cigerxwîns wurde
nach Damaskus geflogen. Von hier
wurde er in einem großen Trauerzug
in die Stadt Qamischli in
Syrisch-Kurdistan gebracht und im
Beisein von 100.000 Menschen
begraben. Sein Grab zieht heute
viele seiner Bewunderer.
© ABDALLAH
OSMAN. Berlin, den 23.11.2003.
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