Marokko 2005
Marrakech
18.10.2005 : Gestern
bin ich hier bei 18 ° C und bewoelktem Himmel gelandet, da wars in der Heimat
fast schoener. Die Zollabfertigung ging problemlos, das Rad ist schnell
zusammengebaut, die ersten Kilometer auf afrikanischem Boden wie immer ein
Erlebnis. Zielsicher den Djema El Fna-Platz angesteuert und wieder das gleiche
Hotel in einer Seitengasse bezogen wie 2002, diesmal aber das Zimmer auf der
Dachterrasse. Kaum ist das Gepaeck hoch getragen faengt es an zu Regnen und
hoert den ganzen Abend nicht mehr auf. Die Runde durch die Suqs breche ich ab,
als ich bis auf die Haut nass bin und auch auf den Imbiss an den Garkuechen
verzichte ich lieber.
Heute morgen hat
der Regen nachgelassen, aber der Blick von der Dachterrasse Richtung Sueden ist
wenig erfreulich: Dicke schwarze Wolken, wo eigentlich die Atlas-Kette zu sehen
sein sollte. So beschliesse ich meinen Geburtstag hier in Marrakech zu
verbringen und erst morgen Richtung Atlas aufzubrechen. Die Stadt hat nichts
von ihrer Faszination verloren, problemlos koennte man hier auch mehrere Tage
verbringen, ohne sich zu langweilen. Ich sehe viel mehr Touristen als 2002, die
Haendler und Schlepper sind aufdringlicher, trotzdem hat die Stadt noch nicht
ihr eigenes, marokkanisches Gesicht verloren. Das zeigt sich vor allem abends,
waehrend die auslaendischen Touristen die Garkuechen umlagern, wird ein
Grossteil des Djema El Fna-Platz von Einheimischen bevoelkert. Gespannt
lauschen riesige Menschentrauben den Geschichten-Erzaehlern, die nach Einbruch
der Dunkelheit ihre Stammplaetze beziehen.
Morgen werde ich
Richtung Sueden aufbrechen, in der Hoffnung, dass das Wetter besser wird. Ueber
Asni moechte ich das Bergdorf Imlil (ca. 1800 m.ue.M.) erreichen, und von dort
aus den Jebel Toubkal besteigen. Wie es dann weiter geht weiss ich noch nicht
so genau, irgendwie muss ich nach Quarzazate. Der direkte Weg wuerde auf einem
Maultierpfad ueber den ca. 3700 m hohen Tizi’n’Ouanoums zum Lac d’Ifni fuehren
und dort wieder auf eine Piste muenden. Jan Cramer, der selbst schon fast alle
Pisten Marokkos mit dem Rad befahren hat (www.cramers-web.de),
schickte mir 2 Erlebnisberichte. Demnach ist die Tour machbar, jedoch muss das
Rad von ca. 2200 m.ue.M. bis auf die Passhoehe geschoben/getragen werden und
auf der anderen Seite auch wieder hinunter. Ich werde mir die Lage vor Ort
ansehen, und dann entscheiden, die erste Etappe der Ueberquerung waere
identisch mit dem Toubkalaufstieg. Alternativen waeren die Strecke ueber den
Tizi’n’Tichka, dabei muss ich aber fast wieder zurueck nach Marrakech,
ausserdem bin ich diese Route vor 3 Jahren schon gefahren. Zweite Moeglichkeit
waere der Tizi’n’Test (Tizi’n’... ist immer die Bezeichnung fuer einen Pass),
dabei geht’s aber hinunter in die Sousse-Ebene und dann wieder rauf in den
Atlas. Das sind Kilometer und Hoehenmeter, die Zeit kosten, Zeit, die mir dann
am Ende der Tour fehlen wird.
Imlil
21.10.2005: Zurueck vom
Toubkal!!! Am Mittwoch bin ich in Marrakech losgeradelt, zunaechst durch die
Ebene, das Wetter wird immer besser. Als ich die Berge erreiche, reisst die
Wolkendecke auf und der Blick wird frei auf die schneebedeckten Gipfel. Bis
Asni steigt es gemaechlich durch ein Tal auf 1300 m.ue.M., dort zweigt links die
Strasse nach Imlil ab und es geht z.T. recht steil bis auf 1800 m.ue.M.. Imlil
ist Bergdorf mit Versorgungsmoeglichkeiten fuer Bergsteiger (Verpflegung,
Unterkunft) und inzwischen sogar einem Internet-Cafe. Ich fahre nochmal eine
halbe Stunde auf einer Piste die in Aroumd (2000 m.ue.M.) endet, weiter geht’s
nur noch auf Maultieren und zu Fuss. In der Auberge von Omar le Rouge (er ist
rothaarig) kann mann preiswert uebernachten und lecker Tajine essen.
Omar ist
Bergfuehrer und war zur Ausbildung schon mehrfach in Frankreich und der
Schweiz. Wir sitzen noch den ganzen Abend zusammen und eine Idee die ich schon
lange im Kopf habe nimmt plötzlich konkrete Formen an: Skitouren in Marokko. Vielleicht werde ich beim naechsten mal dieses Land
nicht mit dem Fahrrad besuchen, sondern die Tourenski mitnehmen. Auch hier hat
Omar lange Erfahrung und organisiert regelmaessig im Maerz/April Skitouren vor
allem fuer Touristen aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich. Man kann ihn
auch privat buchen, ein Maultier bringt die Skiausruestung auf die
Toubkal-Huette, dort herrscht bis Anfang Mai Schneesicherheit. Er fuehrt dann
auf die umliegenden Viertausender. Eine 5-koepfige Gruppe hat mit etwa 30 € / Tag fuer Fuehrer + Maultier zu
rechnen. Wer Interesse hat kann direkt mit ihm Kontakt aufnehmen (mobil: 00212
66936488, email: omar_le_rouge@hotmail.com).
Es folgt eine
sternklare, kalte Nacht (im Zimmer 12°C, draussen nahe dem Gefrierpunkt). Schon
am fruehen Vormittag fallen die ersten Sonnenstrahlen ins Tal und das Terassendorf Aroumd zeigt sich von seiner schoensten
Seite. Weil ich heute nur bis zur Huette moechte, um mich langsam an die Hoehe
zu gewoehnen, bleibt mir noch Zeit zu einem Spaziergang durchs Dorf. Mit
verwinkelten engen Gassen ist es an den steilen Suedhang gebaut, wo es im
Winter die Waerme der Sonne einfangen kann. Auch hier begegnet mir wieder ein
Bergfuehrer, der Skitouren organisiert. Omar Id Belaid laed mich zu Tee und
Walnuessen in sein gemuetliches Haus ein
(mobil:00212 61940364, email: omar_idblaid@yahoo.fr).
Gegen Mittag
breche ich auf, zunaechst auf einem breiten Fussweg bis zur Pilgerstaette Sidi
Chamharouche. Der Weg folgt weiter dem Mizane-Tal, jetzt in steileren
Serpentinen aber ohne groessere Schwierigkeiten. Die klare Luft, der blaue
Himmel und dazu das rote Gestein das in der Sonne leuchtet – man kann sich
daran gar nicht satt sehen. Nach 3 h sind die 1300 Hoehenmeter zur Huette
geschafft. Zwei Uebernachtungsmoeglichkeiten mit 150 + 70 Plaetzen im Matratzenlager stehen hier auf 3200 m Hoehe zur
Verfuegung. Rund 30-40 Leute aller Nationalitaeten tanken gerade die letzten
Sonnenstrahlen auf der Terasse. Sogar Handy-Empfang gibt es hier in einem
gewissen Bereich auf der Terasse, in der Verlaengerung des Tals, gegenueber auf
einem Berg steht ein Sendemast. Im Aufenthaltsraum hat sich der Huettenwirt
eine Handy-Halterung ans Fenster gebaut, genau hier hat er Empfang, 1 m im Raum
schon nicht mehr. Abends kann man in der Kueche kochen, auf Anfrage kocht auch
der Huettenwirt.
Am naechsten
Morgen brechen die ersten Gruppen schon um 6 Uhr auf, so eilig hab ichs nicht.
Ich warte bis die Sonne ueber den Bergen erscheint und mache mich allein auf
den Weg. Es geht relativ steil ueber Geroellfelder, aber nach wie vor ohne
groessere Schwierigkeiten, so dass ich auch mit meinen Jogging-Schuhen gut
voran komme. Auch die Schneefelder, die ueberquert werden muessen sind griffig
und ohne jede Gefahr. Das einzige Problem ist die Hoehe, die ich nicht gewohnt
bin, selten dass sich in den Alpen mal ueber 3000 m steige. Hier bleibt mir
doch immer wieder die Luft weg. Ein kleiner Hund der mich begleitet muss sich
auch immer wieder hinlegen und verschnaufen.
Nach 3 Stunden ist der Gipfel des Toubkal erreicht, mit 4167 m der hoechste
Berg, den ich bisher bestiegen habe. Der Ausblick ist atemberaubend, vor allem
Richtung Sueden, dh. Richtung Sahara, wo wg. der trockenen Luft die Sichtweite
mehrere hundert Kilometer betraegt. Der
Abstieg geht zuegig, jetzt muss ich mir Gedanken machen wies morgen weiter
geht. Mit dem Rad komm ich hier nicht rueber, soviel ist klar, aber eine Idee
geht mir nicht mehr aus dem Kopf, wieso nicht auch das Fahrrad auf ein Maultier
packen und bis zum Lac d’Ifni bringen lassen, ab da kann man wieder fahren. In
Aroumd angekommen frage ich Omar, ob das moeglich sei. Kein Problem, er wird
mir ein Tier mit Fuehrer besorgen, ich steige noch hinunter bis Imlil, um
letzte Einkaeufe zu taetigen und ins Internet-Cafe zu gehen.
Quarzazate
24.10.2005: Gestern noch
habe ich mein Rad verflucht, heute, nach einem Tag auf einer Traumpiste, weiss
ich wieder warum ich mit dem Rad verreise. Aber der Reihe nach: Am
Sonntagmorgen haben wir mein Rad + Packtaschen auf einem Maultier festgezurrt
und ich bin gemeinsam mit dem Besitzer/Fuehrer Richtung Toubkal-Huette
losmarschiert. Er spricht gut franzoesisch, so erfahre ich einiges ueber
Maultiere, die nach wie vor wichtigstes Transportmittel hier in den Bergen
sind. Ein Tier verbraucht unter Belastung ca. 3 kg Hafer und 2 kg Heu/Stroh am
Tag. Es kann ueber lange Strecken am Berg 60-70 kg Last tragen, kurzfristig
auch mehr. Im Alter von 3 Jahren kann es, nach entsprechender Ausbildung, zum
Lastentransport eingesetzt werden und hat dann einen Wert von ca. 7500 DH (750
Euro). Unser Tier ist 17 Jahre alt, die Lebenserwartung betraegt 20-25 Jahre.
Beim Aufstieg treffen wir noch einen Spanier, der auch mit dem Rad unterwegs
ist, er hat seines allerdings in Imlil gelassen. Er spricht kein Englisch oder
Franzoesisch, trotzdem koennen wir unsere Erfahrungen austauschen. Er ist
ungefaehr meine Tour in umgekehrter Richtung gefahren: Er kam von Spanien mit
dem Rad ueber Imilchil, Todhra-Schlucht ins Oasen-Gebiet Merzouga, dann ueber
Quarza, Tizi'n'Tichka und Marrakech hierher. Weiter gehts ueber den Tizi'n'Test
an die Kueste, auf den Streckenabschnitt, den ich vor mir habe ist er ganz
neidisch.
Auf der Huette
dann wieder Multi-Kulti, eine Schulklasse aus England, eine Gruppe Bergsteiger
aus Spanien, dazu Franzosen, Slowenen, Polen, Schweden. Die Marokkaner (Berg-
und Mulifuehrer) ziehen sich um 18 Uhr zurueck zum Beten und Essen, Zeit des
Fastenbrechens, ich bin mal wieder im Ramadan unterwegs.
Am naechsten
Morgen gehts um 6 Uhr 30 in der Daemmerung los, wie schon die letzten Tage bei
Sonnenschein, klarer Sicht, aber kuehlen Temperaturen in der Frueh. Hier auf
ueber 3000 m Hoehe sind morgens alle Pfuetzen gefroren. Wir steigen bis auf den
3700 m hohen Tizi'n'Ouanouns, dort wird das Maultier allein zur Huette zurueck
geschickt. Wir tragen gemeinsam Rad + Gepaeck den steilen Abstieg hinunter. Der
Fuehrer begleitet mich bis auf etwa 2500 m.ue.M. Dort regeln wir Bezahlung, 3
Tage (die er insg. unterwegs ist) à 120 DH macht 360 DH, ca. 36 Euro.
Den nachfolgenden
Streckenabschnitt habe ich etwas unterschaetzt. Ich schiebe mein Rad noch etwa
1,5 h hinunter bis zum Lac d'Ifni (ca. 2300 m.ue.M) und mache eine ausgiebige
Pause mit Baden im eiskalten Wasser. Dort ist allerdings nichts mit
Uferpromenade, der See ist begrenzt von Felswaenden und Geroellhalden, am Ende
ist das Tal von einem etwa 150 m hohen Wall
aus Schutt und Felsbrocken versperrt. Und irgendwie muss ich hier mit
dem Fahrrad vorbei bzw. hinueber. Ich entscheide mich fuer das Westufer, was
sich spaeter als Fehler erweist, die Piste zum See endet am Ostufer, ich
erreiche sie erst viel spaeter. 3 h schleppe ich in der Folge mein Rad bergauf
bergab, ueber Felsen. Staendig bleibt man irgenwo haengen, die Pedalen schlagen
Schienbein und Ferse wund, sie abzuschrauben scheitert am fehlenden Schluessel.
Die wenigen Marokkaner die hier oben Fischen oder Ziegen hueten schuetteln nur
den Kopf, das sind die Momente in denen man das Fahrrad verflucht (neben dem
Check-In am Flughafen). Nachahmern empfehle ich unbedingt das Rad mit dem
Maultier bis zum Beginn der Piste bringen zu lassen oder die Tour gleich zu
Fuss zu machen, denn lanschaftlich ist's hier oben wirklich ein Erlebnis.
Ein paar Stunden
spaeter sieht die Welt schon ganz anders aus,
ich rolle auf holpriger Piste
ca. 15 km bis Imlil (nicht das Imlil wo ich gestartet bin). Hier auf der
Atlas-Suedseite ist die Landschaft ganz anders, gruen gibt es in den Taelern wo
bewaessert wird, ansonsten nur rotes Gestein das in der Abendsonne leuchtet.
Ich passiere ein Dorf nach dem anderen, umgeben von gruenen Terassen, Obst und
Walnussbaeumen. Es gibt auch einige Cafes und einfache Unterkuenfte. Die Kinder
sind ziemlich aufdringlich, ziehen an meinem Gepaeck und werfen mich fast vom
Rad, bis sie von den Erwachsenen zurueckgepfiffen werden. In Imlil (1700
m.ue.M.) zweigt eine Piste nach Sueden ab, ausserdem die nach Westen, die ich
befahren moechte. Ich erreiche den Ort kurz vor 18 Uhr, nur ein Laden hat noch
geoeffnet. Brot bekomme ich dort nicht mehr, aber Brioches und Croissants fuers
Fruehstueck, dazu Joghurt und Orangensaft. Punkt 18 Uhr trifft man keinen
Menschen mehr, alle Tueren sind verschlossen, ideale Bedingungen um in Ruhe ein
Plaetzchen zum Zelten zu suchen. Das ist ein Vorteil des Ramadans. Wenige km
nach Imlil in einem Seitental werde ich fuendig, in einer Biegung des Bachs finde
ich ein paar waagrechte Quadratmeter um mein Zelt aufzubauen. Das Reisgericht
von LIDL ist schnell und brennstoffsparend gekocht, 1/2 l Wasser dazu und 5 min
aufkochen, fertig, Transportgewicht nur 170 g. Eine Kroete die mir aus
naechster Naehe in die Augen schaut errinnert mich an das sonstige Getier das
sich hier rumtreibt und ich schliesse schnell mein Zelt. Ungern moechte ich
meinen Schlafsack mit Schlangen oder Skorpionen teilen.
Morgens
Sonneschein und 8 °C, der Kaffee waermt mich. Eine Wespen-Attacke beschert mir
3 Stiche; ich ziehe mein Zelt samt Inhalt 5 m von ihrem Nest weg und habe
wieder meine Ruhe. Der nun folgende Pistenabschnitt ist klasse. Auf den ersten
10 km gehts einem Tal folgend bis auf etwa 2200 m, die nachsten 10 km bleibt man
mit staendigem auf und ab etwa auf dieser Hoehe. Die Piste laesst sich gut
fahren, nur wenige Schiebepassagen. In jedem Seitental das Wasser aus den
Bergen sammelt, durchfahre ich Doerfer mit gruener Umgebung. Die Leute sind
freundlich, gruessen oder halten mich fuer ein Schwaetzchen an. Esel scheuen
bei meinem Anblick, ganze Ziegenherden nehmen Reissaus, unter dem Gelaechter
der Kinder. Ich mache viele Fotostopps. Im weiteren Verlauf pendelt sich die
Piste zwischen 1900-2000 m ein, hinter jeder Kuppe erwarte ich endlich die
Strasse und werde enttaeuscht. Es folgt noch ein Pass mit ca 2300 m, bevor
endlich nach ca. 55 km (ab Imlil) bei Agouim die Tichka-Pass-Strasse erreicht
ist.
Es ist kurz vor
17 Uhr, und ich muss eine Hoellenritt hinlegen um die knapp 70 km bis
Quarzazate noch zu schaffen. Die Strasse faellt zwar von 1700 auf knapp 1200
m.ue.M., aber der Wind blaest mir aus der Sahara entgegen und auf die vielen
Gegenanstiege war ich auch nicht gefasst. Immerhin habe ich die Strasse von 17
Uhr 45 bis etwa 19 Uhr praktisch fuer mich allein, wieder ein Vorteil des
Ramadan. Kurz nach 7 rolle ich mit Stirnlampe in Quarza ein, und beziehe wieder
(wie 2002) das Hotel Royal, mitten im Zentrum, saubere kleine Zimmer fuer 45 DH
(4,50 Euro) pro Nacht. In Quarza nutze ich noch einmal die Moeglichkeiten einer
Touristenmetropole: Warme Dusche, Internetzugang, Handy-Empfang, Geldautomat,
.... .
Morgen geht’s weiter Richtung Boumalne, Dades-Schlucht und Imilchil.
Imilchil,
28.10.2005: Imilchil ist
ein trostloses Nest, eine verfallene Kasbah, ein schmutziger Marktplatz, Hauser
zwischen Tradition (Lehm) und Moderne (Beton + Plastik-Planen), Muell, Staub,
Baustellen-Atmosphaere (ohne Bautaetigkeit). Entlang der Hauptstrasse zaehle
ich 12 Hotels, Auberges und Gites d’Etapes, dazu unzaehlige Restaurants und
Cafes, die alle nicht so recht hierher passen wollen. Aber wie so oft beim
Radfahren ist auch hier der Weg das Ziel. Imilchil ist das Zauberwort fuer das
abgelegene Hochplateau und die umliegenden Berge und Taeler, mit seinen
Menschen die noch nach jahrhunderte alten Traditionen leben. Imilchil selbst
ist nicht sehenswert, allenfalls als Stuetzpunkt fuer Touren in der Umgebung
geeignet. Einen Aufschwung hat das Dorf erlebt seit dem Ausbau der Strasse.
Seit etwa 3 Jahren gibt es eine durchgehend asphaltierte Verbindung von Norden
(El-Ksiba) ueber Imilchil weiter Richtung Osten (Rich).
Am 25. hatte ich
Quarza morgens verlassen, vorher noch ein fuerstliches Fruehstueck mit
Pfannkuchen, Milchkaffee, frischem Orangensaft im Cafe neben dem Hotel. Vor mir
lag die noerdliche Strasse der Kasbahs (Lehmburg), eines der touristische
Highlights Marokkos. Vor 3 Jahren bin ich die Strecke im Dauerregen ohne Stopp
durchgebrettert, diesmal passt das Wetter und ich habe genug Zeit fuer die eine oder andere Pause. In Skoura
schaue ich mir die Palmen-Gaerten und 2 Kasbahs an. Sie sind immer aehnlich
aufgebaut, variieren nur in der Groesse (je nach Reichtum bzw. Groesse der
Familie/des Clans). Begrenzt werden sie von 4 Tuermen und hohen Mauern. Im
Erdgeschoss sind Staelle, im 1.Stock Vorratslager darueber die Wohn- und
Schlafraeume. Gebaut wird aus getrockneten Lehmziegeln, verputzt ebenfalls mit
Lehm. Jaehrlich nach den Regenfaellen im Winter muesen die Kasbahs ausgebessert
werden sonst verfallen sie in kuerzester Zeit. Man sieht viele verfallene
Kasbahs am Strassenrand, Tribut an die Moderne. Viele Familien ziehen es vor in
Haeusern aus Beton-Ziegeln zu wohnen, manchmal werden dabei noch
architektonische Details der Kasbahs uebernommen. Ausser Skoura ist die Strecke aeusserst eintoenig,
Steinwueste, spaerliche Vegetation, links der Hohe Atlas, rechts der Djabal
Sarhro. Ein staendiges auf und ab, hinter jeder Kuppe hofft man auf eine
landschaftliche Veraenderung, vergeblich. Erst auf den letzten 30 km vor
Boumalne naehert sich die Strasse dem Dades-Fluss, es wird gruener, ein Dorf am
anderen liegt an der Strasse. Ich bin allerdings schon wieder auf der Suche
nach einem Platz fuer mein Zelt. Als alle beim Essen sind werde ich fuendig und
biege zwischen 2 Ortschaften in die Wueste ab, Sichtschutz finde ich hinter
einem grossen Felsen.
Auch das
Dadas-Tal bzw. die Dades-Schlucht ist
ein touristischer Hoehepunkt, im Hochsommer waelzen sich ganze Kolonnen von
Wohnmobilen und PKW hier durch. Folglich saeumen unzaehlige Hotels, Cafes,
Souvenir-Buden den Weg so dass das Tal ziemlich zersiedelt ist. Ab Boumalne
zieht sich die Strasse mit zahlreichen Anstiegen und Abfahrten langsam auf 1900
m.ue.M. Nach der eigentlichen Schlucht verlaesst die Strasse das Tal und steigt
auf ca.2300 m Hoehe. Hier gefaellt es mir am besten, Gran Canyon im
Kleinformat. Auf der anschliessenden Abfahrt kommen mir 3 andere Reiseradler
entgegen, 2 Australier und ein Schweizer. Die Australier sind seit ueber einem
Jahr unterwegs, in Malaysia gestartet und ueber Zentralasien, Europa jetzt auf
dem Weg nach West-Afrika. Der Schweizer ist in seiner Heimat gestartet und
moechte bis nach Mali, da werd ich richtig neidisch. Wir tauschen noch ein paar
Infos ueber Pistenzustand und Versorgungsmoeglichkeiten aus, dann geht’s
weiter. Gut 63 km hinter Boumalne erreiche ich den Ort Msemrir auf ca. 2000
m.ue.M., wo die Asphaltstrasse endet. Ich uebernachte hier in der Auberge
Agdal, obwohl mir der Ort ueberhaupt nicht gefaellt. Es sieht aber nach Regen
aus und da ist mir ein festes Dach ueber dem Kopf lieber als das Zelt. Msemrir
ist Marktfleck fuer die umliegenden Ortschaften, ansonsten aber nur eine lose
Ansammlung von Haeusern. Die Leute sind komisch, ich werde mit ihnen nicht so
richtig warm. Die Auberge ist von der Kategorie, in der man lieber im eigenen
Schlafsack uebernachtet. Wenigstens ist das Omlette Berber geniessbar.
Am naechsten
Morgen breche ich frueh auf, es hat nicht geregnet, aber das Wetter sieht nicht
besonders gut aus: grauer Himmel und ein kalter Wind. Die Piste verlaeuft noch
gut 25 km durch ein Hochtal immer auf etwa 2000 m Hoehe. Die Doerfer sind
weiterhin nur Ansammlungen von Hausern, aber die Leute sind sehr freundlich
winken mir zu. Fast alles was Beine hat ist auf den Feldern. Die letzten
Kartoffeln werden geerntet, der Boden gepfluegt, Futter fuer die Tiere
geschnitten und auf dem Esel nach Hause transportiert. Auch die Kinder sind
nicht dumm, anstatt an meinen Packtaschen zu ziehen, schieben sie mich den Berg
hinauf und werden dafuer mit Bonbons belohnt. Dann beginnt der schwierigste
teil der Etappe, auf den naechsten 17 km sind rund 1000 Hoehenmeter zu
bewaeltigen. Die Piste windet sich an der Flanke eines Berges hinauf, in jeder
Kehre ein grandioser Ausblick ins Tal, schade dass das Wetter so schlecht ist.
Die Steigung ist human, es gibt praktisch keine Schiebepassagen. Auf der ganzen
Strecke begegnet mir ein einziges Fahrzeug, ein Taxi-Berber, dh ein Landrover
mit einem Passagier im Wollmantel auf dem Dach. Kurz vor der Passhoehe ruft
mich eine Gruppe Berber zu sich ans Feuer. Sie sind mit ihren Eseln in der
Gegenrichtung unterwegs und haben einen der kugeligen, dornigen kleinen Buesche
angezuendet, die hier oben in ca. 1x1 m Abstand wachsen. Eine eindrucksvolle
Szene, 5 Maenner in langen Maenteln mit spitzen Kapuzen, alle fast zahnlos, die
Gesichter von der Sonne gezeichnet, Nebelschwaden ziehen durch die
Hochgebirgslandschaft – leider darf ich nicht fotografieren. Am fruehen
Nachmittag erreiche ich den Tizi’n’Ouano, mein Hoehenmesser zeigt 2950 m, auf
manchen Karten ist er mit 3005 m angegeben. Die Temperatur ist auf 2°C
gefallen, Nieselregen und Sturm. Hinter der Mauer einer aufgegebenen Huette
suche ich Schutz, ziehe alles was in meinen Packtaschen an Klamotten
griffbereit ist uebereinander, Muetze und Handschuhe an und dann moeglichst
schnell talwaerts. Auch hier das Gefaelle gut fahrbar, bis Agoudal das auf 2300 m liegt sind es 25 km, allerdings mit 2
giftigen Gegenanstiegen, die noch mal 150 m kosten. Noch vor Agoudal reisst
ploetzlich der Himmel auf und die ganze
Gebirgswelt wird in ein warmes rotes Licht getaucht. Auf 2500 m gibt es eine
Bergerie (Alm), dort habe ich auf einem abgeerntetem Feld einen idealen Zeltplatz
ausgemacht, mit einem Wasserbecken gleich nebenan. Aber noch bevor ich mich
ueberhhaupt dorthin bewegen kann, sehe ich vom gegenueber liegenden Hang einen
Jungen im viel zu grossen Berbermantel auf
mich zu rennen, gefolgt von seiner Ziegenherde. Ich soll unbedingt bei
ihnen uebernachten. Sie, das sind er
und ein paar Jungs zwischen 12 und 22 Jahren, die hier oben das ganze Jahr auf
Ziegen und Schafe aufpassen muessen. Nur ab und zu duerfen sie runter nach
Agoudal zur Familie. Z.Zt. ist die Mutter mit der kleinen Schwester zu Besuch.
Ein paar Lehmhuetten und ein Pferch, in dem nachts die Tiere eingesperrt
werdenn, in einiger Entfernung noch ein paar terrassierte Felder, das ist alles
was es hier gibt. Der Kleine ist ziemlich geschaeftstuechtig, aber nicht
aufdringlich. Er zeigt mir meinen Schlafplatz, rollt ein paar frische Teppiche
aus und serviert Tee und ist sehr bemueht, dass es mir an nichts fehlt.
Grundsaetzlich klaere ich in solchen Faellen vorher die finanzielle Seite ab,
hinterher gibt’s nur unschoene Diskussionen. 50 DH (ca. 5 Euro) moechte er fuer
Uebernachtung + Verpflegung, ein stolzer Preis, aber ich moechte das Engagement
honorieren, das mir viel sympathischer ist als die `Donnez-moi-Mentalitaet’ die
ich die letzten Tage entlang der Touristen-Routen erlebt habe. Abends gibt’s Tajine,
was denn sonst, und mehrere Runden Tee. Die Jungs erzaehlen noch ein bisschen
aus ihrem Leben und machen Musik. Die sternklare Nacht ist mit -4°C die
kaelteste die ich in Marokko erlebe, in meiner Huette hat es immerhin +5°C und
mein leichter Sommerschlafsack hat immer noch Reserven.
Am naechsten
Morgen taucht die Sonne die Landschaft in ein gigantisches Licht und laesst die
Temperaturen schnell ansteigen. Zum Fruehstueck gibt es Tee, frisches
Fladenbrot und Olivenoel. Ich breche bald auf, Agoudal und die folgenden
Doerfer gefallen mir sehr gut, irgendwie erinnern sie an Pueblos aus
Karl-May-Filmen. Wieder sind viele Menschen beim Arbeiten auf den Feldern und
winken mir zu. Leider sind die Kinder hier ziemlich laestig, das erste Wort,
das sie zu lernen scheinen heisst `Donnez-moi’ , manche schaffen noch ein
`quelque chose’. Genauere Wuensche (Stylo, Bonbon oder un Dirham) werden gar
nicht mehr geaussert, oder will man sich alle Optionen offen halten? Sie treten
in jedem Dorf in grossen Horden auf und werden schnell aggressiv wenn man
nichts gibt. Ich warte auf die ersten fliegenden Steine und bin zum
Gegenangriff bereit. Einige Steine in der Trikot-Tasche und einer drohend in
die Hand genommen ist aber eine effektive Abschreckung. 10 km nach Agoudal ist
die Asphaltstrasse erreicht, die nach Rich fuehrt, weitere 20 km spaeter
Imilchil. Hier kommen mir bestimmt 20 Berber-Taxi entgegen, LKW, deren
Ladeflaechen vollbelegt mit Leuten waren, die vom Markt heim in ihre Doerfer
fahren. Leider ist der Markttag schon beendet, als ich am fruehen Nachmittag in Imilchil eintreffe.
Ich quartiere mich im einzigen Hotel ein das eine eigene Wasserversorgung hat
(Name wird nachgereicht), die im Ort ist zusammengebrochen. Auch sonst zeichnet
sich das Hotel durch einen gewissen Perfektionismus aus, der hier in Marokko
recht ungewoehnlich erscheint. Eine komplett funktionierende
Sanitaereinrichtung wie hier habe ich die letzten 2 Wochen nie erlebt. Kein
Eimer fuer die Klospuelung, keine tropfende Wasserleitung die langsam die Wand
zerfrisst, kein Waschbecken das nur noch an einer Schraube haengt, keine
verstopften Ablaufe … und trotzdem ist der Preis fuer die Nacht nicht
ueberzogen‚ 45 DH. Ich drehe noch eine Runde ohne Gepaeck zu den Gebirgsseen
Lac du Tislit und Lac d’Iseli, ersterer liegt nach 4 km direkt an der Strasse
Richtung Norden, letzterer ist nach 7 km Piste erreicht. Leider zieht das
Wetter schon wieder zu, und ich verspuere wenig Lust zum Baden. Abends sind
noch ein paar andere Touristen eingetroffen und im gemuetlichen Speisesaal
gibt’s Tajine, Couscous oder Omlette Berber.
Azilal,
31.10.2005: Die erste
urbane Siedlung seit fast einer Woche empfängt mich freundlich, Azilal gefaellt
mir auf Anhieb. Durch den Alpin-Tourismus ins M’Goun-Massiv hat der Ort einen
Aufschwung erlebt. Das M’Goun ist neben dem Toubkal das zweite Massiv, das
Gipfel mit ueber 4000 m aufweisen kann. Alle Haeuser der Stadt, auch die
Neubauten sind in roetlich-brauner Farbe gestrichen, im Zusammenspiel mit der
tiefstehenden Abendsonne ergibt sich eine eindrucksvolle Stimmung. Azilal
bietet alles, was zu einer Stadt gehoert: Geschaefte, Restaurants, Hotels,
Banken und auch ein Internet-Cafe. Ich weiss aber nicht, ob ich den Bericht
hier schon hochladen kann, denn die Verbindung ist sehr langsam und instabil.
Vorgestern bin
ich in Imilchil Richtung Norden gestartet. Lange hatte ich ueberlegt, ob ich
wetterbedingt vielleicht doch wieder Richtung Sueden abdrehen sollte. Aber als
mich morgens die Sonne weckt, bin ich optimistisch. Auf gutem Asphalt, ohne
jegliche Verkehrsbelaestigung geht es zunaechst ueber einen kleinen Pass um
dann in einer langen Abfahrt, einem Tal folgend auf etwa 1300 m.ue.M. hinunter
zu fuehren. Nach dem Pass aendert sich die Landschaft schlagartig, Zedern,
Eichen und Wachholder wachsen an den Berghaengen. Hier ist der Uebergang vom
Hohen zum Mittleren Atlas. Es erinnert an Sued-Frankreich und riecht auch so.
Nach ca. 50 km in der Ortschaft Cherket soll links eine Piste nach Tasreft
abzweigen, die nur im 1:600.000-er-Ausschnitt der Michelin-Karte verzeichnet
ist. Nach Auskunft einiger Einheimischer in Imilchil ist sie bis Tasreft
befahrbar und es gibt sogar eine Piste die ab Anergui weiter Richtung
Tilouguite, die nirgens verzeichnet ist. Von dort koennte man Bin-el-Ouidane-Stausee
hinunterfahren. Den Abzweig finde ich auf Anhieb, das erste Teilstueck scheint
sogar asphaltiert zu sein, nur von einer Ortschaft weit und breit keine Spur,
ich hatte mich aber auf eine Versorgungsmoeglichkeit eingestellt. Morgens um 9
Uhr in Imilchil war dank des Ramadan kein einziges Geschaeft geoeffnet, auf den
letzten 50 km nur vereinzelte Gehoefte und eine kleine Ansammlung geschlossener
Cafes. Meine Vorraete beschraenken sich auf 1 l Wasser und ein halbes
Fladenbrot, das noch dazu 4 Tage alt ist. Der Flusslauf, dem die Piste folgt
fuehrt kein Wasser und auf den naechsten 70-80 km ist keine Siedlung verzeichnet. Weit und breit ist kein Mensch zu
sehen, den man nach Versorgungsmoeglichkeiten fragen koennte. Bleibt mir nichts
anderes uebrig, als weiter der Asphaltstrasse nach El Ksiba zu folgen. Der
Tizi’n’Ifar fuehrt noch mal durch ein schoenes Eichenwaeldchen auf 1900 m.ue.M., an einer eingefassten Quelle
kann ich meinen Ortlieb Wassersack auffuellen. Auf der anderen Seite erwartet
mich ein fruchtbares Tal mit einem wasserfuehrenden Fluss. Grosse Flaechen
werden bewaessert und bewirtschaftet: Obst, Getreide, Gemuese und Oliven
saeumen den Strassenrand. Weiterhin ist die Landschaft mediterran, nur die
Siedlungen tragen nicht unbedingt zur Verschoenerung bei. Die Menschen hier
sind etwas wohlhabender und ihre Haeuser sind `moderner´, d.h. sie haben etwa
den Charm von Fertiggaragen. Hinzu kommt die allgegenwaertige
Plastikplanen-Architektur, Anbauten, die als Kueche, Stall oder Badezimmer
Verwendung finden entstehen aus recycelten Folien, Saecken, Decken u.a.. In
Naour kann ich mich endlich mit Vorraeten fuer die naechsten Tage eindecken.
Auf die Frage nach Brot rennt der Laden-Besitzer in seine eigene Kueche und
bringt mir einen ofenfrischen Laib, fuer den ich nichts bezahlen muss. So bin
ich geruestet fuer eine Nacht im Zelt, mit den fast 10 l Wasser die ich ueber
den Pass geschleppt habe koennte ich sogar ausgiebig duschen. Aber wie so oft
macht mir die marokkanische Gastfreundschaft einen Strich durch die Rechnung.
Ein Alter fast zahnloser Mann im langen weissen Gewand, hellblauem Turban und
von der Sonne gegerbtem Gesicht nimmt mich am Arm und fordert mich in bestem
Franzoesisch auf mit seiner Familie den Ramadan zu feiern. Ehe ich grossartig ueberlegen
kann, sitze ich mal wieder am Boden eines marokkanischen Wohnzimmers.
Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen ist
habe ich einen gedeckten Tisch vor mir: Frisches Brot, ein Schaelchen
Olivenoel, leckerer Honig, Butter, Milchkaffee und Tee. Fast alles aus eigener
Produktion. 5 Kuehe und die Bienenvoelker sind der Stolz der Familie. Von
dieser Vorspeise bin ich eigentlich schon satt. Zum Sonnenuntergang duerfen
dann alle Essen, ein paar Freunde und Nachbarn treffen ein, alle sitzen am
Boden, ein kleiner Tisch steht in der Mitte. Die Frauen tragen die Ramadansuppe herein, essen selbst aber in der Kueche.
Zur Suppe isst man ein paar Datteln und suesses Gebaeck. Nach diesem Gang
verabschieden sich Freunde und Nachbarn, jetzt duerfen auch die Frauen ins Wohnzimmer.
Brochettes und Brot werden gereicht. Gegen 22 Uhr, zum naechsten Gang
erscheinen wieder Besucher, die Frauen verziehen sich in die Kueche. Eine
Tajine wird hereingetragen. Alle essen aus der gleichen Schuessel, mit einem
Stueck Brot versucht man etwas von der Tajine zu greifen. Wenn ich aufhoere zu
essen schieben sie gleich etwas in meine Richtung – aber ich platze gleich.
Zwischen den Mahlzeiten gibt es unzaehlige Tee-Zeremonien. Den ganzen Abend
laeuft Sat-TV, es wird zwischen Deutscher Welle (mit arabischen Untertiteln),
marokkanischer Daily Soap und einem Action-Sender aus Dubai herumgezappt.
Spaeter gibt’s noch eine DVD vom Berber-Festival in El Ksiba. Auf TV, DVD und
Mobil-Telefon ist die Familie besonders stolz.
Der Vater hat, als er jung war ein paar Jahre in Frankreich gearbeitet
und dann die Landwirtschaft aufgebaut. 3 der 5 Toechter und 2 der 3 Soehne sind
noch nicht verheiratet und wohnen zu Hause. Dort stehen allen zusammen nur 2
Zimmer und die Kueche zur Verfuegung. Gegen 24 Uhr ist endlich Schlafenszeit,
einige der Besucher schlafen mit mir im Wohnzimmer. Um 3 Uhr ist dann noch mal
Wecken angesagt, die letzte Mahlzeit vor Sonnenaufgang steht an, ich darf zum
Glueck weiterschlafen. Als ich zum Fruehstueck gerufen werde ist der Vater schon
abgereist in die Stadt und hat sich erfolgreich um ein Foto gedrueckt. Ich
moechte wenigstens fuer das Essen etwas bezahlen, aber sie weigern sich
hartnaeckig Geld anzunehmen. Wenigsten darf ich ein paar Dinge aus Packtaschen
dalassen (Seife, Aspirine, Batterien, Verbandszeug).
Ueber Nacht hat es heftig geregnet, sogar gewittert, zum Glueck habe ich
nicht im Zelt uebernachtet. Als der Regen etwas nachlaesst fahre ich los.
Zunaechst geht’s noch ein paar km bis auf 900 m.ue.M. bergab, dort zweigt links
die Strasse zum Bin–el-Ouidane-Stausee ab. Immer wieder muss ich ich mich
unterstellen, weil es regnet, bis es irgendwann ueberhaupt nicht mehr aufhoert.
Ueberall auf den Haengen fliesst das Wasser ab, die Baeche sind wilde
rotgefaerbte Fluten, rechts und links der Strasse knoecheltiefer Matsch, der
sich auch immer wieder ueber die Fahrbahn bewegt. Die Temperatur faellt auf
10°C, jetzt bloss nicht anhalten, sonst faengt man auch noch an zu frieren. Die
Strasse die auf der Michelinkarte so harmlos aussieht hat es in sich, 2 Paesse
mit knapp 1900 m wollen ueberwunden werden, dazwischen ein Tal das 900 m tief
liegt. Und auch sonst laesst die Strasse keine Bergwertung aus, nach jeder
Kuppe hofft man dass es endlich runter zum See geht und hat dann nur den naechsten
Anstieg vor Augen. Wieder ein Tag an dem man das Fahrrad verflucht. Die letzten
Kilometer fahre ich mit Stirnlampe durch die Dunkelheit und erreiche
Ouaouizarth klatschnass kurz nach 19 Uhr. Der Ort liegt unweit des Stausees und
ist groesser als ich erwartet habe, nur leider existiert das im Reisefuehrer
erwaehnte Hotel nicht mehr. Der alte Mercedes mit schwedischem Kennzeichen, der
mich vorhin winkend ueberholt hatte haelt neben mir, ein Marokkaner, der seit
25 Jahren in Stockholm Taxi faehrt steigt aus und will mir helfen. Wir trinken
erst mal im naechsten Cafe einen Tee. Der Besitzer des Fotogeschaefts von
nebenan gesellt sich hinzu, und ihm faellt ein dass der Franzoesisch-Lehrer vom
Lycee eine Gite d’Etape am See hat, die er hin und wieder vermietet. Also wird
jeder auf der Strasse angesprochen, den Lehrer ausfindig zu machen. Der
Taxifahrer raucht trotz Ramadan gemuetlich einen Joint und tatsaechlich taucht
nach etwa 1,5 h der Franzoesisch-Lehrer im Cafe auf. Wir laden das Rad auf
seinen Pick-Up und fahren die 8 km zu seiner Huette. Morgen bevor ich losfahre
soll ich einfach abschliessen und den Schluessel unter der Tuer durchschieben.
Er moechte umgerechnet 15 Euro fuer die Fahrt und Uebernachtung, das ist mir
die Sache wert, ich moechte nicht noch nass wie ich bin irgendwo im Dunkeln im
Matsch mein Zelt aufschlagen. Ausserdem freue ich mich auf eine Dusche. Unter
einer Dusche versteht man in Afrika oft einen Eimer Wasser, eine Tasse und ein
Raum bzw. Sichtschutz mit betoniertem Boden und einem Abfluss in der Wand. Wenn
man sich erst mal daran gewoehnt hat ist das Duschen so viel komfortabler als
mit altersschwachen Sanitaereinrichtungen, verkalkten Duschkoepfen, undichten
Schlaeuchen, fehlendem Druck usw. . Ich koche mir in der Kueche noch einen Kessel
Wasser und perfekt ist die warme Dusche. Anschliessend im Schlafsack geht’s mir
nach so einem Scheisstag schon wieder viel besser.
Am naechsten Morgen wache ich bei Sonneschein an einem paradiesischen
Fleckchen Erde auf. Die Huette in traditioneller Lehmbauweise ist nur wenige
Meter vom See entfernt. Umgeben von Olivenbaumen, darunter eine Sitzgruppe aus
Stein. Hier wuerde ich gern mehr Zeit verbringen. Ich befreie Fahrrad und
Packtaschen vom Schlamm des gestrigen Tages und haenge alle nassen Klamotten zum
trocknen auf. Eine Runde schwimmen ist auch noch drin, und bei einem Fischer
unten am Strand kaufe ich mir 2 Forellen, die zu Mittag auf dem Grill landen.
Erst am Nachmittag nehme ich die 35 km bis Azilal in Angriff, die wie so oft
von einer Bergwertung gekroent sind. In Azilal miete ich mich wieder fuer 4 €
in einem einfachen Hotel ein. Ich begebe mich etwas zu spaet auf Nahrungssuche,
die hungrigen Ramadanler haben schon das meiste aufgegessen. In einem
Restaurant gibt’s noch etwas Suppe mit Brot den Rest des Abends verbringe ich
im Internet-Cafe.
Marrakech, 3.11.2005: Zurueck in der Millionen-Metropole, irgendwie erscheint sie mir noch
chaotischer wie vor 2 Wochen. Liegts daran, dass ich so lange `en brousse´ war,
oder daran, dass sich der Ramadan langsam dem Hoehepunkt naehert?
Die letzten 2 Tage waren unspektakulaer. Von Azilal nach Demnate mach ich
noch den Abstecher zu den Ouzoud-Wasserfaellen, die Schlucht spare ich mir.
Irgendwie kann ich langsam keine Schluchten, Felsen, Berge usw. mehr sehen und
freue mich auf Marrakech. Auf dem Weg von Demnate zur Pont Naturel von
Imi-n-Ifri finde ich ein praktisches Plaetzchen um ein letztes mal mein Zelt
aufzubauen. Gestern gings dann mit leichtem Gefaelle gut 100 km zurueck nach
Marrakech, endlich rollt das Rad mal wieder. Etwa 1 h vor dem Fastenbrechen
stehe ich in der Stadt an einer grossen Kreuzung und versuche mich zu
orientieren. Fassungslos schaue ich dem Verkehr zu, irgendwie erinnert alles an
Autoscooter. Auf der vierspurigen Strasse wird in 7 Spuren gefahren, einer
blinkt rechts, biegt aber links ueber alle 7 Spuren ab. Rote Ampeln bedeuten:
Hupen und Geschwindigkeit verringern, fuer Fahrraeder, Mopeds und Esel haben
sie keine Bedeutung. Andere Verkehrszeichen werden ueberhaupt nicht beachtet.
Ein Bus bleibt auf der dritten Spur stehen und laesst Passagiere aussteigen,
auf den anderen Spuren rollt der Verkehr unveraendert weiter. Auf der rechten
Spur bleibt ein LKW liegen, der seinen Dieseltank verloren hat. Sofort entsteht
ein Stau aus 40-50 Mopeds, die rechts vorbei wollen, wo aber noch der
Dieseltank den Weg blockiert. 2 Polizisten auf
einem Moped scheren in vollem Tempo links aus und zwingen ein Grand
Taxi, sowie nachfolgende Fahrzeuge zur Vollbremsung. Am Lenker haengen 2
riesige Plastiktueten mit Einkaeufen, der Polizist auf dem Gepaecktraeger kann
sich nur mit Muehe halten, weil er in jeder Hand eine grosse Plastiktuete mit
Brot hat. Normalitaet in Marrakech zur Zeit des Ramadan, jeder ist bemueht
rechtzeitig zum Essen daheim zu sein. Ich versuche in diesem Chaos moeglichst
schnell innerhalb der Stadtmauern zu gelangen, wo ich sicherer zu meinem Hotel
komme. Ich hab Glueck, mein Zimmer auf der Dachterasse ist noch frei. Auch hier
in der Fussgaengerzone ist viel mehr los am vorletzten Tag des Ramadan.
Der letzte Tag meiner Reise wird noch etwas stressig, habe mir fuer Marrakech noch viel vorgenommen. Mein Fahrrad ist schnell verkauft, der Junge von der Rezeption will mir 1000 DH (100 €) dafuer geben. Alle 2 Stunden kommt er und hat wieder 100-200 DH aufgetrieben. 400 DH brauche ich noch fuer Hotel und Flughafen-Taxi, der Rest wird fuer Reiseandenken und Restaurantbesuche ausgegeben. Einen Besuch beim Barbier hatte ich auch noch auf meiner Liste, genauso wie ein Bad im Hammam. In der Gasse in der sich mein Hotel befindet, ist je ein Hammam fuer Damen und fuer Maenner. Heute frueh konnte ich noch beobachten, wie von einer Eselskarre das Holz abgeladen wurde, das fuer die Beheizung des Bades gedacht ist. Nachmittags wage ich mich dann rein. Mit 10 DH habe ich sicher zu viel bezahlt. Die Orientierung ist schwierig, ein paar schwache Gluehlampen koennen die dampfgeschwaengerten Raeume kaum ausleuchten. Im Nebel erkenne ich einen Vater, der seine Kinder einseift, in vielen Faellen ersetzt der Hammam das heimische Badezimmer. In einem anderen Raum sitzt man wie in der Sauna, es ist aber nicht so heiss, in einem anderen Raum kann man sich massieren lassen. Ich bekomme einen Eimer heisses Wasser und eine Buerste zur Koerperpflege, auf die Massage verzichte ich leiber, da tun mir meine Knochen schon beim zusehen weh. Eine solche Einrichtung haette ich mir manchmal in den kalten Bergdoerfern gewuenscht. Heute abend moechte ich dann noch am Djemaa El Fna Platz die Schafskoepfe probieren, von diesen Staenden wird man als Tourist nie bedraengt, gerade das macht es interessant.
Freiburg, 5.11.2005: Nach den Ereignissen der letzten Tage in Frankreich bin ich froh, dass mein
Auto noch da ist. Der letzte Nacht in Marrakech war sehr kurz, das Ende des
Ramadan wurde auf den Strassen lautstark gefeiert. Bis 2 Uhr sitze ich mit dem
Jungen von der Rezeption und einem Schiffsbau-Architekt aus Frankreich auf der
Dachterasse, vorher ist an Schlaf nicht zu denken. Der Junge erzaehlt ein
bisschen ueber das Hotel, der Besitzer wohnt in der Neustadt und kommt fast nur
um das Geld zu holen. Sowas dachte ich mir schon, an den Sanitaeranlagen ist in
den letzten 3 Jahren nichts repariert worden. Die Wasserleitung im WC leckt
immer noch an der gleichen Stelle, in der Wand ist inzwischen ein Loch mit 50
cm Durchmesser. Er verdient rund 1500 DH / Monat und kann sich mit kleinen
Geschaeften mit Touristen etwas dazuverdienen. Er traeumt davon illegal nach
Spanien zu gehen und dort als Landarbeiter Geld zu verdienen.
Von ihm bekam ich noch den Tip fuers Taxi zum Flughafen nicht mehr als 50
DH zu bezahlen, Touristen werden bis zu 500 DH abgeknoepft. Morgens um 6 Uhr am
Taxistand ueberlegt der erste Fahrer zu lange, da sitze ich schon im zweiten
Taxi fuer 50 DH. Beim Check-In waehle ich extra einen Sitzplatz mit Blick
Richtung Atlas, leider ist der wie beim Hinflug in Wolken gehuellt.
Fazit: Das war bestimmt
nicht meine letzte Marokko-Reise, das naechste mal vielleicht auf Skitour. Den
Toubkal muss man nicht unbedingt mit dem Rad ueberqueren, allerdings hat mir
die Gegend suedlich davon mit am besten gefallen. Um diese Jahreszeit sollte
man die Nordschleife ab Imilchil lieber sein lassen, das Wetter ist zu
unbestaendig. Besser ueber Todra-Schlucht wieder zurueck in den Sueden, in der
Sahara ist die Regenwahrscheinlichkeit einfach geringer (aber nicht gleich
null, siehe 2002). Ich hatte wieder viel zu viel Gepaeck dabei und ueberlege
ernsthaft ob ich nach Marokko ueberhaupt noch mal ein Zelt mitnehme. Ich habe
gerade mal 3 Naechte im Zelt verbracht, und auch da haette es Alternativen
gegeben. Man findet fast ueberall preiswerte Unterkuenfte und mit 2 Packtaschen
weniger radelt es sich viel bequemer. Marrakech als Zielflughafen hat den
grossen Vorteil, dass man in einer fantastischen Stadt landet, wo man gerne
noch 1-2 Tage verbringt. Agadir als ueblicher Zielflughafen versucht man so
schnell wie moeglich zu verlassen, und erst auf den letzten Druecker zurueck
zukommen, denn Marokko hat interessanteres zu bieten.
Tourenchronik
Datum |
Strecke |
Rad-KM |
Hoehenmeter |
17.10. |
Flug Paris - Marrakech |
10 |
- |
18.10. |
Marrakech |
15 |
- |
19.10. |
Marrakech – Asni – Imlil – Arroumd |
75 |
1300 |
20.10. |
Arroumd – Toubkal-Huette |
- |
1300 |
21.10. |
Toubkal-Huette – Toubkal – Arroumd - Imlil |
- |
1000 |
22.10. |
Imlil – Toubkal-Huette (m. Maultier) |
- |
1500 |
23.10. |
Toubkal-Huette – Tizi’n’Ouanouns – Lac d’Ifni – Imlil (2) |
15 |
1000 |
24.10. |
Imlil (2) – Agouim - Quarzazate |
120 |
1500 |
25.10. |
Quarzazate – Skoura – (kurz vor) Boumalne |
105 |
800 |
26.10. |
(kurz vor) Boumalne – Gorges de Dades – Msemir |
73 |
1000 |
27.10. |
Msemir – Tizi’n’Ouano – Agoudal |
60 |
1400 |
28.10. |
Agoudal – Imilchil – Lac Tislit + Lac d’Iseli |
73 |
500 |
29.10. |
Imilchil – Tizi’n’Ifar – Naour |
91 |
1000 |
30.10. |
Naour – Taguelft – Ouaouizarht – Lac
Bin-el-Ouidane |
89 |
1700 |
31.10. |
Lac Bin-el-Ouidane – Azilal |
35 |
900 |
01.11. |
Azilal – Cascades d’Ouzoud – Demnate |
106 |
500 |
02.11. |
Demnate – Marrakech |
108 |
100 |
03.11. |
Marrakech |
- |
- |
04.11. |
Flug Marrakech – Paris |
- |
- |
|
Summe:
|
975 km |
15.500 m |