Diskussionsbeiträge
zu „Nikolai Berdjajew kontra Ken Wilber“
(Mit kritischen Bemerkungen zu Keiji Nishitani und
dem Beitrag: „Unter
anderem: Was ist Gott“ – Ein unvollständiger Versuch“)
Hier
einige Gedanken in bezug auf meinen Beitrag „N. Berdjajew kontra K. Wilber“,
die ich unter anderem als Antworten auf erste Reaktionen im KenWilber-de@yahoogroups.com (Diskussionsforum) eingegeben habe. In die Antworten (vom 11.6. und 26.6.) habe ich auch eine
kurze Kritik zu Keiji Nishitanis Buch „Was ist Religion?“ (insel taschenbuch
2001) eingearbeitet. Zu K. Nishitani siehe auch meine Stellungnahme
und "Ethik
und Metaphysik".
(Meinung vom 13.03.01)
Großartige Sache Deine Rezensionen! Wie immer fair in der
Kritik, ohne selbstgefällige Attitüde und vor allem verständlich. Vielleicht
sollten alle erst mal diese Beiträge auf Deiner Homepage lesen, bevor Sie sich
auf eine Diskussion über Berdjajew einlassen. Wär’ ja sonst Zeitverschwendung!
Und einige Deiner Kritiker würden verstehen, dass Du nicht “konVertiert“ bist
(“bissel heilisch geworden“, wie meine Oma gesagt hätte) und Du Dich nicht als
Heiland oder Guru versuchst. Die überwiegende Zahl dialektisch vorbelasteter
Freunde und Bekannte hat sicher die meiste Furcht vor nicht materiellen
Erscheinungen: Geist usw. Aber ich finde auch, es macht viel mehr Spaß B. zu
lesen und ich verstehe ihn halbwegs, wenn ich mich auf „so was“ auch einlasse.
Gruss (auch) D.
(Meine Antwort auf Reaktion vom
13.5.01)
Hallo ...,
hier einige erste Erwiderungen.
Zunächst einmal schrieb Wilber
in dem von mir kritisierten Buch: „In diesem Sinne ist der GEIST der
Gipfelpunkt des Seins, die oberste Sprosse auf der Leiter der Evolution.“ (S.
83) Wilber nennt eines seiner wichtigsten Bücher „Halbzeit der Evolution“ und
nicht „Halbzeit der Offenbarung“ oder „Halbzeit des Menschen“. Durch viele
Äußerungen Wilbers an anderen Stellen, beschreibt er meines Erachtens einen
GEIST, der sich folgerichtig letzten Endes zu erkennen gibt. Wilber stellt
seine Geistinterpretation in eine kausale Kette, was ich nicht akzeptieren
kann. Aber es tritt zugegebener Maßen bei ihm nicht alles völlig klar zutage,
und eine angemessene Deutung Wilberschen Denkens ist bei mir immer ein Akt der
Verzweiflung. Da fühle ich mich halt vor allem mit Berdjajew sehr viel mehr
verbunden. Das ist beim letzteren alles sehr persönlich und in der Tiefe für
mich nachvollziehbarer.
Auch ich will keine Definition
des Geistes. Der Geist ist vor allem etwas Lebendiges in mir und fühlbar nicht
eigenschaftslos. Der Geist war vor dem Erscheinen des Menschen eine auf einer
niederen Stufe anwesende, unbewußte Realität. Er war noch keine Realität im
existentialistischen Sinne, sondern eine Kraft, die der Welt bis zum Erscheinen
des Menschen eine sinnvolle Richtung verlieh (aber nicht im kausalen oder deterministischen
Sinne). Das Erscheinen des Menschen ist auch Zufall, aber durch den Zufall
allein nicht möglich. Der Mensch ist auch ein göttliches Wesen und in diesem
Sinne überhaupt nicht zufällig. Die Ganzheit des Geistes, seine existentielle
Realität ist erst durch den Menschen gegeben bzw. möglich.
Es ist, denke ich, legitim, wenn
ich das „Nichts“ in seiner Bedeutung weiter fasse. In philosophischer Hinsicht
hat das „Nichts“ vor allem eine metaphysische Bedeutung und ist nicht einfach
ein „Nichts“ im Sinne von nicht existent. Es ist wahr, daß in diesem Begriff
viel Spekulatives enthalten ist. Aber es ist unvermeidlich, ihn für die
Auseinandersetzung zur Wahrheit hin, die letztlich nach meiner tiefsten
Überzeugung göttlich-menschlich, eben ganzheitlich ist, einzubeziehen. Und es
kommt immer darauf an, wie sich die Begriffe in der Gesamtdarstellung einfügen,
davon hängt auch ihre Bedeutung ab. Dies alles versuche ich in meiner Kritik in
einen Zusammenhang zu bringen. Ob es mir gelingt, sei dahingestellt.
Weiterhin spreche ich von der
jenseitigen „Sinnlosigkeit“. Damit meine ich, das der Sinn, Gott in der Tiefe
des mystischen Grundes, in der vorseienden Freiheit nicht greift. Die Freiheit
ist das Ursprünglichste und geht dem Geist, Gott, der ganzen Welt voraus. Aber
diese Freiheit ist nicht der Gipfel, sondern der Grund, das Ich im vorseienden
Stadium, welches nie bewußt sein kann. Die Freiheit muß durch die irdische, die
manifeste, die diesseitige Welt, durch Gut und Böse hindurch und erhält durch
Gott eine sinnvolle Richtung. Aber das alles versuche ich ebenfalls in meiner
Kritik zu erörtern.
Die Notwendigkeit ist das
Gesetz, die Folge der unvermeidlichen Starre der diesseitigen Welt. Die
Notwendigkeit ist die Folge der Entäußerung Gottes in ein Symbol. Und die
Freiheit ist von unten her in der diesseitigen Welt nicht grenzenlos, das ist
eine tägliche Erfahrung im Leben eines jeden von uns. Weshalb es die
Notwendigkeit des Ringens von Gut und Böse in der diesseitigen Welt gibt, das
ist eine der Fragen überhaupt! Wir dürfen ihr nicht ausweichen! Und gelöst wird
diese Frage nicht durch die Behauptung der „Leere“, ein Begriff, den ich
überhaupt nicht mag, sondern der Fülle der Persönlichkeit. Und Fülle ist nicht
gleich Leere. Leere als Erfahrungsgröße ist reine Spekulation, Fülle der
Persönlichkeit ist dagegen für mich die erlebte Wahrheit. Und auf die Frage
„nach dem Sinn vom Sein“ und deren Beantwortung – „Die Frage ist beantwortet,
wenn sie nicht mehr gestellt wird.“ – bin ich im 4. Teil meiner Kritik eingegangen.
An dieser Stelle möchte ich auch
noch einmal kurz mein Anliegen formulieren und damit ... Bitte Folge leisten.
Mein Anliegen kommt eigentlich
in meiner Kritik zum Ausdruck. Ich möchte unter anderem eine kontroverse
Anregung vermitteln. Ich möchte, daß jeder vor allem auch in sich die
göttlich-menschliche Wahrheit (nicht zu verwechseln mit Egozentrik) sucht und
von dort ausgehend zu einer kritischen Auseinandersetzung fähig wird. Und in
dieser Hinsicht ist Ken Wilber nicht unangreifbar, und ich meine sogar, ganz im
Gegenteil.
Gruß
Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom
14.5.01)
Liebe ...,
vielen Dank für Deine ersten,
anregenden Bemerkungen! Ich möchte kurz darauf eingehen.
Ich bin nicht der Meinung, daß
Gott mit Gott spricht, sondern daß sich erst in der liebenden Wechselbeziehung
zwischen Mensch und Gott die Wahrheit ereignet. Der Mensch ist nicht gleich
Gott, er ist eben auch ein Mensch mit seiner weltlichen Begrenztheit. Der
Mensch ist sowohl ein irdisches als auch ein wesentlich göttliches Wesen. Ohne
diese Spannung gäbe es weder Gott in seiner Fülle noch den Menschen. Das alles
kommt vertieft in meiner Auseinandersetzung, hoffe ich, zum Ausdruck.
Mit den Zitaten ist es immer so
eine Sache – es besteht immer die Gefahr, daß man etwas unterschlägt. Wie
verhält es sich nun mit dem von Dir im besprochenen Buch ausgewählten Zitat auf
S. 84? Ich habe mich im Verlaufe meiner Auseinandersetzung zur sogenannten
„integralen Philosophie“ geäußert und auch dazu kritische Anmerkungen gemacht.
Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß eine „integrale Philosophie“ für sich
genommen keine wahrhaftige Integration durchführen kann, das kann letzten Endes
immer nur der Mensch in seiner göttlich-menschlichen Tiefe, in einem
ganzheitlichen Akt. In diesem Akt stellt die Philosophie ein vermittelndes und
dynamisches Element dar, welches an diesem Akt ganzheitlich beteiligt ist und
von diesem nicht getrennt werden kann. Und was tut Wilber? Er trennt die
verschiedenen Erfahrungs- bzw. Erkenntnismodi zum Teil, da von ihm der
„absolute GEIST oder die absolute Wirklichkeit“ (S. 84) in diesem Fall
spekulativ als wirklicher als die Fülle der ganzheitlich erfahrbaren
göttlich-menschlichen Persönlichkeit angesehen wird, die einzig nur als
authentisches integratives Zentrum in Frage kommt. Das steht zwar in diesem
Zusammenhang nicht auf Seite 84 und auch nicht woanders in diesem Buch, weil
das Problem der ganzheitlichen göttlich-menschlichen Persönlichkeit als
höchster erfahrbarer und fortlaufend zu realisierender Wert in seiner „integralen
Philosophie“ nicht vorkommt und nicht tiefgehend diskutiert wird.
Und unter der
göttlich-menschlichen Persönlichkeit verstehe ich das konkrete
geistig-existentielle Zentrum des Menschen selber, das sehr wohl
charakterisierbar ist z. B. durch die Worte Liebe, Mitleid, Leid, Wahrheit,
Freiheit, Schöpferkraft, Fülle und Ekstase, Aufopferung, Hingabe, Konkretheit,
Integrität, Authentizität, Einheit von Transzendenz und Immanenz. Und das sind
alles nicht nur Worte, dahinter stehen echte Erfahrungen, die immer einzigartig
und unwiederholbar, eben dynamisch in jedem Menschen vorhanden sind. Darüber
hinaus dürfen wir die Begriffe bzw. Worte vom sogenannten „GEIST“ nicht
abtrennen, und ich behaupte, ohne die schöpferische Anwendung u.a. der Sprache
durch den Menschen wäre der „GEIST“ wirklich leer und eigenschaftslos (siehe
meine Re. auf ... erste Re. vom 13.5.) und eben nicht charakterisierbar und
daraus folgend in seiner Erfahrung im Höchstmaß unkonkret. Erst in der
schrittweisen Benennung des Geistes, Gottes, wird er für uns konkret faßbar.
Auch hier offenbart sich eine unumgängliche schöpferische Wechselbeziehung
unter Einbeziehung der Sprache hin zur höchsten Gotteserkenntnis im Menschen.
Wir kommen aus der Ganzheitlichkeit einfach nicht heraus.
Und „nicht charakterisierbar“
(S. 84) ist vor allem das vorseiende Ich, die Freiheit in ihrer ursprünglichen,
unermeßlichen, nicht verklärten Formlosigkeit. Dieses vorseiende Ich könnte man
als zustandslose Leere bezeichnen, aber diese entspricht nicht der durch Gut
und Böse dieser Welt gegangenen Freiheit im Geist an sich. Das vorseiende Ich
ist nicht Gott oder Geist oder der Gipfel aller Erkenntnis. Der Geist
realisiert sich in der Persönlichkeit, er ist letzten Endes die konkrete
ganzheitliche Persönlichkeit. Wilber verfällt im Grunde selber einer
Verwechslung (vergleiche Prä- und Transverwechslung bei ihm), indem er seinen
„GEIST“ in vielerlei Hinsicht mit dem vorseienden Ich gleichsetzt („radikale
Leerheit“, S. 418). Auf dieses Ich angewendet sind seine Geistcharakterisierungen,
die auch er vornimmt, zumindest teilweise zutreffender („eigenschaftslos“ und
„nicht charakterisierbar“).
Wilbers Philosophie erklärt den
transpersonalen GEIST als „das höchste Ziel aller Entwicklung und Evolution“
(S. 83) und nicht den ganzheitlichen bzw. den transzendentalen Menschen, der
nach N. Berdjajew kein evolutionistisches Ziel darstellt. Und wenn wir
angekommen sind am Ziel, was dann? Ist dann alles in Ordnung? Solange wir
leben, hört in diesem Zeitraum unser innerer Kampf um Gott und Gottes um uns
irgendwann auf? Ich sage ja, wenn damit das vorseiende Ich gemeint ist, in dem
es keinen Kampf gibt. Doch wenn der wahre Geist gemeint ist, sage ich nein! Im
wahrhaftigen Geist wird nichts ungeschehen gemacht (siehe Wilber S. 424) –
höchstens im ursprünglichen Ich. Und im Ereignis der höchsten Wahrheit sind wir
nicht einfach eigenschaftslos, ganz im Gegenteil, alle Eigenschaften,
Antinomien, Gegensätze sind zur höchsten Spannung vereint, was wir als Fülle
und in der Ekstase erfahren, ganz deutlich! Und die Aufrechterhaltung dieser
Spannung erfordert all unsere freiheitlich liebende, eine wahrhaft heroische
Anstrengung, nach der wir uns aus unserer Tiefe heraus immer sehnen werden. Das
ist das göttlich-menschliche Prinzip der Liebe.
Die Dynamik von Wilbers Ansatz,
von der Du sprichst, wird schon mit den Worten „Soheit“, „Seinsheit“ und
„Essenz“ außer Kraft gesetzt. Ich sehe den Geist nicht als Essenz, was ein
statischer Begriff ist wie die anderen beiden Begriffe auch. Näheres in meiner
Kritik.
Du schreibst: „Es ist langweilig
mit sich allein Nachtmahl zu essen...“. Ist denn der Geist nur deshalb da,
damit ich keine Langeweile haben muß?
(zu 4.a) Aber das jenseitige,
transzendente Prinzip existiert niemals losgelöst bzw. gesondert von der
diesseitigen Welt und findet im Menschen seine freiheitlich höchste
Entsprechung. Hier bestehe ich auf dem Zusammenhang. Das Gleiche gilt auch für
4b.
Liebe Grüße
Dirk
H.
Lieber ...,
Zu einer angemessenen Kritik des
Buddhismus bin ich nicht in der Lage. Aber ich kritisiere vor allem eine auch
buddhistisch orientierte Philosophie westlicher, Wilberscher Färbung.
Was ich beobachte, das ist die
zunehmende Wertschätzung, die die buddhistische Religion gerade im Westen
genießt. Dies hat seine verständlichen Gründe. Die Menschen suchen einen Ausweg
aus ihrem z.T. tristen, geistlosen Leben, die Kirche kommt dafür meist oder
zumindest oft nicht mehr in Frage – auch aus verständlichen Gründen.
Ich habe nun den Eindruck, daß
insbesondere die buddhistische Religion im Westen zu einer Modeerscheinung
degradiert ist. Und so führen die Menschen auf der einen Seite ihr z.T.
lebloses, mechanisches „Leben“ fort, ausgerichtet auf all die marktorientierten
„Notwendigkeiten“, und beruhigen sich auf der anderen mit Meditation. Hier
stellt sich auch immer wieder die Frage, was ist wahrhaftige Meditation? In der
Leerheitsmeditation, wie sie in Wilbers Buch zur Sprache kommt, sehe ich eine
Art Weltflucht. Sie hat in meinen Augen keinen ganzheitlichen Bezug. Es geht
immer nur um den „GEIST“, für den der Mensch nur eine Mittlerrolle spielt.
Ich lese gerade das
neuerschienene Buch von Berdjajew „Versuch einer eschatologischen Metaphysik“.
Auf Seite 130 macht K. Bambauer folgende Anmerkung (225): „Es ist unsachgemäß,
wenn Berdjajew hier den europäischen Begriff des ‚Nichts’, der dem Nichtigen zu
vergleichen ist, mit dem buddhistischen Begriff des ‚Nichts’, der die Fülle
enthält, gleichsetzt.“ usw.
Aber für mein Sprachverständnis
in Verbindung mit meiner inneren Erfahrung und der darauf aufbauenden
philosophischen Deutung kann ich es nicht zulassen, den Begriff des „Nichts“
mit dem der „Fülle“ gleichzusetzen. Aus der Vermischung dieser Begriffe heraus
entstehen meines Erachtens verheerende Mißverständnisse in Richtung Wilberscher
Buddhismusinterpretation.
Ihr
Dirk Hübner
Auf
Anfrage schrieb ich Folgendes.
Unter anderem: Was ist Gott? –
Ein unvollständiger Versuch
Als freier Mensch kann man den
Gottesbegriff von allen götzendienerischen Elementen befreien und ihn dahingehend
gebrauchen, um dem wesentlichen Kern des Menschen Ausdruck verleihen zu können.
Dabei gehe ich davon aus, daß man zunächst einmal bereit ist, was man natürlich
von keinem verlangen kann, weil dies freiwillig geschehen muß, den Menschen und
sein göttliches Wesen als das absolut Bedeutsamste der ganzen Welt anzuerkennen. D.h., ich verbinde mit dem
Gottesbegriff nicht den absoluten weltlichen Menschen, der sich auf die
begrenzte Welt der Dinge zurückgezogen hat, sondern den göttlichen Menschen,
der sich von seinem göttlichen Mitgefühl und seinem göttlichen Gewissen von
innen heraus leiten läßt. So gesehen könnte ich z.B. das Gewissen als meinen
persönlichen Gott bezeichnen. Und dieses Gewissen offenbart sich mir wesentlich im Augenblick, und dennoch muß ich es mir paradoxer Weise
in dieser Welt erarbeiten, in gewisser Hinsicht freischälen von allen
nichtgöttlichen, weltlichen Begrenzungen und Lügen. Dieser Widerspruch liegt in
der gottmenschlichen Existenz begründet. Der Mensch ist sowohl ein irdisches
als auch ein vom Grunde her geistiges Wesen. Das Gewissen erfordert im wahrsten
Sinne des Wortes freiheitlich-geistige Arbeit. Es ist nicht auf sich selbst
beschränkt, sondern wird einerseits erst verständlich und erkennbar in bezug
auf unsere begrenzte, lügenhafte Welt. Unser wahres, ursprünglich-göttliches
Gewissen kann und muß sich schöpferisch in unser irdisches Leben ergießen und
Licht in das Dunkel dieser Welt bringen. Mein göttliches Gewissen und nur
dieses will ich persönlich einzig vom Herzen her in diesem Leben verwirklichen.
Gott ist letzten Endes für mich eine Glaubensfrage. Gott ist für mich mein
umfassendes Gewissen. Und dieses Gewissen wird getragen von Mitgefühl,
geistiger Freiheit, Liebe, Wahrheit. Andererseits ist Gott eben nicht nur Gewissen,
sondern Liebe (man kann und darf dies alles voneinander nicht trennen), die
sich immer nur konkret offenbaren kann in der Liebe zu einer anderen göttlichen
Persönlichkeit, da jede Persönlichkeit absolut konkret und einzigartig ist.
Aber auch hier spielt mein wahrhaftiges Gewissen eine überragende Bedeutung:
Bekenne ich mich zu meiner wahrhaftigen, nicht oberflächlichen Liebe, oder gebe
ich sie z.B. den Erfordernissen des Lebens preis? Hierher gehört auch der
tragische Kampf des Menschen zwischen seiner Freiheit an sich und der
Notwendigkeit. Aus der Tiefe heraus kann man weiterhin von tragischer Liebe
sprechen, weil sie immanent Opferliebe ist, und in dieser Hinsicht ist sie im
Höchstmaß paradox und leidend: Der individuelle Mensch in der göttlichen Liebe
gibt seine ganze göttliche Persönlichkeit der geliebten Persönlichkeit hin –
jedoch kann er dies nur so lange tun, solange er selber ganze, vollständige
Persönlichkeit bleibt. Indem der liebende Mensch seine Persönlichkeit
realisiert, realisiert er sich zugleich in der geliebten Persönlichkeit, damit
diese zum anderen selber vollkommene, liebende Persönlichkeit wird, damit sie
ihr wahrhaftiges göttliches Potential ganz offenbaren kann, welches ich im
Augenblick selbstlos erkenne und wonach ich mich selbstlos sehne. In der konkreten Liebe gibt die Persönlichkeit das
tiefste und wahrhaftigste Opfer überhaupt – ganz sich selbst. Und gerade aus diesem Grund vereinigen sich
die Liebenden in Freude und Seligkeit. Die Liebenden setzen sich in Gott eins
und überwinden wahrhaft die Einsamkeit. Doch wahrhaftigen Verzicht kann der
Mensch nur so lange üben, solange er selber dabei Persönlichkeit bleibt. Für
die reine Vernunft wird die Liebe und die mit ihr unzertrennlich
zusammenhängende paradoxale Persönlichkeit immer ein Rätsel bleiben, eben ein
Mysterium. In der Liebe offenbart sich Gott in seiner schöpferischen Beziehung
zu mir. Liebe setzt voraus, daß ich selber göttliche Persönlichkeit bin, daß
ich in diesem Sinne die göttliche Persönlichkeit in mir trage. Gott selbst muß
demnach Persönlichkeit sein, damit ich ihn erkennen kann – in mir. Und nur auf
diese Weise bin ich auch zu einer liebenden Beziehung zu einer anderen
Persönlichkeit fähig. D.h. wiederum, das Gott in mir nur in meiner von
geistiger Freiheit, von Wahrheit getragenen Liebe und dahingehend in meinem
Gottesgewissen zum Ausdruck kommt. Gott ist umfassende Liebe der Persönlichkeit
und setzt die andere Persönlichkeit und die liebende Gemeinschaft und das
Universum im weitesten Sinne voraus. Denn die Liebe im luftleeren Raum kann
keine Beziehung eingehen und kann so auch gar nicht, niemals existieren.
Deshalb wehre ich mich ja auch so vehement gegen einen Gottesbegriff, der einen
absoluten Gott als absoluten Geist proklamiert. Gott existiert nur in der liebenden
Beziehung. In der liebenden Beziehung offenbart sich in mir als Mensch Gott
schöpferisch – als freiheitlicher Geist, als Wahrheit und darauf bezogen als
mein wahrhaftiges Gewissen. In der Gnade Gottes, d.h. in der Offenbarung der
Wahrheit an sich, erreiche ich erst die höchste Vollständigkeit und Ganzheit,
aber nicht als etwas Abgeschlossenes. Es ist die Ganzheit der schöpferischen
Persönlichkeit, die sich in einem Gefühl ganzheitlicher Fülle offenbart, die in
sich, aber auch aus sich heraus im Höchstmaß zur Erfüllung hin bewegt ist. In
einem Menschen dagegen, abgetrennt von jeglicher göttlicher Eingebung, macht
sich Leere, Zerrissenheit und absolute Sinnlosigkeit breit. In Verbindung mit
Gott dagegen ereignet sich Fülle, Ganzheit und der Sinn - das Sinngebende
überhaupt im Menschen.
Was geschieht mit Gott, wenn der
Mensch stirbt? Wenn der Mensch stirbt, ist Gott allein, er existiert nicht mehr
in seiner ganzheitlich-konkreten Wahrheit. Denn zur existierenden Wahrheit wird
Gott nur in seiner göttlich-menschlichen Fülle, in seiner göttlich-menschlichen
Beziehung, die fortlaufend schöpferisch ist. Wenn ein Mensch stirbt, verliert
er seine sterbliche Hülle und geht ganz in die vorseiende Ewigkeit ein, in der
die Zeit vollständig aufhört zu existieren. Der Tod eines Menschen ist das Ende
der einzigartigen, unwiederbringlichen göttlich-menschlichen Wahrheit, die auf
das engste auch mit der Zeit verbunden ist. Die Ewigkeit kann sich dem Menschen
bereits schon zu Lebzeiten in seiner liebenden, göttlich-menschlichen Tiefe
offenbaren. Der Tod ist somit auch der Übergang zum lebendigen Augenblick der
Ewigkeit. Schon zu Lebzeiten kann der Mensch an der ewig göttlichen Wahrheit
teilnehmen, die zugleich die menschlichste ist und sich immer nur
konkret-schöpferisch offenbart. Wir können als Menschen, solange wir leben, den
scheinbaren Dualismus (das dialogische Verhältnis) zwischen dem transzendenten
Prinzip und der konkreten immanenten Offenbarung nie auflösen, es sei denn, wir
erkennen ausschließlich einen absoluten Geist an, der sich als „radikale
Leerheit“ offenbart, und degradieren im gleichen Atemzug den Menschen zu einer
reinen Mittlerfunktion, die nicht wahrhaftig schöpferisch sein kann. Es ist das
transzendente Prinzip, welches sich dem Menschen in einem göttlich-menschlichen
und zugleich schöpferischen Akt offenbart. Das transzendente Prinzip wird real
nur im Inneren des Menschen offenbar und lebendig – als der Wesenszug der
menschlichen Persönlichkeit. Ohne die Realisierung der Persönlichkeit hat ein
transzendentes Prinzip keine (innerlich-geistige) Realität. Die Persönlichkeit
selber ist transzendent und kann sich dennoch nur immanent offenbaren. Durch
die innere und zugleich schöpferische Offenbarung der Wahrheit überwindet der
Mensch als Persönlichkeit den Tod. Erst durch die Realisierung der
Persönlichkeit verliert der Mensch wahrhaftig (d. h. geistig) die Angst vor dem
Tod und nimmt ihn ganzheitlich an! Denn der Tod ist zugleich Ende der Zeit und
Übergang zur Ewigkeit, die sich dem Menschen zu Lebzeiten offenbaren kann. Die
Ewigkeit an sich ist potentiell die göttlichste und zugleich auch die menschlichste
Wahrheit. Sie ereignet sich jedoch nur in der schöpferisch-liebenden Ekstase als göttlich-menschliche
Schönheit. Die Ewigkeit selber muß man immer aus zwei Perspektiven betrachten,
sie ist sowohl die Gottheit in ihrer Abgeschiedenheit als auch die Wahrheit in
der göttlich-menschlichen Tiefe. Erst der Mensch findet aus sich heraus in einem
ganzheitlich-schöpferischen Akt die Schönheit wahrhaft in allem wieder. Im
Menschen und nur im Menschen wird die Gottheit zur einzigartigen,
unverwechselbaren und vor allem konkreten gottmenschlichen Wahrheit erhoben.
Die Gottheit in ihrer Abgeschiedenheit ist weder Wahrheit oder Schönheit noch
Lüge – sie ist das Nichts. Es ist verantwortungslos gegenüber allem, die
Abgeschiedenheit an sich als die höchste Wahrheit anzuerkennen. Und ich meine,
daß dahinter nicht wirklich eine Realität steht, die sich im Menschen spürbar
ereignet. Es ist anzunehmen, daß mit dem Tod eines Menschen, sich dieser
gemeinsam mit Gott in die Gottheit, in die Abgeschiedenheit hinein (im
jenseitigen Sinne) auflöst, in der es keine Unterschiede gibt. Doch diese
absolut unkonkrete Unterschiedslosigkeit ist nicht das wahre Ziel oder der
Gipfel des Lebens, da es ansonsten völlig belanglos wäre, ob ein Mensch
existiert oder nicht. Die konkrete Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit von
allem Existierenden und vor allem eines jeden Menschen wird in der liebenden
Gemeinschaft Spuren hinterlassen und wirkt in dieser im ewig-göttlichen Sinne
fort. Gott offenbart sich immer nur konkret, niemals unkonkret oder gar
abstrakt.
Dirk
Hübner
(Meine Antwort auf Reaktion vom
26.5.01)
Hallo …,
ich glaube, wir unterscheiden
uns in der Herangehensweise grundlegend. Für Dich ist offensichtlich die
Erfahrung der (buddhistischen) Leere in der Tiefe der Person das Wesentliche
bzw. das Absolute, für mich verwirklicht sich in der Fülle der Persönlichkeit,
des ganzheitlichen Menschen die Wahrheit schöpferisch. Ich persönlich bestehe
auf dem Unterschied zwischen Leere und Fülle. Und ich sage es hier noch einmal
ganz drastisch, ich glaube nicht an eine „radikale Leere“ (Wilber), die sich
als eine wahrnehmbare, existentielle Realität an sich im Menschen offenbaren
kann, man kann sich diese „radikale Leere“ als wahrnehmbare Realität im
Höchstfall einreden bzw. suggerieren (siehe dazu vor allem meinen Beitrag
„Berdjajew kontra Wilber“). Für mich muß die Leere zur Fülle der Persönlichkeit
erhoben werden, um Realität werden zu können. Darüber hinaus ist mir der
Begriff des „Nichts“ lieber, da er für mich vom Inhalt her wertefreier ist. Der
Begriff der „Leere“ hat für mich einen stark wertenden Bezug (Mangel). Es ist möglich,
sich leer zu fühlen, das Nichts an sich kann man nicht fühlen. Im Begriff des
„Nichts“ drückt sich für mich weder Mangel noch Fülle aus, und das entspricht
meiner Vorstellung vom Nichts. Das Nichts ist danach reine Potentialität. Im
Nichts selber findet kein Schaffensprozeß statt und somit auch keinerlei
Erfahrung bzw. Wahrnehmung.
Einige mir wichtige Anmerkungen
noch.
Wenn Du mich zitierst, solltest
Du es vollständig tun. So habe ich geschrieben: „... den Menschen und sein
GÖTTLICHES Wesen als das absolut Bedeutsamste der GANZEN Welt anzuerkennen.“
Ich sehe immer die schöpferische Einheit und das schöpferische Wechselspiel von
Mensch und Gott. Du hast das Zitat einfach ohne den Menschen angeführt. Darin
wäre in der Tat eine „gewisse Absolutheit dieses Wesenskerns“ zum Ausdruck
gekommen.
Du hast mich weiterhin zitiert:
„... damit sie ihr wahrhaftiges
göttliches Potential ganz offenbaren kann, welches ich im Augenblick SELBSTLOS
erkenne und wonach ich mich SELBSTLOS sehne.“ „Selbstlos“ hat für mich hier die
Bedeutung: nicht auf den eigenen Vorteil bedacht. Ich meine in diesem
Zusammenhang nicht das „Nicht-Seiende“ oder die „Leere“, die Du in diesem Wort,
an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang zu sehen meinst.
Und:
„Wenn ein Mensch stirbt, verliert
er seine sterbliche Hülle und geht ganz in die vorseiende Ewigkeit ein, in der
die Zeit vollständig aufhört zu existieren.“ Du hast Recht, damit meine ich in
der Tat die sogenannte Leere – das Nichts. Diese Leere, dieses Nichts ist aber
nicht das höchste Ereignis im Leben eines Menschen – die gottmenschliche
Wahrheit, die einzig immer wieder einmalig und konkret und unwiederholbar ist.
Die Wahrheit ist ein dynamischer Prozeß in der Tiefe des Menschen, aber sie
umfaßt diesen Menschen als ganzes Wesen (Körper, Seele, Geist). Um diese
Wahrheit und nur um diese kämpfe ich fortlaufend. Um die Leere kann man nicht
kämpfen. Man kann nicht einmal sagen, daß sich die Leere ereignet z.B. als
innerlich-geistige Realität.
Du schreibst:
„Dies entspricht ziemlich genau
dem was Wilber ausführt, daß nämlich die Erfahrung in der Tiefe einer Person
bedarf. Die Buddhisten sprechen in dem Zusammenhang von der besonderen
Bedeutung als Mensch inkarniert zu sein.“ Du schreibst, daß „die Erfahrung in
der Tiefe einer Person bedarf“. Ich sage, daß nur die Person als ganzheitliches
Wesen (nicht als rollenverhaftetes Teilwesen) die ganzheitliche Erfahrung ist.
Die Wahrheit bedarf nicht der Person, sondern sie ist in ihrer Verwirklichung
die ganze Person, die ganzheitliche Persönlichkeit in ihrer Einheit von Körper,
Seele und Geist. Wilber spricht sinngemäß davon, daß die Person in das
transpersonale Reich transzendiert werden muß. „Person“ an sich bedeutet für
Wilber immer Rolle, Maske. Für mich gibt es kein transpersonales Reich als eine
über der ganzen Person stehenden Erfahrung, sondern nur transzendente
Prinzipien, oder anders ausgedrückt, überpersönliche Werte, die aber nur durch
das Ereignis der ganzen Person existieren bzw. erfahrbar, d.h. real werden. Und
erst durch die schöpferische Einheit der ganzen Person, des Gottmenschen,
werden überpersönliche Werte wahr, sie werden fortlaufend neu geschaffen bzw.
entstehen neu.
Du schreibst:
„Die Wesensnatur ist in der Tat
zu Lebzeiten erfahrbar.“, und ich ergänze: aber nicht als Leere, sondern als
Fülle der Persönlichkeit.
Wenn ich schreibe:
„Gott offenbart sich immer nur
konkret, niemals unkonkret oder gar abstrakt.“ So meine ich nicht den „Stein am
Wegesrand“. Mit „konkret“ meine ich ganz und gar nur die innerlich-geistige
Realität Gottes. Der „Stein am Wegesrand“ ist nicht meine innerliche Begegnung
mit Gott. Aber aus der innerlichen Begegnung und nur aus dieser heraus wird mir
auch die Schönheit eines Steines offenbar. Der Stein selber ist ein Symbol, ein
Entäußerung Gottes, aber nicht Gott selber, der sich primär innerlich
offenbart. Was im Stein innerlich vor sich geht, kann niemand mit letzter
Gewißheit sagen. Was in mir innerlich passiert, daß kann ich mit letzter
Gewißheit spüren.
Du fragst:
„Durchdringt uns diese Welt des
Gottes oder nicht?“ und antwortest, „Wir finden sie in uns. Wo finden wir sie
nicht?“ Ich sage: Wenn ich von meinem göttlich-menschlichen, reinen, wahrhaft
ethischen Gewissen ausgehe, finde ich in unserer ethisch losgelösten, hochtechnisierten
Zivilisation einen hohen Grad an Geist- bzw. Gottlosigkeit, die vom
materiell-technisch orientierten Menschen praktiziert wird. Für die
Gottlosigkeit in dieser Welt gibt es zahllose Beispiele! Das
Hauptcharakteristikum der Gottlosigkeit in der westlichen Zivilisation besteht
in der Egozentrik und damit verbunden im Individualismus. Der egozentrisch
begrenzte Mensch setzt sich selbst als höchsten Wert und verhindert somit die
schöpferische Nähe zu Gott. So gesehen kann man Gott in gewisser Weise
„verfehlen“.
Weiterhin stelle ich mir Gott
nicht als getrenntes Wesen vor. Ich betone immer wieder die
göttlich-menschliche Einheit. Und die Liebe zu mir selbst, ist vor allem die
Liebe zu der göttlich-menschlichen Tiefe in mir als mein Ich und Du in der
Einheit des Wir. Und wir erkennen das Göttliche nur in der liebenden
Gemeinschaft von Persönlichkeiten. Losgelöste, „reine“ Liebe gibt es für mich
nicht – diese wäre hohl und leer. Liebe ist immer auch Beziehung meines Ich zum
Anderen in mir, zum Du, und zum Du eines anderen Menschen zugleich, in welchem
ich mich ebenbildlich wiedererkenne. Gott wird mir zuallererst und vor allem in
der Liebe zu einem anderen Menschen offenbar. Liebe ist Überwindung der
Einsamkeit.
Du zitierst mich:
„Wir können als Menschen,
solange wir leben, den scheinbaren Dualismus zwischen dem transzendenten
Prinzip und der konkreten immanenten Offenbarung nie auflösen, es sei denn, wir
erkennen ausschließlich einen absoluten Geist an, der sich als „radikale
Leerheit“ offenbart, und degradieren im gleichen Atemzug den Menschen zu einer
reinen Mittlerfunktion, die nicht wahrhaftig schöpferisch sein kann.“ Und Du
fragst nun: „Was machst Du mit den armen Menschen, für die sich dieser
Widerspruch auflöste?“ Ich sage: Dieser scheinbare Dualismus (dialektische
Einheit von Immanenz und Transzendenz oder von Mensch und Gott; Näheres dazu in
„B. kontra W.“) verschwindet vollständig mit unserem Tod, wenn wir uns in das
Nichts hinein auflösen. Aber solange wir leben besteht gerade in diesem, ich betone,
scheinbaren Dualismus ein Segen. Erst durch diesen scheinbaren Dualismus kann
sich die Wahrheit schöpferisch in uns ereignen. Der Mensch selber wird zur
lebendigen Wahrheit als Gottmensch.
Und weiter sagst Du:
„Der Mensch ist kein Mittler.“
Genau das ist mein Reden! Aber Wilbers Philosophie läßt konsequent zu Ende
gedacht die Schlußfolgerungen aufkommen, daß der Mensch nur ein bloßes Gefäß
Gottes, des absoluten Geistes, der Leere ist. Diese leere Wahrheit ist schon
ewig da, wie sie immer schon war - unbewegt. Das schöpferische Moment besteht
allein in der Kenntnisnahme der ewigen Wahrheit. Aber in Wirklichkeit hat dies
mit einem schöpferischen Moment nichts tun. Und gerade deshalb schreibe ich
auch an der Kritik „Berdjajew kontra Wilber“. Und ich will warnen vor der
Gefahr eines entpersönlichten Daseins, das sich auch aus sogenannten
transzendentalen Meditationsübungen Wilberscher Art ergeben kann.
Du behauptest einfach, daß ich
mich nicht an wörtliche Aussagen von Wilber halte. Ich frage mich nun, ob Du
überhaupt meine Kritik (B. kontra W.) gelesen hast? Dort zitiere ich Wilber
wörtlich und setze mich anschließend damit auseinander. Das alles kann ich
natürlich in diesem Diskussionsforum nicht wiederholen. Und natürlich
beschreibt Wilber nicht die Mittlerrolle des Menschen, sondern dies ist das
Ergebnis meiner kritischen Auseinandersetzung. Ich mache Wilber den Vorwurf,
daß bei ihm der ganzheitliche Mensch zur Mittlerfunktion degradiert wird.
Wilber, könnte ich annehmen, würde versuchen, diesen Vorwurf von sich zu
weisen.
Und eine letzte Bemerkung noch
an dieser Stelle:
Ja, ich kämpfe und ringe um
meine Erkenntnis, um die Wahrheit. Das ist genau mein Weg, der mich erfüllt.
Ich bekenne mich auch zum wahrhaft christlichen Glauben und dementsprechend fällt
auch meine Begriffswahl aus. Aber ich führe hier keine Verabsolutierung des
Dogmen-Systems der christlichen Kirchenlehre durch, d.h., ich betreibe keine
theologische Wissenschaft. Das könnte und wollte ich auch gar nicht.
Herzliche Grüße
Dirk
Hübner
Ein paar Antworten von mir:
1. ... schrieb am 30.05.01:
(Nur eine kurze Bemerkung zur
Leere. ich vermute Du scheiterst am Paradoxon der Wahrheit, wenn Du Fülle und
Leere rational trennst. Wahr ist doch, sogar rational zuende gedacht, daß Fülle
ohne Leere gar nicht möglich ist. Oderweitergedacht, daß beide dasselbe sind.
Woraus ich den gewagten Schluß ziehe, daß Leere auch ohne Fülle nicht möglich
ist.)
Hallo ...,
ich frage mich immer, kann sich
die Fülle in der Leere ereignen oder wird in der innermenschlichen, sich
konkret ereignenden Fülle die Leere zur gott-menschlichen Wahrheit erhoben, ist
die Leere auf dieser Höhe nicht einfach nur pure, radikale Leere, sondern
erfüllte Leere? Ersteres schließe ich aus! Die Leere (das Nichts) ist für mich
die potentielle Wahrheit, nicht die verwirklichte. Der Sinn kann sich erst im
Durchgang durch die Welt der Subjekt-Objekt-Spaltung verwirklichen. Er ist
letzten Endes die subjektiv erlebte göttliche Freiheit des ganzen,
schöpferischen Gottmenschen jenseits der Spaltung. Im Durchgang durch die
phänomenale, objektivierte Welt sucht der Mensch nach Gott. Dieser Prozeß
gestaltet sich zur Wahrheit hin immer schöpferisch. In Gott findet der Mensch
schöpferisch die Überwindung der begrenzten Welt und seiner eigenen Begrenzungen
und will sich und die Welt in Einklang mit Ihm bringen. In diesem Prozeß
bereichern sich Gott und der Mensch gegenseitig. Dieser Prozeß findet nicht in
der „Leere“ an sich statt. Für mich heißt es weiterhin, daß die sogenannte
„Leere“ und die Fülle sich korrelativ entsprechen. Ich trenne nicht rational,
sondern differenziere diese beiden jenseitigen Phänomene aus meiner
innermenschlichen Erfahrung heraus.
2. von ..., 01.06.01:
(''Verweile in der Leere,
umschließe alle Formen.“ (KW))
Hallo ...,
entsprechend meiner obigen Antwort an
... (siehe auch „Was ist Gott?) glaube ich nicht daran, daß man als lebendiger
Mensch in der „Leere“ verweilen kann, um von dort aus alle Formen zu
umschließen. Für mich ist auch das wahrhafte meditative (kontemplative) Versunkensein
ein geistig-schöpferisches Ereignis im Menschen zur erlebten Fülle hin, in der
sich die „Leere“, das Nichts konkret ereignet und niemals umgekehrt. Das Nichts
wird im Ereignis der gottmenschlichen Fülle erfahrbar und nicht die Fülle im
unergründlichen Nichts. Fülle und Nichts sind eins und doch nicht eins. Genau
diese Antinomie läßt sich rational nicht lösen. Gelöst wird dieses Problem
geistig - durch die fortlaufende Realisierung der Persönlichkeit (siehe zur
Persönlichkeit auch: http://wizard.at/dirk/hobbies.html - „B. kontra W.“,
insbesondere der Anfang des 2. Teils). Im Nichts an sich stellt sich keines
dieser Probleme. Das Nichts an sich ist aber auch nicht die Fülle. Das Nichts
ist absolute Potentialität, aber nicht Fülle im realisierten Sinne. Und
unrealisierte „Fülle“ (Nichts) ist für mich keine Fülle, die man erleben kann.
3. von ..., 01.06.01:
(Deine Begriffswahl erinnert
mich sehr an meine Zeit in pietistischen Glaubensgemeinschaften. Das war vom
Gemeinschaftsgefühl eine schöne Zeit, aber mit Wahrheitssuche hatte das nicht
so viel zu tun. Wie überprüfst Du, daß es Dir wirklich um Wahrheit geht?
Selbstbetrug ist uns Menschen leicht möglich. Beispielsweise glaubt jeder
Fundamentalist, um Wahrheit zu ringen und nimmt sogar Verachtung Andersdenkender
in kauf und trotzdem kann er weit weg sein von einersoliden Epistemologie.
---
Und genau letzteres ist ein
Fehler. Jetzt wird mir auch klar, warum Deine Texte so unlogisch und auch
empirisch unklar sind. Ohne eine theologische bzw. geisteswissenschaftliche
Epistemologie (im Sinne der drei Augen der Erkenntnis von Wilber) wird Deine
Wahrheitssuche nicht glaubwürdig.)
Hallo ...,
mit den „drei Augen der
Erkenntnis“ von Wilber habe ich mich auch schon auseinandergesetzt (siehe „B. kontra
W.“ Teil 4).
Du empfindest meine Texte als
unklar und unlogisch. Aus meiner inneren Erfahrung heraus sind sie es nicht,
wobei ich immer um einen adäquaten Ausdruck ringe und nie zufrieden bin. Und
Wahrheit ist für mich immer ein Prozeß, aber nicht nur in philosophischer
Hinsicht, sondern Wahrheit umfaßt das ganze persönlich-universelle Leben.
Letzten Endes kommt es meiner Meinung nach immer darauf an, woran man glaubt.
Mein Glaube kommt zumindest ansatzweise in meiner Mail „Was ist Gott?“ zum Ausdruck,
umfangreicher in „B. kontra W.“. Mein Glaube verwirklicht sich vor allem in
meinen realen Beziehungen zu den Menschen meiner Umgebung und zu allem im
weitesten Sinne.
Du fragst sinngemäß, wo der
Gradmesser für die Wahrheit ist? Das ist schon ein entscheidender Punkt (siehe
auch Teil 4). Aus Deiner Fragestellung entnehme ich nach meiner Interpretation,
daß der Gradmesser der Wahrheit für Dich unabhängig vom Menschen existiert –
aber vielleicht irre ich mich da ja auch. Die Wahrheit, und das habe ich nun
schon sehr oft betont, ist kein absolutes, feststehendes Richtmaß, sie ereignet
sich schöpferisch und ist mit freiheitlich-geistiger Arbeit verbunden. Der
Prozeß zur Wahrheit hin beinhaltet immer auch ein Stück Risiko. Es ist nicht
alles wahr, was uns als wahr erscheint, und wir können uns in die Lüge
verrennen. Ich gebe Dir also recht: „Selbstbetrug ist uns Menschen leicht
möglich.“ Und vor allem leichter als die Wahrheit. Wahrheit ist in der Tiefe
Gott, der sich jedoch nur durch die schöpferische Anstrengung im einzelnen
Menschen konkret offenbaren kann. Gott ist die Wahrheit meines wahrhaftigen
Menschseins. Und wahr ist, was sich aus mir heraus schöpferisch-liebend in
Beziehung setzt. Wahrheit ist die konkrete Liebe meines Ich zum Du im Wir. Und
das Du ist der andere Mensch und letzten Endes Gott in mir. Wahrheit ist
höchste ethische Intuition, ist reines Gewissen im wahrhaftigen Sinne. Wahrheit
hat mit „Verachtung Andersdenkender“ oder mit irgendeinem Fundamentalismus
nichts zu tun. Aus einer fundamentalistischen Geisteshaltung heraus wird sich
die Wahrheit nicht ereignen, da Gott, der wesentlich in uns Existierende, mit
weltlicher Machtausübung in keiner Weise in Verbindung gebracht werden kann.
Das Machtprinzip, welchem der Mensch verfallen kann, ergibt sich aus der
weltlich-begrenzten Notwendigkeit. Der machtorientierte Mensch will das Risiko
ausschalten, will alles berechnen, beherrschen und wird grausam. Liebe ist ein
völlig anderes Prinzip, durch die Liebe erst ereignet sich die Wahrheit - dies
schöpferisch zu erkennen, darauf kommt es an. Wahrheit ist somit auch der Kampf
um die Liebe, um die wahrhaftige Liebe des einzelnen Menschen in Gemeinschaft
mit den anderen Menschen und in der Tiefe mit Gott zugleich. Es geht für den
einzelnen Menschen um die Liebe in sich und aus sich heraus. Liebe ist immer
auch Verantwortung für die sündige Welt und will ihre Verklärung, d.h.
Vergeistigung. Die Erkenntnis, die in diesem Prozeß entsteht, geht weit über
jede bloße „geisteswissenschaftliche Epistemologie“ hinaus, aber umfaßt auch
diese ganzheitlich, aber nur insofern, solange diese lebendig, d.h. offen ist.
Inwieweit der Mensch sich mit geisteswissenschaftlichen Fragen
auseinandersetzen muß, um das zu klären, ist hier nicht mein Anliegen. Ich
glaube jedoch, daß sich der Mensch schon aus dem täglichen Leben heraus - in
der Beziehung zu anderen Menschen und zur ganzen Welt – indirekt und direkt mit
erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigt und beschäftigen muß. Hier kommt es
auch darauf an, auf welcher Bewußtseinstufe dies geschieht (auf die sich Wilber
auch bezieht), damit sich die Wahrheit integrativ ereignen kann und das
spirituell-ganzheitlich. Ich behaupte also, daß erkenntnistheoretische
Erwägungen ganz unabhängig von einem allgemein anerkannten Kanon stattfinden,
ganz unabhängig von universitärer Gelehrsamkeit, die meines Erachtens sogar
vieles verhindert. Ich frage mich schon eher, ob man nicht vor allem an der
Wahrheitssuche der staatlich anerkannten geisteswissenschaftlichen Gelehrten
zweifeln sollte, die vielen Zwängen ausgesetzt sind.
4. zu ... vom 03.06.01:
Hallo ...,
nach Berdjajew wurde im Laufe
der Zeit der christliche Glauben sinngemäß vollgestopft mit menschlichen
Unzulänglichkeiten, Begrenzungen, mit diesseitsverhafteten Vorstellungen
identifiziert. Gott war/wurde der Allmächtige im schlechten, diesseitigen
Sinne. Der „böse Mensch“ wurde verdammt zu ewigen Höllenqualen – ein grausames
Prinzip. Der „gute Mensch“ war letzten Endes ein unbarmherziger Wächter für den
„wahren Glauben“, ein Prädestinierter, der Abweichungen nicht dulden durfte.
Von all dem ist uns bis heute vieles erhalten geblieben. Gehorsam gegenüber
einer höheren (staatlichen, bürokratischen) Macht erniedrigt den Menschen
fortlaufend. Ein neues christliches Bewußtsein beinhaltete dagegen eine Wendung
zur Liebe hin, zur Verwirklichung des Prinzips der Liebe und damit verbunden
der Persönlichkeit im Gegensatz zum Prinzip der Macht und der Unpersönlichkeit
in unserem Leben. Der Veränderung in unserem Leben muß eine innermenschliche Veränderung
und Neuorientierung vorangehen.
Als „transzendente Prinzipien“
bezeichne ich die Liebe, die Freiheit, die Wahrheit, das Leid, das Mitleid, der
Geist im göttlichen Sinne, auch die Persönlichkeit. Diese Prinzipien existieren
nicht losgelöst und verwirklichen sich wahrhaft im Menschen. Aber ich muß mich
hier etwas korrigieren: „Transzendente Prinzipien“ sind nicht gleich
„überpersönliche Werte“, Letzteres ist nach Berdjajew noch weiter gefaßt und
umfaßt neben Gott auch die Gesellschaft, den Kosmos, die Gemeinschaft, höhere
Werte und Ideen (siehe dazu Anfang 2. Teil „B. kontra W.“). Ich schließe mich
dem an.
„Die Person als Maske“ zu
überwinden, ist eine wichtige Forderung. In diesem Punkt hat Wilber Recht. Es
geht aber nicht um die Auflösung der Person an sich, sondern um deren
ganzheitliche Verwirklichung. Wenn die Maske fällt, öffne ich mich für die
Wahrheit, deren Prinzip die göttlich-menschliche Persönlichkeit ist.
Für mich ist der Stein als
Materie, als stoffliche Zusammensetzung, auf keinen Fall Gott. Aber in der Form
des Steines offenbart sich uns Menschen dessen Schönheit, die wiederum
göttlichen Ursprungs ist. So sehe ich das.
Es tut mir leid, ..., wenn mir
nicht immer „eine Antwort zu entlocken“ ist. Einerseits ist es mir zeitlich oft
nicht möglich, andererseits fühle auch mich überfordert, im einzelnen alles
befriedigend beantworten zu wollen und zu können.
Viele Grüße
Dirk
H.
(Meine
Antwort auf Reaktion vom 11.6.01)
Hallo ...,
weil Du meinst, ich hätte Dir nicht
gut zugehört, muß ich mich noch einmal zu den Begriffen „Fülle“ und „Leere“
äußern. Ich lese gerade das Buch von Keiji Nishitani „Was ist Religion“ auf
eine Empfehlung hin. Er ist, nach meiner bisherigen Einschätzung, in seiner
Grundaussage mit Ken Wilber nahezu identisch. In diesem Buch finde ich
sinngemäß genau Deine Aussage wieder. Du schreibst:
>Dafür muß mensch die Formen
in ihrer ganzen
>Fülle kennen, d.h. durch
alle Entwicklungsstufen
>gegangen sein.
>Die Existenz besteht aus den
5 Skanda:
>Körper, Empfindung,
Wahrnehmung, Denken,
>Wollen und Bewußtsein (Zen).
>D.h. also, sie zuerst für
sich erschließen, alle!
>sie dann als Leere zu
erkennen und dann
>ihre Fülle leben zu können.
Nishitani schreibt: „Form ist
Leere“. Dabei sagt er, daß es gewissermaßen vor allem dieses „ist“ ist, welches
zur absoluten Realität wird. Damit will er die absolute Einheit, nach ihm das
„absolute Diesseits“, die absolute Mitte von „Form“ und „Leere“ und die
Überwindung von Diesseits und Jenseits benennen. Aber was fällt nun alles unter
den Begriff „Form“? Mit „Form“ sind nach ihm alle scheinbar „diesseitigen“
Phänomene gemeint – einschließlich alle Materialität und alle Subjektivität wie
das Gefühl der Liebe und der Freiheit, die Persönlichkeit usw.. Und diese „Form“
kann wahrhaft nur als „Leere“ gelebt bzw. erlebt werden. „Wahrhafte“ Meditation
öffnet uns danach für diese Wahrheit. Wahrheit ist danach transpersonal und
umschließt die „Form“. „Leere“ ist danach „Fülle“ der „Form“ und umgekehrt. Die
„Fülle“ der Form erschließt sich uns in dieser Hinsicht als Leere und ebenfalls
umgekehrt. Ich sehe hier schon einen gewaltigen Unterschied zu dem, was ich
unter „Fülle“ verstehe. K. Nishitani schreibt im oben genannten Buch auf Seite
179 (insel taschenbuch, 2001): „Sunyata (Leere) ist ja das Prinzip der
Gleichheit, nach dem keinerlei Unterschiede fortbestehen sollen.“ Auf die
Spitze getrieben behauptet er, daß sich die Realität im absoluten Sinne weder
innen noch außen, weder im Diesseits noch im Jenseits, sondern im „absoluten
Diesseits“ „konkret“ ereignet oder wie auch immer. Das ist sozusagen der
Weisheit letzter Schluß. Was mir in diesem Buch und auch bei Wilber auffällt,
das sind die gedanklichen Aussagen, die LETZTEN ENDES keinen konkret zu
benennenden Bezug besitzen, obwohl beide Autoren dies immer wieder behaupten.
Alles wird zur „Leere“ hin beliebig. Was wird aus mir, wenn ich die Fülle
des/der Geliebten nur noch als unterschiedslose Gleichheit bzw. „Leere“
begreife oder gar erlebe? Spätestens hier hört der Glaube an den Buddhismus für
mich auf! Dieser buddhistische Ansatz ist rational erklärbar, aber ich kann ihn
nicht emotional-ganzheitlich, d.h. wahrhaftig real nachvollziehen. Das Phänomen
der konkreten Liebe wird zur „Leere“, zur absoluten Unterschiedslosigkeit, Gleichheit
und Bedeutungslosigkeit hin aufgelöst. Alles wird vom Standpunkt der „Leere“
aus bedeutungslos und nach Wilber ungeschehen gemacht („Das Wahre, Schöne,
Gute“, S. 424). Und von diesem Standpunkt aus ist Nishitanis und Wilbers
Forderung für das ethische Wirken des Menschen in der Welt der Phänomene in
keiner Weise plausibel. Diese Forderung widerspricht bei genauerer Betrachtung
dem Prinzip „Form ist Leere“ und umgekehrt. Für diese Forderung fehlt vor allem
die Höhe der Fülle, wie ich sie begreife, der Wahrheit der fortlaufend zu
realisierenden göttlich-menschlichen Persönlichkeit als ethisch umwertendes,
existentielles Zentrum. Meine Formel heißt deshalb: „Leere“ (das Nichts)
realisiert sich in der Fülle. „Leere“ ist nicht gleich Fülle. Und weiterhin:
Das Nichts wird zur Fülle hin differenziert, um in der Fülle erlebte Wahrheit
zu werden, die ich als konkrete Liebe, als wahrhaftig-ganzheitliche Beziehung,
als liebende Gemeinschaft erfahre, welche den freien Geist gleichermaßen
einschließt. Unkonkrete Liebe ist Nichts, sie existiert als solche nicht, da
sie als solche kein existentielles Zentrum besitzt. Das Nichts muß sich
differenzieren, um in Erscheinung treten zu können (siehe auch „B. kontra W.“
oder „Was ist Gott?“). Und die Fülle der Persönlichkeit ist vor allem ein
einzigartiges, fortlaufend sich veränderndes und erweiterndes, mystisches
Ereignis. Die Persönlichkeit ist die wandelbare und paradoxerweise dennoch die
immer wiederzuerkennende, d.h. wandellose höchste Realität im Menschen. Dieses Paradoxon
bildet nicht rational, sondern nur existentiell-fühlbar eine Einheit. Höchste
und zugleich tiefste Erkenntnis ereignet sich vor allem emotional als Liebe zum
konkret Geliebten hin in liebender Gemeinschaft.
Du schriebst:
>Hihi, transzendente Prinzipien,
toll.
>Ich hoffe, du verwechselst
hier nicht transzendent mit transpersonal.
>Transpersonal gibt es NUR
die Praxis und daraus entstehen bestimmt
>keine Prinzipien.
Die Realität einer
transpersonalen Entwicklungsstufe des Menschen zweifle ich an. Von
Transpersonalität spricht übrigens auch Nishitani in dem oben genannten Buch.
Für mich sind transzendente
Prinzipien dynamische Prinzipien, die durch den und im Menschen wirksam werden.
Diese Prinzipien stellen keine hierarchische Stufe im diesseits-evolutionistischen
Sinne dar. Sie ereignen sich als höchste jenseitig-ethische Wirkprinzipien,
durch die wir in Beziehung treten zu allem und im höchsten Sinne zu Gott. In
die Beziehung fließt auch der Körper, die Seele und das Bewußtsein ein, diese
drei Elemente erfahren jedoch nur durch die transzendenten Prinzipien ihre
ganzheitliche Verwirklichung im Menschen als Gottmensch. An dieser Stelle
möchte ich noch einmal auf Nikolai Berdjajew verweisen. Zwei Bücher sind zur
Zeit auf dem Markt erhältlich.
>Frage: meditierst du? In
welche Richtung zeigt deine Intuition?
>Wirkliche transpersonale
Praxis ist laut Wilber:
>''Yoga, meditative Schulung,
experimentelle Methodologie zur
>Reproduktion der
transpersonalen Erkenntnisse und Intuitionen
>ihrer Begründer im
Bewußtsein''.
>Praktizierst du nicht, bist
du laut Wilber ''nur'' ein ''Idealist mit
>einer aufgewärmten
Repräsentationsphilosopie''.
>''Du kartographierst die
Welt bloß, ohne die Techniken zur
>Veränderung der Kartographen
auszuführen.''
>''Du stellst keine
Möglichkeit bereit, transpersonales Bewußtsein in
>einer übenden Gemeinschaft
zu reproduzieren, keine Möglichkeit,
>ein tieferes Selbst (Ich
oder Buddha) in einer tieferen Gemeinschaft
>(Wir oder Sangha) konkret zu
enthüllen und dadurch eine tiefere
>Wahrheit auszudrücken (Es
oder Dharma)''.
>Tiefe Intuitionen sind die
Haupttriebkräfte für den transpersonalen Bereich.
>Aber auch für die
idealistische Bewegung. Aber hier werden sie
>''fast ausschließlich in
Begriffen der visionären oder Schau-Logik ausgedrückt...''
Ich erinnere mich daran, daß ich
mich schon als Kind spontan in eine Art meditative Versunkenheit fallen ließ.
Ich erinnere mich daran, wie ich etwa als 4- oder 5jähriger Junge (ich ging
noch nicht zur Schule) beim Anblick der untergehenden Sommersonne eine tiefe
Freude und zugleich ein tiefes Leid in mir aufsteigen fühlte. Ich fühlte die
ganze Welt in mir. Diese Momente erlebe ich bis heute immer wieder – spontan,
mitten im und aus dem Leben heraus. Und sie prägen mich. In diesen Momenten
komme ich zur Ruhe, jedoch zur Ruhe, die sich entleert von der Hast dieser Welt
hin zur bewegten Fülle, zum Wesentlichen der anderen. Es sind Momente der
Freude aus dem Weinen heraus. Alles kommt zusammen für einen Augenblick der
Wahrheit, der Ewigkeit. In diesen Momenten finde ich Kraft in meinem Wirken,
welches ich von den Momenten nicht trennen kann. Ohne die Geschichte meines
Wirkens wäre meine Ruhe fade und leer! Wahrhaft alles erlebe ich in meiner
konkreten Liebe, in die hinein sich alles, mein ganzes Leben verdichtet.
Und wer hier ein Idealist ist,
das sei dahingestellt.
Vorgegebene meditative Techniken
bzw. Praktiken, „Instrumentelle Injunktionen“ nach Wilber, lehne ich ab, weil
jeder Mensch seinen einzigartigen, unwiederholbaren Weg gehen und finden muß.
Die Wahrheit ist nicht reproduzierbar, sie ist ewig neu, sie erfordert den
Menschen in seiner Ganzheitlichkeit. Und diese Ganzheitlichkeit ist kein
Geschenk und kein Lohn, sie ist die Wahrheit in ihrem göttlich-menschlichen
Wirken nach innen und nach außen.
Hier noch einige provozierende
Überlegungen. Ich hatte letztens im Gespräch mit meiner Freundin die Frage
aufgeworfen, warum der Buddhismus gerade im Westen auf solch eine große
Resonanz stößt. Und wir kamen zu dem Schluß, daß insbesondere der Buddhismus
Wilberscher Art (oder eines Nishitanis) der Unpersönlichkeit unserer westlich
„modernen“ Lebensweise entspricht und aus diesem Grunde die Problematik unseres
mehr oder weniger entpersönlichten und zugleich auch individualistischen,
egozentrischen Lebens, was keinen Widerspruch darstellt, verkennt. Die
Bedeutung des einzelnen Menschen löst sich in dieser Art Buddhismus konsequent
zu Ende gedacht auf. Und das fällt mir bei Wilber und auch bei Nishitani auf:
Ihre Ethik ist dürftig. Wahrhaft christliche Ethik sieht anders aus (siehe
Berdjajew). Darüber hinaus sehe ich im Buddhismus eines Wilbers oder Nishitanis
einen Ansatz zur Geistlosigkeit, d.h. Gottlosigkeit. Ich stelle diese
Überlegungen als Anstoß in den Raum.
Viele Grüße
Dirk
H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom
16.6.01)
Lieber ...,
ich schrieb:
''Für mich ist der Stein als
Materie, als stoffliche Zusammensetzung, auf keinen Fall Gott. Aber in der Form
des Steines offenbart sich uns Menschen dessen Schönheit, die wiederum göttlichen
Ursprungs ist. So sehe ich das.''
Du fragst:
>Gott gab also die Form, die
Schönheit Quasi von aussen er ist also nicht die Materie selber. ? richtig
?<
Ich finde darauf keine leichte
Antwort und sehe es weiterhin so: Um Schönheit wahrnehmen zu können, bedarf es
des Menschen. Die Frage, inwieweit Tiere dazu in der Lage sind, wäre sehr
nachdenkenswert. Durch die Schönheit offenbart sich in uns Menschen das
Göttliche. Und den Anstoß zu dieser Schönheit finden wir z.B. auch in der Form
des Steines. Die Schönheit ist somit das innere Moment, welches durch die Form
des Steines hervorgerufen wird. Die Form an sich, losgelöst, hat keine tiefere
Bedeutung, die Form existiert nicht als solche, wie wir als Menschen sie
wahrzunehmen in der Lage sind, sie existiert nicht als Schönheit außerhalb der
Wechselbeziehung von Erkennendem und zu Erkennendem. Diese Wechselbeziehung ist
vom Menschen ausgehend schöpferisch und offenbart uns Schönheit. Man kann aus
diesen Überlegungen heraus nicht sagen, daß Gott die Form oder die Schönheit
der Form von außen gab. Die Schönheit der Form ist immer ein innerer, ein
schöpferischer Moment. Die äußere Form des Steines wird vergehen und eine neue
Form entsteht, welche wieder Schönheit in uns hervorrufen kann. Die Schönheit wiederum
ist ewig im göttlichen, aber nicht im zeitlichen Sinne. Das Entstehen von
Formen läßt sich logisch nachvollziehen, der Sinn der Form jedoch ist ein
Geheimnis, welches sich dem Menschen innerlich als Schönheit offenbart.
Natürlich ist auch die Form des Zahnrades sinnvoll in technischer Hinsicht,
aber dieser Sinn ist begrenzt und hat mit dem göttlichen Sinn nichts gemein,
der unendlich tiefer bzw. höher liegt und sich als eine völlig andere,
jenseitige Dimension letzten Endes im Menschen ereignet. Materie an sich ist
nicht Gott, das wäre eine pantheistische Vorstellung.
Du zitierst mich und schreibst:
>''Vorgegebene meditative
Techniken bzw. Praktiken, „Instrumentelle Injunktionen'' nach Wilber, lehne ich
ab, weil jeder Mensch seinen einzigartigen, unwiederholbaren Weg gehen und
finden muß. Die Wahrheit ist nicht reproduzierbar, sie ist ewig neu,....''
Das in der Aussage ''Wahrheit
ist nicht reproduzierbar'' einige philosophische Abgründe lauern ist dir
sicherlich auch klar, na ich glaube ich verstehe aber was du meinst. Oder doch
nicht? Genaugenommen heist ja der Abschitt: Die Antwort auf die Frage ob durch
meditative Techniken etwas Wesentliches erkannt werden kann wechselt ständig ,
mal ja mal nein .(''Die Wahrheit ist ewig neu'') Nun erscheint es mir aber
recht schwierig einzusehen warum ein so wesentliches und fundamentales Faktum
des Kosmos einer solchen Dynamik unterliegen soll. Bleiben doch auch Komplexere
Dinge erfreulich konstant.<
Ich sehe es so:
Zur Wahrheit hin vereinigen sich
letzten Endes im Menschen die Freiheit, der Geist, Leid und Mitleid, die Liebe,
Gott ganzheitlich. Und als Träger der Ganzheitlichkeit sehe ich den Menschen
immer als irdisches und wesentlich göttliches und zugleich geschichtliches
Wesen. Ganzheitlichkeit erlebt der einzelne Mensch in der wahrnehmbaren Fülle
seiner Persönlichkeit. Ewig ist die Freiheit, ewig ist der Geist, ist Gott,
ewig ist die Liebe ( alles im außerzeitlichen Sinne) – das sind für mich die
Konstanten, die jedoch niemals losgelöst existieren, sondern sich in jedem
einzelnen Menschen in unwiederholbarer Weise immer wieder neu ereignen. So
gesehen ist Wahrheit nicht reproduzierbar. Einzigartig und unwiederholbar ist
die Persönlichkeit, die sich in uns jedoch immer dynamisch ereignet. Und gerade
weil sie dynamisch ist, ist sie immer wieder neu und intensiv. Wahrheit ist für
mich vor allem kein Faktum. Und für Wilber ist Kosmos nicht gleich K3/4smos. Er
unterscheidet zwischen objektiven, d.h. äußeren Kosmos und dem inneren
K3/4smos. Aber ich sehe in bezug auf beide keinen Stillstand. Und das
Komplexeste, für mich die Persönlichkeit, ist das wahrhaft Konstanteste, das
ist wahr, aber sie ist zugleich der bewegteste Wesenszug des Menschen. Das
Ereignis der Persönlichkeit ist für mich das wahrhaftigste Wunder dieser, der
ganzen Welt.
Du zitierst mich und schreibst:
>'' daß insbesondere der
Buddhismus ...der Unpersönlichkeit unserer westlich „modernen'' Lebensweise
entspricht und aus diesem Grunde die Problematik unseres mehr oder weniger
entpersönlichten und zugleich auch individualistischen, egozentrischen Lebens
... verkennt.''
Wenn der Buddhismus irgentwo die
Problematik des Egozentrismuss verkennt, so ist der Lehrer dort mit Sicherheit
ein Sektenbeauftragter der Kirche in Ziviel. Nein aber im Ernst : Deine
Abneigung gegen die durchschnittliche Gemütsverfassung ist mir ja höchst
sympathisch aber Du bist da ,mit einigen Anderen in dieser Liste, recht schnell
bei rell.- spirituellen Bezügen , wo ich doch lieber mal nen Blick auf die
politische Ebene werfen würde.<
Ich trenne nicht zwischen
religiösen Grundhaltungen und der entsprechenden Lebensweise. Das gehört für
mich immer zusammen.
Du schreibst zum Schluß:
> aber hir wie da beginnt sich
das un(Gott-)menschliche Marktprinzip mit neuer Härte durchzusätzen.<
Genau das finde ich auch sehr
schlimm. Und genau um die Überwindung auch dieser „Härte“ geht es mir in meinen
Auseinandersetzungen – direkt und indirekt. Und dabei steht für mich die innere
Verfassung des Menschen im Vordergrund.
Sei herzlich gegrüßt
Dirk
(H)
Lieber ...,
hier kurz und offen meine
persönliche Sicht zu dem von Ihnen empfohlenen Buch: Keiji Nishitani, „Was ist
Religion?“.
Zunächst einmal denke ich, daß
K. Wilber mit seiner Buddhismusinterpretation nicht im Widerspruch zu dem oben
genannten Autor steht. Meine Kritik an K. Wilbers Philosophie ist somit auch
eine indirekte Kritik an der Philosophie Nishitanis.
Hier einige meiner wesentlichen Kritikpunkte
an dem oben genannten Buch:
Nishitani versteht Liebe passiv
(nichtunterscheidende Liebe) und nicht als Aufgabe hin zur Realisierung der
Persönlichkeit, als schöpferischen Akt der Persönlichkeit. Er behauptet, daß
das Prinzip der Person an sich über einen Selbstzweck nicht hinausreicht. Er
verneint somit eine ganzheitliche Verwirklichung der Person, die als höchstes
einigendes Prinzip die sogenannte „Leere“ in sich umschließt. Für Nishitani
wird die Person durch die „Leere“ genichtet – die entsprechende Erörterung
dieser Ansicht kann ich für mich nicht annehmen und widerspricht auch meinen
Erfahrungen und meinem Leben. Zu einer wahrhaften Auseinandersetzung über die
Liebe in ihrer eigentlichen christlichen Tiefe und dem mit der Liebe wesentlich
verbundenen Prinzip der Persönlichkeit ist Nishitani nicht in der Lage – ganz
im Gegensatz zu N. Berdjajew. Nishitani kommt auf Seite 377 (insel taschenbuch
2001) zu folgender widersprüchlichen Aussage: „Für das Sein-in-der-Welt, worauf
es uns bei unseren jetzigen Überlegungen ankommt, erweist sich die Einsamkeit
deswegen als ganz und gar abgründig, weil die Selbst-Abkapselung gerade im
Horizont innigster Wechselbeziehung zu anderen Seienden geschieht.“ - Ich frage
mich, wo und wie hat dieser Mann gelebt?! Was versteht er unter „innigster
Wechselbeziehung“? Wahrhaft innigste Wechselbeziehung verlagert Nishitani ganz
auf das „Feld der Leere“. Wie sich jedoch diese Art Innigkeit zeigt, wird auch
in dem oben genannten Buch nicht wirklich nachvollziehbar angedeutet. In diesem
Zusammenhang wirkt auch der Begriff der „Realität als Unendlichkeitserfahrung“
(Seite 279 und an anderen Stellen) im Höchstmaß verschwommen; wahrhafte
Realität als innermenschliche Erfahrung (Liebe, Gott, Fülle, Leid und Freude -
Persönlichkeit) wird letzten Endes verneint. Auch die Art der Meditation, die
Nishitani anführt, ereignet sich nicht aus dem Leben heraus, sondern ist für
mein Dafürhalten eine Verhinderung inneren Lebens zum Nichtsein hin, zum
Nichtsein, welches mit dem Begriff der „Leere“ umschrieben wird. Nishitani
erörtert den Begriff der „Leere“ äußerst subtil, welcher dadurch jedoch
keineswegs realer wird. Aus seiner Leerheits-Philosophie heraus wirkt auch die
entsprechende Ethik flach und nicht wirklich überzeugend. Wahrhafte Verantwortung
(z.B. im christlichen Sinne) kann diese Art Philosophie nicht erfassen. Und ein
Sinn der Geschichte ist für ihn letzten Endes nicht vorhanden, was von seinem
Standpunkt aus verständlich ist, da er die Persönlichkeit als ganzheitliches
Zentrum nicht anerkennt. Weiterhin schrieb Nishitani sinngemäß im oben
genannten Buch (S. 311), daß dem Buddhismus ein umfassenderes
Geschichtsbewußtsein fehlt. Er diskutiert jedoch nicht die Konsequenzen, die
sich teilweise aus dieser Tatsache ergeben. Nach meiner Einschätzung kann aber
gerade aus diesem Grunde eine tiefgründige eschatologische Metaphysik (siehe
Berdjajew) vom Standpunkt des Buddhismus aus nicht entwickelt werden.
Was mir insgesamt auffiel: Da
wir das Nichts an sich nur spekulativ erfassen können (das ist zumindest meine
unerschütterliche Auffassung), fällt somit auch Nishitanis „Philosophie“
bemerkenswert spekulativ aus. Darin liegt vielleicht sogar die entscheidende
Teilwahrheit seines Ansatzes. Wir können uns hinsichtlich der „Leere“ oder des
Nichts nicht festlegen. Aber von unserer erlebten Fülle her, die das Nichts
einschließt, ist ein Denken über das Nichts möglich. Und wenn auch immer wieder
gesagt wird, daß man das Nichts mit der buddhistischen Leere nicht gleichsetzen
darf, so gilt das von meinem Standpunkt aus nur deshalb, weil der buddhistische
Begriff der Leere eine unangemessene Uminterpretation des Nichts darstellt.
...
Viele Grüße
Ihr
Dirk Hübner
(geschrieben am 8.8.01)
Hallo ...,
ich werde mal kurz Schritt für Schritt Deinen Text
durchgehen und meine Ansichten formulieren:
Ich sehe den Unterschied zwischen dem Sein und dem
Seienden anders: Sein impliziert vorrangig Wandellosigkeit, das Seiende dagegen
Bewegung. Sein ist für mich vor allem etwas Festgelegtes, Wandelloses, und
Wilbers „GEIST“ ist genau so gemeint, da gebe ich Dir recht. Sein kann
natürlich immer statisch oder dynamisch ausgelegt werden. Der Begriff des Seins
ist nicht eindeutig. Für mich gibt es nur den subjektiv Seienden, nicht das
Seiende als ein Objekt. Der Seiende ist der Existierende, das Subjekt des
Gewahrens. Das ist ein inneres Ereignis. Ich finde, man kann die materielle
Welt und den Gedanken nicht in einen Topf werfen. Die Musik, die ich höre, höre
ich innerlich, subjektiv. Äußerlich-materiell sind die entsprechenden
Schallwellen. Die Objekte, die ich gewahre, gewahre ich subjektiv, niemals als
Objekt selber. Objekte dringen von außen in mich ein, sie stehen mir aber
gegenüber und befinden sich nicht als materielle Dinge in mir. Zu den Dingen
kann ich mich nur äußerlich in ein Verhältnis setzen, aber niemals innerlich
direkt. Innerlich gewahre ich immer irgendeine subjektive Form der Dinge als
Form des Geistes. Aber im Verhältnis zu Gott gewahre ich die subjektiv-existentielle
Wahrheit, sofern ich zu einem schöpferischen Verhältnis zu Gott in der Lage bin
– für die Offenbarung der Gnade Gottes
gibt es keine Garantien. Das verlangt von uns, daß wir uns für unseren
wahren menschlichen Kern freimachen, was nicht immer im Sinne der notwendigen
Welt, der Welt der funktionellen Pflichterfüllung ist und die Sache nicht
gerade leicht macht, weshalb Gott zu meiden oft leichter ist, als Ihn
gemeinschaftlich in sich im Widerspruch zur Welt zu verwirklichen. Ich glaube, daß wir zu keinem Ergebnis kommen,
solange wir immer wieder versuchen, das Seiende außerhalb vom Menschen zu
suchen. Außerhalb von uns irgendeine Art höherer, aber vor allem abstrakte
Existenz zu vermuten, und ist sie noch so subtil, führt in die Sackgasse. An
dieser Stelle kann ich Dich auf meine Fortsetzung (Teil5 – Berdjajew kontra
Wilber – meine Homepage) verweisen. Der wahrhaft christliche Gott ist nicht
gleich Brahman (als Weltseele, die alles schafft und wieder in sich
zurücknimmt). Denn Brahman war nach dem Hinduismus schon vor dem Menschen da,
Gott nicht. Gott ist nur im Menschen wirksam als unser geistiger Wesensgrund.
Man muß schon einen Unterschied machen zwischen Evolution in der Natur und der Entwicklung im Menschen. Der Mensch ist
innerlich frei zu schaffen aus seinem Verhältnis zu seinem göttlichen
Wesenskern. Evolution ist vorrangig Unvermeidlichkeit, Notwendigkeit in der
Natur. Entwicklung im Menschen ist Schaffen, ist Realisierung der
Persönlichkeit, wozu aber keine Notwendigkeit besteht. Evolution ist die
Wirksamkeit des Geistes, Gottes als Sinn (und nicht als geistige Person) in der
Natur. Evolution schreitet mit Notwendigkeit voran, die innermenschliche
Entwicklung mit Freiheit.
Wenn Du schreibst, daß Sein am Anfang reine Transparenz
ist, woher nimmst Du diese Erkenntnis? Hast Du sie selbst erfahren oder nimmst
Du diese Erkenntnis spekulativ an, durch Denken? Das am Anfang reine
Transparenz vorhanden sein soll kann ich nur dahingehend bestätigen, daß diese
Transparenz von niemanden und nichts direkt wahrgenommen werden kann, da sie
das Nichts selber ist. Zum Nichts haben wir als Menschen keinen direkten
sondern nur einen spekulativen Zugang. Aber die Voraussetzung eines Nichts
(gleich unergründliche Freiheit, Ungrund) kann nur angenommen werden, da es
auch eine Welt der Differenz, des „Seins“ im materiellen und existentiellen
Sinne gibt (siehe meine Fortsetzung Teil5). Aber hier muß ich deutlich
Unterstreichen, daß existentielle Wahrheit immer differenzierte Einheit des
Menschen mit Gott ist. Und auch Selbsterkenntnis bedarf immer des
Vorhandenseins eines von der Person getragenen Bewußtseins, einer bewußten
Persönlichkeit, die sich erkennt, aber darüber habe ich in meiner Kritik schon
ausführlich geschrieben. Meine Persönlichkeit ist einzigartig wie Deine und
jede andere auch. Mit der unzähligen Anzahl mir möglicher Persönlichkeiten kann
ich nur mein niederes Rollenbewußtsein beschreiben, welches in der Tat in sich
gefangen ist. Aber Rollenbewußtsein hat nichts mehr mit Persönlichkeit zu tun.
Das Feld des Unbenennbaren, welches Du hinter oder über der Persönlichkeit
spekulativ vermutest, ist immer das völlig eigenschaftslose Nichts und ist
vollkommen unpersönlich. In dieser Frage habe ich auch mit Heidegger so meine
Probleme, dessen Philosophie eben letztlich unverständlich bleiben muß, da er
immer nur wieder den Weg des „Nichtens“ behauptet und von diesem Standpunkt aus
keine Antworten hinsichtlich unserer Welt geben kann. Natürlich hat sich auch
Heidegger zu unserer Welt geäußert, aber aus der Quintessenz seiner Philosophie
heraus hätte er das eigentlich gar nicht können. Der „Große Tod“, das absolute
Einssein hat mit dem Symbol der Kreuzigung nichts zu tun. Der Unterschied ist
die Verantwortungslosigkeit gegenüber dieser Welt, die der „Große Tod“ nach
sich zieht. Die Kreuzigung ist immer auch die Last des Leidens in dieser Welt,
aber des Leidens überhaupt, durch welches wir die Welt in uns aufnehmen und an
ihrer Verwirklichung mitwirken. Die Kreuzigung ist letzten Endes das Wunder
einer Person, Jesus Christus, der alles in sich auf einzigartige Weise vereinen
kann. Und in dieser Hinsicht verstehe ich mich und alle Menschen letztlich
christlich. Es gibt gar keinen ursächlichen Schöpfergott, denn ursächlich kann
nur unergründliche Freiheit als ungeschaffener Geist bzw. die Gottheit oder das
Nichts (spekulativ-intuitiv) angenommen werden. Geschaffen, geschöpft wird erst
in einer differenzierten Welt allerdings aus einem nichtkausalen,
unergründlichen Nichts heraus. Das Nichts für sich schafft nichts. Zum
Absoluten habe ich mich auch im 5. Teil (Berdjajew kontra Wilber) geäußert.
Es gibt keine höchste Persönlichkeit. Das hierarchische
Prinzip entfällt für die Persönlichkeit an sich! Entweder Du hast eine
Persönlichkeit oder nicht. Sie kann im Höchstfall halbverdeckt, zerrissen bzw.
nicht voll realisiert sein, sie ist jedoch immer einzigartig und
unverwechselbar dynamisch in Dir wahrnehmbar. Bei Wilber entfällt das
hierarchische Prinzip beim absoluten GEIST. Die letztere Auffassung steht im wesentlichen Gegensatz zu meiner. Und die
höchste Freiheit ist nicht die
Freiheit, zu wählen, sondern die Freiheit, nachdem man die Wahl getroffen hat –
unmittelbar. Die gewählte Freiheit ist
eine schöpferisch-dynamische Fülle des Lebens in mir. Bewegung ist das
grundlegenste Prinzip.
Ich erhebe mit dieser Antwort natürlich keinen Anspruch
auf Vollständigkeit und erschöpfender Darlegung. Ich denke mal, so wie sich mir
Deine Gedanken darstellen, gibt es doch in unseren Anschauungen grundsätzliche
Differenzen. Letzten Endes ist es auch immer eine Frage des eigenen Glaubens.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk
(Meine Antwort auf Reaktion vom 10.8.01)
Hallo ...,
doch habe ich einen direkten Zugang, aber nicht zu Deinem
konkreten Faktenwissen, zu Deinen individuellen Gedanken welcher Art auch
immer. Darüber kannst Du mir was erzählen. Aber über dieses Faktenwissen hinaus
tragen wir - Du und ich und alle - mehr oder weniger eine Intuition in uns, die
das, was wir uns erzählen, bewerten. Ansonsten könntest Du mir noch so viel
erzählen, ich könnte damit nichts anfangen. Und diese Intuition meine ich, die
mir partizipierend einen direkten Zugang zu Dir verschafft. Wir kommunizieren
hier im Forum nur über das Medium Sprache und das verhindert natürlich einen
direkten Zugang zum ganzen Menschen, wenn dieser vor mir steht und ich ihn als
ganzen wahrnehmen kann (Mimik, Gestik, die Sprechweise usw.). Und wenn ein
ganzer Mensch vor mir steht, sehe ich ihn von innen heraus immer auch ganz. Ich
sehe den Menschen niemals rein intellektuell-sezierend, auf diese Weise würde
er mir als ganzer und vor allem innerlicher Mensch unverständlich bleiben.
Schon an der Art und Weise wie Du schreibst, kann ich unmittelbar mehr erkennen
als die reinen Informationen hergeben. Manchmal erkennen wir eben auch
Hintergründe, die wir nicht direkt aussprechen wollen oder können. Und oft ist
das, was wir nicht aussprechen viel wesentlicher als die reine Information und
sagt mir über den entsprechenden Menschen mehr Wahres.
Ich meine, die wahre Beziehung realisiert der Mensch über
Gott. Über Gott, über die Liebe als höchste, wertende Intuition, finde ich den
direkten Zugang zu einem anderen Menschen. Das werde ich unmittelbar in der
nächsten Fortsetzung meiner Kritik näher beleuchten.
Und zwischen Interpretation und unmittelbar wertender
Intuition besteht ein gewaltiger Unterschied, genauso wie zwischen
Kommunikation und Partizipation. Oder hältst Du die „Liebe auf den ersten
Blick“ für eine Illusion? Für mich ist sie eine real sich ereignende
wahrhaftige Erfahrung in unserem Leben, durch welche wir unerwartet und
plötzlich einen unmittelbaren Zugang zu der unermeßlichen Tiefe eines anderen
Menschen finden.
Überhaupt halte ich die naturwissenschaftliche Erkenntnis nur
für sekundär. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist vermittelte und keine
intuitiv-direkte Erkenntnis, die immer nur der innerliche Mensch vollziehen
kann, auch wenn diese innerliche Erkenntnis immer gemeinschaftlich ist. Die
Liebe setzt immer den anderen voraus. Durch die Liebe vollziehe ich die Einheit
von Ich und Du im Wir – und dies geschieht im individuellen Menschen konkret.
Im inneren Menschen ereignet sich höchste Wahrheit, diese ist die erlebte Fülle
des Lebens und befähigt mich zum freien, direkten Zugang zur Welt überhaupt und
zum Menschen insbesondere. Vermittelte Wahrheit (Naturwissenschaft, aber auch
Geisteswissenschaften) ist und bleibt Teilwahrheit, daran gibt es für mich
nichts zu rütteln. Wissenschaft integriert nur im rationalen, aber niemals im
spirituellen Sinne. Wissenschaft hat dennoch einen positiven Wert, sie
ermöglicht uns ein Zurechtfinden in der Welt der Objekte, worauf wir in keiner
Weise verzichten können.
Das soll erst einmal genügen.
Grüße DirkH.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 22.8.01)
Hallo ...,
Du sagst:
>>Diese Absolute Wahrheit als „Kennbares“, gibt es
nicht. Unser Begriffsvermögen ist nicht imstande alle Elemente unseres
Begriffsvermögens zu übersehen.<<
In diesem Punkt stimme ich Dir zu.
>>Für die Erste Ursache liegt es anders. Auf dieser
Ebene gibt es nichts Unwares. Und also auch kein Wahres!!<<
>>Mann könnte sagen: Wahr ist das Sein, das pure
Sein. Wenn wir uns das pure Sein vergegenwärtigen können, sind wir in der
Wahrheit ... aber nur, weil es dort keine Unwahrheit gibt.<<
Ich frage Dich, hast Du Dir das pure Sein schon einmal
vergegenwärtig, oder ist es nur Dein Gedankenspiel, Deine Spekulation? Und: Was
verbindest Du mit dem Begriff „Sein“, ein meditatives Aufgelöstsein, leer
werden, um nur noch Betrachter als das Betrachtete zu sein oder die
fortwährende Offenbarung der Lebendigkeit, der inneren Bewegtheit und Fülle in
Dir, der Zuwendung zu anderen Menschen und zum Leben auf dieser Welt überhaupt?
Letzteres setzt aber voraus, daß man einen Dialog, eine Zwei-Einheit anerkennt,
während ersteres die absolute Einheit, d.h. „nicht-zwei“ (Wilber: Eros,
Kosmos...), behauptet. Das sind zwei grundverschiedene Herangehensweisen. Ich
bezweifle, daß es ein pures Sein als ein „leeres Zeugen-Gewahrsein“ gibt, daß wir
dieses pure Sein vergegenwärtigen können. Und ich denke, dieses pure Sein ist
ganz und gar das Konstrukt unseres Denkens, reine Ontologie.
Und: Wenn Du behauptest, daß das pure Sein wahr ist, weil
es dort keine Unwahrheit gibt, so frage ich mich, in welcher Hinsicht es dann
wahr ist? Als etwas Absolutes, das über alles erhaben schwebt und nichts an
sich heranläßt und nichts anderes duldet, außer sich selbst? Und selbst wenn
alles schon pures Sein ist und wir es nur nicht wahrhaben wollen, warum gibt es
dann überhaupt eine Intuition für Wahrheit und Unwahrheit? Oder ist diese
Intuition auch nur Illusion, da ja alles gleichermaßen weder wahr noch unwahr
ist? Und wenn alles vom Grunde her weder wahr noch unwahr ist, so frage ich
mich, weshalb überhaupt irgend etwas in Erscheinung treten kann, wenn es nur
diese erste Ursache als Ausgangspunkt und Ziel gibt? Wie kann aus einem Nichts
etwas hervorgehen, wenn wiederum dieses Nichts der Maßstab ist, in den alles
zurückkehren muß? Ist das Nichts bzw. die „Leere“ die wahrhaftige Richtung der
Bewegung der Erscheinungen? Aber wenn auch dieses Nichts kein Maßstab ist, weil
ja dieses Nichts (das weder wahr noch unwahr ist) kein Maßstab sein kann, ist
jede Erscheinung in dieser Welt absolut haltlos und unkoordiniert und völlig
unerklärlich. Und durch die Behauptung (z.B. von Wilber), daß Antworten auf all
diese Fragen von unserem Denken her nicht möglich sind, weil nur die
Erleuchtung uns eine völlig wortlose Antwort geben kann, wird natürlich jeder
dazu verpflichtet sein, erst einmal den Zustand der Erleuchtung zu erreichen.
Und wenn er dann erleuchtet ist, sind sowieso alle Fragen beantwortet und wir
müssen uns nicht mehr mit all den lästigen Widersprüchen unseres konstruierten
Denkens auseinandersetzen. Es wird hier ein totaler Bruch zwischen der Wahrheit
an sich und den relativen Wahrheiten vorgenommen. Wenn man daran glauben will,
bitte.
...
Gruß Dirk H.
(Bemerkung zu dieser Reaktion:
Für mich wird authentisches Denken immer vom existentiellen Grund motiviert. Bewußtsein,
Denken und existentielle Intuition bilden eine Einheit in der Person.)
(Meine Antwort auf Reaktion vom 24.8.01)
Hallo ...,
wenn man solche Begriffsverbindungen wie “pures Sein“
verwendet, muß man damit rechnen, daß andere sich damit auseinandersetzen und
vielleicht sogar Zweifel anmelden. Und für mich ist insbesondere wichtig, daß
man über die weiterreichenden Konsequenzen einer spirituellen Erfahrung auch
spricht, damit sich in dieser Welt etwas ändern kann. In diesem Zusammenhang
ist es schon wichtig, auch über den Inhalt der Worte nachzudenken und diese in
den Kontext der eigenen Erfahrungen zu stellen. Und wahrhaft spirituelle
Erfahrungen erkenne ich daran, ob sie in einem tiefen Zusammenhang mit unserem
ganzen widersprüchlichen und paradoxen Leben stehen. Wahrhaft spirituelle
Erfahrungen bilden die Voraussetzung für ein bewegtes und bewegendes Leben. Es
geht für mich eben nicht nur um ein „direktes Verstehen“, wie Du schreibst,
sondern um meine innerliche Veränderung, um meine innerliche Bewegung. Wilber
klammert Bewegung als ein geistiges Phänomen innerhalb einer
Erleuchtungserfahrung eindeutig aus. Darüber sollte man sich schon klar sein,
wenn man sich einer Meditationsübung unterzieht. Und wenn Du auch schon 10
Jahre meditierst, so bedeutet es für mich gar nichts. Wichtig ist für mich vor
allem der Mensch, der sich mir authentisch und liebevoll zu erkennen gibt. –
Letzteres bildet für mich die Grundlage für alle echten Beziehungen. Und ich
spreche auch Wilber einen persönlich-liebevollen Umgang mit den Menschen nicht
ab, aber dieser findet in seiner „Philosophie“ keinen wahrhaften Niederschlag.
Er verlangt als Voraussetzung für die höchsten Einsichten immer eine
Entpersönlichung, was zu einer kalten und lieblosen Welt von „selbstbezogenen“
Meditierenden führt. Und jedes wahrhaftige Mitleid ist immer persönliches
Mitleid. Wenn der Buddhist wirkliches Mitleid fordert, so kann er es immer nur
im christlichen Sinne tun, nicht im persönlichkeitsauflösenden buddhistischen.
Eine Erfahrung kann nicht einfach so wegdiskutiert werden,
da gebe ich Dir Recht. Aber es sind nicht alles echte Erfahrungen, sondern sehr
oft antrainierte und unauthentische. Und vor allem die unauthentischen
Erfahrungen können einem Menschen immer wieder zugänglich sein, sie sind quasi
nach erfolgter und vorgegebener Übung (z.B. „Injunktion“) abrufbar. Für echte
Erfahrungen gibt es keine vorgegebenen Übungen. Sie sind eben authentisch und
unwiederholbar einzigartig. Echte Erfahrungen müssen sich immer wieder neu
ereignen aus dem Leben heraus. Gerade die unauthentischen Erfahrungen bilden in
diesem Leben ein Schutzschild gegen das wahrhaft-geistige bzw. ganzheitliche
Leben, ein Leben, welches den Schmerz und das Leid nicht meidet in der
Auseinandersetzung mit einer gegenwärtig durch und durch verlogenen Welt. Der
alltäglichen Lüge in dieser Welt kann man z.B. persönlich in den unechten bzw.
gekünstelten Umgangsformen der Menschen untereinander begegnen; es geht meist
immer um irgend etwas anderes, aber vor allem nicht um den konkreten Menschen.
- Der Mensch wird heutzutage vorrangig aals ein sekundäres Funktionswesen im
System behandelt, da helfen auch keine Schönredereien z.B. von Politikern
hinweg.
Zur „Fülle“ und „Leere“ hatte ich mich in diesem Forum
(KenWilber-de) schon intensiv zu Wort gemeldet. Das wiederhole ich jetzt nicht
noch einmal.
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 27.8.01)
Hallo ...,
nenne mir bitte eine buddhistisch orientierte Philosophie
(Autor, Buch o.ä.), in welcher vom Grunde her das Prinzip der Persönlichkeit
Priorität hat. Und selbst wenn es solch eine Philosophie geben sollte, was ich
nicht ausschließen möchte, so sprengt sie dennoch den Rahmen der buddhistischen
Grundhaltung z.B. von Leere-ist-Form oder Satori oder Nirwana usw., in der die
Persönlichkeit verschwindet bzw. nur einen Teil des Weltganzen ausmacht. Ich
denke nicht, daß ich einem Vorurteil erlegen bin. Ich habe dazu auch in meinem
5. Teil (Berdjajew kontra Wilber) Stellung bezogen. Ausgehend von der
buddhistischen Grundhaltung des Absoluten ist wahrhaftiges Mitleid nicht
möglich. Meine Kritik an Wilber zielt genau in diese Richtung.
Ich behaupte keinen Absolutheitsanspruch des Christentums.
Wenn ich sage „im christlichen Sinne“, so könnte man für das Wort „christlich“ auch
synonym das Wort „persönlich“ (im geistigen Sinne und nicht egozentrischen)
verwenden. Beide Worte sind für mich austauschbar. Für das Wort „buddhistisch“
trifft das nicht zu. Im Sinne von „persönlich“ gibt es nichts Absolutes, denn
Persönlichkeit setzt Zwei-Einheit bzw. Gemeinschaft voraus. Das alles kommt
aber vertieft auch in meiner Kritik „Berdjajew kontra Wilber“ zum Ausdruck.
Deine Kritik bezüglich eines Absolutheitsanspruches meinerseits ist nicht
berechtigt! Im Sinne von „persönlich“ muß kein Mensch zunächst in Berührung mit
sogenannten „christlichen Idealen“ kommen. Persönliche Einsichten sind uns von
vornherein gegeben. Man könnte aber auch sagen, christliche Einsichten sind uns
von vornherein gegeben. Von buddhistischen Einsichten könnte man es meiner
Meinung nach überhaupt nicht sagen, auch wenn dies z.B. von Wilber behauptet
wird – aber das ist reine Spekulation über etwas menschenfernes Absolutes.
Wenn ich von einer (wahrhaft) christlichen Philosophie
spreche, so meine ich damit eine existentialistische oder personalistische oder
ganzheitliche Philosophie. Mir geht es nicht um die Verteidigung oder
Vorrangstellung der christlichen Kirchenlehre oder des historischen
Christentums, welches vollkommen versagt hat. Ich stelle nicht das Christentum
und den Buddhismus als historische Ereignisse gegenüber oder beziehe in dieser
Hinsicht gar Stellung für das erstere. Für mich geht es um den Wesenskern, um
die Grundannahmen dieser beiden Strömungen und nicht um deren historischen
Ausformungen und Verirrungen insbesondere des Christentums. Über die
Verirrungen und Verbrechen des Christentums ist ja nun wahrlich viel
geschrieben worden, so daß ich nicht auch noch eine detaillierte Darstellung zu
diesem Thema abliefern muß, ehe ich mich auf grundsätzliche Fragen einlassen
darf.
Ich bezweifle auf keinen Fall und kann nur bestätigen, daß
die Christen in der Vergangenheit oft alles andere als Christen im eigentlichen
Sinne des Wortes waren. Die historische Kirche und die damit zusammenhängende
Inquisition sind ein beredtes Beispiel des Niedergangs bzw. Verneinung
christlicher Nächstenliebe. Das historische Christentum hat seine eigenen
Grundlagen verraten und muß verschwinden.
Ich ergreife gar nicht vehement Partei für die
„christliche Lehre“ und schon gar nicht in ihrer scholastischen Ausformung. Wie
kommst Du auf so etwas? Ich schreibe nur über das, was ich selber, aus eigenen
Erfahrungen, nachvollziehen kann; christliche Weisheit beurteile ich streng
nach diesem Maßstab! Die „christliche Lehre“ in ihrem ganzen Umfang ist mir
übrigens nur sehr unvollkommen bekannt. Da habe ich echte Wissenslücken, aber
das ist nicht unbedingt von Nachteil – ganz im Gegenteil; die meiner Meinung
nach fundiertesten Einsichten in die christliche Weisheit habe ich in letzter Zeit
vor allem über die Bücher von Berdjajew vermittelt bekommen. Dieser Autor hat
das historische, autoritätshörige Christentum überwunden und forderte eine
neue, eine innere und gemeinschaftliche „Kirche“. Davon bin ich begeistert. Für
Berdjajew (und auch für mich) steht christliche Weisheit nicht als ein Dogma im
Raum, sondern muß innerlich neu von jedem Menschen geschaffen und erlebt
werden; christliche Weisheit bzw. Wahrheit kann sich so gesehen in jedem
Menschen auf einzigartige und unverwechselbare Weise offenbaren. Der Mensch als
Zentrum gottmenschlicher Offenbarung steht im Mittelpunkt wahrhaft christlicher
Philosophie und wird nicht einem Absoluten und Uncharakterisierbaren und somit
Abstrakten untergeordnet. Die Gefahr des Überwältigwerdens der Menschen durch
den Glauben an ein Absolutes sehe ich insbesondere in jüngster Zeit. Diese
Gefahr sah Berdjajew auch schon. Die Ausformungen buddhistischer Weisheit
insbesondere in der westlichen Hemisphäre (dazu zählen auch fernöstliche Länder
wie Japan) unterlaufen das dynamische Persönlichkeitsprinzip als das
maßgebende. Aber vielleicht kannst Du mir auch Gegenbeispiele nennen?
Auch von Nikolaus von Kues und Thomas von Aquin besitze
ich nur vermittelte Kenntnisse insbesondere von Berdjajew, aber auch anderen
Autoren usw. usf.. Ich halte mich aber dennoch nicht zurück, auch wenn ich
nicht alle großen Philosophen studiert habe. Das schaffe ich sowieso nicht! Das
schaffen die meisten Menschen nicht, das ist nur wenigen vorbehalten. Aber alle
Menschen sind zu wahrhaftig tiefen Einsichten und zur Verwirklichung dieser
fähig, das macht den wahrhaftigen Kern christlicher Eschatologie aus - alle
Menschen müssen sich erlösen und gemeinschaftlich verwirklichen. Und keiner
darf und kann zurückgelassen werden, das widerspräche dem überaus komplexen
Gebot der Nächstenliebe und würde die gemeinschaftliche Verwirklichung
ausschließen. Die Selbstverwirklichung jedes einzelnen Menschen erfordert
dessen zu realisierende Persönlichkeit als das Grundprinzip der Gemeinschaft.
Wie gesagt, das historische Christentum hat versagt, vor allem weil es dem
Prinzip der Macht, der Notwendigkeit, dem Allgemeinen huldigte.
Du schreibst: „Dieser Satz, der –durch und durch
verlogenen Welt- ist für mich bereits eine halbe Lüge. Ist das so einfach, da
die böse und verlogene Welt und hier der wahre Mensch, oder umgekehrt, hier das
wahre Jerusalem und dort draussen die bösen verlogenen Menschen?“ - Zunächst
einmal sind solche Aussagen wie der „böse verlogene Menschen“ sehr
zweischneidig, und ich würde derartiges undifferenziert auch nicht von mir
geben. Böse ist das Verlogene im Menschen, nicht der Mensch an sich. Es ist die
Aufgabe eines jeden Menschen, vorrangig die inneren, aber damit verbunden auch
die äußeren Lügen im Leben und in der Welt überhaupt zu überwinden. Die Lösung
vom christlichen Standpunkt aus besteht in der gemeinschaftlichen
Verwirklichung der Persönlichkeit. Die Lösung der buddhistischen Philosophie
ist grundsätzlich anders geartet, in ihr entschwindet die Persönlichkeit. Zum
Problem der Persönlichkeit und den überpersönlichen Werten siehe den Anfang des
2. Teils meiner Kritik.
Nun tun wir doch nicht so, als wenn die Lüge in dieser
Welt nicht grassiert – ich denke da z.B. an die Hungerkatastrophen in der
dritten Welt (ist natürlich schön weit weg), mitverschuldet durch die „moderne“
westliche Ökonomie, in der menschliche Werte nur eine untergeordnete Rolle
spielen, die Kriege, angezettelt teilweise durch den Westen (Kosovo, Vietnam
usw.), die Umweltzerstörungen, hervorgerufen durch massenhaft pervertiertes
Konsumverhalten usw. usf.. Aber auch unser Zusammenleben im „modernen“ Westen
ist alles andere als gemeinschaftlich und innerlich, es ist veräußerlicht und
entpersönlicht. Wir sitzen alle im selben Boot, ja, und machen die Welt entsprechend
unserer Geisteshaltung, die vorrangig eine autoritätshörige ist, kaputt. Der
„liebe Gott“ hat sich zurückgezogen, ich würde sagen, er hat sich aus unserem
mechanisierten Leben zurückgezogen, weil die göttlichen Prinzipien sich mit
diesem Leben nicht vereinbaren lassen. Der Mensch verzichtet lieber auf seinen
göttlichen Grund (z.B. Liebe, geistige Freiheit), um die vermeintliche
Sicherheit des materiellen Konsums genießen zu können. Aber der Konsum von
einer Sache schafft nur momentane Ablenkung, wir brauchen immer wieder neues
Spielzeug, um nicht von unserer Leere und Oberflächlichkeit deprimiert zu
werden. Ich beschreibe hier natürlich die Tendenz in unserer Gesellschaft;
jeder Mensch hat potentiell die Freiheit, auszubrechen z.B. in Richtung geistiger
bzw. ganzheitlicher Verwirklichung.
Gott kann selber nicht in die Geschicke der Welt
eingreifen, das kann nur der Mensch. Aber der Mensch und Gott sind
gemeinschaftlich eine Zwei-Einheit.(Siehe auch meinen Beitrag: Was ist Gott?)
Das wahrhaftige Wirken des Menschen in dieser Welt ist immer ein
gott-menschliches. Das ist die Essenz der wahrhaft christlichen bzw.
personalistischen Philosophie. Gott als ein Machtwesen war eine Übertragung
menschlicher Mißverhältnisse und beschränkter Eigenschaften auf Gott selber –
dies war ein Trugbild und hat die Menschen in Zaum gehalten. Das alles ist
natürlich sehr kompliziert und von mir hier nicht erschöpfend darzustellen –
Berdjajew hat das sehr gut aufgearbeitet.
„Psychotechniken“ allein werden gar nichts bewirken,
stimmt grundlegend die Geisteshaltung nicht. Und auch Meditation als eine vom
täglichen Leben gesondert durchgeführte Aktion schafft nur Illusionen. Und
wahrhaftige Integration der Welt bedeutet vom personalistischen Standpunkt aus
immer Veränderung der Welt entsprechend wahrhaft innermenschlicher,
personalistischer, christlicher bzw. ethischer Werte und Einsichten. Aber ich
will hier auch sagen, daß auch die Werte Zeit für ihre Entwicklung brauchen.
Die Entwicklung der Werte vollzieht sich immer im Zusammenwirken mit der sich
ständig ändernden inneren und äußeren Welt der Menschen. Schließlich werden vom
Menschen im Leben neue Werte geschaffen, sie entspringen keinem abstrakten
Evolutionsstrom. Werte lassen sich auch nicht von einem unpersönlichen Absoluten
her erklären. Ohne den Menschen findet keine Wertung statt, abgesehen von
höherentwickelten Tieren, denen man wohl auch ein ethisches Vermögen zusprechen
kann.
Wenn Du behauptest, daß ich mir einbilde, nostalgisch an
alten Weltbildern anknüpfen zu können und den Rest („moderne Welt“) dabei
einfach zu ignorieren, so verstehst Du meine ganze Kritik nicht. Wenn ich die
„moderne“ Welt kritisiere, verherrliche ich nicht zwangsläufig bzw. automatisch
die alte, vergangene und ausgediente Welt. Darf man denn die „moderne“ Welt
nicht mehr einer tiefgründigen Kritik unterziehen? Die historische
Vergangenheit wird nicht wiederkommen, wer das Gegenteil behauptet, den kann
man zumindest in dieser Hinsicht als einen Reaktionär bezeichnen. Aber das
Ewige war in der Vergangenheit und ist auch heute wirksam in den Menschen, und
darüber zu sprechen, das ist eins meiner Anliegen.
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 27.8.01)
Hallo ...,
Du:
<<Keine Frage, aber kennst Du denn wahrhaft
spirituelle Erfahrung?<<
Alle Menschen machen täglich spirituelle Erfahrungen in
dieser oder jener Form. Dazu gehört auch die Erfahrungen des geistigen
Schmerzes und Leidens – gerade davon sind die Menschen in unserer Zeit voll,
aber auch der Liebe und Freude, der Fülle des Lebens. Wer diese Erfahrungen
nicht macht, der ist geistig tot. Aber ich sage eindeutig, einen absolut
geistig toten bzw. apathischen Menschen wird es nie geben. D.h., selbst der
abgeklärteste Mensch besitzt noch eine Regung tiefen Gefühls und tiefer
geistiger Emotion. Ich sage auch, daß quasi das ganze Leben eines Menschen
immer ein meditatives Element beinhaltet, dieses Element ist unser ständiger
Begleiter. Dieses Element wird jedoch von den meisten Menschen nicht mit dem
Wort „Meditation“ beschrieben, eher schon mit dem Wort „innere Versunkenheit“,
„innere Beschaulichkeit“. Ich habe mich zum meditativen bzw. kontemplativen
Versunkensein intensiv in meinen 3. Teil (Berdjajew kontra Wilber) geäußert,
aber auch schon in diesem Forum. Aber es gibt auch eine Art „Entrücktheit“, ein
spontanes sich Versenken, durch das ein Mensch sich selbst als Person kaum noch
wahrnimmt. Diesen Zustand erlebte ich oft als Kind, wenn ich z.B.
„interesselos“ einen Gegenstand ansah. Dieser Zustand war mit Entspannung
verbunden, einem Gefühl des sich Fallenlassen und der Hingabe; aber diese
Hingabe war keine Hingabe in der Form der Liebe zu etwas Konkretem in
gemeinschaftlicher Verbundenheit, sondern ein Zurück zu einem undifferenzierten
Aufgelöstsein, zu einem vorbewußten Nichtwissen. Jedoch niemals verschwand ich
vollständig in dieser Entrücktheit. Und je mehr ich nach diesen Zuständen
suchte, um so weniger ereigneten sich diese. Wenn ich hier im Forum oder bei
Wilber die Beschreibung von Meditationserfahrungen verfolge, werden in mir genau
diese Erinnerungen kindlicher Entrücktheit wachgerufen. Ich habe mich für den
Weg der Persönlichkeit entschieden, weil ich am Leben teilnehmen will. Jedoch
oft nehmen die Ereignisse im Leben eines Menschen eine derart leidens- bzw.
schmerzvolle Richtung, daß der leidgeplagte Mensch gerade und oftmals nur durch
die Momente des Entrücktseins, des selbstvergessenen Versunkenseins,
Erleichterung erfahren kann. Schwere, schicksalhafte Krankheiten lassen sich
teilweise ohne Momente der Entrücktseins nicht ertragen. Der positive und zu
bejahende Effekt des selbstvergessenen Entrücktseins (eine momentane Erlösung
von allem) stellt jedoch keineswegs das
primäre Prinzip der Persönlichkeit in Frage. Den Zustand kindlicher
Entrücktheit habe ich als Erwachsener nur noch ganz selten erlebt; doch je mehr
ich mich als Persönlichkeit begriff, um so weniger war ich auf diese Zustände
angewiesen; das hat auch damit etwas zu tun, daß mir persönlich kein
unerträgliches Leid widerfahren ist und ich nicht auf Zustände erleichternder
Entrücktheit angewiesen war. Das Ereignis der Entrücktheit (hervorgerufen z.B.
auch durch autogenes Training) stellt an sich kein Problem dar. Aber zum
Problem wird es, wenn man meint, in diesem Zustand verharren zu können und sich
aller Leiden zu entledigen. Die permanente und leidensverneinende Hervorrufung
von „Entrücktheitszuständen“ durch bestimmte Techniken verhindert die
Realisierung der Persönlichkeit; „Entrücktheitszustände“ stellen in diesem
Zusammenhang eine Art Weltflucht dar. Man möchte den Weg der Persönlichkeit
meiden, da er im Widerspruch zur Herrschaft der Notwendigkeit in der Welt mit
Leiden verbunden ist. „Entrücktheit“ als höchstes spirituelles Prinzip hat die
absolute Überwindung des Leidens zum Ziel – und das ist für mich eine absolute
Lüge. Und wahrhaftige Meditation ist vor allem keine „Entrücktheitsmeditation“.
Du:
<<Direktes Verstehen ist Sein.
Du meinst dieses Verstehen bzw. Sein aendert
nichts?<<
Direktes Verstehen ist nicht Sein im Sinne der Ontologie oder
im Sinne des unbeschreibbaren Absoluten. Sein ist ein doppeldeutiges Wort. Sein
kann dynamisches Existieren oder statische Wandellosigkeit bedeuten. Die erste
Bedeutung ist mit Veränderung verbunden, die zweite nicht. Die zweite Bedeutung
ist ein geistiges Konstrukt.
Du zum „reinen Sein“:
<< Diese Erfahrung kann immer weiter vertieft werden
und sie aendert buchstaeblich alles Erleben im Leben. Wenn das keine
Veraenderung ist... und zwar in jedem Moment immer wieder neu.<<
Wenn „reines Sein“ als etwas unbeschreibbar Absolutes
gemeint ist, so ändert diese Erfahrung natürlich unsere Einstellung zum Leben
und unser Erleben überhaupt, aber nicht zur Wahrhaftigkeit bzw. Authentizität
hin.
Du:
<<Die Erfahrung der sogenannten Leere kennt keine
Veraenderung in der Erfahrung. Es ist eine Erfahrung jenseits von nennbaren
Eigenschaften und wird deshalb meist mit nicht-Beschreibungen characterisiert.
Erleuchtung geht aber darueber hinaus und bleibt nicht in der Leere stecken.
Dann gibt es auch keinen Unterschied zwischen Leere und Fuelle mehr und eine
intellektuelle Diskussion diesbzgl. ist recht sinnlos.<<
Ich würde sagen, Du möchtest solch eine Diskussion nicht.
Ich betrachte solch eine Diskussion überhaupt nicht als sinnlos, sie ist sogar
sehr entscheidend, weil sich an dieser entscheidenden Stelle unsere Geister
trennen. Wie gesagt, zur Fülle und Leere habe ich mich in diesem Forum schon
geäußert.
Du:
<<In diesem tiefergehenden Verstaendis von
Erleuchtung ist nichts ausgeschlossen. Ein Erleben irgendeiner Art gibt es nur
als Wandel, eben als Veraenderung. Dogen kam so zu der Erkenntnis, dass Zeit
selbst das Sein ist. Und das ist keine methaphysische Spekulation sondern in
den Worten spiegelt sich sein Erleben. Damit ist Erleuchtung Veraenderung und
zwar wieder nicht als logische Schlussfolgerung, sondern als direkte
Erkenntnis.<<
Erleben ist Wandel – ganz recht. Aber diese Feststellung
steht im Widerspruch zu Deiner Aussage: „Die Erfahrung der sogenannten Leere
kennt keine Veraenderung in der Erfahrung.“ Und genau das ist mein Punkt. Wie
willst Du die Leere dann erfahren bzw. erleben? Ich sage: Jede Erfahrung ist
mit (geistiger) Bewegung verbunden; eine Erfahrung, die keine Veränderung in
der Erfahrung kennt, gibt es nicht – sie ist nicht erfahrbar. Von einem „reinen
Sein“ läßt sich die Annahme, daß das „reine Sein“ als wandelloses Sosein
erfahrbar wäre, nur abstrahieren, aber es existiert ein „reines Sein“ nicht als
geistige Realität in uns – aber ich gebe zu, das läßt sich nicht beweisen.
Jedoch ich sehe das Denken, das aus der Annahme eines spekulativen Seins
entspringt, und dieses Denken empfinde ich schon als lieblos und in diesem
Sinne unauthentisch. Und von daher ist für mich die Annahme eines „reinen
Seins“ unhaltbar. Wahrhaftig tiefe Erkenntnis ist für mich immer ein
persönlicher Akt emotional-geistiger Leidenschaft verbunden mit Freude aus dem
LEIDEN UM DIE WELT heraus, und genau dieser Zusammenhang fehlt mir insbesondere
auch bei Wilber. Übrigens, wenn ich immer von „spekulativ“ spreche, so möchte
ich mit diesem Wort andeuten, daß hier auch ein intuitives Element
hineinspielt. Aber diese Intuition ereignet sich in der Persönlichkeit und wird
anschließend z.B. zu der Annahme einer spekulativen Leere umgedeutet. Wenn man,
weiter gefaßt, die Erleuchtung auf einen „Großen Zweifel“ (K. Nishitani/
buddhistische Philosophie) reduziert, stellt sich schon die Frage, was dann an
der Welt überhaupt gut sein kann und in welcher Weise wir Menschen in ihr
überhaupt wirksam werden können oder sollen?
Und die Formulierung – Zeit ist Sein – birgt ein völliges
Durcheinander in sich. Hier sollte man erst einmal die Bedeutung der Begriffe
klären. Was ist Zeit? Was ist Sein? Und die direkte Erkenntnis können wir nicht
einfach mit „Zeit“ oder austauschbar mit „Sein“ beschreiben. Das ist in sich
widersprüchlich. Wenn sich in diesen Worten – Zeit ist Sein – ein direktes
Erleben widerspiegeln und damit wahrscheinlich eine innere Bewegtheit
ausgedrückt werden soll, erkenne ich dies an. Aber innere Bewegtheit kennt
jeder Mensch, es kommt jedoch auch auf die Art der Emotionen und Gefühle an,
mit denen die Bewegtheit verbunden ist. Darüber Worte zu verlieren ist gerade
heute wichtiger denn je! Denn Emotionen und Gefühle können auf die
Verwirklichung der Fülle des Lebens, der Persönlichkeit gerichtet sein und sind
dann authentisch bzw. selbstbestimmt, oder sie können einen destruktiven,
vernichtenden Charakter annehmen und sind dann unauthentisch bzw. VORRANGIG,
aber nicht absolut, fremdbestimmt. Aber das ist alles noch sehr viel komplizierter
und in der Kürze hier nicht darzustellen. Darüber hinaus will ich auch
eindeutig festhalten, daß Emotionen und Gefühle von geistig-grundlegender Natur
sind. Jedes Denken ist mehr oder weniger von Emotionen und Gefühlen durchsetzt.
Der Mensch ist zunächst, aus der Tiefe, ein emotional-leidenschaftliches und
sekundär denkendes Wesen. Beide Aspekte werden im ganzheitlichen Menschen stets
schöpferisch-bewußt vereint. Gerade der Begriff der Leere impliziert jedoch
Leidenschaftslosigkeit.
Ich schrieb:
> Und wenn Du auch schon 10 Jahre
> meditierst, so bedeutet es für mich gar nichts.
Du darauf:
<<Wie auch -- Du bist meinen Weg ja nicht
gegangen :-)<<
Kann ich Deinen Weg denn überhaupt gehen? Ich kann Deinen
Weg auf gar keinen Fall kopieren, selbst wenn ich mich auf Deine Art der
Meditation einlassen würde; ich bliebe trotzdem ganz ich selbst! Aber
wahrscheinlich würdest Du mir sagen, daß ich die Erleuchtung nur erfahre, wenn
ich bereit bin, mein Selbst loszulassen und ganz identisch mit allem zu werden.
Doch das kann man nur sagen, wenn man der Illusion erlegen ist, daß es eine
Erfahrung ohne oder außerhalb oder über der Persönlichkeit gibt. Jede Erfahrung
ist persönlich. Richtig ist auf jeden Fall, daß das Nichts (als unergründliche
Freiheit) bzw. die Leere das grundlegendste Mysterium der ganzen Welt ist, aber
nicht als existentielle Erfahrung. Das Nichts ist nicht das erfahrbare
Mysterium. Das erfahrbare Mysterium ist immer die Fülle. Existentiell erfahren
wir immer die differenzierte Fülle des Nichts, nicht das undifferenzierte
Nichts an sich - das ist unmöglich. Wie oben schon gesagt, das Nichts (Leere)
ist uns spekulativ zugänglich. Wir erleben jedoch zumindest immer eine Form der
Fülle, die auch destruktiv sein kann.
Du:
<<Die Liebe, die Du hier beschreibst ist eine
relative Liebe. Liebe kann viel tiefer reichen. Sie ist dann beides,
unpersoenlich und persoenlich. Eine Polarisierung kann nicht vollkommene Liebe
sein. Wilber spricht immer von Tranzendieren und integrieren. Das
unpersoenliche schliesst das persoenliche ein und wird nicht selbstbezogen,
kalt und lieblos.<<
Jeder Mensch, der WAHRHAFT leidenschaftlich liebt, liebt
immer persönlich. Liebe braucht IMMER den Geliebten gegenüber. Der Geliebte ist
jedoch nicht nur der Mensch, sondern in erster Linie der göttliche Grund in
einem selber. Liebe ist innerste Gemeinschaft (vor allem mit dem göttlichen
Grund und dem Menschen ZUGLEICH) und einzig wahrhaftige Überwindung der
Einsamkeit. Niemals und nirgendwo in der Welt wurde unpersönlich geliebt. Das,
was uns als allgemeine, unpersönliche Liebe zu allem in der Welt erscheint, ist
immer nur die Projizierung des göttlichen Grundes, des persönlich-offenbarten
Ewigen in uns selbst nach außen. Aus
mir heraus ist die Liebe immer persönlich und konkret; sie umfaßt auch
materielle Dinge, Pflanzen, Tiere. Die allgemeine Liebe, die die absolute
Identität mit allem behauptet ist konstruiert. Die allgemeine, unterschiedslose
Liebe entschwindet zwangsläufig in der absoluten Identität mit allem. Jeder
kann das Gegenteil behaupten, aber nicht wirklich realisieren, denn wer oder
was könnte in einer absoluten Identität noch lieben?? Die wahrhaftigste Liebe
ist die gemeinschaftliche Liebe zum göttlichen bzw. wahrhaft sich offenbarenden
menschlichen Grund im Menschen selber. Unpersönlichkeit ist
Leidenschaftslosigkeit und entbehrt jeglicher Liebe. Unpersönlichkeit
beherrscht unsere Gesellschaft. Unpersönlich lieben zu wollen ist der Versuch,
seine Gefühle und Emotionen zu beherrschen und alles unter Kontrolle zu halten.
Man möchte nicht leiden unter seinen Leidenschaften und verhindert dadurch die
Sublimierung niedere Leidenschaften zu höheren. Man meint, den Leidensweg nicht
gehen zu müssen. Die leidenslose bzw. leidenschaftslose, emotionslose „Meditation“
lehne ich grundweg ab! Wahrhaftige Meditation ist gesättigt mit
emotional-sublimierten Leidenschaften, mit Fülle. Eine allgemeine und
unpersönliche, unterschiedslose „Liebe“ ist entweder eine Illusion
(Projizierung des persönlich-einzigartigen offenbarten Ewigen nach außen)
oder eine Flucht aus Angst vor unseren
wahrhaft authentischen bzw. persönlichen Gefühlen, die im Widerspruch zu einer
Welt der Notwendigkeit stehen und in dieser gefallenen Welt behauptet werden
müssen, will man sich nicht gänzlich verleugnen. Durch eine
unpersönlich-gläserne „Liebe“ werden die Menschen krank.
Wenn Du sagst: „Das unpersoenliche schliesst das
persoenliche ein und wird nicht selbstbezogen, kalt und lieblos.“ Von welchem
Aspekt der Liebe – vom unpersönlichen oder persönlichen – geht denn das
Liebevolle und Nicht-selbstbezogene und Nicht-kalte aus? Wenn die Liebe vom
Persönlichen ausgeht, welches vom übergeordneten Unpersönlichen umschlossen
wird, so ist die Liebe nur sekundär. Dieser ganze Zusammenhang stellt sich als
eine in sich unschlüssige Konstruktion dar. Die einzig vorstellbare Rolle, die
eine persönliche Liebe in einem übergeordneten Unpersönlichen spielen kann, ist
die der allgemeinen, gläsernen, unpersönlichen Liebe. Aber wie das geschehen
soll, das ist vor allem eine unlösbare Denkaufgabe, wenn Liebe letztlich nur
allgemein und nicht konkret ist.
Ich:
> Eine Erfahrung kann nicht einfach so wegdiskutiert
werden, da gebe ich Dir Recht. Aber es sind nicht alles echte Erfahrungen,
sondern sehr oft antrainierte und unauthentische.<
Du:
<<<Was soll es bedeuten in diesem Kontext? Was
koennten Deine Worte bedeuten? In diesem Zusammenhang am ehesten, dass
Meditation antrainierte und unauthentische Erfahrungen erzeugt.
Wenn Du das glaubst, warum sagst Du es nicht? Nennst Du
das authentisch? Wenn Du es nicht glaubst, warum schweifst Du dann in etwas ab,
worum es vorher gar nicht ging? Ist das authentisch?<<<
Ich habe die Meditation nicht pauschal kritisiert.
Authentische Meditation steht für mich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit
dem ganzen Leben. Dazu gehört auch Leiden, aber auch Freude, mein Weg und mein
Leben in Verbindung mit der Geschichte unseres Lebens und der Welt überhaupt.
Darüber hinaus siehe den Anfang dieses Beitrages.
Du:
<<<Du argumentierst immer wieder mit der Liebe,
als wuerde dieses magische Wort irgendwie besser als Sein oder direktes
Verstaendis oder Leere oder Fuelle oder sonstwas ausdruecken, was wirklich ist.
Aber wo ist da wirklich der Unterschied?<<<
Im Leben geht es darum, sich für die Entrücktheit oder die
Liebe zu entscheiden. Davon hängt die Wahrhaftigkeit unseres Handelns in dieser
Welt ab. Übrigens besitzen magische Worte einen kontrollierenden,
beherrschenden Zug. Das konnte Wilber auch schon bei Jean Gebser nachlesen. Die
sogenannte magische Stufe korrespondiert mit der mental-rationalen. Liebe
dagegen läßt sich nicht beherrschen und kann nicht beherrschen. Liebe
entschwindet aus jeglicher Beziehung, wenn in der Beziehung autoritäre
Charakterzüge VORHERRSCHEN. Liebe ist Freiheit, das ist meine persönliche
Erfahrung. Persönlich geliebt zu werden ist der Wunsch eines jeden Menschen.
Unpersönliche „Liebe“ kann diesen Wunsch nicht erfüllen.
Du:
<<<Die einen nennen es so, die anderen so. Wenn
Du unbedingt
die christliche Ausdrucksweise bevorzugst, dann kannst Du
ja
den kontemplativen Weg mit christlichen Texten gehen.
Entscheidend ist doch, ob eine Transformation erfahren
wird oder nicht.<<<
Entscheidend ist die Art der inneren Veränderung – ist sie
destruktiv, persönlichkeitsauflösend oder erfüllend,
persönlichkeitsrealisierend. In diesem Zusammenhang müssen auch christliche Texte dem kritischen Blick
standhalten. Und wenn das Wort „christlich“ das Prinzip der Person hervorhebt,
hat es sehr wohl eine andere Bedeutung als z.B. das Wort „Satori“ usw..
Du:
<<<In Wuerzburg gibt es z.B. Pater Williges. Der
ist Zen Meister und Kontemplationslehrer. Er gehoert in beiden Bereichen zu den grossen Lehrern. Der
sieht da keinen Unterschied und kann das gleiche genauso mit Liebe wie mit Leere
darlegen.<<<
Man kann immer alles in einen Topf werfen. Entscheiden muß
der einzelne Mensch persönlich, ob es wahr ist oder nicht.
Du:
<<<Du praesentierst uns hier mehr Deine Argumente
als Deine Erfahrung, willst damit aber andere Beschreibungen ausschliessen. Wem
oder was soll das dienen? Dein Widerspruch Berdjajew kontra Wilber wird (so wie
ich es wahrnehme) von Dir erst erzeugt.<<<
Es muß jeder selber entscheiden, ob meine Beiträge
authentisch sind oder nicht. Ich argumentiere gegen alles, was von mir eine
unauthentische Folgsamkeit bzw. Anpassung verlangt. Ich stehe zu dem
Widerspruch „Berdjajew kontra Wilber“. Bei meiner ersten Berührung mit
Berdjajews Philosophie bin auch ich mit der Vorstellung einer Übereinstimmung
beider Autoren herangegangen. Das kann ich längst nicht mehr aufrechterhalten.
Du:
<<<Jede Beschreibung, jedes Wort, jeder Mensch
und jedes Ding auf dieser Welt hat den gleichen Ursprung und der ist nicht
ausserhalb dieser Worte und Dinge. Wenn man das nicht glauben will oder kann,
bleibt man halt bei einer dualistischen Weltsicht, schon weil es gar nicht
anders geht.<<<
Der „gleiche Ursprung“ ist für mich die unergründliche
Freiheit. Sie ist niemals und für niemanden in ihrer Absolutheit ergründlich.
Hier scheiden sich unsere Geister, weil Du das Gegenteil behauptest – oder
nicht? Das Ziel des Menschen ist für mich nicht dieser Ursprung an sich,
sondern seine gelichtete Wahrheit. Zwischen Ursprung und Wahrheit besteht ein
grundsätzlicher, himmelweiter Unterschied. Der Ursprung ist nicht Wahrheit,
sondern unergründlich, uncharakterisierbar.
Du:
<<<Wer aber dahin(ter) schauen will, sollte sich
nicht
mit scheinbaren Widerspruechen aufhalten. Berdjajew und
Wilber, Christentum und Buddhismus druecken es je auf ihre Art aus. Das verlogene
verschwindet, sobald es aus unserem eigenen Erleben verschwindet, einfach weil
wir verstehen.
Jenseits der Widersprueche liegt das erfuellende Sein
und schliesst dies alles ein.<<<
Wie gesagt, VOM GRUNDE HER kann man das Christentum und
den Buddhismus nicht in einen Topf werfen. Wer das nicht akzeptiert, will
meiner Meinung nach einer tieferen Auseinandersetzung zu diesem Thema aus dem
Weg gehen. Die Offenbarung der Wahrheit ist letztlich jedoch nicht unmittelbar
von einer differenzierenden Auseinandersetzung abhängig, sondern setzt diese
Auseinandersetzung lediglich voraus. Die Auseinandersetzung mit den
Widersprüchen des Lebens ist ein Moment auf dem Weg zur Wahrheit, die jeder
Mensch in seinem Leben führen muß. Es gibt kein glattes und widerspruchloses
Leben. Die Wahrheit ist die WAHRHAFTE Überwindung der Trennung der
Widersprüche. Diese überwindende Wahrheit ist ein paradoxes Ereignis von
Zwei-Einheit (z.B. die Einheit des Wandellosen und Wandelbaren, des
Persönlichen und Überpersönlichen, des Immanenten und Transzendenten, des
Endlichen und Unendlichen, des Zeitlichen und Überzeitlichen IN DER
PERSÖNLICHKEIT).
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 29.8.01)
Hallo ...,
kurz zu Deiner letzten Reaktion. Die „Menschen dieses Jahrhunderts“
lernen alles mögliche, und ich denke, daß ich mit meinen teilweise entlehnten
Begriffen diese Menschen nicht überfordere. Auf Berdjajew konnte ich mich
ziemlich schnell einstellen, vor allem weil ich es wollte – diese Voraussetzung
reicht meistens aus, um einen anderen Autor zu verstehen. So erging es mir
zuvor auch mit Wilber. Man muß sich mit dem, was ich schreibe, nicht befassen,
es ist von mir nur ein Angebot. Freiheit ist das höchste Gebot.
Auf die Frage, wie sich dieses „ganzheitliche Verwirklichtsein“
anfühlt, möchte ich immer wieder und vor allem auf die Liebe verweisen. Die
Liebe ist die Erfahrung im Leben, die in irgendeiner Form jeder Mensch AUF EINZIGARTIGE WEISE macht. Für den komplexen
(ganzheitlichen) Umgang mit dem Liebes-Phänomen wird es nach meiner tiefsten
Überzeugung keine detaillierten Anweisungen geben, hier beginnt der Weg, den
letztlich jeder eigenverantwortlich zur wahrhaftigen Gemeinschaft hin gehen muß. Gäbe es Anweisungen, wäre die
Freiheit des einzelnen Menschen dahin. Wenn hinsichtlich der Anweisungen „Heute
christliche Ansätze Reihenweise aussteigen müssen“, sehe ich darin einen
Vorzug.
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal bekennen, daß ich
eine Art „Entleerungs-Meditation“ nicht gänzlich für überflüssig halte. Auch
ich habe mich für kurze Zeit daran versucht, um mich von der
Notwendigkeitsforderung des gesellschaftlichen Betriebes lösen zu können. Es
war für mich, angeregt u.a. durch Wilber, ein weiterer Schritt. Das erkenne ich
auch heute noch an. Im weiteren Verlauf
habe ich für mich erkannt, daß ich dabei jedoch nicht stehenbleiben kann.
Wesentlicher war für mich immer meine GEISTIGE TRAUER um die Welt und für die
Wahrheit. Leiden ist für mich eine wesentliche Eigenschaft des Geistes selbst.
Es gibt keine „technische Anweisung“ für die
gemeinschaftliche Verwirklichung. Gemeinschaftliche Verwirklichung setzt
göttliche Intuition, Liebesintuition des einzelnen Menschen voraus, auf die er
zur Gemeinschaft hin geistig-schöpferisch reagieren, mit der er geistig-schöpferisch
umgehen muß. Vom Grunde her besitzt jeder Mensch eine Liebesintuition, egal
welche Wege er im einzelnen letztlich geht. Oftmals verleugnet der Mensch seine
Liebe, die selber göttlichen bzw. wahrhaft menschlichen Ursprungs ist.
Es gibt also keine vorhersagbare, berechenbare Lösung. Es
gibt kein Patentrezept. Die Lösung kann nur eine gemeinschaftliche und eine
schöpferische zugleich sein. Jedoch kann man die unabdingbaren Voraussetzungen
benennen, die für eine gemeinschaftliche Verwirklichung von Nöten sind. In
diesem Zusammenhang sehe ich z.B. den Unterschied zwischen einer christlichen
und einer buddhistischen oder hinduistischen Herangehensweise.
Grüße
Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 6.9.01)
Hallo ...,
egozentrisches Leiden ist selbstbezogenes Leiden, das
stimmt. Ich sehe aber einen Unterschied zwischen einem egozentrischen,
oberflächlich-alltäglichen Leiden und einem tiefen geistigen Leiden, das durch
Mitgefühl, Mitleid und Liebe dem Menschen, den Tieren, der Welt überhaupt gemeinschaftlich,
aber immer konkret zugewandt ist. Das oberflächlich-alltägliche, selbstbezogene
Leid wird der wahrhaftigen Verantwortung nicht gerecht; das wahrhaftige Leid
ist höchste Verantwortung im Sinne von Partizipation (ich verweise
diesbezüglich auf: http://www.oocities.org/de/dirkhuebner66/Teil5.htm).
Leiden ist eine paradoxe Angelegenheit: Wenn wir fordern würden, daß jedes
Leiden verschwinden müßte, verhinderten wir damit die Auseinandersetzung mit
dem Leiden, welches aus dem Umgang mit einer begrenzt-notwendigen Welt immer
wieder entsteht. Unser ganzes Leben werden wir diese verantwortungsvolle
Auseinandersetzung führen müssen, es sei denn, wir verlieren uns in
Gleichgültigkeit und Apathie. Alltäglich-selbstbezogenes Leid ist nicht
wirkliches Leid im tiefen Sinne des Wortes; existentielles, geistiges Leid ist
der Zugang und die Liebe zur Welt, zu den Menschen, die unseres verändernden
Einflusses bedürfen. Und über dieses zugewandte Leid erst realisiere ich mich
selbst ...
Gruß Dirk H.
(Beitrag 6270 um den 20.9.01 herum von mir geschrieben)
Hallo A.,
Du (6240):
<<Fragen wir Dirk doch einfach, wie Menschen es denn
schaffen, frei zu sein im Leiden. Also Dirk, wie ist dies gemeint wenn du sagst:
"Und erst aus dem frei durchlebten Leid heraus empfinde ich tiefe Freude
aufsteigen."? Wie kommt es zu dem qualitativen Unterschied hier?<<
„Freude aus dem Leid heraus“ - das ist etwas Geheimnisvolles,
das sich in der Tiefe der liebenden Persönlichkeit ereignet. Ich sehe den
Unterschied darin, daß der Zeuge eine spekulativ-rationale Abstraktion
darstellt, der eben nicht zugleich leidend ist, und daß die freie
geistig-liebende Person, welche Leid und Freude, Emotionen und Gefühle aus der
Tiefe heraus gleichermaßen umfaßt, sich als eine wahrhaft zu erlebende
spirituelle Realität im Menschen, als das wahrhaft Menschliche und Göttliche
zugleich offenbart. Ob nun der Zeuge oder die (ganzheitlich-liebende) Person,
es ist vor allem eine Glaubensfrage; und entsprechend der Behauptung, daß man
sich über den sogenannten Zeugen nur nach erfolgter Injunktion eine Meinung bilden kann bzw. darf , muß ich S. Recht
geben: „Das macht eine Diskussion natürlich überflüssig.“ In diesem
Zusammenhang muß ich mich auch gegenüber D. (sein Beitrag: 5849) dahingehend
korrigieren, daß eine Diskussion über den Unterschied von Leere und Fülle
wahrscheinlich wirklich sinnlos ist. Die Frage heißt also: Welcher Glaube ist
authentisch? Für mich entscheidend ist auch folgende Frage: In welcher
Beziehung steht mein Glaube zum Leben, zur Welt und vor allem zum Menschen? Und
unter diesem Gesichtspunkt hat für mich UNTER ANDEREM das Leid absoluten
Vorrang. Entsprechend des Beitrages von M. (6229), auf den ich noch eingehen
werde (Ist nicht erfolgt. Dirk Hübner), steht der Zeuge immer außerhalb, auch
wenn noch so subtil über diese Tatsache „hinwegphilosophiert“ wird. Es geht
einfach nicht: ‚reines Zeugenbewußtsein’ und ‚Welt des Ego-Films’ bleiben immer
zwei und absolut getrennt und kommen niemals zusammen. Die gegenteilige Aussage
ist für mich bloße Behauptung.
Freude und Leid stehen in einem unzertrennlichen
Zusammenhang. Zum Beispiel ist die wahrhaft liebende Fürsorge einer Mutter zu
ihrem Kind auch immer mit Leid verbunden, und dennoch erfreut sich aus dem
Herzen heraus die Mutter an ihrem Kind. Ich will hier jetzt nicht die Gefahren
leugnen, die natürlich in jedem Mutter-Kind-Verhältnis lauern, wenn die Mutter
eine Art „Übereifer“ und „Überliebe“ an den Tag legt und das
Mutter-Kind-Verhältnis krankhaft wird. Das authentische Leiden des Liebenden
wahrt immer auch die Freiheit des Geliebten. Die wahrhaft liebende Mutter
leidet nicht zwanghaft, sondern ihr Leid ist frei, ist eine Herzenssache und
eine Freude. Diese Gedanken sind wert, weitergeführt zu werden, aber leider
sitzt mir die Zeit etwas im Nacken.
"Und erst aus dem frei durchlebten Leid heraus
empfinde ich tiefe Freude aufsteigen."? – Das ist meine persönliche
Erfahrung. So habe ich geliebt, und so liebe ich. Ich kann jedoch nicht für
andere sprechen. Mehr will ich jetzt dazu nicht sagen.
Du (6232):
<<<Das was den Menschen, beim sinnlosen Leiden
aus der Bahn wirft ist für mich, in Bezug auf Drewermann, die Angst. Weniger
Angst bedeutet mehr Freiheit. Das Zeugenbewusstsein hebt den Menschen zu der
Fähigkeit auch das Leiden zu integrieren. Deshalb bedeutet der Zeuge, ein mehr
an Freiheit.<<<
Auch die Angst kann man von mehreren Seiten betrachten. Es
gibt z.B. die natürliche Angst vor dem Tod. Sie ist die Angst vor den
Schmerzen, die mit dem Tod verbunden sind. Diese Angst ist wohl kaum zu
vermeiden. Warum auch? Diese Angst hat eine natürlich-biologische Funktion. Es
gibt die erniedrigende Angst vor einer fremden Macht, der ich gehorche – damit
hängt das „schlechte Gewissen“ zusammen. Dann gibt es die existentielle Angst
vor dem Tod, die Angst, ins Bedeutungslose (eigentlich ins Ewige als
abgeschiedene Gottheit - Eckhart) zu entschwinden. Von dem Gefühl der
Bedeutungslosigkeit wird der Egozentriker geplagt, wogegen er massiv, eben
egozentrisch, anzugehen versucht – ein Teufelskreis. Erst mit der Realisierung
der (gottmenschlichen) Persönlichkeit ist das existentielle Problem des Ewigen
zur Wahrheit hin fortwährend schöpferisch zu lösen und zu überwinden – davon
bin ich überzeugt. „Weniger Angst bedeutet mehr Freiheit.“ Darin stimme ich mit
Dir überein, wenn weniger Angst meint, daß ich mich von meinem wahrhaftigen,
schöpferischen, nicht fremdbestimmten Gewissen bzw. in diesem Sinne „reinen
Gewissen“ im Verhältnis zu meinem ganzen Leben leiten lasse. Unter einem
„schöpferischen Gewissen“ verstehe ich kein endgültiges Gewissen als moralische
Instanz; es ist immer ein im Leben zu realisierendes Gewissen zur Liebe als
Wahrheit hin gemeint. Dieser Prozeß ist mit Schmerzen, mit Leid und Freude
verbunden. In der schöpferischen Realisierung meines Herzens (Gewissens)
empfinde ich immer auch Freude.
Sinnloses Leiden wird nicht automatisch von Angst
hervorgerufen. Die Angst verhindert höchstens, daß wir uns dem sinnlosen Leiden
widersetzen (z.B. wenn wir uns fortwährend als „biologische Funktionswesen bzw.
-sklaven“ mißbrauchen lassen). Sinnlosess Leiden herrschte jedoch auch im KZ, in
Hiroshima, in Vietnam usw., bzw. herrscht eben jetzt in New York und darüber
hinaus. Menschen waren sinnlosem Leiden ausgeliefert, die grundsätzlich keine
Angst hatten – ganz im Gegenteil. Dieses Leiden ist nicht zu rechtfertigen und
ist ein Auswurf des Bösen. In solchen Momenten haben Menschen Gott verflucht,
und wer könnte das nicht verstehen... Aber es ist nicht Gott, der die Macht
hat, Böses zu tun. Es ist die Macht selber, die in einer in sich verschlossenen
Welt wütet. Macht verhindert Gott – in uns.
Das einzige, was ich an einer „Zeugenmeditation“ befürworten
würde, ist, daß es dazu beitragen könnte, uns von einer Welt des Gehorsams und
der Autoritäten zu befreien. In diesem Sinne stimme ich mit Dir überein, daß
ein Zeuge ein mehr an Freiheit mit sich bringen kann. Aber die Verabsolutierung
des Zeugen verkehrt sich in das Gegenteil, ins Böse. Der Zeuge wird selber zu
einer wahrheitsfeindlichen Autorität und verhindert inneres Leben. Der Zeuge
muß unmittelbar von der ganzen Person integriert werden. Der Zeuge darf immer
nur ein Moment sein – er ist nicht die Wahrheit. Und der Zeuge kann niemals
reiner Zeuge werden, das wiederhole ich immer wieder.
Kurz noch zu Deiner Anfrage:
<<<Wie empfindet ihr nach den Ereignissen vom
11/9/2001 die Veränderungen des Lebensgefühls...<<<
Ich denke, daß die meisten Menschen im Westen ihre eigene
Lebensweise nicht wirklich aufrichtig hinterfragen wollen. Wahrscheinlich die
meisten Europäer (davon gehe ich zur Zeit aus) möchten zwar, daß alles
friedlicher wird, aber können einfach nicht verstehen, daß der Unfrieden vor allem
von uns „Reichen“ und unseren lebensfeindlichen Verhältnissen inner- und
außerhalb von uns ausgeht. Europa kann sich schön hinter den USA verstecken.
Dort hegen mittlerweile die meisten Menschen offensichtlich Rachegelüste und
fordern sichtbare (militärische) Taten. Wir stecken VOR ALLEM in einer
geistigen Krise, die wiederum eine ökonomische Krise zur Folge hat. Und unter
einer ökonomischen Krise verstehe ich nicht eine „Wachstumskrise“, sondern ein
auf endlos steigenden und neu hinzukommenden Verbrauch ausgerichtetes
Wirtschaften – das ist die eigentliche Wirtschaftskrise, die umfassend
zerstörend wirkt. Ich halte unsere sogenannte „freiheitlich demokratische
Grundordnung“ schon an sich für ein versklavendes, den Menschen subtil zur
Unmündigkeit verdammendes System. Anpassungsfähigkeit an die systemorientierten
Vorgaben sind das Kriterium eines „erfolgreichen“ Lebens. Der Mensch
entscheidet nicht persönlich, existentiell, ethisch, er entscheidet gemäß der
Systemforderung. Das habe ich schon in der DDR erlebt. Das ist die Ideologie
des Kapitalismus. Beschränktes Systemdenken siegt wieder einmal über eine
ganzheitliche Vernunft, die auch zu vernehmen ist, aber abgedrängt, verdrängt
wird (vielleicht nicht mehr so gut wie früher). Begrenzte ideologische Vorstellungen
beherrschen das gesellschaftliche Bild einer großen Anzahl von Menschen gerade
in der „modernen“ westlichen Zivilisation und verhindern ein Umdenken. So
schnell wird sich global nichts verändern – die meisten Menschen, vor allem im
Westen, halten fester denn je an ihren liebgewonnen und ablenkenden
Gewohnheiten und verharren im Konsumdenken ohne absehbares Ende. Es sei denn,
die Katastrophe (welcher Art auch immer) weitet sich schneller aus als bisher
angenommen. Und gerade das ist und kann noch furchtbarer werden!
Terroristen werden nicht so schnell von der „Bühne“
verschwinden. Unter ihnen sind Menschen, denen es persönlich sogar oft
finanziell und materiell an nichts mangelt, und die in umsorgten Verhältnissen
aufgewachsen sind; davon ausgehend hätten sie zumindest keinen Grund zu solch
einer fanatischen Tat wie in New York. Wir müssen anerkennen, daß sie einfach
nur unseren „U.S.-amerikanischen Stil“ auf die Spitze treiben, den
vermeintlichen Hauptfeind aus den verschiedensten Gründen heraus zu jagen und
zu töten - unterstützt und vorangetrieben durch fundamentalistisches
Gedankengut bzw. durch eine fundamentalistische Ideologie. Das allerdings, was
sich die USA und all die Mächte, die hinter ihr standen und stehen, an
vernichtenden Militäraktionen usw. geleistet haben, ist ebenfalls ohne
Beispiel. Und auch der Westen ist in seiner Art Machtausübung
fundamentalistisch, z.B.: Die (scheinbare) „Freiheit“ des Marktes und der
Börsen gilt für alle gleichmaßen, und wer nicht mithält, muß bluten. Schuldenerlasse
werden nur halbherzig oder überhaupt nicht zugelassen.
Bush sprach im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das
W.T.C. usw. von einem feigen Verhalten der Terroristen. Doch das ist nun
wirklich absolut falsch! Diese Menschen sind bis zum Äußersten gegangen – sie
waren in keiner Weise feige und opferten ihr Leben. Aber anzunehmen ist, daß
sie von Haß auf eine anonyme USA nahezu zerfressen waren. Blinder, wütender und
vor allem fanatischer Haß treibt die Menschen in den Wahnsinn, und der hat,
meiner Meinung nach, hier vorgelegen. Und dieser Haß ist keine Erfindung der
Terroristen aus dem Osten oder woher auch immer, der Haß erstreckt sich weit in
unser eigenes, westliches Leben hinein und hat u.a. auch dort seine geistig
pervertierten Wurzeln. Ein von Haß beherrschter Mensch verliert jedes Gefühl
für den Sinn des Lebens. Nur noch der Haß (verhüllt oder unverhüllt) erhält
diesen Menschen aufrecht, und er muß entsprechend dieses Hasses handeln, um
nicht von der höllischen Sinnlosigkeit seines (inneren) Lebens maßlos gequält
zu werden. Solange es noch äußere Feinde gibt, können wir unsere eigenen
Schatten verdrängen. Aber dieser Weg provoziert eine Katastrophe, die
entsetzlicher sein wird als alles zuvor Geschehene. Kämpferisch-fanatische
Verbundenheit der Menschen in Kriegszeiten kündigen vom inneren Niedergang,
eben von Haß. Dieser Haß braucht einen Feind. Doch dieser Feind wird erst
zuletzt oder gar nicht die inner-geistige Misere sein. Was geht in den USA und
auch hierzulande wirklich vor sich?!
Ich denke, die einzige Lösung der Krise überhaupt kann nur
vom individuellen Menschen ausgehend erfolgen, in dem dieser seine
Persönlichkeit schöpferisch realisiert, um von innen heraus unser Leben
gemeinschaftlich radikal ändern zu können in Richtung individueller und
gemeinschaftlicher Wahrheit zugleich. Vom Innermenschlichen, jenseits von Gut
und Böse, muß das Licht kommen, von dem ausgehend der Mensch das Böse auch in
sich und außerhalb von sich schöpferisch bewältigen kann. Ich glaube einzig an
eine innergeistige, schöpferische Revolution, der einzig eine wahrhaft
gemeinschaftlich-soziale Umgestaltung folgen kann. - Aber ich mache mir keine
Illusionen hinsichtlich eines weitverbreiteten geistigen Mittelmaßes.
Die Welt kann man nicht nach irgendwelchen machtorientierten
und -beschränkten Maßstäben retten wollen. In dieser Hinsicht kann vom Westen
derzeitig keine wirkliche Hilfe und Rettung ausgehen. Die westliche Lebensweise
fördert geradezu das sinnlose Leiden innerhalb ihrer selbst. Der Westen züchtet
selber das Prinzip des Terrorismus. Und was auch passiert, wen wundert’s noch?!
Das macht alles sehr traurig!
Grüße Dirk Hübner
(Meine Antwort auf Reaktion vom 25.9.01)
Hallo ...,
Aus Deinem Beitrag:
<<<"Wilber`s Ansatz ist, er kritisiert damit
die Begrenztheit der engeren Ansätze, ohne die grundlegenden Wahrheiten dieser
Ansätze zu verwerfen. Er kritisiert also nicht ihre Wahrheiten, sondern nur
ihre Unvollständigkeit".<<<
Die Unvollständigkeit in Berdjajews Ansatz besteht Wilber
zufolge in der Behauptung, das die Realisierung der Persönlichkeit das höchste
Ziel darstellt. Das „leere Zeugen-Gewahrsein“ steht für Wilber über der
(ganzheitlichen) Persönlichkeit und ihrer persönlichen Erfahrung und soll diese
umschließen.
Ich dagegen schließe mich Berdjajews Denken an und
behaupte, daß die Unvollständigkeit gerade in einer impersonalistisch
orientierten Philosophie und Spiritualität wurzelt.
Berdjajews personalistische Philosophie steht letztlich
der buddhistisch orientierten „Leerheitsphilosophie“ konträr gegenüber, weil
letztere die Person zu überwinden trachtet – denn Person in ihrer Authentizität
bedeutet Leiden, aber auch Freiheit, Liebe, Wahrheit. All diese Aspekte der
Person kann man entsprechend einer personalistischen Philosophie voneinander
nicht trennen.
Die Behauptung „Berdjajew kontra Wilber“ hat für mich eine
grundlegende Berechtigung.
Du:
<<<So zitiert Wilber Isherwood:
"Der wahre Zeuge läßt alles aufsteigen, was
aufsteigen will: Leidenschaft, Gelassenheit,
Engagement, Gleichgültigkeit, tief empfundene
Feindseligkeit - was auch immer. Die Auffassung, daß dies eine tödliche
Getrenntheit vom Leben sei, ist albern".<<<
Solange der „Zeuge“ unparteiischer Beobachter bleibt,
befindet er sich in einer ‚tödlichen Getrenntheit vom Leben’. Der „Zeuge“ muß
selber das Leid erfahren, die Liebe oder auch die Feindseligkeit, um das Leben
überhaupt wahrnehmen zu können. Doch sobald der „Zeuge“ das Leben wahrnimmt,
ist er nicht mehr „Zeuge“, sondern Person. Darüber hinaus ist ein reiner
„Zeuge“ für mich eine unrealisierbare Vorstellung, eine völlige absurde
Vorstellung vollständiger Emotionslosigkeit und LEIDEN-schaftslosigkeit.
Und Leid ist für mich nicht Form, sondern ein geistiger
Aspekt unseres persönlich wahrnehmbaren Geistes, einer seiner ursächlichsten
Eigenschaften. Ich persönlich beobachte niemals mein Leid, sondern es ist mein
persönlicher Geist selber, der leidet – immer und ewig in mir und bei allem,
was ich tue. Und erst aus dem frei durchlebten Leid heraus empfinde ich tiefe
Freude aufsteigen.
Du:
<<<Ist er/sie aber im Reflex gefangen, oder
zwangsläufig in sein/ihr Leid verstrickt, kann er/sie nicht mehr unbedingt frei
wählen. Und gerade diese Verstrickung kann zum Tod der Entwicklung führen. Dieses
Leid birgt die Gefahr der Nichtentwicklung, egal wie mutig mensch da auch
reingehen mag.<<<
Leid, welches man nicht frei auf sich nimmt, ist sinnloses
Leid. Sinnloses Leiden ist nach Berdjajew dunkles Leiden. Dunkles Leiden ist
höllisches, sinnloses Leiden, ist geistiger Stillstand und Tod. Im freiem
Leiden zum Leben hin dagegen entfaltet sich unsere wahre geistige Kraft.
Gruß Dirk Hübner
(geschrieben am 29.9.01)
Meine Korrektur und Ergänzung zum Beitrag 6270
(KenWilber-de)
Berdjajew schreibt:
„Der leidende Mensch erlebt ein doppeltes Leiden.
Einerseits leidet er unter den über ihn verhängten Prüfungen und
Schicksalsschlägen, unter Krankheiten, Not, Verrat, Einsamkeit, Enttäuschung in
seinen Mitmenschen usw., usw. Andrerseits leidet er aber unter der eigenen
Auflehnung und dem eigenen Aufstand gegen das Leiden; er leidet, weil er das
Leiden zu ertragen nicht willig ist und das Leiden verdammt. Dieses zweite
Leiden ist noch viel bitterer als das erste. Wenn der Mensch sich entschliesst,
die Leiden innerlich anzunehmen, wenn er den Sinn der über ihn gesandten Leiden
zu erfassen beginnt, so wird sein Leiden erträglicher, durch das neue
Bewusstsein wird es gemildert und verklärt. Das dunkle Leiden, das
allerentsetzlichste, ist eben das Leiden, das den Menschen innerlich erbittert
und ihn zum Aufstand und Kampf gegen sich aufbringt. Das Leiden, in dem der
Mensch einen höheren Sinn erblickt und das er innerlich bejaht, wird zum
hellen, die Wiedergeburt herbeiführenden Leiden.“ - Zitiert aus: „Von der Bestimmung
des Menschen, Versuch einer paradoxalen Ethik“ (Gotthelf-Verlag, 1935, S. 163)
In dieser Hinsicht ist dunkles Leiden sinnloses Leiden:
Man will das Leid nicht ertragen, von welchem man ergriffen wird. Man erfaßt
den Sinn des Leidens nicht. Berdjajew schreibt im oben erwähnten Buch: „Der
Mensch vermag die grössten Leiden auf sich zu nehmen und zu ertragen, wenn er
nur den Sinn dieser Leiden erfassen kann; die Kräfte des Menschen sind
gewaltig.“
Ich schrieb an ... :
„Leid, welches man nicht frei auf sich nimmt, ist
sinnloses Leid.“ – Das stimmt nicht. Richtig ist: Leid, welches man nicht
annehmen will und ablehnt, provoziert sinnloses Leiden im Sinne des dunklen
Leidens.
Ich schrieb an ... :
„Sinnloses Leiden wird nicht automatisch von Angst hervorgerufen.
Die Angst verhindert höchstens, daß wir uns dem sinnlosen Leiden widersetzen
(z.B. wenn wir uns fortwährend als „biologische Funktionswesen bzw. -sklaven“
mißbrauchen lassen). Sinnloses Leiden herrschte jedoch auch im KZ, in
Hiroshima, in Vietnam usw., bzw. herrscht eben jetzt in New York und darüber
hinaus. Menschen waren sinnlosem Leiden ausgeliefert, die grundsätzlich keine
Angst hatten – ganz im Gegenteil. Dieses Leiden ist nicht zu rechtfertigen und
ist ein Auswurf des Bösen. In solchen Momenten haben Menschen Gott verflucht,
und wer könnte das nicht verstehen... Aber es ist nicht Gott, der die Macht
hat, Böses zu tun. Es ist die Macht selber, die in einer in sich verschlossenen
Welt wütet. Macht verhindert Gott – in uns.“ Hier herrscht meinerseits ein
großes Durcheinander. Aber es ist die Leidensproblematik auch nicht einfach.
... schrieb (6232): „Das was den Menschen, beim sinnlosen Leiden aus der Bahn
wirft ist für mich, in Bezug auf Drewermann, die Angst. Weniger Angst bedeutet
mehr Freiheit. Das Zeugenbewusstsein hebt den Menschen zu der Fähigkeit auch
das Leiden zu integrieren. Deshalb bedeutet der Zeuge, ein mehr an Freiheit.“
Weniger Angst vor dem Leid bedeutet mehr Freiheit.
Freiheit und Leid gehören zusammen. Insofern kann sinnloses, dunkles Leiden
auch durch die Angst vor dem Leiden an sich hervorgerufen werden. Aber die
Menschen im KZ haben gelitten – ohne jeden Zweifel. Und wohl die wenigsten
werden sich gegen das Leid haben auflehnen können oder wollen, dazu war alles
viel zu spürbar grausam und qualvoll und vor allem unausweichlich. Es gab
vielleicht auch wenige Häftlinge, die sich in Positionen befanden, die ihnen
die Möglichkeit gab, sich in gewisser Weise vom Leidensgeschehen abzuschotten
oder gar eine Art Zeugenbewußtsein zu entwickeln. Vielleicht waren sogar einige
Nazis selber gelegentlich einfach nur im Zeugenbewußtsein, um innerlich Abstand
halten zu können von dem unermeßlichen Leid. Führt nicht die Annahme eines
Zeugenbewußtseins selber zum dunklen, sinnlosen Leid, durch welches man sich
selbst bekämpft bzw. verhindert oder gar vernichtet? Das habe ich in ähnlicher
Weise z.B. auch im 3. Teil meiner Kritik „Berdjajew kontra Wilber“ zum Ausdruck
gebracht.
In den USA jedoch verhält es sich anders. Das Leid
verwandelt sich bei vielen Menschen dort in Haß, d.h., das Leid wird umgelenkt
auf den Feind, den es zu vernichten gilt. Auch auf diese Weise läßt sich bitter
nötige Leidensarbeit vermeiden.
Der Mensch ist vom geistigen Grunde her ein freies Wesen.
Er leidet normalerweise, wird er zu einem Funktionswesen degradiert. Aber das
Phänomen, daß hierzulande viele Menschen schon dann zufrieden sind, wenn sie in
ihrem Leben vor allem eine Funktion erfüllen können, zeigt, daß diese Menschen
die Erniedrigungen gar nicht mehr wahrnehmen und sich teilweise in einem
apathischen Zustand befinden. Sie haben sich den Gewohnheiten überlassen.
Wahrhaft innere geistige Veränderungen vollziehen sich in ihnen schon lange
nicht mehr, da sie in einem entscheidenden Maße leidensunfähig geworden sind. Aber
auch in diesem Zusammenhang sei gesagt, daß es eine absolute Leidensunfähigkeit
nicht gibt. Und es gibt immer noch genug Menschen, die leiden können und
zunehmend den Erniedrigungen widerstehen wollen.
Das Leid muß man nicht rechtfertigen, sondern es gehört
zum (geistigen) Leben dazu. Die Bejahung des Leidens ist die Annahme des
Kreuzes, sagt Berdjajew. Und Gott hat man verflucht für die Macht, die er über
die Menschen ausgeübt hat. Aber hierzu stimmt meine Aussage: „Aber es ist nicht
Gott, der die Macht hat, Böses zu tun. Es ist die Macht selber, die in einer in
sich verschlossenen Welt wütet. Macht verhindert Gott – in uns.“ Dunkles Leiden
ist sinnlos, weil es sich gegen das Leiden an sich auflehnt. Das Leiden ist
jedoch einer der unmittelbarsten und wesenhaftesten Züge des Menschen. Wer das
Leiden nicht zulassen oder nur von einem Zeugenstandpunkt aus betrachten will,
verhindert sich als Menschen, und auch das kann in einer destruktiven Weise
sehr qualvoll sein.
Gruß Dirk Hübner
(geschrieben am 30.06.2002)
Sehr geehrter Herr K.,
vielen Dank für Ihre Kritik.
Ich weiß nicht, inwieweit Sie mit meiner Homepage vertraut
sind - dort lege ich Rechenschaft über meine Erkenntnisquellen ab. Ich gehe von
der Liebesintuition aus, die sich mir und jedem Menschen insbesondere in der
Begegnung mit dem anderen Menschen und
mit Gott zugleich offenbaren kann (Einheit von Ich und Du im Wir). Gott ist für
mich nicht reine Begeisterung, wie sie mir in den Mund zu legen scheinen. Gott
ist Gewissensfreiheit, Kampf um dieses Gewissen, welches sich in der tragischen
Begegnung des ganzheitlichen bzw. transzendentalen Menschen (genauer
Gottmenschen – „Zwei-Einheit“) mit der Welt innerlich-immanent, subjektiv
offenbart (damit habe ich in meinen Homepage-Beiträgen genauer
auseinandergesetzt). Ursprüngliche
Erkenntnisquelle ist diejenige Intuition, durch die wir uns wesentlich
menschlich und göttlich zugleich schöpferisch zu erkennen geben, worauf das
Phänomen innerlich wahrhafter Begeisterung beruht. Aber die Intuition allein
kann gar nichts bewirken noch kann sie existieren, wenn es nicht auch noch eine
pragmatische, d. h. objektivierende Erkenntnis gibt, durch die unser
praktisches Leben möglich wird und ohne die die Intuition in der Luft hängen
bliebe.
Sie verlangen von mir ein „UNABHÄNGIG(ES)“
Erkenntnisstreben. Daraus schließe ich, daß Sie eine Erkenntnis wollen, die vom
Menschlich-Subjektiven befreit ist. Doch ich meine gerade, daß es solch eine
Erkenntnis nicht gibt. Es gibt nirgends eine Erkenntnis, die vom subjektiven
Wollen, die von subjektiven Emotionen und Gefühlen gänzlich befreit wäre. Alle,
die behaupten, ihre Erkenntnis wäre rein „objektiv“ und völlig frei aller
eigenen Intentionen und Intuitionen unterliegen einer Illusion. Selbst das
Lösen einer scheinbar rein logischen, mathematischen Aufgabe setzt voraus, daß
sie von einem Menschen vorgenommen wird, der einen Sinn und ein Ziel mit der
Lösung der Aufgabe verbindet, der motiviert ist, z. B. eine mathematische Aufgabe
zu lösen. Ohne jegliche ursprüngliche Motivation würde nichts, aber auch gar
nichts vom Menschen zu schaffen sein. Was meinen Sie denn, woher sich diese
Motivation speist? Für mich liegt die ursprüngliche Motivation im Menschen
selber, in seinem schöpferischen Wollen, den Sinn des Ganzen zu erfassen. Der
Punkt ist meines Erachtens vor allem auch der, daß der Sinn über unsere
gottmenschliche, d. h. ethische Grundintuition von uns Menschen schöpferisch
erkannt werden kann und muß, damit wir unserer ganzheitlichen Bestimmung
gerecht werden können, die da heißt: das Reich Gottes auf Erden zu erschaffen –
doch gerade dieser Prozeß ist ein tragischer, weil sich die zur Starrheit
tendierende Welt dem wahrhaft-gemeinschaftlichen „Liebesschaffen“ des Menschen
permanent widersetzt. Erkenntnis ist nicht reiner Selbstzweck, sofern mit dem
Selbst das in sich selbst gefesselte, nichtgemeinschaftliche Ego gemeint ist,
welches sich in der Welt vorrangig nur objektivierend nach autoritativen
Maßstäben zu orientieren vermag. Aber mit all dem habe ich mich umfassender in
meinen Beiträgen beschäftigt.
Wörter wie „Hingezogenfühlen“ oder „Begeisterung“ sind
nicht meine Zentralbegriffe bzw. – genauer – Zentralsymbole für existentielle
Phänomene, auf die ich mich berufe. Mein „Zentralbegriff“ an sich heißt:
Liebesintuition. Die Liebesintuition ist dem Menschen immanent gegeben und
bildet den wesentlichsten Kern seiner Erkenntnis überhaupt. Weitere
Ausführungen dazu finden Sie auf meiner Homepage.
Eckhart stehe ich kritisch gegenüber. Ich habe mich, ich
gebe zu, nicht erschöpfend intensiv mit ihm beschäftigt. Er gehört aber auch
nicht zu meinen „Quasi-‚Favoriten’“, sondern war für mich eine nicht ganz
unerhebliche Begegnung auf meinem geistigen Weg. Ich vermute eben gerade nicht in
der Abgeschiedenheit der Gottheit die Wahrheit an sich – im Gegensatz zu
Eckhart. Die Gottheit, die einen anderen bzw. anderes nicht kennt, kann meines
Erachtens als unergründliches Nichts, aber nicht als Wahrheit verstanden
werden. Denn Wahrheit ist für mich schöpferische Freiheit, gottmenschliche
Fülle, die eben nicht reines Nichts, sondern die Offenbarung der Gemeinschaft
von Persönlichkeiten in einer Persönlichkeit ist.
Ich behaupte in meinen Auseinandersetzungen gerade, daß
vom buddhistischen Ansatz her massiv spekuliert wird, d. h., die buddhistische
Philosophie resultiert oftmals aus einer Umdeutung existentieller Erfahrungen.
Ich bete Berdjajew nicht an, sondern fühle mich mit seinem
Denken innerlich und intuitiv verbunden.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Hübner
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