Gedanken zu Herrn Helmut
Walthers Homepage: Der Kreisbogen der Metaphysik.
Link zu Herrn Helmut
Walthers Antwort auf meinen Beitrag:
http://helmutwalther.privat.t-online.de/diskuss.htm
Lieber Herr Walther,
ich bin erst vor kurzem
auf Ihre sehr bemerkenswerte Homepage gestoßen und habe daher erst einige
wenige Beiträge lesen können. Doch schon diese haben mich sehr angeregt. Ich
selber verfolge einen vorrangig religiös-philosophischen Ansatz. Sie finden
diesen unter:
"Nikolai Berdjajew kontra
Ken Wilber. Von der personalen Wahrheit."
Insbesondere
interessierten mich zunächst Ihre Ansichten zu Geist und Bewußtsein, zur Ethik
und Evolution und darüber hinaus zum Buddhismus eines Keiji Nishitani, dessen
„Philosophie“ auch in mir Widerspruch erzeugt. Zunächst möchte ich einige mehr
oder weniger kritische Gedanken äußern, die sich hier und dort beim Lesen
einiger Ihrer Beiträge ergeben haben. Es folgt eine etwas intensiver durchgeführte
kritische Auseinandersetzung mit Ihrem Beitrag: „Das Wesen des Menschen im
Spiegel des Buddhismus“.
Auch auf die Gefahr hin,
daß ich Ihre Ausführungen eventuell nicht immer richtig interpretiert bzw.
verstanden habe und somit Ihnen nicht immer gerecht werde, habe ich folgendes
anzumerken:
Lebendiger Geist ist für
mich immer personal bewußter Geist. Der Geist ist immer in zweierlei Hinsicht
aktiv – in subjektiv-objektivierender (äußerer Rahmen) und
subjektiv-existentieller Weise (z. B. Liebe als ethische Grundintuition). Nur
der objektivierende Geist ist vor allem Werkzeug der selbstbewußten Person und
dient vorrangig zur pragmatischen Aneignung der dinghaften Welt, die die äußere
notwendige Lebensgrundlage für die partiell befreite Person bildet. Die Person
kann sich nicht mehr vollständig auf ihre Instinkte verlassen. Selbst
höherentwickelte Tiere müssen in ihrem Leben auf schöpferisch-geistige Kräfte
zurückgreifen, um sich in ihrem Umfeld im weitesten Sinne zurechtfinden zu
können. Geistig höherentwickelte Tiere träumen, wählen persönlich aus und sind
persönlich zugeneigt, sie entwickeln somit partiell freie soziale Beziehungen,
die nicht rein natürlich-instinktiv aufrechtzuerhalten sind, sondern persönlich
ausgebildete geistige Eigenschaften und freie nichtdeterministische Handlungen
erfordern. Also nicht nur der Mensch, sondern auch schon höherentwickelte
(partiell vom Instinkt befreite) Tiere besitzen eine „aktive Wahrnehmung“. Das
Vorhandensein eines Bewußtseins an sich, eines reinen Bewußtseins, schließe ich
aus.
Was sind Energie und
Materie? Bilden sie die Vorexistenz des lebendigen, d. h. des selbstbewußten
Geistes? Den Eindruck habe ich, wenn sie von der Materie und der Energie als
eine „Zweiheit in der Einheit“ sprechen, aus deren
Synthese sich der Geist („Leben“) entwickeln soll. Sie sagen: „... die Interaktion von
Materie und Energie führt zur Höherorganisation, als deren synthetisches
Produkt der Geist erscheint.“ Das kommt natürlich einer alles umfassenden
evolutionistischen Interpretation sehr entgegen. Hier hinein fällt auch der
Begriff „Élan vital“. Sie sagen: „E.v. bedeutet also in dieser Hinsicht nichts
anderes, als daß sich hier die Materie in einem anderem als dem anorganischen
Zustand befindet, eben in einem lebendigen.“ - Niemals jedoch wird sich die
Materie in einem lebendigen Zustand befinden wie der Mensch. Man muß deutlich
zwischen einem natürlich-organischen, unbewußt-nichtfühlenden Leben und dem
subjektiv-existentiell-geistigen, bewußt-fühlenden Leben unterscheiden -
analoge gleichsetzende Vergleiche zwischen dem natürlich-hierarchischen und dem
geistig-ganzheitlichen Leben sind unzulässig. Der Begriff „Leben“ wird in
vielerlei Hinsicht mißverständlich und irreführend gebraucht. Man muß immer
wieder deutlich machen, daß es weder auf einer natürlich-organischen
Realitätsstufe noch auf einer natürlich-anorganischen subjektiv-existentielles
Leben gibt. Der Geist ist ein ganzheitlich-personales
Phänomen. Geistige Erscheinungen wie: Empfindungen, Gefühle, Schmerzen, Leid,
Freude usw., sind außerhalb des ganzheitlich-personalen Bezugs nicht vorhanden.
Die geistige Kraft ist eine völlig außerhalb jeglicher physikalischer
Meßbarkeit vorhandene subjektive Realität. Materie und physikalisch-materielle
Energie sind dagegen meßbar. Nicht die Materie und die materielle Energie an
sich organisieren, sondern das Notwendigkeitsprinzip in der Materie und in der
Energie – das in der Materie und in der Energie waltende Naturgesetz, welches
sicherlich begrenzt ist und nur für die dinghafte Welt Gültigkeit besitzt, aber
eben nicht eine Materie-Energie-Form an sich darstellt. Entscheidender ist
aber, daß in der Natur auch ein Wirken in Richtung personaler Offenbarwerdung
stattfindet. Wir müssen aus diesem Grunde ein in Freiheit wirkendes unbewußtes
Prinzip (Logos-Sinn) annehmen, das die Evolution in die personale Richtung
lenkt, ansonsten wäre der menschliche Geist, der immer persönlicher Geist ist,
ja nur ein rein materielles Epiphänomen. Die fortwährende Neuartigkeit des
Geistes läßt sich rein materialistisch nicht erklären. Überhaupt läßt sich auch
jede höhere Stufe der evolutionären Entwicklung nicht rein
deterministisch-kausal erklären, da die fortwährend auftretende Neuartigkeit
einer jeweils höheren Stufe sich nicht logisch auf ihre vorherigen Stufen
zurückführen läßt. Nichtkausale Vorbedingungen auch für die Evolution stellen
das unergründliche Nichts und der Logos-Sinn dar. Letzterer offenbart sich
gänzlich erst dem zur Freiheit bestimmten Menschen als Logos-Gott bzw. als das
sinnfüllende Göttliche in uns (Liebe, Freiheit, Wahrheit verbunden mit einem
wahrhaften Ganzheitsgefühl – siehe: Berdjaew kontra Wilber).
Wenn Sie sagen: „Wie nun diese
Zustandsänderung von anorganischer zu organischer Materie bewirkt wird, ist bis
heute ebenso unbekannt wie die Erzeugung von Bewußtsein durch das Gehirn. Wir
können bis heute weder einen einzigen lebendigen Grashalm noch so etwas wie
Bewußtsein in Maschinen erzeugen, weil wir bis heute nicht wissen, wie Natur
diese qualitätsverändernde Emergenz gegenüber dem Vorzustand jeweils bewirkt.“
– so ist in dieser Aussage vom existentialistischen „Standpunkt“ aus schon der
Ansatz verkehrt, daß die „Natur diese qualitätsverändernde Emergenz gegenüber
dem Vorzustand jeweils“ bewirken soll. Das läuft auf einen materialistischen
Reduktionismus hinaus.
Sie sagen: „... die
Aufrufbarkeit von Erinnerungen in beliebiger Weise und unabhängig vom Außen
setzt im Gegenteil eine materielle Speicherung derselben voraus. Es kann
unmöglich gedacht werden, daß diese – wie denn, durch welchen deus ex machina –
quasi aus dem Nichts durch ein ‚Entgegenkommen’ (dann wohl der ‚dritten Art’)
selbst erst ‚erzeugt’ werden. Vielmehr muß diesem Erzeugen ein Vorhandenes
zugrundeliegen, nämlich eine chemisch-elektrische Verschlüsselung von
Erinnerungsgehalten in Form von Impulsmustern.“ – Auch in dieser Aussage meine
ich wiederum eine leichte reduktionistische Tendenz zu erkennen. Die letztlich
personal-bewußten Erinnerungen entstehen nicht ausschließlich kausal und
vollständig aus einer chemisch-elektrischen Verschlüsselung. Erinnerungen sind
im Menschen nicht abgespeichert wie in einem Computer. Menschliche Erinnerungen
sind immer dynamisch-lebendige Erinnerungen (auch wenn die Dynamik zuweilen auf
ein Minimum reduziert wurde) und bedürfen eines geistig-schöpferischen Aktes zu
ihrer subjektiven Hervorrufung. Denn der Erinnerungsprozeß ist immer ein
innerlich-aktiver Erkenntnisprozeß. Und da jede Erkenntnis neuartige und vorher
noch nie dagewesene Elemente beinhaltet, muß man, ob man will
oder nicht, auch ein „Entgegenkommen“ aus dem Nichts zulassen. Die
„Verschlüsselungen“ bilden in jedem Fall eine notwendige, aber dennoch nur sekundäre
Grundlage. Aber auch das Nichts allein würde gar nichts bewirken; es ist nicht
das Nichts, das Neues hervorbringt, sondern es bildet ausschließlich die
unergründliche, nichtkausale Vorbedingung des Neuen. Neues entsteht in der
Natur ursächlich aus der schöpferischen Verbindung von Nichts und
unbewußt wirkender Logos-Sinn. In der Person entsteht Neues ursächlich
auf sekundärer materiell-notwendiger Basis durch die dialogisch-schöpferische
Zwei-Einheit von schöpferischer Freiheit und Gott-Sinn. Übrigens kommt auch die
Urknall-Theorie an der metaphysischen Annahme eines vorseienden unergründlichen
Nichts nicht vorbei. Unsere Welt entstand nicht aus irgendeinem verschlüsselten
Code, sondern die Welt-Ursache ist absolut unermeßlich und an sich unergründbar
(Näheres siehe: Berdjajew kontra Wilber).
Ich kritisiere in meinem
Ansatz die Vorstellung von einer allumfassenden Evolution. Ich mache einen
Unterschied zwischen einem freien schöpferischen Akt bzw. einem
personal-ganzheitlichem Schaffen und der natürlichen Evolution, die mit dem
ersten Auftreten personal-freier Handlungen endet. Somit steht bei mir auch die
Behauptung einer sogenannten „kulturellen Evolution“ in der Kritik. Der Mensch
schafft eigenverantwortlich sein kulturelles Umfeld. Die Evolution kann dies
nicht leisten, sie ist auf die natürliche Notwendigkeit und einem in ihr
wirkenden unbewußten Logos-Sinn beschränkt. Den Einwand, daß auch die Kultur
oder der menschliche Geist sich in evolutionären Stufen entwickeln, kann ich
zurückweisen, da die Stufen der Kultur oder des Geistes nachweislich mit dem
Prinzip der natürlichen Hierarchie im Höchstfall nur korrespondieren und die
jeweils noch herrschende Abhängigkeit z. B. des Menschen oder der Kultur von
einem hierarchischen Prinzip repräsentieren. Aber wirklich geschaffen wird die
Kultur immer schöpferisch, d.h. nichtdeterministisch und frei durch den
Gottmenschen (worauf ich gleich zurückkommen werde) und nicht durch die
natürlichen Gesetze oder durch ein übergeordnetes außermenschlich-wirkendes Prinzip
(z. B. Logos-Sinn). Was den Menschen grundsätzlich motiviert, das sind
innermenschlich wirkende Prinzipien unmittelbar authentisch-existentieller,
d.h. göttlicher, aber auch objektivierter fremdbestimmter Art. Gerade der
fremdbestimmte Mensch schafft eben auch nach dem Prinzip der Notwendigkeit der
Natur, die ausschließlich in ihm zur Macht und Willkür pervertieren kann. Der
Mensch muß aber seine Kultur nicht schaffen in einer ganz bestimmten Weise und
kann die unterschiedlichsten Wege einschlagen oder kann absichtlich sein
kulturelles Wirken einschränken, um sich z. B. wahrhafter als gemeinschaftliche
Persönlichkeit realisieren oder um sich z. B. wieder einem einfachen Leben in
der Natur zuwenden zu können (ohne sich im letzteren Fall freilich über die
Tragweite seiner Entscheidung unbedingt bewußt zu sein – denn nichts wird
jemals wieder so sein, wie es unsere romantische Vorstellung uns verheißt). Der
Mensch ist das zur Freiheit bestimmte Wesen an sich. Und so läßt sich auch die
relativ stagnative Zeit vorgeschichtlicher Perioden der Menschheitskultur
dadurch erklären, daß das schöpferische Potential des Menschen noch nicht
tragfähig genug war, er sich also noch in starker Abhängigkeit von der Natur
befand und es nicht vermochte, den inneren dialogischen Prozeß mit den immanent
wirkenden überpersönlichen Werten (Liebe, Freiheit, Wahrheit, Gott)
entscheidend zu vertiefen. Überhaupt ist die Unberechenbarkeit kultureller
Entwicklung, die Diskontinuität der Geschichte, nur vom unberechenbaren
menschlichen Schaffen her erklärbar und nicht von einer vorrangig
gesetzmäßig-berechenbaren Entwicklung. Ich schreibe „vorrangig“, denn auch in
der Natur wirkt schon ein personaler Attraktor, d. h. ein unbewußt wirkender
Sinn hin zur Selbstoffenbarwerdung und ruft in der Natur ebenfalls
Diskontinuität hervor. Und die Offenbarung des Sinns ereignet sich letztlich im
Menschen, dessen tiefste Sehnsucht eben die Erfüllung dieses Sinns (Liebe) ist.
Aber gerade im Kosmos und in der Natur wird der unbewußt wirkende und verändernde
Sinn durch die vorherrschende Notwendigkeit gebunden und gefesselt, weshalb die
natürliche Evolution im Verhältnis zum menschlichen Schaffensprozeß äußerst
verlangsamt, quasi im Schneckentempo verläuft. Auch Liebe ist Erkenntnis und
zwar von Wahrheit. In meinem Ansatz behaupte ich einen unbewußt wirkenden
Logos-Sinn, der sich dynamisch-ganzheitlich in der Natur nicht verwirklichen
kann und erst im Menschen als Person schöpferisch-immanent als Logos-Gott
wahrgenommen wird - als ethische Grundintuition – als persönlichkeitsimmanente
Liebe – als höchstes personal-ethisches Prinzip. Deshalb auch das Paradoxon der
Wahrheit als Immanenz und Transzendenz als die wahrhaftige Zwei-Einheit der
gottmenschlichen Persönlichkeit. Kulturelle Entwicklung ist kulturelles
Schaffen des Menschen – kulturelle Entwicklung ist ein fortwährender
Befreiungsprozeß von der hierarchischen Abhängigkeit natürlicher Evolution, ist
ein fortwährendes Enden der natürlichen Evolution überhaupt. Nur in der Natur
herrscht Evolution, im gemeinschaftlich sich selbst verwirklichenden Menschen
dagegen schöpferische Freiheit. Weiterführende Gedanken zu all diesen
Überlegungen finden Sie auf meiner Homepage: Berdjajew kontra Wilber.
Wahre Zwei-Einheit von Geist
und Materie gibt es nicht. Denn erst der Geist erscheint real als
ein unbegrenzt dynamisch-wirkendes Prinzip in der Person, als ein
subjektiv-wertendes Ereignis der Persönlichkeit. Die Person als wahrhaft
mikrokosmische Konzentration ist die nichtkausale Bedingung für eine
freiheitlich-geistige Integration des Physischen und Seelischen in der
Persönlichkeit. Das Persönlichkeitsproblem findet in Ihren Darlegungen keine
tiefgründige Berücksichtigung – so habe ich es zumindest empfunden. Und auch
der Begriff der Realität bedarf immer einer genauen Erklärung: Primär ist die
geistige Realität, sekundär die äußere. Deshalb auch die Unterscheidung von
primär existentieller Erkenntnis und sekundär objektivierender Erkenntnis.
Beide Erkenntnisweisen sind für das personal-bewußte Leben unabdingbar, da die
Person sowohl wesentlich geistiger als auch sekundär irdischer Natur ist.
Dagegen ist die „Kugel“ nur relatives Ganzes als materiell-energetische
Verdichtung, aber die „Kugel“ ist nicht wahrhafte Ganzheit als Person. Der
„Kugel“ fehlt ein bewußtes existentiell-geistiges Zentrum (siehe: Berdjajew
kontra Wilber).
Was mir unter anderem
weiterhin auffiel:
Gibt es eine rein
„rationale Bewertung“? - Nein. Es gibt rationale Berechnungen verschiedenster
Art, die Bewertung ist ursprünglich immer vorrangig eine authentisch
intuitiv-geistige (Liebe, unmittelbares Gewissen) oder vorrangig eine
geistig-fremdbestimmte (z. B. das Über-Ich). Die Ratio ist immer von einer
übergeordneten „Bewertungsinstanz“ abhängig, welche die Richtung der Ratio
bestimmt. Die Ratio existiert letztlich nicht außerhalb des personalen Bezuges.
Und der ganze Erkenntnisakt ist immer mit Emotionen verbunden, auch wenn der
Mensch noch so abgeklärt oder apathisch ist. Der Verstand übernimmt niemals wirklich,
sondern nur scheinbar die Leitung bzw. Führung. Doch das Gewissen ist das
Ursprünglichste und Wesentlichste in uns, nicht im chronologischen, sondern im
freiheitlich-geistigen Sinne. Gewissen ist Liebe, Freiheit, Wahrheit in uns –
und all diese Aspekte sind das wahrhaft Göttliche in uns, unser
wahrhaft-dynamischer und nicht zeitlich-chronologischer Ursprung. Und Zeit an
sich ist nicht primär, sondern ist ein Aspekt des Wirkens der Freiheit als
Notwendigkeit in der objektivierten Welt. Und die Behauptung, daß die „... Ratio durchaus das
Bewußtsein von sich selbst hat...“ ist reine Theorie und ist mit der
existentiellen Wahrheit der Person nicht zu vereinbaren (siehe: Berdjajew kontra
Wilber).
Was ist „objektiv“? Dieser
Begriff suggeriert eine völlig falsche Vorstellung in jederlei Hinsicht. Was
sich z. B. als „äußere Wirklichkeit“ subjektiv in uns darstellt, ist immer eine
aktiv-schöpferisch durch das Subjekt objektivierte Sicht und keine objektive
Sicht, letztere suggeriert uns die Vorstellung, daß sich die „äußere
Wirklichkeit“ in uns einfach nur abspiegelt. Doch das ist grundlegend falsch:
Denn die „äußere Realität“ muß von uns innerlich neu erschaffen werden, um
erkannt werden zu können, und steht niemals in einer Eins-zu-Eins-Entsprechung
innerlich vor uns, sondern wurde durch unsere existentielle Motivation
verändert und emotional gefärbt. Die Abstraktion 1 + 1 ist natürlich jedes Mal
gleich 2, aber dieser innere Gedankenvorgang repräsentiert keine komplexe objektivierte
Erkenntnis der „äußeren Realität“. Mathematik an sich berücksichtigt nur die
Quantität, nicht die Qualität. Somit ist also auch die komplexe objektivierende
Erkenntnisweise ein schöpferischer Akt, der grundlegend existentiell motiviert
wird. Auch die Begriffsverbindungen „objektive Wahrheit“ oder „objektive
Realität“ können nicht aufrechterhalten werden (siehe: Berdjajew kontra
Wilber).
Problematisch ist, wenn
man allen lebendigen Organismen Bewußtsein zuerkennt. Bewußtsein muß immer
konkret als Selbstbewußtsein benannt werden. Wenn ich mir der Anwesenheit der
Dinge bewußt bin, so sind die Dinge nicht einfach nur bewußt, sondern mir,
meinem Ich, bewußt. Nicht alle lebendigen Organismen verfügen über ein
geistiges Ich und sind deshalb in ihren Beziehungen rein naturhaft festgelegt
(„Einschaltzustand eines Reaktionssystems“) und unpersönlich, d.h. wahllos bzw.
nicht bewußt entscheidungsfähig. Und mit der Begriffsverbindung „vegetative
Bewußtheit“ kann ich nichts anfangen. Bewußtsein ist immer personales
Bewußtsein und sonst nicht existent.
Für richtig halte ich
Ihren Gedanken, daß es eine Wiederholung von Gleichartigem im Verschiedenen
gibt. Hier liegt ein Paradoxon vor, wie überhaupt die Wahrheit paradox ist. Vom
religiös-philosophischen Standpunkt aus habe ich geschrieben (siehe in:
Berdjajew kontra Wilber): „Wir erinnern uns an das, was noch nie dagewesen ist,
– das ist das Paradoxon der Ewigkeit.“ (Das ist auch einer der wesentlichen
Merkmale der Persönlichkeit: Sie ist ständig im Wandel und dennoch wandellos,
sie verändert sich fortwährend und erkennt sich dennoch immer wieder.) - Es
kommt nun darauf an, was man unter einem „Gleichartigen“ versteht. Das
Naturgesetz wiederholt sich zwanghaft in unwiederholbarer Weise
als ein statisch-festgelegtes gleichartiges und allgemeinnotwendiges
Ordnungsprinzip ausschließlich in der objektivierten Welt. Anders verhält es
sich mit den ethischen Grundwerten – z. B. der Liebe. Sie ist gleichartig und
doch nicht gleichartig. Sie hat einen universellen und keinen allgemeingültigen
Charakter, denn sie ist als ein freies Wirkprinzip in jeder
Person und nur in der gemeinschaftlichen Person auf einzigartige Weise existent
und läuft nicht mit Notwendigkeit ab, wirkt aber auf die notwendige Welt
verändernd ein. Die Liebe ist mit einem inneren Gefühl höchster Bewegtheit und
dynamischer Fülle verbunden. Sie ereignet sich in jedem personalem Wesen auf
einzigartige und unwiederholbare Weise. Liebe ist die einzig mögliche Freiheit
und kann nicht vom Notwendigen her erklärt werden. Die Liebe ist Ursprung und
Gegenwart in der Person, die ein wesentlich geistiges Wesen ist.
Für falsch halte ich
ihre Feststellung: „Glück und Ethik verhalten sich wie Inhalt und
Form“. Der Begriff „Glück“ verneint den geistigen Aspekt des Leidens und ist
somit an und für sich genommen „leer“, d.h. mangelhaft. Wenn man davon ausgeht,
daß innermenschliche Wahrheit mit einer gänzlichen Befreiung vom Leiden
verbunden ist, nähert man sich auch und gerade der buddhistischen Leere.
Richtiger wäre: Liebe und Ethik verhalten sich wie Inhalt und Form. Und Liebe
ist vor allem auch das Leiden um die Welt. Ich werde diese Gedanken an dieser
Stelle nicht weiter ausführen, weil ich mich intensiv damit auf meiner Homepage
auseinandergesetzt habe.
Unter Ethik verstehe ich
keine vernunftgeleitete „Sittenlehre“, sondern die Hinterfragung unseres Lebens
von unserer individuell-religiösen Grundintuition aus. Ethik gibt nicht an, wie
die Menschen ihr „Glück“ im Zusammenleben mehren können, oder wie die ethische
Grundintuition auf ein vernünftig-begrenztes Mittelmaß reduziert werden kann,
sondern Ethik muß eine Philosophie (und keine verpflichtende Lehre) von der
gemeinschaftlichen Verwirklichung der existentiellen Wahrheit sein. Wahrhaft
ethische Philosophie orientiert auf die Realisierung der Persönlichkeit und
zugleich auf ein allumfassend gemeinschaftliches Leben in dieser Welt. Ethik
ist letztlich eine Philosophie, die sich aus der Liebe, der Freiheit und der
Wahrheit des personal-bewußten und denkenden Menschen dynamisch und fortwährend
vertiefend ergibt. Wahrhafte Ethik ist wahrhaft verändernde Ethik und ist
niemals mit „Erreichtem“ zu vereinbaren, sie ist zum einen auf die
Vergeistigung der zum Statischen tendierenden objektivierten Welt gerichtet.
Zum anderen ist das Schaffen der Ethik durch den Menschen wesentlich ein
schöpferischer Akt und ist fühlbar mit geistig-emotionalem
Aufschwung verbunden, da wir in diesem Schaffensprozeß unmittelbar in direkter
dialogisch-schöpferischer Beziehung zu Gott, als dem höchsten Wert, stehen. Und
so gesehen ist jeder wahrhafte Schaffensprozeß ein gottmenschliches Ereignis
von Wahrheit und kein Ereignis der Evolution.
Sie schreiben: „...religiöse Menschen wie
von innen her ethisch bewegte Menschen...“. – Warum machen sie hier einen Unterschied?
Der religiös bewegte Mensch ist ein ethisch bewegter Mensch und umgekehrt.
Für Sie ist Wahrheit
ausschließlich der Weg und kein Ziel. Aber es gibt viele Wege, die ich
beschreiten kann. Es muß deshalb ein Weg der Wahrheit gewählt werden, der somit
zugleich das Ziel ist. Ich sage: Wahrheit ist sowohl Weg als auch Ziel. Das
Ziel ist die Verwirklichung der ethisch-existentiellen Wahrheit, um die ich
fortwährend kämpfen muß, d.h. für die ich mich fortwährend innerlich und
personal-ganzheitlich auf den Weg begeben und in Bewegung setzen muß. Und
objektivierte Wahrheit ist immer nur relative und statische „Wahrheit“ (siehe:
Berdjajew kontra Wilber).
Ich habe den Eindruck,
daß Sie vom evolutionären Standpunkt aus eine chronologische Reihen- und Rangfolge
geistiger Erscheinungen der Entstehung nach annehmen und entsprechend
hierarchisch anordnen. Doch das personale selbstbestimmte Bewußtsein kennt
wesentlich eine solche Hierarchie nicht, da es sich als ein Ganzes wahrnimmt.
Die Hierarchie ist ein natürlich-zeitgebundenes Ordnungsprinzip und kann von
der Person geistig verinnerlicht und zum Maßstab erhoben werden. Auch die
Verinnerlichung des hierarchischen Prinzips durch die Person ist ein
schöpferischer Prozeß. Aber dieser Prozeß zerstört systematisch die
Persönlichkeit der Person und führt zur Selbstentfremdung, wenn auch niemals
gänzlich – der Kern bleibt immer erhalten. Im befreiten personalen Bewußtsein
herrscht keine natürliche Hierarchie, sondern schöpferische Freiheit. Im
personalen Bewußtsein wirken alle geistigen Phänomene in unterschiedlich
starker Intensität und Ausgeprägtheit immer zusammen und treten niemals
getrennt voneinander auf – sie bilden ein Ganzes. Der scheinbar gefühlskälteste
und zugleich rationalste Mensch z. B. hat in der Regel einen Automatismus
entwickelt, der die fortwährend aufsteigenden Emotionen, die immer geistiger
Art sind, sofort in destruktive Schattenemotionen umwandelt, die sich jedoch
gelegentlich in verheerender Weise Luft verschaffen können, wenn die
Verdrängungsenergie nicht mehr genügend vorhanden ist oder in besonderen
Situationen nicht ausreicht. Der Mensch ist grundsätzlich immer emotional,
selbst wenn er die Emotionen verdrängt. Und rein instinktive Emotionen schließe
ich aus. Emotionen werden immer von einer existentiell-geistigen Intuition
begleitet und ist diese auch noch so gering oder nur halbbewußt.
Fremdbestimmten Menschen paßt die geistige Intuition in der Regel oder
zumindest häufig nicht ins Konzept, und sie kämpfen gegen sie an. Rein
instinktives Verhalten ist emotionslos-unlebendiges Verhalten. Jede wahrhafte
Gewissensentscheidung ist somit auch eine emotionale Entscheidung. Es gibt ein
höchstes wertendes Zentrum, das für eine wahrhaft existentielle Philosophie
immer nur die sich gemeinschaftlich realisierende Persönlichkeit sein kann –
jedoch beinhaltet sie (die Persönlichkeit) alle qualitativen Aspekte bzw.
Eigenschaften des Geistes ganzheitlich und nicht hierarchisch. Der Verstand
steht als verbindendes Glied zwischen dem Reich der Freiheit und dem Reich der
Notwendigkeit und wird in diesem Zusammenhang als Vernunft wahrgenommen. Der
Verstand stellt jedoch keinen Wert bzw. kein wertendes Zentrum an sich dar, so
wie die objektivierte Welt an und für sich genommen Werte-los ist. Alles wird
erst vom freiheitlichen Geist her wahrhaft wert- und vor allem sinnvoll. Und
noch eine Bemerkung hinsichtlich des Geistes und der Hierarchie: Sie können z.
B. die „Kugel“ durch Hitze zerstören“, bis sie irgendwann nur noch einen
chaotisch zusammenhängenden Haufen „freischwebender“ Atome vorfinden.
Hierarchie bedeutet, daß die weniger komplexen Evolutionsstufen bei der
Zerstörung der komplexeren immer noch erhalten bleiben. Anders verhält es sich
mit der innergeistigen Realität, mit dem Selbstbewußtsein, mit der geistigen
Person als Ganzheit. Stirbt z. B. ein Mensch, so löst sich sein personaler
Geist nicht in einzelne Bestandteile auf, die existentiell fortbestehen können.
Erlöscht der personal-lebendige Geist, so erlöschen auch alle seine Aspekte
(Liebe, geistige Freiheit, Leid und Freude, Gewissen, aber auch Ratio usw.)
zugleich. Der personale Geist ist nicht teilbar im Gegensatz zu materiellen
Dingen. Damit ist klar, daß die Aspekte des personalen Geistes nicht
entsprechend natürlich-hierarchischer Ordnungsprinzipien funktionieren bzw.
sich nicht evolutionär hochorganisieren. Das, was man als Evolution des Geistes
zu bezeichnen pflegt, ist ausschließlich die Steigerung des rationalen
Vermögens in Anlehnung an komplexere Wirkmechanismen der gesetzmäßigen Welt.
Mittels seiner Ratio erschafft der Mensch zweifellos neue Dinge (Technik) oder
gewinnt neuartige Einsichten in objektivierender, aber auch existentieller
Weise. Doch die Ideen für z. B. eine neuartige Technik oder eine neue
wissenschaftliche Betrachtungsweise usw. sind ursprünglich immer
schöpferisch-existentiell motiviert. Ohne diese schöpferisch-existentielle
Motivation könnte die Ratio gar nicht in irgendeine Richtung wirksam werden –
z. B. kulturschaffend. Selbst den rationalsten Theorien eines Stephen Hawkings
liegen immer existentiell- bzw. religiös-philosophische Motive zugrunde, die
nicht einer evolutionären Entwicklung entsprungen sind, sondern ewig den
Menschen auf persönlich-einzigartige und unwiederholbare Weise beschäftigen.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn der Welt usw. ist jedem
Menschen erneut von vornherein und ursprünglich in die Wiege gelegt, auch wenn
er sich dieser Frage erst im nachhinein bewußt wird. Und die Antwort kann immer
nur eine schöpferische und individuell einzigartige sein. Für die Beantwortung
der Sinnfrage ist ein mehr oder weniger gesteigertes rationales Vermögen von
erheblicher und dennoch nur sekundärer Bedeutung. Erheben wir die Ratio zum
dominierenden Wert, wird unser Leben sinnlos, leer und destruktiv (z. B. Individualismus,
Egozentrismus, Kapitalismus und Geld usw.).
Und
hier nun meine Auseinandersetzung mit Ihrem Beitrag: „Das Wesen des Menschen im
Spiegel des Buddhismus“:
Ihre Kritik zu K.
Nishitanies „Feld der Leere“-„Philosophie“ findet an sich meine Zustimmung.
Aber Sie sagen: „Tod
führt also nur zum Nicht-Mehr-Dasein einer Funktion; mithin ist er nicht
gleichartig mit dem Nichts, sondern ein kleiner Ausschnitt der absoluten
Negativität in Bezug auf das Leben...“ – Aber der Tod in seiner Komplexität hat
auch einen positiven Wert in Bezug auf das Leben. Ich schrieb in „Berdjajew
kontra Wilber“: „Durch die Vertiefung der Liebe erkennt der Mensch die ewige
Bedeutung des Todes in dieser Welt zur Wahrheit hin. Indem der Mensch dem Tod
schöpferisch-liebend widerspricht, nimmt er ihn vor allem deshalb ganzheitlich
an. Der Tod ist ein ewiges Paradoxon der Liebe. Die Liebe durchlichtet den Tod
des Vergänglichen. Aber der Tod kann auch das Ende der Liebe sein (hier ist der
geistige Tod gemeint). Letztlich mahnt der Tod uns Menschen, zu lieben, damit
wir nicht dem Vergänglichen erliegen.“ – Und weiter schrieb ich: „Der Mensch
tritt allmählich, bis heute, aus der Abhängigkeit von einem Evolutionsprozeß
heraus, indem er sich von ihm wahrhaft geistig-schaffend befreit. Dieser Weg
ist nicht kontinuierlich und wird ständig vom Tod in jederlei Hinsicht bedroht.
Doch der endgültige Tod der Fäulnis und Verderbtheit eröffnet uns den Weg zu
neuem Leben – darin besteht der positive Wert des Todes.“ – Wenn man „Leben“
differenziert in organisch-natürlich-unbewußtes Leben und bewußt-geistiges
Leben erhält der Begriff „Tod“ dabei jeweils eine unterschiedliche Bedeutung.
Der geistige Tod kann zu einer sehr realen innermenschlichen Wirklichkeit
werden und Depressionen hervorrufen. Wir erfahren den Tod im Leben als
geistigen Tod.
Sie sagen: „Mystik ist identisch mit dem Vorgriff
auf jene maximale Potenz in der damit zwangsläufig verbundenen Erkenntnis der
Relativität auch noch dieser maximalen Potenz.“ – Sie setzen einfach eine „maximale
Potenz“ voraus. Was impliziert der Begriff „maximale Potenz“? Läßt dieser
Begriff Spielraum für wahrhaft schöpferische Neubildungen? Nein. Richtiger wäre
es, nach meinem intuitiven Verständnis, von einem unermeßlichen und
unergründbaren Potential zu sprechen, der Begriff „maximale Potenz“ dagegen
beschränkt alles auf ein Maximum. Doch das, was sich in der wahrhaft mystischen
Einsicht ereignet, ist nicht das Potential, sondern die unmittelbar erlebte
geistige Fülle des Potentials, die sich unermeßlich-dynamisch vertiefen kann.
Die Fülle des Potentials ist die ausdifferenzierte Fülle der Persönlichkeit,
die in ihrer Tiefe unermeßlich ist. Außerdem ist hier auch der symbolische
Begriff des „Gottmenschlichen“ von elementarer Bedeutung, der in Ihren Ausführungen
zu Nishitani leider keine Berücksichtigung findet. Der symbolische Begriff des
„Gottmenschlichen“ besagt, das Gott (Gewissensintuition, Gnade) und Mensch
(schöpferische Freiheit) im dialogischen Prozeß (Zwei-Einheit) sich gegenseitig
bereichern und die Wahrheit als unermeßliche geistige Freiheit (Liebe)
fortwährend vertiefen und erweitern. Wahrheit ist somit keine statische,
sondern eine absolut dynamische, subjektive und höchste Erkenntnis des
Gottmenschlichen. Diese Wahrheit ist die einzig authentische im Gegensatz zur
objektivierten Wahrheit, die lügenhaft ist. Existentielle Wahrheit hat nichts
mit einer „absoluten Wahrheit“ zu tun, die es nicht gibt (siehe: Berdjajew
kontra Wilber).
Sie sagen: „Wenn man
denn überhaupt diesen hergebrachten und zu Verwechslungen Anlaß gebenden
Begriff bemühen will, so ist ‚Seele’ ein bestimmter funktioneller
Vernetzungsbestand innerhalb des Seienden, des Anorganischen wie des
Lebendigen, so daß man von hier aus durchaus zurecht sagen könnte, die ganze
Natur ist ‚beseelt’. Dies ist natürlich nicht pantheistisch gemeint; vielmehr
ist ‚Seele’ diejenige Sphäre – was in dieser allgemeinen Sagweise durchgehend
durch die ganze Natur einschließlich des Menschen gilt –, in der sich die
aktive/lebendige Kraft eines jeden Seienden mit seinen ‚neuesten’, ‚obersten’
Rezeptions-‚Organen’ (die gerade seinen Platz in der Reihe des Seienden
bestimmen) für das andere Seiende verbindet. Dieses Verbinden
hängt in der Weise mit dem Sein zusammen, daß alles Sein Verbindung, Kommunikation
ist.“ – Auch hier trennen Sie wieder. Die Seele als Funktion –
das symbolisiert nicht die subjektiv-ganzheitlich erlebte Wahrheit der Person.
Seele ist immer Seelenbewußtsein. Seele an sich existiert nicht. Auch wenn man
geneigt ist von der „Seele der Natur“ zu sprechen, so entspricht dies
keineswegs der Wahrheit. Die Natur an sich ist unbewußt bis hin zu niederen
tierischen Lebewesen. Die unbewußte Natur erkennt niemals „neueste“, „oberste“
Rezeptions-„Organe“ und ist somit seelenlos. Die Seele ist wesentlich das
Selbstempfindungsbewußtsein und ist mit starken Emotionen und Gefühlen
verbunden, „sie entsteht fortwährend aus dem Zusammenwirken des inneren Sinns
(Gott) mit dem personalen Körper. Durch den schöpferischen Verbund mit Gott
wird die Seele (das Seelenbewußtsein) und mit ihr der Körper zur wahrhaften
Bestimmung vergeistigt“ (aus: Berdjajew kontra Wilber). Und alles Sein ist
nicht Kommunikation. Kommunikation erfordert den schöpferischen Akt der Person
und setzt Partizipation voraus (siehe auch: Berdjajew kontra Wilber). In der
Natur herrscht das gefühllose Gesetz. Und auch der Begriff „Sein“ ist unklar -
es stehen sich gegenüber: existentiell-bewußtes Sein und „objektiviertes
materielles bzw. symbolisches Sein“. Man kann beides nicht einfach so in einen
Topf werfen. Der Begriff „Sein“ hat darüber hinaus einen statischen Zug und
führt hinsichtlich der personalen Existenz zu mißverständlichen Vorstellungen.
Sie sagen: „Hingegen
zielt der (westliche) Wille zur Transzendenz nicht auf das Individuum, nicht
auf ein ‚wahres Selbst’ als ruhende Autarkie im Nichts, sondern auf einen
Beitrag innerhalb des Seienden, um den Sinn des Seins zu offenbaren. Der
unterschiedlichen Aktivität und innerlichen Weise der Liebe entspricht auch ein
anderer ‚Ort’ des ‚wahren’ Selbst im Individuum. Die Liebe zu Gott ist westlich
gesehen gleichbedeutend mit der Liebe zum Nächsten, eine umfassende und emporreißende
Liebe, ein Höher, das in der Realität über die Scheinhaftigkeit der
Ego-Funktionen hinaus will und alles Mitseiende in diesem gleichen Bezug zum
Gott sieht und dahinbringen will. Diese Gottesliebe fordert den Menschen zur
Leistung im Diesseits und stimmt so mit den objektiv beobachtbaren Abläufen des
Seienden, wie es bis zu uns selbst als Menschen hin geführt hat, im Antrieb zur
Steigerung zusammen, indem es Aktivität für und innerhalb des Diesseits
freisetzt, anstatt dieses zu fliehen.“ – Die Liebe zu Gott will nicht nur alles
auf Gott hin orientieren, sondern ist ein schöpferisches Bereichern Gottes
selbst durch die Freiheit des Menschen. Der geistig-freiheitliche Mensch bringt
Gott in den schöpferischen Verbund mit der Welt (über das Schaffen) und befreit
Gott fortwährend von seiner Einsamkeit (vor allem Gott leidet), und umgekehrt
führt Gott über den schöpferischen Dialog die menschliche Freiheit zu ihrer
wesentlichen gottmenschlichen Bestimmung. Im Menschen überwindet Gott und in
Gott der Mensch ihre Einsamkeit zur gemeinschaftlichen Wahrheit hin. Das
gleiche gilt für die Nächstenliebe. Die Gottesliebe ist keine Forderung an den
Menschen, wie Sie behaupten, Leistung im Diesseits zu erbringen, sondern ist
immer eine freie „Überredung“ zur Wahrheit, die sich erst über das Wirken in
dieser Welt letztlich innerlich offenbaren kann. Würde Gott nur Leistung im
Diesseits fordern, würde er der wesentlichen Liebeseigenschaft entbehren, wäre
er nur autoritätsfordernde magisch-orientierte mittelalterliche
Macht-Gott-Vorstellung. Gott und Freiheit bilden eine Zwei-Einheit. Ohne diese
Zwei-Einheit würde nichts existieren, nicht einmal die Notwendigkeit. Ich habe
sowieso den Eindruck, daß bei Ihnen die Freiheitsproblematik ziemlich
unreflektiert zurückgelassen wurde (siehe insbesondere auch hierzu: Berdjajew
kontra Wilber).
Sie sagen: „... weil
alle Metaphysik aus der Wesensabstraktion auf dem Spiegel der Vernunft
entstammt.“ – Wahrhaft ethische Philosophie ist auch eschatologische Metaphysik
(siehe dazu Nikolai Berdjajew: Versuch einer eschatologischen Metaphysik,
hartmut spenner waltrop, 2001). Wahrhaft eschatologische Metaphysik ist das
konsequente symbolische (und nicht abstrakte) weiter- und zu Ende denken der
gottmenschlichen Liebe.
Sie sagen: „Ebenso wird
die Welt nach dem Menschen ohne das Nichts sein, geradeso wie sie
ohne ‚Gott’ sein wird, wenn es nicht gelingt, daß der Mensch über sich
hinauswächst.“ – Auch nach dem Menschen wird aus dem Nichts heraus Neues
entstehen, ansonsten wäre das Nichts absolut und die Welt vom Augenblicke an
absolut statisch und nicht mehr existent. Das Nichts ist das metaphysische
Unergründliche und nicht vom Menschen abhängig. Aber ich stimme Ihnen zu, daß
der Mensch über sich hinauswachsen muß, denn es geht nicht nur um das
Diesseits, sondern vor allem auch um das Jenseits, d.h. um Gott in uns selbst,
der wiederum ohne uns Menschen (ansatzweise auch ohne höherentwickelte Tiere)
nicht als bewußter Gott (Gott-Sinn) existiert, sondern nur als unbewußter
Logos-Sinn innerhalb der notwendigen Welt im Verbund mit der Freiheit aus dem
Nichts heraus in eine personale Richtung wirken kann. Dabei ist dieser Logos-Sinn
im überaus starken Maße von den natürlich-kosmischen Bedingungen abhängig und
an diese partiell gefesselt.
Sie sagen: „Sodann, daß
wir unsere Vernunft zur Raison bringen, damit sie aufhöre, auf Grund ihrer
Unfähigkeit, ‚Gott gleich zu sein’, also aus der durchaus richtigen Erkenntnis,
selbst beschränkt zu sein, hinter sich wie hinter dem Seienden etwas zu
vermuten, was jeglichem Seienden erst ‚wahres Sein’ verleihen soll – und auf
diese Weise das Seiende zu entwerten.“ – Sehr wohl muß der Mensch in sich die
Vernunft von Gott her inhaltlich anfüllen und sie somit der Wahrheit annähern
bzw. sie mit dem Göttlichen in sich verbinden bzw. sie im
schöpferisch-dialogischen Verbund mit Gott zur Wahrheit hin vergeistigen. Gott
als der höchste und überpersönliche Wert verbindet sich mit uns zum „wahren
Sein“ und ruft wahrhafte Vernunft hervor. Aber was beinhaltet der diffuse
Begriff „das Seiende“? Wenn mit diesem Begriff etwa Existentielles und
Objektiviertes in einen Topf geworfen wird, dann wird auf diese Weise eine
pantheistische Sicht vertreten. „Das Seiende“ im wahrhaften Sinne kann immer
nur die subjektive Existenz sein, niemals das Objekt. Das Objekt ist einerseits
eine verhältnismäßige und erkenntnismäßige Gegenüberstellung und hat nichts mit
innerer existentieller Realität zu tun. Andererseits herrscht im Objekt
ausschließlich das Gesetz, die Notwendigkeit und nicht die personale Freiheit.
Es gibt also sowohl ein indirekt-äußeres Subjekt-Objekt-Verhältnis als auch
eine direkt-innere und schöpferische Subjekt-Subjekt-Beziehung (Gott-Mensch,
Gnade-Freiheit, Gewissen-Freiheit, Liebe-Freiheit, Mensch-Mensch,
Persönlichkeit-Persönlichkeit). Der Akt der Erkenntnis ist aber immer ein
ganzheitlicher, er ist wesentlich existentiell und umfaßt zugleich ein objektivierendes
Moment. Die Offenbarung der gottmenschlichen Wahrheit (existentiell höchste
Erkenntnis) basiert immer auf dem Wirken im Diesseits bzw. in der notwendigen
Welt. Die Gemeinschaft des Menschen mit Gott, mit den anderen Menschen, mit den
Tieren, Pflanzen und den Dingen basiert auf einem indirekten
Subjekt-Objekt-Verhältnis und wird direkt existentiell verwirklicht.
Sie sagen: „Weiter, daß
wir die berechtigte Kritik unserer Wahrnehmungs- und Interpretationsvermögen
von den Sinnen bis zur Vernunft nicht dahin überziehen, daß wir diese Vermögen
mittels Vernunft als zu einer ‚wahren’ Erkenntnis unfähig verwerfen, um in die
‚Tiefe’ der Mystik abzutauchen – welche Undankbarkeit!“ – Diese Kritik von
Ihnen trifft aber nur für eine „Leerheits-Mystik“ bzw. „Gottheits-Mystik“ zu.
Dagegen ist die mystische Erfahrung des Gottmenschlichen eine weltzugewandte
Gemeinschaftserfahrung und wird im schöpferischen Erwachen der gottmenschlichen
Liebe zum Nächsten, zur anderen göttlichen Person ursprünglich geboren. Wenn ich
sage, daß auch höherentwickelte Tiere liebevolle Zuneigungen empfinden, so sage
ich damit auch, daß auch schon in ihnen ansatzweise und noch dunkel das
Gottmenschliche am Erwachen ist. Ich halte den Übergang vom Tier zum Mensch
phylogenetisch in jederlei Hinsicht für nahezu fließend, auch wenn dieser
Übergang entscheidend von Diskontinuität geprägt wurde. Der Mensch ist nicht
plötzlich entstanden, sondern hat sich allmählich von der Natur befreit, und
dieser Prozeß wird auch fortgesetzt werden müssen, da der Mensch immer beides
ist – natürliches und primär freiheitlich-geistig-göttliches Wesen. Der Mensch
ist wahrhaft realexistierender Mikrokosmos.
Sie sagen: „Sodann das
Problem der Subjekt-Objekt-Beziehung: daß wir genötigt sind, Seiendes
einschließlich unserer selbst vorzustellen; dieser Umstand kann nicht
‚absolut’ und statisch überwunden werden, sondern ausschließlich empirisch und
dynamisch-kategoriell. Hat es sich doch erwiesen, daß der Glaube an die
Absolutheit der Erkenntnisfähigkeit in der Sinnlichkeit interpretiert durch den
Verstand, ebenso verkehrt war wie der Glaube an die ‚reine Vernunft’ in der
Metaphysik von den Griechen bis in die Idealphilosophie und den Materialismus.
So läßt sich schon jetzt prognostizieren, daß Seiendes, um wieviele Kategorien
mehr es in Zukunft auch immer geschichtet sein mag, zur absoluten Erkenntnis
nicht fähig sein wird.“ – Wenn Sie meinen, daß wir uns selbst nur in
objektivierender Weise erkennen bzw. erfahren können („daß wir genötigt sind,
Seiendes einschließlich unserer selbst vorzustellen“), so negieren Sie
im gleichen Atemzuge jegliche Möglichkeit eines unmittelbaren Selbst- bzw.
Ich-Bewußtseins. Wir erfahren uns nicht in der Gegenüberstellung, sondern
subjektiv-existentiell. Das unmittelbare Ich-Empfinden ist keine Reflexion,
sondern ein Gegebenes, ursprünglichster Ausgangspunkt. Ich schrieb in
„Berdjajew kontra Wilber“: „Erkenntnis ist sowohl innere, aktiv-schöpferische
Aneignung der Welt, d.h. Erkenntnis ist geistige Veränderung der Welt in
existentieller und objektivierender Weise, als vor allem auch ein
existentielles Ereignis gottmenschlicher Wahrheit. Für die objektivierende
Erkenntnisweise stehen sich nach dem grundlegenden Prinzip des ‚Zusammenwirkens
des Erkennenden und des Zu-Erkennenden’ (Berdjajew) Subjekt und Objekt
gegenüber und bilden eine verhältnismäßige, indirekte Einheit. Das aktive
Element ist immer einseitig das Subjekt und nicht das Objekt, weshalb diese
Erkenntnisweise sekundärer Art ist. Für die existentielle, primäre Erkenntnis
bildet die direkt-dialogische Einheit zweier voneinander differenzierter
Subjekte die unmittelbarste Voraussetzung; beide Subjekte stehen hier in
aktiver Beziehung zueinander.“ – Unter existentieller Erkenntnis verstehe ich
einen ganzheitlich innerlich-dialogischen Prozeß, die lebendig-aktiv-liebende
Beziehung zweier personaler Subjekte über das verbindende Prinzip Gott, bzw.
Erkenntnis ist letzten Endes die Liebe zu Gott selbst. Existentielle Erkenntnis
ist ein gemeinschaftliches Wachsen und eine gemeinschaftliche Erfüllung zur
Wahrheit hin. Aber auch mit den nichtpersonalen Lebensformen und Dingen kann
ich mich indirekt gemeinschaftlich verbinden, da sie in dynamischer oder
statischer Weise symbolischer Ausdruck des Geistes sind. Die Schönheit der
Symbole ruft in mir Liebe hervor. Schönheit verwirklicht sich auch auf diese
Weise abermals in mir als existentiell-personales Wesen. Erst von mir als
personales Wesen kann die Schönheit in dynamisch-bewegter Weise wahrgenommen
werden.
Sie sagen: „Hier liegt
die Selbstverwechslung zwischen Vermögen und Seiendem am Grunde, weil jedes
neue Vermögen, das noch nicht ausreflektiert ist, sich notwendig für das
höchste Erkenntnisvermögen hält und mit dem Ende der eigenen
Erkenntnisfähigkeit das Ende der Erkenntnisfähigkeit überhaupt ansetzt.“ – Sie
sprechen hier wieder ganz allgemein von Erkenntnis, doch es gibt immer sowohl
eine objektivierende meßbare Erkenntnis, die von jedem einzelnen Menschen immer
nur im begrenzten Umfang zu erfassen ist, als auch die existentielle Erkenntnis
der gottmenschlichen Liebe, der Freiheit, der Wahrheit – letztere Erkenntnis ist unermeßlich in
ihrer Tiefe und wird vom Menschen ganzheitlich erlebt (geistiges Fülle- bzw.
Ganzheitsgefühl, Liebe). Richtig ist auf jeden Fall, wie Sie das immer wieder
ansprechen, daß die Geschichte an und für sich und insbesondere der Erkenntnis
nicht zu vernachlässigen ist. Gerade auch die existentielle Wahrheit vertieft
sich mit dem Fortschreiten der geschichtlichen Ereignisse im weitesten Sinne.
Die Verquickung von Zeit und Überzeitlichem ist ein real erlebtes Paradoxon der
Persönlichkeit als Trägerin der existentiellen Wahrheit. Die Zeit an sich ist
eine diesseitige Erscheinung – hervorgegangen aus der unergründlichen Freiheit,
dem Nichts (siehe: Berdjajew kontra Wilber).
Sie sagen: „Die
allgemeinste Antwort muß im Hinblick auf Erkenntnis lauten, daß eine solche
immer dann richtig ist, wenn mit dieser Erkenntnis der mit jenem Vermögen
angestrebte Zweck erfüllt werden kann.“ – Eine der unmittelbarsten
existentiellen Erkenntniserfahrung ist die personale Liebe (damit verbunden
auch tiefstes Leid und höchste Freude zugleich, Gewissen, Gott-Mensch-Wahrheit
usw.). Die Vorstellung der Existenz einer allgemeinen Liebe ist reine
Konstruktion und Wunschdenken und entbehrt jeder Realität. Liebe existiert nur
in der Person und ist immer konkret bezogen. Die personale Liebe entzieht sich
Ihrer Erkenntnis-Definition, sie kann nicht vollständig und entgültig in einer
begrenzt-dinghaften Welt offenbart und erfüllt werden, da diese Welt der
Notwendigkeiten zum Statischen tendiert. Wahrhafte Liebe ist höchste dynamische
Erkenntnis als existentielle und einzig mögliche Wahrheit. Man sagt: Liebe
macht blind. Sie widersetzt sich dem Notwendigen (Aufopferung). Wahrhafte Liebe
ist fern aller utilitaristischen Zielsetzungen, denn in der Liebe wirkt das
Prinzip Freiheit. Die liebende Person strebt letztlich die Überwindung des
zeitlichen Vergänglichen an und will den Geliebten oder das Geliebte in das
überzeitliche Unvergängliche (zur Wahrheit hin) überführen. Die menschliche
Liebe ist unmittelbar-direkt die konkrete Liebe des Ich zum Du im Wir. Konkrete
Liebe ist Gemeinschaft, die sich von der liebenden Person aus konkret in die
objektivierte Welt hinein erstreckt (z. B. unsere Liebe zur Natur, aber auch zu
den Dingen, zu den wir eine persönliche Beziehung aufgebaut haben). Deshalb ist
die personale Liebe in ihrer wesentlichen Eigenschaft als eine geistige
Beziehungskraft schicksalhaft-tragisch auch mit der diesseitig-symbolisierten
Welt des Göttlichen (Symbol von Logos-Sinn und Gott) verbunden, einer Welt, in
der, vom personal-bewußten Standpunkt aus, das Prinzip von Gut und Böse
herrscht. Liebe ist somit weder richtig noch falsch im Sinne einer
zweckorientierten Welt. Liebe als Erkenntnis ist ausschließlich das Wirken der
gottmenschlichen Wahrheit, die keinem Zweck dient außer sich selbst als
Wahrheit für alle und zu allem.
Sie sagen: „Mithin: im
Seienden ist alles zugleich Subjekt und Objekt. Subjekt ist alles Seiende,
soweit seine eigenen Vermögen zu einem bestimmten Zweck aktiv in das
Umseiende hineinragen; Objekt ist alles Seiende, soweit es das Vorgestellte des
Umseienden, also anderer Subjekte ist.“ – Sie übertragen den
erkenntnistheoretischen Begriff „Subjekt“ (Ich) auf die objektivierte Welt,
genauer auf das energetische Wirken z. B. der Atome auf das „Umseiende“. Indem
dieses energetische Wirken z. B. der Atome in das „Umseiende“ hineinragt,
unterstellen sie diesem Wirken Subjektivität. Doch das energetische Wirken
entbehrt jeder subjektiven Eigenschaften – z. B. der Wahrnehmung, des
Ich-Empfindens, der Werturteile, der subjektiv-geistigen Freiheit.
Energetisches Wirken ist subjektiv nicht frei, sondern vollständig determiniert
entsprechend der Naturgesetze. Energetisches Wirken ist ein Aspekt der
objektivierten Welt und nicht subjektiv-reale Erscheinung - wo denn auch?? Die
Gleichsetzung von Subjekt und energetischem Wirken stellt sich für mich als ein
pantheistischer Versuch dar, alles auf ein absolutes Diesseits zu reduzieren.
Das kann man machen, aber man wird damit der subjektiv-existentiellen Wahrheit
nicht gerecht.
Sie sagen: „Nun, der
Mensch ist Objekt alles Seienden, das eine aktiv-subjektive (Zweck-) Beziehung
und eben damit auch das oder die entsprechenden ‚Vermögen’ in Richtung auf den
Menschen hat, von den Atomen über die Moleküle zu den Viren und Bakterien, von
den Krokodilen über die Nebenmenschen bis zu den ... Göttern. Ist der Mensch
aber auch ‚Objekt Gottes’? Dann müßte ‚Gott’ als Subjekt gedacht werden, mit
bestimmten Vermögen versehen, die sich auf den Menschen erstrecken – eben damit
wäre ‚Gott’ verfehlt, denn wessen Objekt sollte dann das ‚Subjekt Gott’ sein?
‚Gott’ wie das Nichts kann eben überhaupt nicht gedacht werden, weder
als Subjekt noch als Objekt noch deren ‚irgendwie’ geartete Vereinigung. Kein
Seiendes hat eine Beziehung zu ‚Gott’ über seine immanenten Funktionsvermögen
– Seiendes steht in Bezug zu ‚Gott’ durch sein Sein, als
kommunikativer Bezug im Seienden, als ‚Leben’.“ – Sie
schränken Ihre Behauptung von einer aktiv-subjektiven Beziehung sofort wieder
auf einen Zweck ein. Dies gilt jedoch nur für das Subjekt-Objekt-Verhältnis in
der diesseitigen Welt, in der die subjektiv-geistige Freiheit durch das Objekt
begrenzt wird. Da Sie die Möglichkeit eines rein subjektiven Gottes
ausschließen, der sich nur im schöpferischen Verbund mit der menschlichen
Freiheit subjektiv offenbaren kann (Subjekt-Subjekt-Beziehung), schließen Sie
gleichfalls die Möglichkeit der wahrhaft geistigen Freiheit des Menschen in
Gott aus. Gott kann sich nur subjektiv im Menschen offenbaren, da er eben nicht
Objekt bzw. in seiner wahrhaftigen Lebendigkeit nicht objektiviert ist.
Objektiviert wird er nur im Verhältnis zur gesetzmäßigen Welt durch den
menschlichen Verstand. Gott ist in der Tat „Leben“, weil er sich im
schöpferischen Verbund mit der Freiheit der Person als Wahrheits-Wert
(Gewissen) emotional-gefühlvoll und subjektiv-bewußt und
geistvoll/sinnvoll zu erkennen gibt. In der Materie findet dieser
emotional-gefühlvolle Prozeß, der vor allem mit Liebe, Leid und Freude
einhergeht, allerdings nicht statt. Wahrhaftes Leben kann nur geistiges Leben
sein. Jede gegenteilige Behauptung ist reine Spekulation (Ihr „Élan vital“),
genauso wie K. Nishitanis „Feld der Leere“ reine Spekulation ist, wie Sie,
soweit ich das überblicke, richtig festgestellt haben. Gott ist für mich
Persönlichkeit in meinem Herzen. Ich kann Gott verfehlen, wenn ich meinem
Herzen nicht freiheitlich-schöpferisch zugeneigt und somit geistig tot bin.
Nahezu geistig tot ist z. B. der ausgesprochene Egozentriker. Aber absolut
geistig tot kann ein Mensch niemals sein, solange er lebt, denn er leidet
letztlich immer an der Sinnlosigkeit und destruktiven Einsamkeit seines
Zustandes, - und auch dieses Leiden ist das Leiden Gottes in ihm (siehe: B.
kontra W.).
Sie sagen: „Dieses
Regulativ ist nicht ‚Gott’; vielmehr zeigen damit alle Seinsweisen des
Seienden, daß sie als rezipierende beziehungsweise reflektierende Seinsweisen
(atomare Ebene, Materie, Leben, Mensch) eine aufsteigende Linie darstellen und
in ihrer lebendigen Kommunikation eine Richtung ausbilden. Die
jeweils überlegene Seinsweise wickelt sich dabei bis an ihr Maximum aus, um
schließlich von den als Seiendes im Ganzen (Welt) ihn umgebenden
Regulativen entsprechend den herrschenden Bedingungen des Regulariums zurechtgestutzt
und festgestellt zu werden.
Im Prinzip hat auch der
Mensch im Zusammenstoß mit den Mitmenschen und der Welt die der Vernunft
zugehörigen Regulative bereits ausgewickelt – dies ist die Ethik.“
– Hier vertreten Sie einen absolut systematischen Ansatz, der in sich niemals
schlüssig sein kann. Sie vernachlässigen sträflichst die Diskontinuität in der
Entwicklung. Eine vollständig deterministische Festlegung durch die in den
„Seinsweisen“ vorgegebenen Richtungen vernichtet die Freiheit, die eine sehr
reale geistige Intuition im Menschen ist, vollständig – d.h. solch eine absolut
notwendige Welt kann in ihrer Unfreiheit überhaupt nichts Neues hervorbringen
und schließt Entstehung und Entwicklung von vornherein aus. Die „Ethik“, die
sie behaupten, ist eine reine Gesetzesethik und geht beim Verfolgen ihrer
unumstößlichen Regulative über den Menschen, der ein wesentlich zur Freiheit
bestimmtes Wesen ist, gnadenlos hinweg. Wahrhafte Veränderungen sind nicht
erwünscht, wie sich das auch in unserem heutigen Leben („Moderne“) immer wieder
zeigt. Auch ich behaupte nicht, daß Gott ein Regulativ ist, denn dann wäre auch
er Gesetz. Gott sucht nach seiner wahrhaften Freiheit, fordert sie aber nicht
im weltlich-deterministischen, sondern ausschließlich im religiösen Sinne
(Gewissen). Gott sehnt sich nach der dynamisch schöpferischen Kraft des
Menschen, mit dem erst er frei und undogmatisch zusammenwirken kann. Erst der
dialogisch-schöpferische Prozeß des Gottmenschen erzeugt die Freiheit, die
wahrhaft liebend und absolut fern jeder Macht und Gehorsamkeitsforderung die
Welt zur Schönheit überredet. Dagegen sind diesseitige Macht und reine
Gesetzlichkeit Ausgeburten der Häßlichkeit und des Bösen.
Sie sagen: „Die
immanente Ausdrucksweise der Existentialität und gleichzeitig der Aufweis der
Lebendigkeit ist Liebe in all ihren kategoriellen Formen von den Quarks
bis zum Menschen: Liebe ist die Sublimation jener anziehenden Kraft, die das
Seiende umgreift und in diesem Umgreifen ihre eigenen Steigerungsformen
hervorbingt.“ – Das ist reine abstrahierende Spekulation. Sie übertragen in
pantheistischer Art und Weise die innermenschlich-geistige Liebesintuition bzw.
Liebeserfahrung einfach auf die unbelebte Natur. So gesehen läßt sich dann
natürlich auch sehr schön eine allumfassende Evolution erklären.
Sie sagen: „Der innerliche
Aufweis der Transzendenz ist das Heilige als Innenwahrnehmung des Lebendigen
selbst, im Kern-Erleben unverbunden mit Bildern und Gefühlen, sich aber
all dieser Funktionen bedienend: der Gehalt des Weisens setzt sich in
diesem Erleben in Gedanken der Vernunft und Bilder des Verstandes um, und
erzeugt dabei das konzentrierteste Glücksgefühl. Dieser ‚positiven’ Definition
des Heiligen entspricht die abendländische Religiosität...“. – Religiosität als
Glücksgefühl – das ist Eudämonismus und stimmt nicht mit der wahrhaft
christlichen Religiosität überein, die sich vor allem auch zum freien
religiösen Leiden (siehe: B. kontra W.) bekennt, das diese Welt liebend umschließt.
Sie sagen: „Diese
erhöhende Weltzugewandtheit fehlt im östlichen Denken. Die Weltzuwendung gerade
des Besten und Höchsten besteht im Opfer: der Held der
Verstandeskategorie opfert sein Leben für Macht oder Überleben seiner
Mitmenschen; der Held der Vernunftkategorie opfert sein Leben beziehungsweise
sein Dasein einer Idee, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Kunst. Und der
Held der Transzendenz opfert sich für die Menschheit – er nimmt sein Kreuz auf
sich, stellvertretend für alle Menschen. Dieses ‚Opfer’ ist keine auf
die menschliche Spezies beschränkte ‚Existentiale’, sondern zieht sich im
Trial- and Error-Verfahren durch die gesamte Evolution als Mutation und
Selektion: die Erweiterung der umgreifenden Bahn des Lebendigen setzt sowohl
die jeweilige Phylogenesespitze und noch mehr echte Transzendenz/Innovation
immer einer Zerreißprobe im Widerspiel mit dem Bestehenden aus.“ – Die Trennung
von Verstand, Vernunft und Transzendenz lehne ich ab, da der Mensch immer
ganzheitlich agiert. Selbst der abgeklärteste Machtmensch leidet – und zwar an
seiner Einsamkeit. Auch der Machtmensch trägt immer noch den göttlichen Funken
in sich, ansonsten wäre er ja zur Hölle verdammt – eine unmenschlich-teuflische
Vorstellung, die absolut falsch ist. Die Freiheit ist für alle da – vor Gott
sind alle Menschen gleich. Und Opfer kann nur das personal-geistig freie
Subjekt leisten, für die nichtpersonal-unfreie Evolutionsform steht die Frage
des Opfers gar nicht, diese Evolutionsform fügt sich den Bedingungen und schert
nicht aus.
Zum Schluß sagen Sie:
„Hier soll natürlich keinerlei religiösem Glauben das Wort geredet werden:
Glaube meint hier jenen existentiellen Ent-Schluß, den jeder Mensch, sei es
bewußt oder in den verschiedensten Mischformen zwischen Ratio und Emotio
unbewußt, dadurch in sich trägt, daß er seine Existenz an ganz bestimmten
Werten und Urteilen entlang führt und damit eine bestimmte Gerichtetheit in sie
hineinbringt...“. – Ich sage: Grundlegend ist die Gerichtetheit der Werte
gegeben (Ewigkeit). Es kommt darauf an, daß das Individuum den Wert
schöpferisch-erweiternd erkennt und intensiviert und ihn sowohl über das
weltlich-irdische als auch wesentlich durch existentielles Wirken
(Zwei-Einheit) bereichert. Das Urbedürfnis nach Intensivierung der inneren
wahrhaften Werte (Liebe, Freiheit, Gewissen, Wahrheit) ist ein grundlegendes
und ursprünglich gegebenes Bedürfnis im Menschen, ist grundlegenste Motivation
des schöpferischen Handelns des Menschen in jederlei Hinsicht und
kann nicht in Frage gestellt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Hübner
Greifswald, 12.12.01
Link zu Herrn Helmut
Walthers Antwort auf meinen Beitrag:
http://helmutwalther.privat.t-online.de/diskuss.htm