Die
Stärke der Exit-Gruppe (zu ihr zählen die Autoren des Buches) besteht in der
Beschreibung unserer (u.a. auch globalen) gesellschaftlichen Situation:
Ausgeleuchtet und aufgedeckt diesbezüglich werden Charakteristika,
Verfallserscheinungen und -mechanismen, Tendenzen der
bürgerlich-kapitalistischen Ordnung bzw. Unordnung.
Die
große Lüge der Exit-Gruppe besteht in ihrer traditionell-erstarrten
atheistischen Grundhaltung. Einstmals war der Atheismus eine Bewegung zur
Befreiung von der Lüge eines unterwürfigen Gottesglaubens. Jetzt ist der Kampf
gegen den Gottesglauben degradiert zur Leugnung des Geistes universeller
Menschlichkeit, zu deren Grundwerten eben jene Freiheit gehört, die von der
Exit-Gruppe nur noch unter den Begriff "Der Alptraum der Freiheit"
fällt.
Schon
Nikolai Berdjajew hat in seinem Buch "Wahrheit und Lüge des
Kommunismus" (1931) die "eine große, antichristliche Lüge"
aufgedeckt, die die Wahrheiten des Kommunismus nach sozialer Gerechtigkeit etc.
entstellt und letztlich fruchtlos macht (siehe auch Wolfgang Dietrich:
Provokation der Person, 1975). Leider scheint die traditionell-atheistische
Grundhaltung der Exit-Gruppe eine relativierende Annährung an die Thesen
Berdjajews unmöglich zu machen. Die erstarrte Haltung verhindert so eine
wirklich tiefgreifende Auseinandersetzung u.a. mit dem Phänomen der Freiheit,
die sich eben entgegen Kurz' in keiner Weise "auf die Sphäre der
Zirkulation" "kapitalistischer Reproduktion" (S. 43) reduzieren
läßt. Der Begriff Freiheit im Titel des Buches nährt die Hoffnung einer diesmal
umfassenderen Besprechung des vielschichtigen Sinngehaltes der Freiheit. Diese
Hoffnung wird jedoch gänzlich enttäuscht. Die Besprechung der Freiheit in
diesem Buch ist eindimensional und philosophisch äußerst schwach.
Aber
nicht nur die Freiheit, sondern unter anderem auch das Bedürfnis nach Wahrheit,
nach Liebe, nach Gerechtigkeit läßt sich erst verstehen, wenn man bereit ist,
den existentiell-universellen Beweggründen des Menschen vorurteilslos Beachtung
zu schenken, Beweggründe, die jeder Mensch persönlich-einzigartig zum Teil im
Widerstand gegen eine von Menschen gemachte Welt des Gehorsams realisieren muß.
Man muß bereit sein, die religiöse Grundverfassung des Menschen anzuerkennen.
Ansonsten wird jede Gesellschaftskritik, ist sie auch noch so
"radikal", letztlich zumindest unwirksam bleiben oder unfreiwillig gar
einen Beitrag zu neuen Fetischverhältnissen leisten (letzteres habe ich auch
schon in meinen Entgegnungen "Existentielle Kritik kontra 'negatorische'
Kritik" angedeutet).
Greifswald,
06.07.2006
Email an die
Exit-Gruppe (14.02.2006):
ZU:
Tammo Jansen "Praxis und Theorie" (theory in progress)
"Das
Subjekt ist selber - soweit sollte es klar geworden sein - eine moderne, also
historisch erst vor kurzem entstandene Form, abstrahiert vom empirischen,
individuellen Menschen; die Subjektform abstrahiert zwar vom konkreten Inhalt,
sie ist aber dennoch bestimmt, und zwar formal durch das, was Robert Kurz mal
als MWW bezeichnet hat, sie ist strukturell männlich, weiß und westlich."
T.
Jansens Definition des Subjekts stimmt mit der gegenwärtig herrschenden
Definition der sogenannten Moderne vollkommen überein, d.h. auch wenn die
Moderne scheinheilig ein freies, ganzheitliches Subjekt propagiert. Denn genau
folgendes will ja die Moderne: das unpersönliche, formale, gehorsame Subjekt,
welches keine Skrupel kennt. Und der moderne Staat betrachtet wesentlich jeden
Menschen nur als ein anonymes, funktionierendes, untergeordnetes Formsubjekt.
So lange "radikale Kritik" mit der oben zitierten Subjektdefinition
übereinstimmt, kann sie keine wirkliche Kritik in diesem Punkt an den herrschenden
Verhältnissen üben. Ich selber soll jetzt vom Arbeitsamt finanziell
sanktioniert werden (Abbruch "1-Euro-Job-Maßnahme"), weil ich mich
eben gerade auf mein Tiefensubjekt, d.h. auf meine die Umwelt im weitesten
Sinne transzendierende Persönlichkeit, in der Bewertung der gesellschaftlichen
etc. Verhältnisse berufe. Doch meine Persönlichkeit erfahre ich als mein
geistig-subjektives Existieren, ich erfahre mich als ganze Person
(körperlich-seelisch-geistig) und nicht als irgendeine "empirische"
Größe, wie Jansen es indirekt behauptet. Die Persönlichkeit nehme ich unter
anderem wahr als mein authentisches Gewissen, welches sich grundlegend von
einem zur Selbstverleugnung auffordernden Subjektformgewissen (autoritäres
"Über-Ich") unterscheidet.
Wie
erfahre ich mich primär selbst, empirisch oder geistig?! Was ist denn der
primär-konkrete Inhalt? Kann es so etwas wie empirische (reine) Erfahrungen
überhaupt geben? Gebe ich nicht etwas gänzlich Neues und eigenes der Erfahrung
schöpferisch-geistig hinzu, oder ist dies schon wieder zu religiös? Die
Beantwortung der Fragen ist natürlich auch wieder abhängig von der
Begriffsdefinition. Aber so, wie es sich bei Jansen darstellt, begreift
"radikale Kritik" den Menschen vom (gesellschaftlichen) Sein oder gar
von der Natur etc., d.h. irgendwie von unten her: Das Sein bestimmt das
Bewußtsein. So gesehen müßte ein vom menschlichen Zutun unabhängiges Wunder
geschehen, um von der Determination der Moderne erlöst zu werden. Denn das
gegenwärtige unschöpferische (gesellschaftliche, kollektive) Sein kann immer
nur sich selbst bestätigen.
Es
tut mir immer wieder weh, daß die Exit-Gruppe (und nicht nur sie) einer
dogmatischen Subjektkritik verhaftet bleibt. Das ist für das Vorantreiben einer
tiefgehenden Gesellschaftskritik, tiefgehender gesellschaftlicher Veränderungen
äußerst kontraproduktiv! Im Sinne einer anderen Subjektkritik stehe ich
weiterhin zu meinen Ausführungen: Entgegnungen zu R. Kurz' "radikaler
Kritik" http://www.oocities.org/de/dirkhuebner66/Entgegnungen.htm
Mit
freundlichen Grüßen
Dirk
Hübner
(Ich
erhielt bisher keine Antworten/Reaktionen seitens der Exit-Gruppe.)