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Dirk Hübner

Rezension für amazon.de zum Buch: Der Alptraum der Freiheit (von Robert Kurz, Roswitha Scholz, Jörg Ulrich)

 

Diese Art der Freitheitsdeutung ist ein "Alptraum"

 

 

Die Stärke der Exit-Gruppe (zu ihr zählen die Autoren des Buches) besteht in der Beschreibung unserer (u.a. auch globalen) gesellschaftlichen Situation: Ausgeleuchtet und aufgedeckt diesbezüglich werden Charakteristika, Verfallserscheinungen und -mechanismen, Tendenzen der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung bzw. Unordnung.

Die große Lüge der Exit-Gruppe besteht in ihrer traditionell-erstarrten atheistischen Grundhaltung. Einstmals war der Atheismus eine Bewegung zur Befreiung von der Lüge eines unterwürfigen Gottesglaubens. Jetzt ist der Kampf gegen den Gottesglauben degradiert zur Leugnung des Geistes universeller Menschlichkeit, zu deren Grundwerten eben jene Freiheit gehört, die von der Exit-Gruppe nur noch unter den Begriff "Der Alptraum der Freiheit" fällt.

 

Schon Nikolai Berdjajew hat in seinem Buch "Wahrheit und Lüge des Kommunismus" (1931) die "eine große, antichristliche Lüge" aufgedeckt, die die Wahrheiten des Kommunismus nach sozialer Gerechtigkeit etc. entstellt und letztlich fruchtlos macht (siehe auch Wolfgang Dietrich: Provokation der Person, 1975). Leider scheint die traditionell-atheistische Grundhaltung der Exit-Gruppe eine relativierende Annährung an die Thesen Berdjajews unmöglich zu machen. Die erstarrte Haltung verhindert so eine wirklich tiefgreifende Auseinandersetzung u.a. mit dem Phänomen der Freiheit, die sich eben entgegen Kurz' in keiner Weise "auf die Sphäre der Zirkulation" "kapitalistischer Reproduktion" (S. 43) reduzieren läßt. Der Begriff Freiheit im Titel des Buches nährt die Hoffnung einer diesmal umfassenderen Besprechung des vielschichtigen Sinngehaltes der Freiheit. Diese Hoffnung wird jedoch gänzlich enttäuscht. Die Besprechung der Freiheit in diesem Buch ist eindimensional und philosophisch äußerst schwach.

 

Aber nicht nur die Freiheit, sondern unter anderem auch das Bedürfnis nach Wahrheit, nach Liebe, nach Gerechtigkeit läßt sich erst verstehen, wenn man bereit ist, den existentiell-universellen Beweggründen des Menschen vorurteilslos Beachtung zu schenken, Beweggründe, die jeder Mensch persönlich-einzigartig zum Teil im Widerstand gegen eine von Menschen gemachte Welt des Gehorsams realisieren muß. Man muß bereit sein, die religiöse Grundverfassung des Menschen anzuerkennen. Ansonsten wird jede Gesellschaftskritik, ist sie auch noch so "radikal", letztlich zumindest unwirksam bleiben oder unfreiwillig gar einen Beitrag zu neuen Fetischverhältnissen leisten (letzteres habe ich auch schon in meinen Entgegnungen "Existentielle Kritik kontra 'negatorische' Kritik" angedeutet).

 

Greifswald, 06.07.2006

 

 

Email an die Exit-Gruppe (14.02.2006):

 

ZU: Tammo Jansen "Praxis und Theorie" (theory in progress)

 

"Das Subjekt ist selber - soweit sollte es klar geworden sein - eine moderne, also historisch erst vor kurzem entstandene Form, abstrahiert vom empirischen, individuellen Menschen; die Subjektform abstrahiert zwar vom konkreten Inhalt, sie ist aber dennoch bestimmt, und zwar formal durch das, was Robert Kurz mal als MWW bezeichnet hat, sie ist strukturell männlich, weiß und westlich."

 

T. Jansens Definition des Subjekts stimmt mit der gegenwärtig herrschenden Definition der sogenannten Moderne vollkommen überein, d.h. auch wenn die Moderne scheinheilig ein freies, ganzheitliches Subjekt propagiert. Denn genau folgendes will ja die Moderne: das unpersönliche, formale, gehorsame Subjekt, welches keine Skrupel kennt. Und der moderne Staat betrachtet wesentlich jeden Menschen nur als ein anonymes, funktionierendes, untergeordnetes Formsubjekt. So lange "radikale Kritik" mit der oben zitierten Subjektdefinition übereinstimmt, kann sie keine wirkliche Kritik in diesem Punkt an den herrschenden Verhältnissen üben. Ich selber soll jetzt vom Arbeitsamt finanziell sanktioniert werden (Abbruch "1-Euro-Job-Maßnahme"), weil ich mich eben gerade auf mein Tiefensubjekt, d.h. auf meine die Umwelt im weitesten Sinne transzendierende Persönlichkeit, in der Bewertung der gesellschaftlichen etc. Verhältnisse berufe. Doch meine Persönlichkeit erfahre ich als mein geistig-subjektives Existieren, ich erfahre mich als ganze Person (körperlich-seelisch-geistig) und nicht als irgendeine "empirische" Größe, wie Jansen es indirekt behauptet. Die Persönlichkeit nehme ich unter anderem wahr als mein authentisches Gewissen, welches sich grundlegend von einem zur Selbstverleugnung auffordernden Subjektformgewissen (autoritäres "Über-Ich") unterscheidet.

 

Wie erfahre ich mich primär selbst, empirisch oder geistig?! Was ist denn der primär-konkrete Inhalt? Kann es so etwas wie empirische (reine) Erfahrungen überhaupt geben? Gebe ich nicht etwas gänzlich Neues und eigenes der Erfahrung schöpferisch-geistig hinzu, oder ist dies schon wieder zu religiös? Die Beantwortung der Fragen ist natürlich auch wieder abhängig von der Begriffsdefinition. Aber so, wie es sich bei Jansen darstellt, begreift "radikale Kritik" den Menschen vom (gesellschaftlichen) Sein oder gar von der Natur etc., d.h. irgendwie von unten her: Das Sein bestimmt das Bewußtsein. So gesehen müßte ein vom menschlichen Zutun unabhängiges Wunder geschehen, um von der Determination der Moderne erlöst zu werden. Denn das gegenwärtige unschöpferische (gesellschaftliche, kollektive) Sein kann immer nur sich selbst bestätigen.

 

Es tut mir immer wieder weh, daß die Exit-Gruppe (und nicht nur sie) einer dogmatischen Subjektkritik verhaftet bleibt. Das ist für das Vorantreiben einer tiefgehenden Gesellschaftskritik, tiefgehender gesellschaftlicher Veränderungen äußerst kontraproduktiv! Im Sinne einer anderen Subjektkritik stehe ich weiterhin zu meinen Ausführungen: Entgegnungen zu R. Kurz' "radikaler Kritik" http://www.oocities.org/de/dirkhuebner66/Entgegnungen.htm

 

Mit freundlichen Grüßen

Dirk Hübner

 

(Ich erhielt bisher keine Antworten/Reaktionen seitens der Exit-Gruppe.)

 

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