Weiterhin:
Meine Gedanken
zu: "Die verlorene Ehre der Arbeit" von Robert Kurz
Rezension
zu:
Robert
Kurz - "Schwarzbuch Kapitalismus - Ein Abgesang auf die
Marktwirtschaft"
(geändert
am 28.11.2003)
Das "Schwarzbuch Kapitalismus" ist eine
kompromißlos scharfsinnige und scharfzüngige Darlegung der Faktizität
kapitalistisch-perverser Entartung der "schönen Maschine". Die
"schöne Maschine", so Kurz, ist das grundlegende Prinzip des
Kapitalismus/Liberalismus, welches das Leben des Menschen in einem Umfang
usurpiert hat, daß es ihm kaum noch möglich ist, durch selbstbestimmte
Anstrengung aus diesem Zustand der Entfremdung bzw. Unmündigkeit herauszukommen.
Jahrhunderte kapitalistischen "Viehzuchtsystems" hat den Menschen
gerade in den reichen Industrienationen zu einem willfährigen,
funktionstüchtigen Sklaven gemacht, der nicht mehr weiß, ja nicht mehr wissen
will (z. B. korrumpiert durch Konsum etc.), was mit ihm geschehen ist und
fortlaufend geschieht. Dies ist vor allem auch ein
emotional-psychisch-geistiges Problem: Denn was wird geschehen, wenn wir uns
eines Tages nicht mehr genügend kompensatorisches Spielzeug, kompensatorische
Vergnügungsfahrten etc. leisten können?! Was wird geschehen, wenn all die
Verletzungen und Erniedrigungen, die ständig verdrängt wurden und im Unbewußten
ein dämonisch-destruktives Eigenleben entwickelt haben (Schattenemotionen),
nicht mehr gebändigt werden können und mit Vehemenz an die Oberfläche drängen?!
Kurz beschwört eine "Kritische Theorie", um
"sich von der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen." Doch
grau ist alle Theorie, ist sie nur ein distanziertes Ab- und Einschätzen aller
Umstände und Faktoren. Anders die Theorie, die uns Kurz präsentiert: Sie wird
getragen von einer wahrhaft leidenschaftlichen Empörung, die sich der
entwürdigenden und terrorisierenden "schönen Maschine"
entgegenstellt. Gerade auch das war es, was mich an diesem Buch begeistert und
gefesselt hat!
Robert Kurz hat mit diesem Buch die Kapitalismuskritik auf
einen zeitgemäßen Stand gebracht, was dringend nötig war. Äußerst bestechend
und überzeugend wirkt hierbei die Zusammenstellung und Aufarbeitung des
faktenreichen Materials und die sich daran anschließende, gut nachvollziehbare
Argumentation, daß die Logik des kapitalistisch-liberalen Systems zur
Zerstörung des Menschen in physischer und geistiger Hinsicht sowie seiner
Lebensgrundlagen führen muß. Gerade in diesem Sinne ist das Werk von Karl Marx
aktuell wie nie zuvor. Wie rasch sich die kapitalistische Todesspirale auf ihr
Ende zubewegen wird, das ist wohl dennoch schwer zu prophezeien.
Ich bin nicht der Ansicht, daß das kapitalistische System
durch die Logik seiner inneren Widersprüche sich selbst vollständig vernichten
wird. Die Menschen werden das kapitalistische Wirtschaften immer wieder in Gang
setzen, solange sie sich bereitwillig von der wirtschaftsliberalen Logik
vernebeln bzw. vereinnahmen lassen (in der Hoffnung, daß sie zumindest besser
damit fahren als die anderen), solange sie die damit verbundene Sinnlosigkeit
noch ertragen und sie keine Alternative sehen, solange ihnen die grausamen
Opfer im weitesten Sinne, die dieses Wirtschaften hervorbringt, egal sind! Was
mir gerade aus diesem Grunde im Schwarzbuch Kapitalismus zu kurz kommt, ist die
Frage nach dem Menschen, der, u.a. getrieben vom eingeimpften schlechten
Gewissen, das kapitalistische System bedient. Kurz macht immer wieder deutlich,
daß die Würde des Menschen in jederlei Hinsicht mit der zerstörerischen
Irrationalität des Kapitalismus nicht vereinbar ist. Aber worin besteht denn
die authentische Würde des Menschen, worin seine authentische Bestimmung? Eine
umfassende Kapitalismuskritik muß meines Erachtens auch dieser Frage gründlich
nachgehen. Wie können wir uns den Menschen außerhalb der Kapitalismuszwänge
konkret vorstellen? Was tritt an die Stelle der "Gehirnwäsche des
Liberalismus und seines Bentham-Systems", der "verinnerlichten Zwänge
und Zumutungen der blinden Geldmaschine"? Kann es wirklich salopp
ausgedrückt zunächst nur darum gehen, "sich unbefangen dem Verhältnis von
vorhandenen Ressourcen und ihrer vernünftigen gesellschaftlichen Anwendung
stellen zu können" oder muß nicht zumindest parallel oder gar zuerst eine
radikale Bewußtseinswandlung eintreten? Wie füllen wir die "Muße"
inhaltlich aus und zu welchem Zweck? Wie verhält es sich mit der Motivation des
Menschen hinsichtlich Selbstverwirklichung/Selbsterkenntnis über den Kontext
widriger kapitalistischer Umstände hinaus? Welchen Stellenwert hat diese
Motivation und ihre Verwirklichung angesichts notwendiger gesellschaftlicher
Veränderungen? Und welcher Art ist diese Motivation grundlegend? Ich nehme mir
an dieser Stelle heraus, darauf aufmerksam zu machen, daß sich mit der
Problematik des Menschen auch angesichts seiner kapitalistischen
"Verwurstung" (R. Kurz) vor allem auch Nikolai Berdjajew sehr
tiefgehend auseinandergesetzt hat (siehe auch amazon.de), der selber im starken
Maße von Marx beeinflußt war und dessen Werk tiefgehend und vor allem
schöpferisch in sein Denken aufnahm. Heidegger behauptete (in
"Metaphysik"), eine christliche Philosophie sei ein Mißverständnis.
Berdjajew hat diese Behauptung meines Erachtens widerlegt. Die christliche
Philosophie eines Berdjajews ist kein Opium für das Volk, sondern ein Aufruf
zur Befreiung von innen heraus, ohne die alle noch so scharfsinnige Theorie ins
Leere laufen und sich in unendliche Widersprüche verstricken würde. Theorie,
Befreiung von innen heraus (Selbsterkenntnis) und der praktische Bezug bzw. die
äußerliche Befreiung müssen zusammenfließen.
Robert Kurz' Theorie läuft allerdings nicht ins Leere, da
sie von einer innerlich selbstbestimmten, authentischen Freiheit im geistigen
Kampf gegen die menschenunwürdigen Verhältnissen in unserer Welt angetrieben
wird und zu tiefgreifenden Veränderungen drängt. Und so pessimistisch die Lage
von Kurz auch eingeschätzt wird, seine Einschätzung bietet unendlich mehr
Hoffnung als jede zweckoptimistische Verharmlosung und Beschönigung!
Kritisch bemerken möchte ich vor allem, daß ich nicht der
Ansicht bin, daß Demokratie zwangsläufig immer kapitalistische Demokratie sein
muß. Vielleicht wird hier der Begriff Demokratie von Kurz etwas zu eng gefaßt.
Können Kapitalismus und Demokratie nicht auch zwei sich grundlegend
widersprechende Begriffe sein? Ich denke, eine freie Demokratie
("umfassende Rätesystem", "Selbstverwaltung" - siehe
Epilog) wäre bei einer an den menschlichen Grundwerten (Liebe, Gerechtigkeit,
Freiheit, Solidarität etc.) orientierten Gesellschafts- und
Bewußtseinsverfassung möglich, im kapitalistischen Verwertungssystem dagegen
nicht - entgegen der Lügenparolen der Politiker bzw. der Apologeten des
Wirtschaftsliberalismus.
Sehr gut nachvollziehbar ist Kurz' Kritik am
"ethischen Zirkus, dessen Aufführungen in den 90er Jahren immer
idiotischer geworden sind" (siehe Epilog). Es fehlt mir in diesem
Zusammenhang jedoch ein Verweis auf eine Ethik, die dieser Bezeichnung gerecht
wird. Die Auseinandersetzung mit einer Ethik des Menschen ist unverzichtbar.
Gerade in dieser Hinsicht hat Berdjajew viel zu sagen.
Ob Geldkritik oder Abschaffung des Staates, ob
Gleichsetzung von Kapitalismus und Demokratie oder nicht - das entscheidende
Kriterium hinsichtlich eines anderen Lebens ist letztlich der zu sich selbst
kommende Mensch als ein solidarisches und vor allem liebendes Wesen, welches im
Kapitalismus/Liberalismus nicht wirklich gewollt wird bzw. für dieses System
eine Gefahr darstellt.
Im Sinne einer besseren, einer anderen Welt sollte
"Schwarzbuch Kapitalismus" unbedingt gelesen werden!
Dirk Hübner, 3.11.2003
(Geschrieben für amazon.de.)
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zu: "Die verlorene Ehre der Arbeit" von Robert Kurz