Dirk Hübner
Ausführlichere
Variante meiner Rezension für amazon.de zu:
Robert Kurz: Das Weltkapital, 1.
Auflage: Berlin 2005, Verlag Klaus Bittermann
Robert Kurz
eröffnet uns in sehr überzeugender Weise einen Einblick in den globalen
Zerfallsmechanismus kapitalistischer Zwangsökonomie, die sich in einem
immanenten und unaufhebbaren Widerspruch befindet. Der Kapitalismus bewegt sich
unaufhörlich auf sein destruktives, barbarisches Ende zu. Angesichts dieser
Entwicklung genügt es laut Kurz nicht, "das unmittelbare Erleben mit einem
vagen antikapitalistischen Gefühl zu verbinden. Eine neue Erklärung der Logik
und Geschichte des Kapitalismus ist gefragt, eine neue Analyse der Entwicklung
des Weltmarkts, die heute den seit dem 19. Jahrhundert ausgebildeten
nationalökonomischen Rahmen sprengt." (S. 34). Kurz wendet sich vor allem
gegen eine "verkürzte Kapitalismuskritik", die meint, eine gesonderte
Kritik am Finanzkapital üben zu können, ohne dabei gleichzeitig das Kapital
überhaupt als Weltsystem/-kapital in Frage stellen zu müssen. Eine "verkürzte
Kapitalismuskritik" macht sich demnach mehr oder weniger unfreiwillig
eines "strukturellen Antisemitismus" schuldig. Kurz kann in diesem
Punkt Elmar Altvater (Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac
Deutschland) zustimmend zitieren: "Nun ist es tatsächlich nur noch ein
kleiner Schritt von der Konstatierung der 'Macht des Geldes' zu der
Identifizierung und Diffamierung einer 'Jüdischen Clique von internationalen
Bankiers'..." (S. 357).
Die reale
Kapitalakkumulation allein erzielt immer weniger Mehrwert, der für das
Funktionieren dieser Akkumulation dringend erforderlich ist. Dies ist in erster
Linie der dritten industriellen Revolution geschuldet (Rationalisierungsprozeß
durch Mikroelektronik, "Obsoletwerden der 'abstrakten Arbeit' ...").
Die in der Folge entstandene entsubstantialisierte
"Finanzblasenindustrie" (fiktives Kapital) sucht nun die Grenzen des
Weltkapitals immer weiter hinauszuschieben und ist somit ein sich aus der
realen Akkumulationskrise ergebender Teil des Kapitalismus und nicht dessen
eigentliches Problem. Das eigentliche, unakzeptable Problem, so stellt Kurz
immer wieder fest, ist der Kapitalismus selbst als ein global umfassendes, in
die Welt des täglichen Lebens der Menschen (geistig-seelisch-physische
Zerrüttung, abstrakte Arbeit, zwischenmenschliche Konkurrenz etc.)
hineinreichendes Weltsystem.
Für Robert
Kurz ist klar: Der unaufhebbare Widerspruch von Nationalökonomie und Weltmarkt
erlaubt keine immanenten Teillösungen. Schwindet ein Element des Weltkapitals,
bricht das Weltkapital als Ganzes in sich zusammen. Das Resultat ist dann keine
bessere Welt, sondern kündigt sich heute schon an in barbarischen
"Warlord-Strukturen", "terroristischen Subkulturen",
"nationalen Gewalt- und Menschenverwaltungsapparaten (wie im Irak, in
Afghanistan oder im ehemaligen Jugoslawien)" (S. 457) etc.
Obwohl mir
Robert Kurz' Kritik sehr entgegenkommt, wird ein nach meiner Überzeugung
wesentlicher Aspekt radikaler Kapitalismuskritik in seinem neuen Buch wiederum
nicht deutlich thematisiert. Es geht um die Frage, woher sich echte
Kapitalismuskritik grundsätzlich speist (vergleiche dazu auch meine "Existentielle
Kritik kontra 'negatorische' Kritik"). Ich behaupte, daß auch Robert
Kurz' radikale Kritik religiös-christlich motiviert ist. Kurz' Beweggrund ist
kein historisch-traditioneller, dogmatisch-erstarrter oder gar
religiös-fanatisch bestimmter, d.h. fetischverhafteter bzw. fremdbestimmter,
sondern ein existentiell-schöpferischer, wahrhaft menschlich-authentischer, der
mit "Herzklopfen" (S. 459) einhergeht. Kurz nimmt eine
ethisch-moralische Grundhaltung gegenüber dem menschenverachtenden
Weltkapitalismus ein. Ohne diese Grundhaltung gäbe es keinen Anlaß, Kritik am
Weltkapital zu üben. Primär geht es um die Würde des Menschen, die mit einer
vergötzten Ökonomie in Form des Kapitalismus in jederlei Hinsicht unvereinbar
ist. Die Würde des Menschen bildet einen der entscheidenden Anhaltspunkte
echter, unverkürzter Kapitalismuskritik.
Robert Kurz
meint, sich mit seiner radikalen Theorie über moralische Beweggründe in der
Bewertung des Kapitalismus erheben zu können (wie schon Karl Marx). Aber daß
z.B. der Begriff "Plünderungsökonomie" eine eindeutig wertende
Bedeutung aufweist, die sich vom existentiell-konkreten Universalen her speist
(z.B. Grundintuition der Menschlichkeit), ist unbestreitbar und widerspricht
Kurz' gegenläufiger Intention, die die moralische Bewertung
pauschal-undifferenziert mit Fetischbewußtsein identifiziert und ablehnt. Vor
dem Hintergrund des mit einer Wertung einhergehenden Begriffs
"Plünderungsökonomie", den Kurz mit dem Begriff
"Finanzökonomie" gleichsetzt (S. 278), macht er sich nun selbst eines
"strukturellen Antisemitismus" verdächtig, sofern er nicht
klarstellt, daß seine wertende Argumentation auf einem konkret-universellen
Beweggrund beruht, der zu einer wahrhaft ethisch-moralischen Grundhaltung führt
- im Gegensatz zur kapitalismusimmanentten und -affirmativen Kritik. Diese
Grundhaltung richtet sich z.B. gegen die Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen oder gegen die systematische (Selbst-) Abrichtung eines Menschen zu
einem "Finanzmanager" (S. 278/ 279) etc. Eine von ethisch-umwertenden
Grundintuitionen (von Kant pauschal als Neigungen abgelehnt) befreite Theorie
kann keine wahrhaft gesellschaftskritische Aussage treffen. Unverkürzte Kritik
muß vom "transzendentalen Menschen" ausgehen (vergleiche dazu Nikolai
Berdjajews Buch: Wahrheit und Offenbarung).
Die
radikalkritische Ökonomik Robert Kurz' überzeugt und beeindruckt mich sehr.
Aber die Verengung sogenannter Kategorien wie Arbeit, Politik und Recht auf den
"kapitalistischen Formzusammenhang" (S. 430) und deren
pauschal-radikale Ablehnung deutet zunächst auf eine Utopie einer neuen
"Weltgesellschaftlichkeit" (S. 467) hin. Die unvermittelte Forderung
der völligen Überwindung von Recht und Politik muß die absolute natürliche Güte
und Weisheit der Menschen und die Möglichkeit ihres absoluten Harmonierens in
einer paradiesischen "Gesellschaftlichkeit" (S. 467) behaupten,
sofern nicht ein ganzheitlich-ethisch motivierter eschatologischer Ausblick
zugrunde gelegt wird. Die Wahrheit dieser Forderung besteht jedoch erst einmal
darin, daß das Recht und die Politik auf ein Minimum zu reduzieren sind, damit
sich eine freie Gesellschaftlichkeit entfalten kann, was wiederum ein vom
Fetisch befreites Bewußtsein der Menschen voraussetzt. Insbesondere muß
"die Politik an die Aufgaben der Wirtschaft gebunden und daran gehindert [werden], sich zu
einer autonomen Fiktion aufzuwerfen. 'Axiologisch ist die Gesellschaft als
geistig-ökonomische, als schöpferisch-werktätige zu denken bei einem
notwendigen Minimum an Politik' (Berdjajew: Christentum und
Klassenkampf)." (Aus Wolfgang Dietrich: Nikolai Berdjajew - Partner des
Denkens. Provokation der Person, Gelnhausen/Berlin 1975, Burckhardthaus-Verlag,
Band 2, S. 130). Erst in einer freien Gesellschaftlichkeit, die auf liebevollen
Beziehungen zwischen wahrhaft geistig freien Menschen beruht, kann sich die
zunächst utopische Forderung der völligen Überwindung z.B. des Rechts in eine
realistische wandeln und schöpferisch verwirklicht werden. Und die Forderung
einer völligen Überwindung der Arbeit verkennt einerseits die antinomische
Verfassung des Menschen als eines natürlichen und geistigen Wesens, woraus sich
für den Menschen stets ein Mindestmaß an notwendiger Arbeit ergeben wird. Mehr
noch verkennt diese Forderung andererseits, daß Arbeit primär ein
geistig-schöpferischer Prozeß ist, ohne den die Menschen keinen Sinn in die
Welt hineintragen können. Wichtig ist, daß die Arbeit nicht hypostasiert,
sondern dem ganzheitlich-authentischen menschlichen Geist unterstellt wird. Der
Mensch muß echten ganzheitlichen Sinn in die Arbeit bringen, damit sie nicht
Macht über ihn gewinnt und zu einer in jederlei Hinsicht exzessiven Last wird
und den Menschen und die Welt zu zerstören beginnt. Kritisch sehe ich auch
Kurz' Hang zu einem scholastisch anmutenden Begriffsrealismus. Kurz
argumentiert so, als wenn die Kategorien des Kapitalismus
metaphysisch-objektive Wesenheiten wären, obwohl sie grundlegend im
menschlich-subjektiven Geiste entworfene Beschreibungen äußerlich-realer
Prozesse und Objektivationen (Ware, Geld etc.) sind. Die Menschen hängen nur
allzu gerne ihren Glauben an ihre Objektivationen und schaffen in der Folge
einen entsprechenden gesellschaftlichen Formzwang - einschließlich die
Ausrichtung der Welt der Objekte (z.B. Technik, Wirtschaft) auf diesen. Und:
Demokratie heißt Volksherrschaft. Wenn nun das (Welt-) Volk aus einer freien
Gemeinschaft freier ethischer Persönlichkeiten besteht, dann kann mit dem
Begriff Demokratie etwas ganz anderes gemeint sein entgegen dem auch in diesem
Fall eingeengten Begriffsrealismus Kurz'.
Dennoch, ich
begreife das Buch "Das Weltkapital" als eine ethisch-moralische
Anklage, die ihren sehr überzeugenden Ausdruck vor allem in einer starken und
bloßstellenden Theorie über die Destruktivität einer menschenverachtenden
Ökonomie des Kapitals und deren unverantwortlicher Rechtfertigung findet.