Regensburg - ein unerwartet eindrucksvolles Exkursionserlebnis
Wieder einmal war der Bus voll besetzt, als der Förderverein am
© Jüdisches Museum Franken
Sonntag, den 19. Oktober 2008 seine Exkursion nach Regensburg
startete. Nach einer zügigen Anreise durch sonnige Landschaft
tauchten wir in den Nebel der Donauniederung ein, gegen den die
Sonne erst nach Stunden die Oberhand gewann. In Regensburg
erwartete uns Dr. Andreas Angerstorfer, wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Lehrstuhl für systematische Theologie, Historiker
und exzellenter Kenner der jüdischen Geschichte von Regensburg.
Der Kontakt zu ihm kam dankenswerter Weise über Schnaittach,
Frau Kroder-Gumann, zustande, weil er die hebräischen Inschriften
auf den jüdischen Friedhöfen dokumentiert hat.
Unser erster Weg führte uns über die Steinerne Brücke in die
Altstadt zum Neupfarrplatz, unter dem in den Jahren 1995 - 1998
die bislang ausgedehnteste Stadtkerngrabung erfolgte. Sechs
Meter unter Platzniveau liegen im sog. document Neupfarrplatz
Reste des römischen Legionslagers Castra Regina; dort befand
sich auch das erstmals um 1000 urkundlich erwähnte, und damit
älteste belegte Judenviertel in Deutschland mit etwa 40 Häusern
und einer Synagoge. Zynisch wie Geschichte sein kann, ist die
letzte sichtbare bauliche Phase aus der NS-Zeit: ein Ringbunker,
brutal durch die wertvollen historischen Relikte geschlagen.
Etwa 500 Jahre lebten die Juden nahezu ohne Pogrom und
Verfolgung in ihrem Viertel. Erst Ende des 15. Jh. nahmen die
Spannungen zwischen Christen und Juden zu, und nach dem
Tod von Kaiser Maximilian I, dem Schutzherrn der Juden, beschloss
der Stadtrat die Vertreibung der Juden. Das jüdische Viertel wurde
zerstört und anstelle der Synagoge eine Wallfahrtskapelle errichtet -
Wallfahrten waren auch damals ein äußerst lukrativer wirtschaftlicher
Faktor für den jeweiligen Ort.
© Jüdisches Museum Franken
Die nächste Station unseres Besuchs war die Judaica-Abteilung
im Historischen Museum. Als besonders wertvoll erläuterte
Dr. Angerstorfer einige der 60 erhaltenen Grabsteine des zerstörten
mittelalterlichen Friedhofs. Auch den bei den Ausgrabungen in den
90er Jahren gefundenen spektakulären Goldschatz aus der Blütezeit
des mittelalterlichen Judenviertels mit über 600 Goldmünzen konnten
wir bewundern.
Während des Stadtspaziergangs nach der wohlverdienten Mittagspause
zeigte uns Dr. Angerstorfer auf faszinierende Weise Regensburg aus
einem anderen Blickwinkel: auf Schritt und Tritt öffnete er unsere Augen
und Sinne für die sichtbaren und versteckten Spuren der jüdischen
Geschichte. Die Grabsteine des bei der Vertreibung 1519 zerstörten
Friedhofs sind in viele Bürgerhäuser sichtbar eingemauert; man findet
sie in der Neupfarrkirche, im Domkreuzgang, im Todesverlies der
mittelalterlichen Folterkammer als Abort. Aber auch hinter Hinweistafeln
wie für das älteste Cafehaus weiß Dr. Angerstorfer noch das Schicksal
jüdischer Kaffeehändler lebendig zu erzählen.
Zum Abschluss unserer Exkursion besuchten wir das Gemeindezentrum
der Jüdischen Kultusgemeinde Regensburg. Eine Gedenktafel erinnert:
Die 1912 erbaute Synagoge wurde am 9.November 1938 zerstört;
.
Deportationen fanden bis in die letzten Kriegstage statt
.. In dem
erhaltenen Gemeindehaus befindet sich heute die Synagoge;
Dr. Angerstorfer erläuterte uns die Ausstattung und skizzierte die
heutige Situation der Gemeinde, die sich bewusst nach außen öffnet
und gut in die Stadtgesellschaft integriert ist.
Am Bus verabschiedeten die Exkursionsteilnehmer Herrn
Dr Angerstorfer äußerst herzlich und dankbar für seine fachliche
Kompetenz, Detailkenntnis und sein persönliches Engagement,
den Blick hinter den ersten Anschein zu öffnen.
Dr. Dieter Lölhöffel