CATCH-22, Joseph HELLER 1961


 

 


Es war Liebe auf den ersten Blick.


»Man versucht, mich umzubringen«, erklärte Yossarián ihm ruhig.

»Niemand versucht dich umzubringen.« rief Clevinger.

»Wieso schießen sie denn auf mich?« rief Yossarián.

»Sie schießen auf jeden«, antwortete Clevinger. »Sie versuchen jeden von uns umzubringen.«

»Und was ist das für ein Unterschied?«


Clevinger glaubte wirklich im Recht zu sein, aber Yossarián hatte Beweise, denn Personen die er nicht kannte, schossen jedesmal auf ihn mit Kanonen wenn er in die Luft stieg um Bomben auf sie fallen zu lassen


»Männer«, redete Colonel Cargill Yossariáns Staffel an und bemaß sorgfältig seine Pausen. »Männer, ihr seid amerikanische Offiziere. Das können Offiziere keiner anderen Armee der Welt von sich behaupten. Denkt mal drüber nach.«

»Männer,« begann er seine Rede an die Offiziere und bemaß sorgfältig seine Pausen. «Ihr seid amerikanische Offiziere. Die Offiziere keines anderen Landes können das behaupten. Denkt mal darüber nach."«


Captain Black jedenfalls hatte den Korporal als subversives Element entlarvt, denn der Korporal trug eine Brille, benutze Worte wie Panazee und Utopia und achtete Adolf Hitler nicht, der doch in Deutschland bei der Bekämpfung unamerikanischer Umtriebe einen so großartigen Erfolg erzielt hatte.


..und dann rückte Yossarian mit der Frage heraus, für die es keine Antwort gab:

»Wo sind die Snowdens vom Vorjahr ?«


»Ou sont les Neigedens d’antan?«


»Heute bist du bereits ein alter Mann.«

»Alt?«, fragte Clevinger.»Wovon redest du eigentlich?«

»Alt.«

»Ich bin nicht alt.«

»Jedesmal, wenn du einen Einsatz fliegst, bist du nur Zentimeter vom Tode entfernt. Wieviel älter kannst du in deinem Alter noch werden?«


»Kannst du denn nicht jemanden fluguntauglich schreiben, der den Verstand verloren hat ?«

»Oh, gewiß doch. Ich muß sogar. Es gibt eine Vorschrift, die besagt, daß ich jeden Verrückten für fluguntauglich erklären muß.«

»Warum also nicht mich? Ich bin verrückt. Du brauchst nur Clevinger zu fragen.«

»Clevinger? Wo steckt Clevinger überhaupt? Bring mir Clevinger, und ich werde ihn fragen.«

»Du kannst auch jeden anderen fragen. Alle werden dir bestätigen, daß ich verrückt bin.«

»Die sind ja selber verrückt.«

»Warum schreibst du sie dann nicht fluguntauglich?

»Warum bitten sie mich nicht darum?

»Weil sie verrückt sind, deshalb.«

»Natürlich sind sie verrückt«, erwiderte Doc Daneeka. »Ich hab‘ dir doch gerade gesagt, daß sie verrückt sind. Und du kannst doch nicht Verrückte darüber urteilen lassen, ob du verrückt bist oder nicht.«

Yossarián betrachtete ihn nüchtern und versuchte es auf einem anderen Weg. »Ist Orr verrückt?«

»Klar ist er verrückt«, sagte Doc Daneeka. »Kannst du ihn fluguntauglich schreiben?«

»Klar kann ich das. Er muß aber erst darum bitten. So verlangt es die Vorschrift.«

»Warum bittet er dich denn nicht darum?«

»Weil er verrückt ist«, sagte Doc Daneeka. »Er muß einfach verrückt sein, sonst würde er nicht immer wieder Einsätze fliegen, obgleich er oft genug knapp mit dem Leben davongekommen ist. Selbstverständlich kann ich Orr fluguntauglich schreiben. Er muß mich aber erst darum bitten. «

»Mehr braucht er nicht zu tun, um fluguntauglich geschrieben zu werden ? «

»Nein, mehr nicht. Er braucht mich nur zu bitten.«

»Und dann kannst du ihn fluguntauglich schreiben?» fragte Yossarian.

»Nein. Dann kann ich es nicht mehr.»

»Heißt das, daß die Sache einen Haken hat?«

»Klar hat sie einen Haken«, erwiderte Doc Daneeka. »Den Catch 22. Wer den Wunsch hat, sich vom Fronteinsatz zu drücken, kann nicht verrückt sein.«

Es war nur ein Haken bei der Sache, und das war der Catch 22.

Catch 22 besagte, daß die Sorge um die eigene Sicherheit angesichts realer, unmittelbarer Gefahr als Beweis für fehlerloses Funktionieren des Gehirns zu werten sei. Orr war verrückt und konnte fluguntauglich geschrieben werden. Er brauchte nichts weiter zu tun, als ein entsprechendes Gesuch zu machen; tat er dies aber, so galt er nicht länger mehr als verrückt und würde weitere Einsätze fliegen müssen. Orr wäre verrückt, wenn er noch weitere Einsätze flöge, und bei Verstand, wenn er das ablehnte, doch wenn er bei Verstand war, mußte er eben fliegen. Flog er diese Einsätze, so war er verrückt und brauchte nicht zu fliegen; weigerte er sich aber zu fliegen, so mußte er für geistig gesund gelten und war daher verpflichtet, zu fliegen. Die unübertreffliche Schlichtheit dieses Catch 22 beeindruckte Yossarián zutiefst, und er stieß einen bewundernden Pfiff aus.

Das ist schon so ein Haken, dieser Catch 22», bemerkte er. Einen besseren findest du nicht«, stimmte Doc Daneeka zu.



[Aarfy, der] ...nicht genug Verstand besaß sich zu fürchten. Yossarián besaß genug Verstand und fürchtete sich, und das einzige was ihn davon abhielt, seinen Posten im Feuer zu verlassen und wie eine feige Ratte durch den Tunnel zurückzukriechen, war seine Abneigung das Ausweichmamöver beim Anflug vom Ziel einem anderen anzuvertrauen.
Es gab keinen Menschen auf der Welt, den er mit so einer so unermeßlichen Verantwortung beehrt hätte. Er kannte niemanden, der ein ebenso großer Feigling war wie er. Yossarián flog die besten Ausweichmanöver im ganzen Geschwader, doch ahnte er nicht warum das so war.


Es gab keine festgelegten Regeln für Ausweichmanöver. Man brauchte dazu nichts weiter als Angst, und davon hatte Yossarián reichlich, mehr als Orr oder Hungry Joe, mehr sogar als Dunbar, der sich kleinmütig mit dem Gedanken abgefunden hatte eines Tages sterben zu müssen.


Colonel Cathcart war mutig, und er zögerte nie seine Männer für einen Kampfauftrag freiwillig zu melden.



»Was würde man wohl tun«, fragte er vertraulich, »wenn ich mich weigerte 55 Einsätze zu fliegen?«

»Wir würden Sie wahrscheinlich erschießen lassen«, erwiderte der Ex-Gefreite Wintergreen.

»Wir?«, rief Yossarián überrascht. »Was soll das heißen wir? Seit wann sind Sie denn auf deren Seite?«

»Auf wessen Seite soll ich wohl sein, wenn sie erschossen werden?« versetze der Ex-Gefreite Wintergreen.

»Was würden sie machen«, fragte er vertraulich, »wenn ich mich weigere sie zu fliegen?«

»Wir würden dich wahrscheinlich erschießen« antwortete der Ex-Gefreite Wintergreen.

»Wir?« rief Yossarián überrascht. »Was meinst du damit wir? Seit wann stehst du auf deren Seite?

»Wenn du erschossen wirst, auf wessen Seite glaubst du werde ich wohl stehen?« gab der Ex-Gefreite Wintergreen zurück.



Was die Literatur anging, so wußte er alles darüber, nur nicht wie man sie genießt.



»Ich will aber, daß es mir jemand sagt«, flehte Leutnant Schittkopp die Fähnriche fast auf Knien an. »Wenn der Fehler bei mir liegt, dann will ich es wissen«

»Er will, daß es ihm jemand sagt.« meinte Clevinger.

»Er will bloß, daß alle ihr Maul halten, Idiot«, erwiderte Yossarián.

»Aber hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«

»Ich habe es gehört«, entgegnete Yossarián. »Ich habe gehört wie er laut und deutlich gesagt hat, wir sollen gefälligst das Maul halten, weil uns das besser bekommen wird.«

»Ich werde keine bestrafen«, verschwor sich Leutnant Schittkopp.

»Er sagt er wird mich nicht bestrafen«, sagte Clevinger.

»Kastrieren wird er dich.« antwortete Yossarián.



Ebenso wie olympische Medaillen und Tennistrophäen waren die Wimpel einzig der Beweis dafür, daß die Sieger besser als alle andren etwas verrichtet hatten, das für niemanden von Nutzen war.



»There’s a parade going on!«



»Dieser Leutnant Schittkopp ist ein militärisches Genie!«

»Ja, das ist er wirklich», stimmte Leutnant Engle zu. »Eine Schande daß er seine Frau nicht auspeitschten will.«

»Ich verstehe den Zusammenhang nicht.«, erwiderte Leutnant Travers kühl. »Leutnant Bemis peitscht seine Frau jedesfall wunderbar aus wenn sie Geschlechtverkehr haben, und beim Exerzieren ist er eine Null«

»Wer macht sich schon was aus dem Exerzieren?«



»Popinjay, ist ihr Vater Millionär oder Senator?«

»Nein, Sir«

»Dann sitzen sie jetzt ohne Schwimmgürtel bis zum Hals in der Scheiße.«



Clevinger war selbstverständlich schuldig, sonst wäre er nicht beschuldigt worden, und da man das nur beweisen konnte indem man ihn schuldig schuldig sprach, war es eine patriotische Pflicht das zu tun.



Diese drei Männer, die ihn haßten sprachen seine Sprache und trugen seine Uniform, doch sah er ihre lunbarmherzigen Gesichter zu zerfurchten Masken unveränderlicher, niedriger Feindschaft erstarren und begriff plötzlich, daß nirgens in der Welt, nicht in den Panzern, den Flugzeugen und U-Booten der Faschisten, nicht hinter den Maschinengewehren in den Bunkern, hinter Geschützen und Flammenwerfern, nicht unter den Richtschützen der Division Herrman Göring und nicht unter den brutalen Verschwörern sämtlicher Bierkeller München es Männer gab, die ihn mehr haßte als diese drei.



Seine Spezialität waren Luzerne, und er verdiente ein hübsches Vermögen damit, keine anzubauen. Der Staat zahlte im schweres Geld für jede Menge Luzerne, die er nicht anbaute [...] und er wandte jeden Pfennig daran mehr Land zu kaufen um noch mehr Luzerne nicht anzubauen.



Er spezialisierte sich auf Englische Geschichte, und das war sein Fehler.

»Englische Geschichte!« röhrte der silberhaarige Senator seines Staates empört. »Amerikanische Geschichte ist für sie wohl nicht gut genug!«



»Warum nicht?« fragte er.

»Weil ich Angst habe.«

«Sie brauchen sich deshalb nicht zu schämen«, sagte Major Major milde. »Angst haben wir alle.«

»Ich schäme mich nicht«, sagte Yossarián, »ich habe bloß Angst.«

»Sie wären nicht normal, wenn Sie nicht gelegentlich Angst verspürten. Selbst die Tapfersten haben gelegentlich Angst. Eine der größten Schwierigkeiten, denen wir uns im Kampf gegenübersehen, besteht darin, die eigene Angst zu überwinden.«

»Nun hören Sie mal, Major, können wir das Geseiche nicht beiseite lassen ?



»Angenommen alle dächten wie Sie?«

»Dann wäre ich schön blöde, wenn ich nicht auch so dächte, nicht wahr?«

»Aber angenommen jeder würde so denken?«

»Ich wäre doch ein schöner Idiot wenn ich dann anders denken würde, nicht war?«



»Ein Verrückter ist er!«

»So verrückt ist er nicht« widersprach Dunbar. »Er schwört, daß er nicht mitfliegen will nach Bologna.«

»Das meine ich ja gerade.«, erwiderte Dr. Stubbs. »Dieser verrückte Hund ist vielleicht der einzige der noch nicht den Verstand verloren hat.«



»Wie kommen sie überhaupt auf den Gedanke, Major Major sei Kommunist?«

»Haben sie es jemals bestreiten hören, ehe wir angefangen haben ihn dessen zu beschuldigen?«




»Ich kann es einfach nicht glauben», sagte Clevinger zu Yossarián, und seine Stimme kippte über vor Erstaunen und Entrüstung. »Das ist ein Rückfall in den primitivsten Aberglauben! Da wird doch die Ursache mit der Wirkung verwechselt. Ebenso könnte man auf Holz klopfen oder die Daumen drücken. Diese Menschen glauben wirklich, sie brauchten morgen nicht zu fliegen, wenn nur jemand in tiefer Nacht still und heimlich die HKL über Bologna hinausschöbe.

Kannst du dir so was vorstellen? Wir beide sind offenbar die einzigen Vernünftigen in diesem Verein.

In tiefer Nacht klopfte Yossarián auf Holz, drückte die Daumen, und verließ auf Zehenspitzen sein Zelt, um die HKL still und heimlich über Bologna hinauszuschieben.




»Du redest davon, wie der Krieg gewonnen werden kann, und ich rede davon wie der Krieg gewonnen werden und ich am Leben bleiben kann.«

»Genau«, antwortete Clevinger schnell und selbstzufrieden.»Und was glaubst du ist wohl wichtiger?«

»Wichtiger für wen?« schoß Yossarián zurück. »Mach endlich die Augen auf, Clevinger. Einem toten Mann ist es völlig egal, wer den Krieg gewinnt.«




»Der Feind«, erwiderte Yossarián knapp und gemessen, »ist jeder der es auf mein Leben abgesehen hat, ganz gleich auf welcher Seite er steht, einschließlich Colonel Cathcart. Vergißt das nicht, denn je länger du dich daran erinnerst, desto länger bleibst du vielleicht am Leben.«




»They’ve got the new Lepage-Gun. It glues the planes together right in midair.«




»Bitte erkundige dich doch bei Korporal Snark, ob er wieder Waschseife in den Kartoffelbrei getan«, bat Milo flüsternd. »Korporal vertraut dir und wird dir die Wahrheit sagen, wenn du ihm schwörst, es niemanden weiter zu erzählen. Sobald er es dir gesagt hat, kam zu her und berichte mir .«




»Er schwört bei Gott, daß er nichts damit zu tun gehabt hat.« meldete Yossarián.




...bis Schwester Cramer eines Nachmittags beim Ablesen des Thermometers bemerkte, daß der Soldat in Weiß gestorben war.




»Sei dankbar dafür, daß du gesund bist.«

»Beklage den Umstand, daß du es nicht bleiben kannst«

»Freu dich, daß du am Leben bist.«

»Sei wütend darüber, daß du sterben mußt.«

»Das Leben könnte viel schlimmer sein«, rief sie.

»Es könnte aber auch sehr viel besser sein, versicherte er hitzig.

»Du nennst immer nur einen Grund«, nörgelte sie. »Du hast aber gesagt, du könntest zwei anführen.«

»Und erzähl mir nicht, daß Gott im verborgenen arbeitet«, fuhr Yossarián fort und überrannte ihren Einwurf. »Von verborgen kann keine Rede sein. Er arbeitet nämlich überhaupt nicht. Er spielt. Oder er hat uns vergessen. Jedenfalls der Gott, von dem Leute wie du reden — der ist ein Bauerntölpel, ein ungeschickter, tolpatschiger, hirnloser, arroganter, ungeschliffener Jockel. Lieber Himmel, kann man denn Ehrfurcht vor einem höchsten Wesen empfinden, das es für nötig hält, Dinge wie eine verschleimte Kehle und Zahnverfall in Seine göttliche Schöpfung aufzunehmen? Was ging denn eigentlich in jenem verbildeten, bösartigen, verstopften Hirn vor, als Er die alten Leute der Fähigkeit beraubte, die SchließmuskeIn zu kontrollieren? Warum, zum Teufel, hat Er überhaupt den Schmerz geschaffen ? «

»Schmerz?« Leutnant Schittkopps Frau stürzte sich triumphierend auf dieses Wort. »Der Schmerz ist ein sehr nützliches Symptom. Der Schmerz warnt uns vor Gefahren, die dem Körper drohen.«

»Und wer hat diese Gefahren geschaffen?« verlangte Yossarián zu wissen. Er lachte höhnisch. »0 ja, Er war wirklich barmherzig, als Er uns mit dem Schmerz beschenkt hat! Warum konnte Er sich zu unserer Warnung nicht einer Klingel bedienen oder eines Seiner himmlischen Chöre? Oder auch eines Systems von blauen und roten Neonleuchten, die alle Menschen mitten auf der Stirn tragen? Jeder Fabrikant von Musikautomaten, der sein Geld wert ist, hätte sich das ausdenken können. Warum also nicht Er?«

»Die Menschen würden recht blöde aussehen, wenn sie mit roten Neonleuchten auf der Stirn herumliefen. «

»Sehen sie denn schön aus, wenn sie sich in Schmerzen winden oder von Morphium betäubt daliegen? Was für ein kolossaler, unsterblicher Pfuscher! Denk doch nur, welche Gelegenheit und welche Macht Er hatte, etwas wirklich Herrliches zu schaffen, und sieh nur, was für einen stupiden, häßlichen Brei Er statt dessen angerührt hat. Seine Unfähigkeit ist geradezu erschütternd. Es liegt auf der Hand,

daß Er nie Löhne zu zahlen gehabt hat. Kein Geschäftsmann mit Selbstachtung würde einen Pfuscher wie Ihn je einstellen, nicht einmal als Adressenschreiber!«

Leutnant Schittkopps Frau war wachsbleich geworden und starrte Yossarián erschreckt und ungläubig an. »Rede lieber nicht so von Ihm, Schatz, tadelte sie ihn leise und feindselig. Er bestraft dich vielleicht dafür. «

Straft Er mich denn nicht schon genug?« schnaufte Yossarián wütend. »Man darf Ihm das einfach nicht durchgehen lassen. Nein, man darf Ihm nicht all den Kummer durchgehen lassen, den Er über uns gebracht hat. Eines Tages soll Er mir dafür zahlen. Ich weiß auch schon wann. Am Tage des Jüngsten Gerichtes. Jawohl, das ist der Tag, an dem ich Ihm endlich so nahe kommen werde, daß ich diesen kleinen Jockel heim Schlips packen und...«




»Ich sehe alles zweimal!« rief Yossarián ebenso so laut zurükc und blinzelte ihm heimlich zu.

»Die Wände! Die Wände !« schrie der andere Soldat. »Schiebt die Wände weg!«

»Die Wände! Die Wände !« schrie Yossarián. »Schiebt die Wände weg!«

»Einer der Ärtze tat so, als schiebe er die wand weg. »Reicht es so?«

»Der Soldat, der alles zweimal sah, nickte schwach und sank auf sein Bett zurück. Auch Yossarián nickte schwach und beobachtete aus dem Augenwinkel seinen Mitbewohner mit großer Ehrfurcht und Bewunderung Sein Mitbewohner war es offenbar wert, beobachtet und nachgeahmt zu werden. Während der Nacht starb sein begabter Mitbewohner, und Yossarián fand, daß er ihn lange genug nachgeahmt hatte.

»Ich sehe alles einmal!« rief er schnell.




Der Vater fuhr feierlich und mit gesenktem Haupt fort: »Wenn du zu dem Mann da oben sprichst, dann will ich, daß du ihm von mir etwas ausrichtest. Sag ihm, es wäre unrecht, daß junge Leute sterben müssen. Das ist mein Ernst. Sag ihm, wenn die Menschen schon sterben müssen, sollen sie alt sterben. Ich will das du ihm das ausrichtest. Ich nehme an er weiß nicht, daß es unrecht ist, denn angeblich ist er doch gut, und das geht nun schon lange so. Okay?«




Colonel Cathcart blieb erstarrt stehen. »Was für Atheisten? In meiner Einheit gibt’s es keine Atheisten. Atheismus ist doch gesetzwidrig, oder nicht?«

»Nein, Sir«

»Nicht?« Der Colonel war überrascht. »Dann ist es aber unamerikanisch, oder?«

»Ich nahm an, daß sie die Anwesenheit der Unteroffiziere wünschten, soweit die ebenfalls am Einsatz teilnehmen.«

»Ich wünsche das nicht. Die haben schließlich einen eigenen Gott und einen eigenen Kaplan, nicht wahr?«

»Nein, Sir.«

»Was wollen sie damit sagen? Wollen sie sagen, Unteroffiziere und Mannschaften beten zu dem gleichen Gott wie wir?«




»Einige meiner besten Freunde sind Unteroffiziere, aber weiter möchte ich mich auch nicht mit ihnen einlassen. Sagen sie mal ehrlich, Kaplan: wäre es ihnen recht, wenn sich ihre Schwester mit einem Unteroffizier verheiratete ?«

»Meine Schwester ist Unteroffizier.«




Colonel Moodus sah auf einer Liste nach. »Das ist Yossarián, Papa. Er bekommt das große Halsband.«

»Na, da soll mich doch der Schlag treffen«, nuschelte General Dreedle, und sein rötliches, monolithisches Antlitz lockerte sich belustigt. »Warum tragen Sie keine Uniform, Yossarián?

»Ich will nicht.«

»Was heißt das, Sie wollen nicht? Weshalb, zum Kuckuck wollen Sie nicht?«

»Ich will einfach nicht, Sir.«

»Warum trägt er keine Uniform?« erkundigte sich General Dreedle über die Schulter bei Colonel Cathcart.

»Er hat Sie was gefragt«, flüsterte Colonel Korn von hinten über Colonel Cathcarts Schulter und stieß ihm kräftig den Ellenbogen in den Rücken.

»Warum trägt er keine Uniform ? « fragte Colonel Cathcart mit schmerzverzogenem Gesicht Colonel Korn und tastete behutsam nach der Stelle, wo Colonel Korn ihn soeben gestoßen hatte.

»Warum trägt er keine Uniform? « fragte Colonel Korn Captain Piltchard und Captain Wren.

Letzte Woche ist über Avignon ein Mann in seinem Bomber getroffen worden und hat sich auf ihm verblutet«, erwiderte Captain Wren. »Er hat geschworen, daß er nie wieder eine Uniform tragen will.«

»Letzte Woche ist über Avignon ein Mann in seinem Bomber getroffen worden und auf ihm verblutet«, meldete Colonel Korn unmittelbar General Dreedle. »Seine Uniform ist noch nicht aus der Wäsche zurück.«

»Wo sind seine anderen Uniformen?«

»Ebenfalls in der Wäsche.«

Und sein Unterzeug?« fragte General Dreedle.

Sein gesamtes Unterzeug ist ebenfalls in der Wäsche«, antwortete Colonel Korn.

Das klingt mir wie der reinste Blödsinn«, erklärte General Dreedle.

»Das ist auch der reinste Blödsinn«, sagte Yossarián.

»Keine Sorge, Sir«, versprach Colonel Cathcart General Dreedle

mit einem drohenden Blick auf Yossarián. "Ich gebe Ihnen mein persönliches Ehrenwort darauf, daß dieser Mann streng bestraft werden wird. «

"Was zum Teufel schert es mich, ob er bestraft wird oder nicht?« erwiderte General Dreedle überrascht und ärgerlich. »Er hat sich eine Auszeichnung verdient. Wenn er sie sich nackt verleihen lassen will, dann geht das Sie doch einen Dreck an.«




»General Peckem empfiehlt uns sogar, die Besatzungen beim Einsatz Paradeuniformen tragen zu lassen, damit sie einen guten Eindruck auf den Feind machen, wenn sie abgeschossen werden.




Nately und lächelte schüchtern und besänftigend. »Das einzige, was ich glaube, ist, daß Amerika den Krieg gewinnen wird.«

»Sie legen so großen Wert darauf, Kriege zu gewinnen«, versetzte der lasterhafte, schlampige alte Mann verächtlich. »Das eigentliche Kunststück besteht im Verlieren von Kriegen, besteht darin zu erkennen, welcher Krieg verloren werden darf. Italien hat jahrhundertelang Kriege verloren, und Sie wissen, daß wir uns dabei prächtig befunden haben. Frankreich gewinnt seine Kriege und ist fortwährend im Zustand der Krise. Deutschland verliert und wird reich dabei. Betrachten Sie unsere jüngste Vergangenheit. Italien hat in Abessinien einen Krieg gewonnen und geriet denn auch prompt in größten Schwierigkeiten. Der Sieg hat uns in einen so törichten Größenwahn versetzt, daß wir dabei geholfen haben, einen Weltkrieg zu entfesseln, in dem zu siegen für uns auch nicht die geringste Aussicht bestand.

Jetzt aber, da wir wieder verlieren, hat sich alles um Besseren gewendet, und wenn es uns nur gelingt, geschlagen zu werden, kommen wir wieder obenauf.«

Nately glotzte ihn mit unverstellter Begriffsstutzigkeit an.

»Jetzt verstehe ich wirklich nicht mehr, was Sie da sagen. Sie reden wie ein Verrückter.«

»Ich lebe aber wie ein Normaler. Als Mussolini an der Macht war, er ich Faschist, und jetzt, da er gestürzt ist, bin ich Antifaschist. Solange die Deutschen hier waren, um uns vor den Amerikanern zu schützen, war ich fanatisch prodeutsch, und jetzt, da die Amerikaner hier sind, um uns vor den Deutschen zu schützen, bin ich fanatisch proamerikanisch. Ich versichere Ihnen, mein zorniger junger Freund«, — die wissenden, hochmütigen Augen des alten Mannes leuchteten immer stärker, je mehr Natelys stotternde Ratlosigkeit nahm — »daß Sie und Ihr Land keinen treueren Parteigänger in wie haben als mich — jedoch nur solange Ihr in Italien bleibt.«

»Aber«, rief Nately ungläubig, »sie sind ja ein Abtrünniger! Ein Heuchler! Ein schändlicher, gewissenloser Opportunist!«

»Ich bin einhundertundsieben Jahre alt«, erinnerte ihn der bübische alte Mann mit höhnischem Ernst und streichelte die nackte Hüfte einer fülligen Schwarzhaarigen mit den reizenden Grübchen.

»Da haben wir’s ja. Zu denken, daß ein Mann in seinem Alter das ihm noch verbleibende Leben für etwas so läppisches wie ein Vaterland aufs Spiel setzt!«

Sogleich stürzte sich Nately wieder in Gefecht. »Es ist nicht läppisch, sein Leben fürs Vaterland aufs Spiel zu setzten.«, behauptete er.

»Wirklich nicht?« fragte der alte Mann. »Was ist denn ein Vaterland? Ein Vaterland ist ein Stück Erde, an allen seiten von Grenzen, meist unnatürlichen Grenzen, eingefaßt. Engländer sterben für England, Amerikaner sterben für Amerika, Deutsche sterben für Deutschland, Russen sterben für Russland. Es beteiligen sich bereits fünfzig oder sechzig Länder an diesem Krieg, und ganz gewiß können es doch nicht alle diese Länder wert sein, daß man für sie stirbt.«

»Alles, was wert ist, daß man dafür lebt, ist auch Wert, daß man dafür stirbt.«, sagte Nately.

»Und alles was wert ist, daß man dafür stirbt«, erwiderte der lästerliche alte Mann, »ist gewiß wert, daß man dafür lebt.« [...]

»Weil es besser ist, aufrecht zu sterben, als auf den Knien zu leben.« erwiderte Nately mit siegerhafter, erhabener Überzeugung. »Dieses Sprichwort haben sie wohl schon mal gehört.«

»Gewiß habe ich das«, sagte der alte Mann versonnen lächelnd.

»Ich glaube aber, sie haben es verdreht. Es ist besser aufrecht zu leben als auf den Knien zu sterben. So lautet es richtig.«

»Sind sie sicher?« fragte Nately ernüchtert und verwirrt.

 

»Mir gefällt das nicht«, murrte der widerborstige Jagdfliegerkommandeur, dem auch Milo nicht gefiel.

»Im Norden sitzt ein widerborstiger Jagdfliegerkommandeur, der mich nicht leiden kann.«, beklagte Milo sich bei General Dreedle. »ein einziger quertreiber kann uns allesverderben, und dann bekommen sie meine frischen Spiegeleier in meiner frischen Butter nicht mehr.«

General Dreedle ließ den widerborstigen Jagdflieger nach den Salomonen versetzen, wo er Gräber schaufeln mußte, und ernannte an seiner Stelle einen senilen, gichtigen Colonel, der eine krankhaften Gier nach Lichinüssen verspürte ...

 

Da Milo überall hin freien Zugang hatte gelang es ihm, seine Maschinen zu einem Überraschungsangriff auf die Brücke anzusetzten, ohne daß die deutschen Kanoniere Wind von der Sache bekamen, da Milo aber von diesem Überraschungsangriff wußte, war er in der Lage die deutschen Kanoniere so rechtzeitig zu informieren, daß sie genau in dem Augenblick gezieltes Feuer eröffnen konnten, als die Bomber in den Feuerbereich der Geschütze einflogen.

Das war für alle Beteiligten eine wunderbare Lösung, ausgenommen den toten Mann in Yossariáns Zelt, der am Tag seiner Ankunft über dem Ziel getötet wurde.

»Ich habe ihn doch nicht umgebracht!« entgegnete Milo immer wieder verbissen auf Yossarián wütende Vorwürfe. »Ich war an jenem Tage nicht einmal dort. Oder glaubst du etwa, ich hätte als Richtschütze an einer Flak gestanden und auf die anfliegenden Maschinen geschossen?« [...]

»Du hast für seinen Tod eine Prämie von eintausend Dollar kassiert.«

»Aber ich habe ihn nicht umgebracht. Ich war ja nicht einmal dort! Ich war in Barcelona, um Olivenöl und Sardinen zu kaufen.«

»Und die Deutschen sind nicht unsere Feinde«, erklärte er weiter. »Oh, ich weiß schon was du sagen willst. Richtig, sind im Kriegszustand mit ihnen. Doch die Deutschen sind angesehene Mitglieder des Syndikats. [...] doch zahlen sie ihre Rechnungen sehr viel prompter als etliche unserer Alliierten, deren Namen ich nicht nennen will.

 

»Was ist es denn?« fragte Yossarián und biß kräftig hinein.

»Baumwolle mit Schokoladenüberzug.«

»Yossarián würgte erstickt und spuckte eine Mundvoll Baumwolle mit Schokoladenüberzug Milo ins Gesicht. ... »Du hast ja nicht einmal die Kerne rausgemacht.«

 

»Jetzt lügst du!«

»Ich lüge nie!« verschwor Milo sich würdevoll.

»Du lügst schon wieder.«




»Ich bin bekloppt. Irre. Verstehst du nicht?«

»Na und?«

»Na und?« Yossarián war verblüfft darüber, daß Doc Daneeka nicht imstande sein sollte, zu begreifen. »Verstehst du denn nicht was das bedeutet? Du kannst mich fluguntauglich schreiben und mich nach hause gehen lassen. Man wird doch schließlich keine Verrückten an die Front schicken.«

»Wen denn sonst?«




Die Schwimmwesten bliesen sich nicht auf, weil Milo die Preßluftflaschen entfernt hatte, um mit ihrer Hilfe jene Wundervollen Eiskremsodas herzustellen ,die er in der Offiziersmesse servierte. An Stelle der Preßluftflaschen befanden sich Zettel mit der Inschrift "Was M&M nützt, nützt auch dem Vaterland"«




»Man hat aber kein Recht mich zu belügen!« protestierte Colonel Schittkopp, und in seine Augen traten Tränen der Empörung.

»Selbstverständlich hat man das Recht dazu, [...] Seien sie kein Esel, Schittkopp. Mann darf alles tun, was nicht durch ein Gesetzt untersagt ist, und kein Gesetzt verbietet es, Sie zu belügen.«




General Peckem erhob sich und schritt zu einem drehbaren Kartenständer voll riesiger, bunter Landkarten.

Colonel Schittkopp erbleichte. »Wir müssen doch nicht etwa an die Front?« sprudelte er entsetzt hervor.

»Oh nein, selbstverständlich nicht«, versicherte ihm Genral Peckem beruhigend.




»Es gibt schon so viele Möglichkeiten zu Tode zu kommen«, klage Yossarián. »Und ausgerechnet du mußtest dir eine neue ausdenken.«




Geehrte Frau, Herr, Fräulein, oder Herr und Frau Daneeka: Worte können nicht den tiefen persönlichen Schmerz ausdrücken, den ich empfand als Ihr Gatte, Sohn, Vater oder Bruder gefallen, verwundet oder vermißt gemeldet wurde.




»Man hat unsere Sachen zum Fenster hinausgeworfen, General.«

»Geschieht ihnen recht. Auch unsere Uniformen? Das war wirklich schlau. Ohne unsere Uniformen werden wir nie jemanden davon überzeugen können, daß wir was besseres sind als andere Leute.«




Selbst Havermeyer entschloß sich zu den wildesten Ausweichmanövern, als er erkannte wie weit er noch zu fliegen hatte um diesem Hexenkessel zu entrinnenm und Dobbs der eine der in dieser Formation fliegenden Maschinen steuerte zickte als er zacken sollte, rammte die Nachbarmaschine und riß ihr das Heck ab.




»Kaplan«, begann er mit dem steifen Gebaren eines Richters, »wir beschuldigen Sie in aller Form, Washington Irving zu sein und sich bei der Zensur der Post von Offizieren und Mannschaften unerträgliche und unstatthafte Freiheiten herausgenommen zu haben. Bekennen Sie sich schuldig oder nicht?«

»Nicht schuldig, Sir« Der Kaplan fuhr sich mit trockener Zunge über trockene Lippen und lehnte sich gespannt auf seinem Stuhl nach vorn.

»Schuldig«, sagte der Colonel.

»Schuldig«, sagte der Major.

»Also schuldig«, sagte der Offizier ohne Rangabzeichen und machte eine Notiz auf einem Blatt Papier im Hefter.




»Wir beschuldigenSie überdies«, fuhr er aufblickend fort, »Vergehen und Verbrechen begangen zu haben, die bislang nicht zu unserer Kenntnis gelangt sind. Schuldig oder nicht schuldig?«

»Ich weiß nicht, Sir. Wie soll ich antworten, wenn ich nicht einmal weiß, was sie mir vorwerfen.«

»Wie können wir Ihnen etwas vorwerfen, solange wir nicht einmal wissen, was?«

»Schuldig«, entschied der Colonel.

»Klar ist er schuldig«, stimmte der Major zu. »Wenn es seine Verbrechen und seine Vergehen sind, muß er sie schließlich begangen haben.«

»Also schuldig«, rief der Offizier ohne Rangabzeichen und trat beiseite.




Yossarián retirierte, die Pistole umgeschnallt, und weigerte sich weitere Einsätze zu fliegen.

»Er muß fliegen. Er hat keine andere Wahl. Sagen sie ihm, daß Sie ihn melden werden, falls er es sich nicht anders überlegt.«

»Das haben wir ihm schon gesagt, Sir. Es hat keinen Eindruck auf ihn gemacht.

»Nein, ich mache dir keinen Vorwurf«, sagte Havermeyer, »obwohl ich dich nicht leiden kann. Ich habe nämlich auch keine große Lust mehr aufs fliegen. Meinst du es gäbe für mich eine Möglichkeit mich zu drücken?«

»Glaubst du übrigens, es besteht Aussicht, daß sie dich fluguntauglich schreiben und nach hause schicken?«

»Nein.«

»Aber wenn sie es doch tun, und jemand muß dich begleiten, würdest du dann darum bitten, daß sie mich mitschicken?«

Tagsüber wich man ihm aus und Yossarián begriff, daß sie in der Masse am Tage andere Menschen waren als allein im Dunkeln.




Yossarián mache das traditionelle Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit zuschande, indem er sich erfreche, dieses Recht auszüben.




»Mit welchem Recht haben sie es getan?«

»Catch 22. Laut Catch 22 haben siedas Recht alles zu tun, woran wir sie nicht hindern können.«

»Haben sie es den nicht gezeigt?« forschte Yossarián und stapfte wütend und bekümmert hin und her. »Habt ihr es euch nicht wenigstens vorlesen lassen?«

»Sie brauchen uns den Catch 22 nicht zu zeigen.«, sagte die alte Frau. <»Die Vorschrift besagt, daß sie das nicht brauchen.«

»Welche Vorschrift sagt, daß sie es nicht brauchen?«

»Catch 22«




Es gab Catch 22 nicht, dessen war er gewiß, doch änderte das nichts. Entscheidend war, daß alle an das Vorhandensein von Catch 22 glaubten.




»Alle meine Leute sind damit beschäftigt, den Tabakschmuggel zu unterbinden.«

»Tabakschmuggel?« fragte Milo.

»Milo«, blökte Yossarián schwach, und der Mut verließ ihn, denn er ahnte, daß jetzt alles verloren sei.

»Si, Marchese«, sagte Luigi. »Der Profit dabei ist so groß, daß man den Schmuggel nicht völlig unterbinden kann.«

»Wirklich?« grübelte Milo versunken lächelnd und näherte sich wie verzaubert der Tür.

»Milo!« rief Yossarián und rannte zur Tür um ihn aufzuhalten. »Milo, du mußt mir helfen«

»Tabakschmuggel«, erläuterte Milo ihm mit einem Ausdruck von epileptischer Lüsternheit in den Augen und versuchte Entschlossensich an ihm voerbeizudrängen. »Laß mich ich muß Tabak schmuggeln.«

»Bleib hier und hilf mir, sie suchen«, flehte Yossarián. »Du kannst doch morgen noch Tabak schmuggeln.«

>Milo jedoch war taub und drängte vorwärts, nicht gewaltsam aber unaufhaltsam. Er schwitze, seine Augen brannten fiebrig, als habe in eine fixe Idee in ihren Klauen, und Speichel troff von seinen zuckenden Lippen. Er röchelte matt und wiederholte unablässig »Tabakschmuggeln, Tabakschmuggeln«




Seine Augenlider zuckten hektisch und verzweifelt wie die Flügel einer Fledermaus, als die vielen großen Polizisten ihn an Armen und Beinen packten und aufhoben. Seine Bücher fielen zu Boden. »Hilfe!« kreischte er schrill mit einer Stimme, die von ihrer eigenen Emotion erstickt wurde, während die Polizisten ihn zur offenen Hintertür der Ambulanz schleppten und hineinwarfen. »Polizei! Hilfe! Polizei!«




»Unsere Leute waren durchaus damit einverstanden, jede Menge von Einsätzen zu fliegen, so lange sie glaubten, es gäbe keine Alternative.«

 

»O nein Colonel, das nehme ich ihnen nicht ab!«

Colonel Korn blieb unbeeindruckt. »Ich offen gestanden auch nicht, aber alle anderen tun es. So steht die Sache.«




»Mir ist kalt.«




Im Verbandskasten gab es kein Morphium. Die zwölf Morphiumampulen waren aus dem Kasten gestohlen worden und an ihrer Stelle lag ein Zettel mit der aufschrift: "Was M&M nützt, nütz auch dem Vaterland. Milo Minderbinder.«

Dann begann er die Kompresse mit einer Mullbinde zu befestigen. Als er die Binde zum zweiten Mal um Snowdens Oberschenkel wand, sah er auf der Innenseite des Schenkels das schmale Loch, das der Granatsplitter beim Eindringen gemacht hatte, eine runde, runzlige Wunde von der Größe einer kleinen Münze, mit bläulichen Rändern und einem schwarzen Kern da, wo das Blut zu einer Kruste erstarrt war. Yossarian streute auch hier Sulfonamidpulver und wickelte die Binde immer weiter um Snowdens Bein, bis die Kompresse schließlich fest saß. Dann schnitt er die Binde mit der Schere ab und verknotete das Ende. Er wußte, daß er einen guten Verband gemacht hatte, hockte sich stolz auf seine Fersen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und grinste Snowden mit aufrichtiger Sympathie an.

»Mir ist kalt«, stöhnte Snowden. »Mir ist kalt.«

»Es wird schon werden, Junge«, versicherte Yossari5n und streichelte beschwichtigend Snowdens Arm. »Das schlimmste ist geschafft.«

Snowden schüttelte den Kopf. »Mir ist kalt«, wiederholte er, und seine Augen waren stumpf und blind wie Steine. »Mir ist kalt«

»Nun, nun«, sagte Yossarián, der steigende Angst und Bestürzung empfand. «Nun, nun. Wir werden bald landen, und Doc Daneeka bringt dich wieder in Ordnung. «

Snowden schüttelte nur den Kopf und deutete schließlich mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung seines Kinns auf seine Achsel. Yossarián beugte sich vor und bemerkte einen merkwürdig gefärbten Fleck in Snowdens Kombination gerade oberhalb des Ärmelloches seines Flakanzuges. Yossarián fühlte, wie sein Herz stehen blieb und dann so heftig zu pochen begann, daß er kaum Luft zu holen vermochte. Snowden hatte unter seinem Flakanzug noch eine Verwundung. Yossarián riß die Verschlüsse des Flakanzuges auf und hörte sich wild schreien, als Snowdens Eingeweide unaufhaltsam hervorquollen, eine gräßlich verklumpte Masse. Ein Flaksplitter von mehr als zehn Zentimeter Länge war unterhalb der rechten Schulter eingedrungen und hatte ganze Portionen von Snowden mitgenommen, ehe er auf der anderen Seite ein riesiges Ausschußloch in seinen Brustkorb gerissen hatte. Yossarián schrie noch einmal auf und preßte die Hände vor die Augen. Seine Zähne klapperten vor Grauen. Er zwang sich, noch einmal hinzusehen. Hier war wirklich göttlicher Überfluß, dachte er bitter und starrte auf Leber, Lungen, Nieren, Rippen, Magen und Reste der gedünsteten Tomaten, die Snowden zu Mittag gegessen hatte. Yossarián verabscheute gedünstete Tomaten. Er drehte sich weg, weil ihm schwindelig wurde, und erbrach sich, die Hände auf die brennende Kehle gepreßt. Der Heckschütze kam zu sich, während Yossarián würgte, und wurde wieder ohnmächtig. Yossarián fühlte sich schlapp vor Erschöpfung, Schmerz und Verzweiflung, als es vorbei war. Er wandte sich mühsam Snowden zu, dessen Atem flacher und schneller ging, und dessen Gesicht noch bleicher geworden war. Er überlegte, wie in aller Welt er Snowden retten könne.

"Mir ist kalt«, winselte Snowden »Mir ist kalt.«

»Nun, nun«, murmelte Yossariän mechanisch, doch so leise, daß man es nicht hören konnte. »Nun, nun. «

Auch Yossarián fror und zitterte. Während er mutlos auf das grausige Geheimnis starrte, das Snowden über den Fußboden verstreut hatte, fühlte er am ganzen Körper ein Gänsehaut.




Es war einfach die Botschaft in diesen Eingeweiden zu lesen. Der Mensch ist Materie, das war Snowdens Geheimnis.

Man werfe ihn aus dem Fenster, und er wird fallen. Man zünde ihn an, und er wird brennen. Man begrabe ihn, und er wird faulen wie anderer Abfall auch. Vom Leben verlassen, ist der Mensch Abfall. Das war Snowdens Geheimnis. Reif sein ist alles.

»Mir ist kalt«, sagte Snowden. »Mir ist kalt.«

»Nun, nun«, sagte Yossariän. »Nun, nun.« Er zog die Reißleine von Snowdens Fallschirm und deckte ihn mit dem weißen Nylon zu.

»Mir ist kalt.«

»Nun, nun.«