Visuelle Halluzinationen bei psychisch gesunden Personen:

Das "Charles Bonnet Syndrom":

CBS

Robert J Teunisse, Johan R Cruysberg, Willibrord H Hoefnagels, André L Verbeek, Frans G Zitman:
"Visual hallucinations in psychologically normal people: Charles Bonnet's syndrome"
The Lancet, Vol 347, p. 794-97, March 1996.
 
Translation: Nov. 2001 © Paul Allen, Franz Bardon Forschung (Anmerkung: klein formatierte Stellen wurden vom Übersetzer zum besseren Verständnis und/oder um eine leichtere Lesbarkeit zu erreichen dem Text hinzugefügt. Dies bezieht sich aber nicht auf die Quellenzitate und auf die Tabellen. Texstellen die mir besonders wichtig erscheinen habe ich fett oder farblich gekennzeichnet. Die kursiv formatierten Texstellen kommen so auch im englischen Orginal vor. Hinweis für den Leser: 'The Lancet' ist weltweit eines der wichtigsten und anerkanntesten Publikationsorgane für die Mitteilung der Fortschritte der Medizin. Dieser Artikel ist als höchst seriös einzustufen.)


 

Zusammenfassung

 

Hintergrund

Das Charles Bonnet Syndrom (CBS) ist durch die Gegenwart komplexer visueller Halluzinationen bei psychisch gesunden Personen charakterisiert; es wurde lange Zeit als selten eingestuft. Man erkannte aber schließlich, dass das CBS recht häufig bei älteren Menschen auftritt, die an Sehschwächen leiden und wir waren in der Lage, das Syndrom bei einer großen Anzahl von Patienten zu untersuchen.

 

Methode

Nach einem Screening von 505 älteren Personen mit Sehschwäche erfüllten 60 Personen die vorgeschlagenen diagnostischen Kriterien für CBS (hauptsächlich das Auftreten von Halluzinationen ohne Täuschungscharakter bzw. Verlust der Einsicht in die Kognition). Psychopathologische Charakteristika, persönliche Bedeutung und die emotionale Auswirkung von Halluzinationen sowie Faktoren, welche die Halluzinationen beeinflussen, wurden untersucht.

 

Resultate

Obwohl die diagnostischen Kriterien eigentlich nur eine partielle Einsicht erfordern, waren alle Patienten in der Lage, die nicht reale Natur der Halluzinationen zu erkennen. Andere Charakteristika variierten. Bei 46 Patienten (77%) hatten die Halluzinationen keine persönliche Bedeutung. Reizausschaltung und ein niedriges Niveau von Wachheit (arousal) schienen das Auftreten von Halluzinationen zu favorisieren. CBS stellte nur für 17 (28%) Patienten ein Problem dar. Allerdings waren alle Patienten erfreut über die Mitteilung, dass ihre Halluzinationen nicht durch eine Geisteskrankheit ausgelöst wird. Eine zutreffende Diagnose wurde nur bei einem von 16 Patienten, die einen Arzt aufgesucht hatten, gestellt.

Interpretation

Obwohl großteils in der klinischen Praxis unerkannt, sollte man bei Patienten die über Halluzinationen klagen und auf welche definierte diagnostische Kriterien zutreffen, CBS als Diagnose in Betracht ziehen. Es gibt zwar keine zuverlässige Therapie, aber viele Patienten profitierten von der Versicherung, dass ihre Halluzinationen keine Geisteskrankheit sind.

The Lancet, Vol 347, p. 794-97, March 1996

 

Einleitung

Das Charles Bonnet Syndrom (CBS), benannt nach dem schweizer Philosoph



Charles Bonnet

von dem das Phänomen das erste Mal im Jahre 1760 beschrieben wurde, ist durch das Auftreten von komplexen visuellen Halluzinationen bei psychisch gesunden Menschen charakterisiert.(1,2) Lange Zeit wurde angenommen, dass dieses Syndrom selten ist. Im Jahr 1989 zählte Podoll und Mitarbeiter seit 1760 nur 46 in der Literatur beschriebene Fälle.(3) Wegen der vermuteten Seltenheit des Zustandes — und dem Fehlen von allegemein akzeptierten diagnostischen Kriterien — erfolgte nur eine beschränkte systematische Erforschung des CBS. Der gegenwärtige Wissensstand, der sich auf Einzelfallstudien und einigen wenigen Fallstudien gründet, kann folgendermaßen zusammengefaßt werden. CBS Patienten haben komplexe visuelle Halluzinationen, die nicht durch das Vorhandensein einer psychischen Krankheit erklärt werden können. Die Betroffenen sind in der Lage die nicht reale Natur ihrer Wahrnehmung zu erkennen. Das Syndrom kann episodenhaft, periodisch oder auch chronisch auftreten. Das Ansprechen auf neuroleptische Medikation ist gering.
Der Großteil der Patienten ist alt und leidet an Augenkrankheiten oder an Störungen im zentralen visuellen System. Viele Fragen bezüglich der klinischen Charakteristika des Syndroms, seiner Äthiologie (= Ursache) und Pathogenese (= Entstehung) sind bisher unbeantwortet.(2-7)

Zahlreiche Autoren haben die (angebliche) Seltenheit von CBS in Frage gestellt. Sie geben zu bedenken, dass viele Patienten ihre Halluzinationen verheimlichen, aus Angst, als geisteskrank eingestuft zu werden.(8-11) Verschiedene Kriterien zur Diagnose von CBS sind schon vorgeschlagen worden. Es wurde ein Zusammenhang von CBS mit fortgeschrittenem Alter und verminderter Sehkraft und die Prävalenz (Häufigkeit des Auftretens) von 11% aus einer Gruppe von 300 Patienten mit Sehstörungen festgestellt.(12)

In diesem Artikel werden die Ergebnisse einer weiteren Untersuchung an 60 Patienten mit CBS vorgestellt. Unsere Ziel war es die Eigenschaften der Halluzinationen, deren Bedeutung für die Patienten, beeinflussende Faktoren und das Ausmaß an Leid festzustellen, das mit dem Syndrom assoziiert ist.

 

Patienten und Methoden

An der Einheit für Sehschwäche der ophthalmologischen (ophthalmo = griechisch: Augen) Abteilung der Universitätsklinik von Nijmegen (Holland) erfolgte zunächst eine Suche nach Patienten mit CBS. An diese Einrichtung werden Patienten mit Sehstörungen verwiesen um die entsprechenden Sehhilfen von einem Optiker zu bekommen. Von 511 nacheinander betreuten Patienten, im Alter von mehr als 18 Jahren, gaben 505 ihre Zustimmung an der Studie teilzunehmen, nachdem sie (über die Art der Untersuchung) aufgeklärt worden waren.

Aufgezeichnet wurden die Daten zu den demographischen Charakteristika, zur ophthalmologischen Diagnose und zur Sehschärfe. Alle Patienten wurden einer halbsystematischen Befragung zu komplexen optischen Halluzinationen durch einen von vier ausgebildeten Befragern unterzogen. Im Fall von möglichen oder wahrscheinlichen komplexen Halluzinationen wurde der Patient um seine Einwilligung zu einer weiteren Untersuchung gebeten. Diese bestand in einer Befragung durch einen Psychiater (RJT Autor des Artikels) in der Wohnung des Patienten. Der Psychiater klärte dabei die Frage, ob die Definition von Halluzination nach dem Diagnostischen und Statistischem Handbuch für Geisteskrankheiten (Diagnostic and statistical manual of mental disorders) erfüllt wurde: "Eine Sinneswahrnehmung ohne äußere Stimulation des entsprechenden Sinnesorgans".(13) Darauf erfolgte eine generelle psychiatrische Untersuchung mit der holländischen Version des Geriatric Mental State Schedule (Geriatrischer Geisteszustands Test).(14,15)

Der Psychiater entschied dann, ob die folgenden Kriterien für CBS erfüllt sind:

Kriterien für das Charles Bonnet Syndrom:

  • Mindestens eine komplexe visuelle Halluzination innerhalb der letzten 4 Wochen .
  • Mehr als 4 Wochen zwischen der ersten und der letzten Halluzination.
  • Völlige oder teilweise Einsicht in die nicht reale Natur der Halluzination.
  • Das Fehlen von Halluzinationen in anderen Sinnesmodalitäten.
  • Das Fehlen von (Selbst)-Täuschungen.

Mit Hilfe einer Checkliste wurden die Patienten befragt, wobei besonderes Augenmerk auf die Berücksichtigung von psychopathologischen Charakteristika (= Merkmale, die auf eine psychische Erkrankung hindeuten würden), der persönlichen Bedeutung der Halluzinationen, der Faktoren die verstärkend oder unterbrechend auf die Halluzinationen wirkten und die emotionale Auswirkung der Halluzinationen auf den Patienten, gelegt wurde.

 

Resultate

63 der 505 sehbehinderten Patienten berichteten von komplexen visuellen Halluzinationen innerhalb der letzten 4 Wochen vor der Untersuchung; ein Patient erfüllte die Kriterien für CBS nicht, da ihm die Einsicht (in die nicht reale Natur der Wahrnehmung) fehlte und außerdem akkustische Halluzinationen vorhanden waren; 2 Patienten verweigerten weitere Untersuchungen.

Es verblieben 18 Männer und 42 Frauen mit CBS. Ihr Alter variierte zwischen 46 und 98 Jahren bei einem durchschnittlichen Alter von 75,4 Jahren (SD 8,0 Jahre (SD = Standard Deviation)). Die durchschnittliche Sehschärfe des besseren Auges betrug 0,23 (SD 0,18). Die häufigsten Gründe für die visuelle Beeinträchigung waren altersbedingte Makula-Degeneration (Zerstörung des 'gelben Flecks' der Netzhaut, enthält den Ort des schärfsten Sehens) (31 Patienten), Diabetes-Rethinopathie (durch Zuckerkrankheit ausgelöste Erkrankung der Netzhaut) (11 Patienten), Glaukom (Erhöhung der Augeninnendrucks; 'grüner Star') (4 Patienten) und Erkrankungen der Hornhaut (3 Patienten). 11 Patienten hatten andere weniger verbreitete ophthalmische Diagnosen. Die psychiatrische Untersuchung der Patienten ließ keine Störung erkennen, die das Auftreten der Halluzinationen begründet hätte.

Das durchschnittliche Alter der Erstmanifestation von CBS war 72 Jahre (SD 5). Die Dauer des Syndroms zur Zeit der Untersuchung reichte von 1 Monat bis zu 30 Jahren: 29 Patienten hatten die Halluzinationen erst seit weniger als einem Jahr, 21 zwischen einem und 5 Jahren und zehn seit mehr als 5 Jahren.

Psychopathologische Charakteristika

Die Frequenz der Halluzinations-Ereignisse lag zwischen mehrmals täglich bis zu nur zwei mal jährlich. Im Laufe der Zeit verminderte sich die Frequenz bei 10 Patienten, erhöhte sich bei 2 und blieb bei 48 Patienten konstant.

Die halluzinatorische Episoden dauerten von einigen Sekunden bis zu vielen Stunden. Der Inhalt ihrer Halluzinationen wurde von den Patienten als Menschen, Tiere, Pflanzen, verschiedenste unbelebte Objekte, und manchmal als komplette Szenen beschrieben. Manchmal war der Inhalt der Halluzinationen nicht weiter aufregend (eine unbekannte Person, eine Flasche, ein Hut), aber er konnte auch lustig sein (zwei Mini-Polizeimännchen die einen Zwerg-Verbrecher zu einem winzigen Polizeiauto brachten), gespenstartig (durchscheinend leuchtende Figuren die durch den Gang schwebten), bizarr (ein Drache, Leute die eine einzelne große Blume auf ihrem Kopf trugen), oder auch sehr schön (ein leuchtender Engel, wundervolle Blumensträuße).

Die meisten Patienten beschrieben eine große Menge unterschiedlicher Halluzinationen, die bei jeder neuen halluzinatorischen Episode anders waren. Manchmal wurden auch bestimmte Objekte mehrmals gesehen, aber stereotype Halluzinationen (identische Objekte in jeder Hinsicht) waren selten. Die Halluzinationen enthielten sowohl bekannte als auch unbekannte Bilder. Sie traten sowohl in schwarz/weiß als auch in Farbe auf. Sie konnten klarer, gleich klar oder weniger klar im Vergleich zu Objekten der normalen Wahrnehmung sein. Sie konnten intrinsische Bewegung, eine Bewegung des ganzen Bildes oder überhaupt keine Bewegung zeigen. Manchmal bewegte sich die Halluzination gemeinsam mit den Bewegungen der Augen. Die meisten Patienten halluzinierten nur mit offenen Augen. Einige nahmen halluzinierte Objekte als durch die Luft schwebend wahr oder als an die Wand oder die Decke projeziert. Andere berichteten, dass die Objekte sich gut in die Umgebung eingefügt hatten (z.B. eine nicht reale Person in einem realen Sessel sitzend). Patienten, die mit geschlossenen Augen halluzinierten, nahmen die Halluzinationen in dem dunklen subjektiven Raum hinter den Augenlidern wahr. Die Anzahl der Patienten, die die genannten Charakteristika angaben, ist in der folgenden Tabelle aufgelistet.

Tabelle 1 : Merkmale der Halluzinationen bei 60 Patienten mit Charles Bonnet Syndrom.

Charakteristik
%
Charakteristik
%
Frequenz *
Dauer
Täglich
27
1-5 Sekunden
13
Wöchentlich
30
5-60 Sekunden
17
Monatlich
35
1-60 Minuten
53
Weniger oft
8
Länger als 1 Stunde
15
Unsicher
2


Inhalt **
Bekanntheit des Inhalts
Menschen
80
Immer
8
  Erwachsene
70
Manchmal
25
  Gesichter
35
Niemals
65
  Kinder
23
Unsicher
2
  Gruppen
12
  Miniatur-Menschen
3

Tiere
38
Einfluß der Augenlider
Pflanzen/Bäume
25
Mit offenen Augen
67
Gebäude
15
Mit geschlossenen
13
Szenen
15
Verschieden
20
Andere Objekte
42


Bezug zur Umgebung ***
Gemeinsame Bewegung mit Augen
Genauestens eingebettet
22
Immer
18
Zufällig projeziert
37
Manchmal
15
Verschieden
28
Niemals
52
Unsicher
13


Gegenwart von Farben
Klarheit
Immer
63
Wie reale Objekte
27
Manchmal
10
Noch klarer
45
Nur schwarz/weiß
27
Weniger klar
20
Verschieden
8


Intrinsische Bewegung ****
Bewegung "en bloc"
Immer
30
Immer
22
Manchmal
10
Manchmal
3
Nie
53
Niemals
72
Unsicher
3


Wiederholt auftretende Objekte
Stereotyp auftretende Halluzinationen *****
Immer
22
Immer
10
Manchmal
18
Manchmal
5
Nie
60
Nie
85


* Durchschnittliche Frequenz während der letzten 3 Monate.
Bei 13 Patienten war die Frequenz variabel: Tage/Wochen mit vielen Halluzinationen waren von Wochen mit wenigen oder gar keinen Halluzinationen gefolgt.
**
Mehrfachnennungen waren erlaubt.
***
Nur bei Halluzinationen mit offenen Augen anwendbar.
**** Intrinsisch = Bewegung innerhalb des Bildes bzw. der Szene oder Objektes.
*****
Stereotype Halluzinationen: Wenn die gleiche Halluzination immer wieder auftritt.

 

49 Patienten (82%) gaben an, dass sie sich der unwirklichen Natur ihrer Halluzinationen sofort bewußt waren. 11 (18%) waren manchmal für eine kurze Zeitspanne getäuscht worden; das geschah aber nur, wenn die halluzinierten Objekte wie Alltagsobjekte aussahen und genau in die Umgebung passten. Es war leicht für andere Menschen die Patienten zu korrigieren während sie halluzinierten. Eine Frau erzählte uns, dass sie einmal am Fenster saß und den Kühen auf einer benachbarten Weide zusah. Es war allerdings sehr kalt und mitten im Winter, und sie beklagte sich bei ihrer Tochter über die Grausamkeit des Bauern. Die erstaunte Tochter sah allerdings keine Kühe. Verwirrt gestand die Patientin darauf, dass auf ihre Augen kein Verlass mehr sei.

 

Bedeutung der Halluzinationen für den Patienten

46 (77%) Patienten konnten keinerlei persönliche Relevanz der Halluzinationen erkennen. Sogar wenn ihnen die halluzinierten Objekte bekannt waren, waren diese von keinerlei erkennbaren emotionalen Bedeutung. Eine Frau verglich ihre Halluzinationen mit ihren Träumen: "In meinen Träumen erlebe ich Dinge die mich bewegen, die etwas mit meinem Leben zutun haben. Diese Halluziniationen haben allerdings nichts mit mir zutun."

Drei (5%) Patienten waren sich nicht sicher, ob einige ihrer Halluzinationen eine persönliche Bedeutung hatten oder nicht: ein älterer, kinderloser Herr war erstaunt über wiederholte Halluzinationen von einem kleinen Mädchen und einem kleinen Jungen. Er fragte sich, ob diese Halluzinationen seinen unbewußten Wunsch Vater zu werden, reflektierten.

Zehn (17%) Patienten erlebten Halluzinationen von Objekten mit emotionaler und ohne emotionaler Bedeutung. Zum Beispiel sah ein Patient eine große Anzahl von Menschen von denen die meisten unbekannt waren, aber manchmal tauchte auch ein verstorbener Verwandter unter ihnen auf.

Nur ein (2%) Patient hatte Halluzinationen mit einem persönlich bedeutsamen Inhalt: es handelte sich immer um den früheren Ehemann. Seit seinem Tod vor 3 Jahren erlebte sie diese Halluzinationen mehrmals wöchentlich.

 

Faktoren, von denen die Halluzinationen beeinflußt wurden

Kein Patient war in der Lage bewußt Halluzinationen hervorzubringen oder den Inhalt der Halluzinationen zu beeinflussen. Allerdings hatten viele (Patienten) verschiedene Umstände bemerkt, die das Auftreten von Halluzinationen erleichterten und/oder hatten verschiedene Methoden entwickelt, um das Halluzinieren zu unterbrechen. Details sind in Tabelle 2 angegeben.

 

 

Tabelle 2: Umstände die Halluzinationen fördern und Methoden die Halluzinationen unterbrechen konnten bei 60 Patienten mit Charles Bonnet Syndrom.

Umstände die Halluzinationen fördern konnten - bei allen Patienten untersucht
%
Methoden die Halluzinationen unterbrechen konnten - bei allen Patienten untersucht
%
Tageszeit
Einfluß der Augenlider *
Abend
35
Geschlossene Augen
35
Nacht
23
Offene Augen
15
Mittagszeit
12

Morgens
10
Auf das Objekt
20

zugehen *
Beleuchtungsstärke
Schwache Beleuchtung
65
Helles Tageslicht
15

Inaktivität
65

Sich Zuhause befinden
72

Alleine sein
38


Andere fördernde Umstände
Andere Methoden um die Halluzination zu stoppen **
Anstrengung
10
Wegschauen/Weggehen
15
Nervosität/Stress
8
Licht machen
10
Fernsehen schauen
5
Blinzeln
8
In einem Auto sitzen
5
Die Augen schnell bewegen
13
Lasertherapie der Augen
2
Die Halluzination fixieren
5
Temazepam genommen
2
Sich auf etwas anderes konzentrieren
5
Die Halluzination schlagen
2
Anschreien
2


* Die Wirkung dieser Methoden wurde nicht von allen Patienten ausprobiert.
** Antworten auf die Frage: Haben Sie auch andere Methoden herausgefunden, mit denen man die Halluzinationen stoppen kann?

 

Emotionale Auswirkungen der Halluzinationen

Bei 19 (32%) Patienten war die emotionale Reaktion auf die Halluzinationen hauptsächlich von negativer Art: Angst bei 14 und Ärger bei 5 Patienten. 11 (18%) empfanden gemischte Gefühle und bei 22 (37%) war die emotionale Reaktion neutral. 8 (13%) waren erfreut oder amüsiert während des Erlebnisses. Das allgemeine Gefühl des Wohlbefindens wurde bei 43 (72%) Patienten nicht gestört. 17 (28%) litten unter den Halluzinationen und hofften, daß sie wieder aufhören würden; nur 6 fühlten sich sosehr gestört, daß sie bereit gewesen wären die Halluzinationen mit Hilfe von Medikamenten zu unterdrücken.

44 (73%) Patienten hatten ihre außergewöhnlichen Erfahrungen den Ärzten nicht mitgeteilt: 15 befürchteten, daß sie ihr Arzt nicht ernst nehmen würde oder denken könnte, daß sie (geistes-) krank wären; 20 dachten sich, daß diese Beschwerden nicht in die Zuständigkeit eines Arztes fallen; neun gaben keine Erklärung. Nur einem von den 16 Patienten, die einen Arzt konsultiert hatten (hauptsächlich praktische Ärzte und Ophthalmologen (Augenärzte)) wurde die richtige Diagnose mitgeteilt. 7 beurteilten die Reaktion des Arztes als negativ. Ein Patient, der einen Psychiater wegen familiärer Probleme konsultierte hatte und dabei die Halluzinationen erwähnte, bekam prompt Neuroleptika verordnet. Diese Behandlung hatte keinen Einfluß auf die Halluzinationen machte sie jedoch unbeholfen. Der praktischer Arzt eines anderen Patienten hatte geantwortet: "Reden Sie nicht solch dummes Zeug daher!"

 

Diskussion

Die klinischen Merkmale des CBS zeigen breitgefächerte Variationen. Wir fanden ausser den (oben aufgelisteten fünf) Definitionskriterien für CBS keine weiterenen zusätzlichen Merkmale, die bei allen Patienten auftraten. Allerdings konnte bei dieser Gruppe das Merkmal "Vollständige oder teilweise Einsicht" (in den irrealen Charakter der Wahrnehmung) auf "Vollständige Einsicht" verschärft werden. Einige Patienten benötigten dabei die Hilfe von anderen (Menschen), aber dies war nur deshalb der Fall, weil sich die Halluzination so gut in ihre (reale) Umgebung einpasste, dass es für den Patienten sehr schwer oder fast unmöglich war, irreales vom realen zu unterscheiden.

Es gibt in der Literatur eine schon länger anhaltende Diskussion darüber, ob CBS-Halluzinationen als Neuschöpfungen der Phantasie entstehen oder ob es sich dabei um frühere real gesehene Objekte handelt.(3,4,6) Die Tatsache, dass die meisten Halluzinationen unserer Patienten hauptsächlich solche Objekte beinhalteten, von denen sie sich nicht erinnern konnten, sie jemals in Wirklichkeit gesehen zu haben, spricht für die erstere Ansicht. Allerdings wurden manchmal auch bekannte Objekte gesehen; man kann allerdings argumentieren, dass auch diese Neuschöpfungen nach dem Muster von früher wirklich gesehenen Objekten dargestellet werden. Für die zweite Theorie könnte sprechen, dass die Patienten die ihnen jetzt unbekannten Objekte früher einmal wirklich gesehen aber in der Zwischenzeit wieder vergessen hatten, weil sie von keiner besonderen Bedeutung gewesen waren. Wir können diese Diskussion hier zu keinem sicheren Abschluß bringen.

Einige Autoren haben die Meinung vertreten, dass der Inhalt der Halluzinationen beim CBS von Wünschen oder Befürchtungen der Patienten beeinflusst ist.(4,7) Diese Theorie scheint nur bei einer Minderheit der Patienten unserer Untersuchung wahrscheinlich zu sein. Das sporadische Auftreten von Halluzinationen mit emotional bedeutungsvollen Inhalten bei der großen Verschiedenheit der Objekte kann auch nur zufällig bedingt sein.

Die Umstände die CBS Halluzinationen erleichtern sprechen etwas für die Möglichkeit, dass Reizausschaltung und Verminderung der Wachheit Auslöser für CBS-Halluzinationen sein könnten. (3,4,6,10,16) Soche Umstände wie z.B. "früher Morgen", "Abend" und "Nacht", "untätig sein", "zu Hause sein", "anstrengend", "Temazepam genommen", können mit einem niedrigen Wachheitsgrad assoziiert werden. "Schwache Beleuchtung", "alleine sein", und "Laser-Therapie für die Augen" deuten auf eine Reizverminderung hin. Möglichkeiten die Halluzinationen zu stoppen liegen in einer Verstärkung der Wachheit und/oder in einer Stimulation der Sinne.

CBS hatte nur wenig Einfluß auf das allgemeine Wohlbefinden des Großteils der Patienten. Allerdings waren alle Patienten froh darüber informiert zu werden, dass es sich um ein bekanntes Phänomen handelt, das einen Namen hat und das nicht als eine Geisteskrankheit eingestuft wird. Die Studie zeigt, dass viele der Patienten keinen Arzt bezüglich CBS konsultieren. Es zeigte sich außerdem, dass viele Patienten dazu tendieren, ihre außergewöhnlichen Wahrnehmungen vor anderen Menschen zu verschweigen. "Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?" fragte eine erstaunte Ehefrau ihren Mann, nachdem dieser dem Befrager gebeichtet hatte, dass er seit 3 Jahren Gesichter sieht. "Ich wollte dich nicht erzürnen." antwortete er.

Die Erlebnisse der Patienten, die professionellen Rat suchten deuten darauf hin, dass vielen Ärzte das CBS unbekannt ist. Die Patienten würden davon profitieren, wenn die Ärzte CBS kennen und ihnen dementsprechende Informationen zukommen lassen würden: besonders auch die Information, dass sie nicht geisteskrank sind. Für die meisten Patienten ist dieser Hinweis ausreichend. Unterstützung sollte man solchen Patienten zukommen lassen, die nicht mit ihren Halluzinationen fertig werden. Bisher ist keine effektive Therapie für das CBS bekannt.

 

Literatur

1 Bonnet C. Essai analytique sur les facultés d l'âme. Copenhagen: Philibert, 1760.
2 De Morsier G. Le syndrome de Charles Bonnet: hallucinations visuelles des vieillards sans déficience mentale. Ann Med Psychol 1967; 125: 677-702.
3 Podoll K, Osterheider M, Noth J. Das Charles Bonnet Syndrom. Fortschr Neurol Psychiatr 1989; 57: 43-60.
4 Damas-Mora J, Skelton-Robinson M, Jenner FA. The Charles Bonnet syndrome in perspective. Psychol Med 1982; 12: 251-61.
5 Gold K, Rabins PV. Isolated visual hallucinations and the Charles Bonnet syndrome: a review of the literature and presentation of six cases. Compr Psychiatry 1989; 30: 90-98.
6 Schultz G, Melzack R. The Charles Bonnet Syndrome: 'phantom visual images'. Perception 1991; 20: 809-25.
7 Fuchs Th, Lauter H. Charles Bonnet syndrome and musical hallucinations in the elderly. In: Katona C, Levy R, eds. Delusions and hallucinations in old age. London: Gaskell, 1992: 187-98.
8 White NJ. Complex visual hallucinations in partial blindness due to eye disease. Br J Psychiatry 1980; 136: 284-86.
9 Olbrich HM, Engelmeier MP, Pauleikhoff D, Waubke T. Visual hallucinations in ophthalmology. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 1987; 225: 217-220.
10 Siatkowski RM, Zimmer B, Rosenberg PR. The Charles Bonnet syndrome. Visual perceptive dysfunction in sensory deprivation. J Clin Neuro Ophthalmol 1990; 10: 215-18.
11 Teunisse RJ, Raes BCM, Zitman FG. Clinical evaluation of 14 patients with the Charles Bonnet syndrome (isolated visual hallucinations). Compr Psychiatry 1994; 35: 70-75.
12 Teunisse RJ, Cruysberg JRM, Verbeck A, Zitman FG. The Charles Bonnet syndrome: a large prospective study in The Netherlands. A study of the prevalence of the Charles Bonnet syndrome and associated factors in 500 patients attending the University Department of Ophthalmology at Nijmegen. Br J Psychiatry 1995; 166: 254-57.
13 Amercan Psychiatric Association. Diagnostic and statistical manual of mental disorders (3rd edn, revised). Washington D.C.: American Psychiatric Association, 1987: 398.
14 Copeland JRM, Kelleher MJ, Kellett JM, et al. A semi-structured clinical interview for the assessment of diagnosis and mental state in the elderly: the geriatric mental state schedule. Psychol Med 1976; 6: 439-49.
15 Hooijer C, Jonker C, Dewey ME, Van Tilburg W, Copeland JRM. A standardized interview for the elderly (GMS): reliability studies comparing the Dutch language version with the original. Int J Ger Psychiatry 1991; 6: 71-79. (Note: in the original paper Int J Ger Psyciatry is given as the periodicals name, probably a spelling error).
16 Cole MG. Charles Bonnet hallucinations: a case series. Can J Psychiatry 1992; 37: 267-70.

 



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