Über die Gedankenleere.
Die Gedankenleere ist eine außerordentlich wichtige Fähigkeit, die jeder angehende Magier gut beherrschen sollte. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß dieses Thema im englischen und deutschen Franz Bardon Forum lebhaftes Interesse ausgelöst hat. Ich möchte mich daher ein wenig eingehender mit diesem sehr interessanten Gebiet beschäftigen und von meinen eigenen Erfahrungen beim Üben dieser Technik berichten.
Zuerst sollte man versuchen eine adäquate Definition von "Gedankenleere" zu geben. Bardon hat ja in seinem ersten Werk außerordentlich viel vorausgesetzt und ist bei der Beschreibung seiner Techniken meist eher zurückhaltend mit weitläufigen Erklärungen und Definitionen gewesen, hat diese sozusagen nur im Vorbeigehen gestreift, um gleich in medias res, also zur Beschreibung der Technik an sich zu gehen. Das ist auch verständlich, da sonst aus seinem ersten Werk nicht ein einzelnes Buch sondern eine Enzyklopädie mit x Werken geworden wäre.Als nächstes möchte ich meine Erfahrungen und Erlebnisse mit länger dauernden gedankenfreien Zuständen beschreiben.Man kann natürlich Gedankenleere auf viele verschieden Arten definieren, ich aber bevorzuge die folgende Definition: "Gedankenleere ist die Abwesenheit von ...". Das sieht vielleicht etwas eigenartig aus, aber ich bevorzuge diese Form, da jeder den freien Platz, der durch die Pünktchen-Platzhalter angedeutet wird, mit jenen Inhalten füllen kann, die in seinem Geist im Zustand des Alltagsbewußtseins vorherrschen. Der Endzustand der Gedankenleere ist zwar bei einzelnen Menschen ähnlich, das Üben dieses Zustandes kann aber von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedliche erlebt werden, da jeder Mensch in seinem Alltagsbewußtsein einen ganz speziellen Zustand erfährt, der ihm ganz persönlich eigen ist. Ausgehend von diesem Alltagszustand werden verschiedene Menschen auch den Geist von unterschiedlichen Inhalten entleeren müssen, um zur Gedankenleere zu kommen.
Jemand könnte einwenden, daß Gedankenleere eben einfach nur die Abwesenheit von Gedanken sei. Was aber ist ein Gedanke? Haben alle Menschen die gleiche Vorstellung davon, was ein Gedanke ist, erlebt jeder einen Gedanken auf die gleiche Weise? Hier kann man nun sehr schön im Diskussionsforum verfolgen, welch gewaltigen Unterschiede zwischen den Menschen in dieser Hinsicht bestehen, und ich meine hier nicht Unterschiede im Sinn von besser oder schlechter, sondern einfach nur Unterschiede in einem wertfreien Sinn. Diese Unterschiede sind teilweise so groß, daß der eine Diskussionsteilnehmer oft gar nicht verstehen kann, was der andere jetzt eigentlich meint bzw. beschreibt, da ihm eine gleichartige Erlebiswelt einfach fehlt und umgekehrt. Dazu aber mehr eventuell in einem späteren Artikel über die Gedankenzucht bzw. Konzentration. Wer meine englischen Beiträge in dieser Hinsicht gelesen hat, weiß worauf ich hier hinaus will.
Warum ist die Gedankenleere so wichtig für den angehenden Magier? Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: man muß in seinem Geist zuerst einmal Platz für etwas Neues machen und den unnötigen Müll hinauswerfen, wenn man Anderes an seine Stelle setzen will. Magie ist, zumindest zum Teil, das Erlernen von neuen Fähigkeiten und um die neue Fähigkeit in einer vernünftigen Zeitspanne erlernen zu können, muß man fähig sein, sich gut auf sie konzentrieren zu können.
Nehmen wir zum Beispiel an, jemand sei ein sehr guter Koch und denkt deshalb viel an die Speisen, die er als nächstes servieren will. Er wird in seinem Geist zum größten Teil Bilder von verschiedenen Speisen sehen, sie zum Teil auch schmecken und riechen, und dabei das Ganze mit seinem inneren Dialog kommentieren. Nun nehmen wir weiter an, daß dieser Koch die "Bewußtseinsversetzung" erlernen will. Was glauben sie wie erfolgreich er dabei sein wird, wenn dabei in seinem Geist dauernd Bilder von Reisgerichten, Fischsuppe, Nachspeisen oder Kartoffeln auftauchen? Nun, er kann die Technik der "Bewußtseinsversetzung" natürlich auch ohne die Gedankenleere zu beherrschen, erlernen, er wird dazu aber wesentlich länger brauchen und sich mehr abmühen müssen, wenn er nicht schon bald aufgibt, was leider der Regelfall ist.
Andererseits, wenn man die Gedankenleere beherrscht, dann kann man sich zuerst in diesen angenehmen und beruhigenden Zustand versetzen und dann dazu übergehen sich auf die jeweilige zu erlernende Fähigkeit zu konzentrieren. (Man lese dazu auch Dr. M.K.'s Beitrag in "Erinnerungen an Franz Bardon".)
Wenn ein Neuling die Gedankenleere zu üben beginnt, dann wird er anfangs wahrscheinlich dauernd in sein Alltagsbewußtsein, in seine normale Art zu denken, zurückfallen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: es werden in seinem Geist dauernd Bilder von Speisen und Gerichten auftauchen. (Dies hier soll nur ein Beispiel sein: ich möchte keinesfalls behaupten, daß ein Koch nur an seinen Beruf denkt.)
Als ich mich anfangs mit der Gedankenleere beschäftigte, habe ich es mir damals zur Gewohnheit gemacht darauf zu achten, wieviel Zeit ich jeweils benötigte um zu bemerken, daß ich einen neuen Gedanken hatte. Manchmal brauchte ich dazu 1-2 oder sogar bis zu 5 Minuten, bis ich bemerkte: "Oh, ich bin wieder in eine Gedankenkette zurückgefallen, ich muß sofort damit aufhören ...". Zu anderen Zeiten benötigte ich nur wenige Augenblicke dazu.
Manchmal geschieht es auch, daß man von einem außerordentlich interessanten Gedanken überfallen wird, und sich dann so sehr darin verliert, daß man vollständig vergiß, was man eigentlich tun wollte: nämlich Gedankenleere zu üben. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, könnte unser Koch einen sehr guten Einfall bezüglich seines nächsten Menüs haben, der ihm so gut gefällt, daß er gar nicht anders kann als der Gedankenkette zu folgen. Mir ist das außerordentlich oft passiert. Selten zuvor hatte ich so faszinierende und verblüffende Gedanken, wie beim Üben der Gedankenleere. Ich mußte erst lernen, der außerordentlichen Anziehung dieser Gedankengänge zu widerstehen, bevor es mir gelungen ist, weitere Fortschritte zu erzielen.
Eine weitere Erfahrung wird fast jeder Mensch machen, der die Gedankenleere übt oder sich sonst mit Konzentrationsübungen beschäftigt. Wenn man einige Zeit oder kurz vor der Übung irgendwelche aufregenden Gefühle hat oder sich über etwas ärgern mußte, dann ist es fast unmöglich in einen ruhigen oder sogar gedankenleeren Zustand zu kommen. Solche Gefühle lösen nämlich eine unendliche Anzahl von Gedankenassoziationen aus, die fast unmöglich zu unterdrücken sind. Deshalb ist es auch so notwendig, zu lernen, ein emotional möglichst ausgeglichenes Leben zu führen, da sonst Fortschritte nur sehr zögerlich zu erreichen sind.
Ein unerwartetes Phänomen stellt sich ein, wenn man beginnt, seine ersten Erfolge beim Erreichen der Gedankenleere zu verzeichnen. Sagen wir, es ist jemandem gelungen seinen Geist für 30 Sekunden völlig frei von jedem Gedanken zu halten (was für einen Anfänger schon ziemlich gut ist!). Sobald er bemerkt daß er Erfolg hat, wird er plötzlich ziemlich aufgeregt werden, und er wird beginnen, seinen Erfolg zu kommentieren, wie zum Beispiel: "Wow, es funktioniert, das ist großartig, das hätte ich mir nicht gedacht, daß ich es heute schaffe, ..., aber was ist jetzt los, das ist ja schon wieder ein Gedanke, halt - halt, ach warum muß ich immer alles kommentieren ..." (usw.). Zuerst wird man immer etwas ärgerlich, wenn man einen Erfolg bei Üben der Gedankenleere innerlich kommentiert und dadurch den gedankenleeren Zustand verliert, nach einiger Zeit gewöhnt man sich daran und macht kein Aufhebens mehr davon.
Eine weitere interessante Erfahrung kann man beim Üben der Gedankenleere machen, wenn man sie schon längere Zeit betreibt. Früher oder später erlebt fast jeder eigenartige Dinge und/oder Gefühle. In meinem Fall begann eines Tages beim Üben dieser Technik die Region zwischen den Augenbrauen (das sogenannte "dritte Auge") zu pulsieren, obwohl ich mich überhaupt nicht darauf konzentriert hatte. Es war eine sehr angenehme und auch interessante Erfahrung, die mich aber trotzdem von meinem Übungsziel ablenkte. Andere eigenartige Gefühle kann ich gar nicht richtig beschreiben, da unsere Sprache in dieser Hinsicht etwas versagt: zum Beispiel fühlte ich mich manchmal wie ein Gummiband in die Länge gezogen, zu einem Ort, den ich nicht beschreiben kann, der aber sehr weit entfernt zu sein schien. Jedesmal aber, wenn ich so etwas erlebte, verlor ich meine Aufgabe: die Gedankenleere, aus den Augen. Allerdings waren all diese Erfahrungen vorübergehend, und wurden mit der Zeit immer seltener.
(Fortsetzung folgt ...)
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