Eine kurze Autobiographie
Am 29. Januar 1968, dem chinesischen Silvester, erblickte ich in einem Krankenhaus in Shanghai das Licht der Welt. Für meine Eltern war es keine leichte Zeit, in China tobte gerade die Kulturrevolution, und sie mußten einige Entbehrungen auf sich nehmen. Die Situation im Land war labil und Angst war damals das vorherrschende Gefühl der Menschen. Aber als Kind hatte ich das alles nicht mitbekommen. Man kann fast sagen, ich hatte eine sehr glückliche Kindheit gehabt.
Der erste Hinweis auf mein Schwulsein kam wahrscheinlich bereits während meiner ersten Schuljahren zum Vorschein: statt wie andere Jungs mit Stöcken die Gegenden unsicher zu machen und mit einander zu raufen, war mir das alles sehr verhaßt. Lieber spielte ich mit den Mädchen ruhigere Spiele. Ich war damals ein Schwächling, der alle körperliche Auseinandersetzungen aus dem Weg ging, der oft krank war, der lieber Zuhause über seine Bücher brütete als rum zu wildern. Als ich acht war, habe ich bereits eins der chinesischen Klassiker durchgelesen, damals mühten meine Mitschüler noch mit simplen Texten. Für lange Zeit war das ein Stolz für mich. Aber der Ruf eines Schwächlings und das Dasein eines Aussenseiters, was mich allerdings nicht sonderlich gestört hatte, haftete an mich bis zu meine College-Zeit.
In der Mittelschule, was die amerikanische College entspricht, entwickelte ich meine Vorliebe zur Physik und zum Schreiben. Zur Physik kam ich durch Astronomie. Als Kind saßen wir oft im Sommer auf der Dachterrasse von Großvaters Haus, um Sterne zu gucken. Diese Interesse hatte mich bis heute begleitet, auch wenn ich heute nicht mehr draussen nächtigen, um Sterne zu gucken. Irgendwann in der Mittelschule bekam ich einige Bücher über die moderne Physik in die Hand. Ich kann mich noch an einem von Asimov erinnern. Das war meine erste Berührung mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenphysik. In der Mittelschule habe ich auch damit begonnen, Geschichten auszudenken und aufzuschreiben. Es waren alle sehr unreife Geschichten, aber auch das Schreiben begleitet mich bis heute.
Im College bekam ich mit Computer in Berührung. Die College-Zeit war für mich eine sehr denkwürdige Zeit. In diese Zeit war ich Mitglied in so eine Art Clique, die aus vier Jungs bestand. Ich habe davor und danach nicht mehr so viele geniale Menschen auf einem Haufen gesehen. Wir teilten unsere Interesse für die Physik und für Computer. Meine erste Computer-Sprache war Basic auf C64 und Appel. Ich war kein guter Schüler, und das hatte meine Mutter immer sehr viel Kummer bereitet. Ich hatte schon immer Probleme gehabt, mich über längere Zeit auf etwas zu konzentrieren, deswegen hatte ich Probleme, Sachen auswendig zu lernen. Aus meine Schulzeit stammt meine tiefste Abneigung gegen alles, was nicht begründbar und einfach so akzeptiert werden muß. (So wie die Ausnahmefällen in der Sprache.) Ich mag Sachen, die man herleiten kann, die man begründen kann. Das ist bis heute so geblieben. Ein von diesen vier Jungs, mit dem ich besonders befreundet war, sagte einmal zu mir, wir wären ein schwules Paar. Ich hatte damals nur darüber gelacht. Ich war damals noch sehr unerfahren, beschäftigte mich stark mit anderen Sachen als zwischenmenschlichen Beziehungen, und sehr spröde erzogen. Ich glaube, ich habe damit den Mann meines Lebens verpaßt.
Januar 1988 kam ich nach Deutschland. Viele Menschen haben mich gefragt, wie es dazu kam. Hier also die Geschichte: 1976 starb Mao, nach einem Palastputsch und eine kurze Interimsregierung kam Den Xiaopin an die Macht und begann seine Politik der Öffnung. Zu diese Zeit kam die chinesische Führung zu dem Erkenntnis, daß das Land technologisch stark hinter dem Westen zurückgeblieben ist und beschließ, Leute ins Übersee zu schicken. In den ersten beiden Jahren wurde eine Prüfung ausgeschrieben, und wer sie bestanden hat, wurde ausgeschickt. So kam mein Vater nach Deutschland. Nach den zwei Jahren stellte man fest, daß die so auserwählte Menschen nicht so linientreu waren und man änderte das Auswahlverfahren, ab da wurden die Auserwählten nur noch durch die Arbeitseinheiten und Parteikarder nominiert. Meine ganze Familie war nie politisch gewesen, ausser ein Unkel waren keine von der Familienmitglied in der Partei. Nach dem späteren Auswahlverfahren hätte man meinen Vater nie gewählt. Viele Leute hatten damals gesagt, mein Vater würde nie wieder nach China zurückkehren, aber er kehrte nach dem Erlangen seiner Doktorwürde nach China zurück. Das war für die Leute in seine Arbeitseinheiten eine sehr unangenehme Sachen. Er ist nicht in der Partei, gilt als politisch nicht zuverlässig, und man wußte nicht, was man mit ihm anfangen sollte. Schließlich gab man ihm den Titel eines stellvertretenden Chefingenieurs und in der Wirklichkeit bestand seine Aufgabe lediglich darin, ausländische Besucher zu begleiten. So kam es, daß er Anfang 1988 zum letzten Mal das Land verließ, und mich mitnahm.
Wir fuhren mit der Transsibirischen Eisenbahn von Harbin aus. fünf Tage lang sah man nur Wälder. Manchmal fuhr der Zug ein halbes Tag lang, ohne daß man ein Haus sah. Wir blieben zwei Tage lang in Moskau und reisten weiter. Am 10. Januar 1988, um 21:00 fuhren mein Vater und ich über die Berliner Mauer ins Bahnhof Zoo.
Ich studierte in Braunschweig Elektrotechnik. Dort sollte ich den nächsten neun Jahren verbringen. Braunschweig ist für mich so etwas wie eine Art Heimat in Deutschland. Ich lernte hier Deutsch, Deutschland, das Leben in Deutschland kennen. Ich hatte großes Glück und fand sehr schnell eine Aushilfsarbeit bei einem Software-Firma in Braunschweig. Durch diese Arbeit habe ich ein großer Teil meines Studiums finanziert, und dabei auch den Weg für meinen heutigen Berufsleben geebnet. Im Sommer unternahm ich Radtouren bis Kopenhagen und Amsterdam. 1989 kamen auch meine Mutter und mein Bruder nach Deutschland. Das Grundstudium war sehr langweilig und auch langwierig, aber ab dem fünften Semester, mit dem Beginn des Fachstudiums, wurde alles schlagartig besser. Ich vertiefte mich, meiner Vorliebe der Physik folgend, in die Halbleitertechnik. Allerdings mußte ich zu diese Zeit auch feststellen, daß ich keinen besonders guten Forscher bin.
Nach neun Hochschulsemester, und damit einer der schnellsten in meinem Jahrgang, stand ich erst einmal vor einem Loch. Die Arbeitsmarkt konnte nicht schlechter sein. Als Ingineur fand man nirgendwo eine Arbeit. Ebenso sah es in den Hochschulen aus. Oft mußten eine Assistenzstelle von zwei Mitarbeiter geteilt werden. Überall wurden Stellen abgebaut. Ich mußte mein Traum einer Akademikerkarriere aufgeben und machte mein Freizeitjob zum Beruf und stieg als Software-Programmierer ins Berufsleben ein. Wie ich heute sagen muß, das war eine gute Entscheidung.
Im Sommer 1997 fing ich an, mich nach eine neue Stelle zu suchen. Das war die Zeit, als die Folge der massiven Stellenabbau der früheren Jahren allmählich zum Vorschein kam. Meiner Erfahrungen von vor drei Jahren folgend, gab ich nicht viele Hoffnung für meine Bewerbungen. Aber zu meine Überraschung konnte ich sogar aus mehrere Angebote auswählen. Und so entschied ich mich für SerCon und kam nach Mainz. In der College-Zeit, als ich mich noch mit C64 und Appel II+ mühte, war es ein Traum für mich gewesen, bei IBM zu arbeiten. Und nun kam dieser Jugendtraum zur Wirklichkeit. Wenn man bedenkt, daß in meine College-Zeit es noch ziemlich unwahrscheinlich war, daß ein Chinese jemals nach Ausland reisen würde, so war es gar nicht so selbstverständlich, daß ein solcher Traum Wirklichkeit wird. Ich sage mir deswegen oft, daß ich eigentlich ein sehr glücklischer Mensch bin.
Rückbetrachtend ist alles so klar und deutlich, aber mein Weg zu meinem Coming Out war sehr lang. Und es ist eine der wenigen Sachen, bei denen ich nicht sicher bin, ob ich es anders machen würde, falls ich es mal wiederholen darf. Manchmal sage ich mir, daß ich durch meinem Zögern viel Spaß und viele schöne Erfahrungen mir versäumen lassen. Aber andererseits bin ich mir nicht sicher, ob ich zu einem früheren Zeitpunkt wirklich das Selbstvertrauen, die Selbstachtung und den Mut gehabt habe, es durchzustehen. In meinem Herzen habe ich schon immer gewußt, daß ich schwul bin. In meinem Traum, in meine Fantasie, kamen fast nur Jungs vor. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit pochendem Herzen in der Zeitungskiosk im Hauptbahnhof von Frankfurt in einem Schwulenmagazin blätterte. Ich hatte das Gefühl, als ob der ganze Bahnhof mich anstarren würde, als ob man sonst nichts zu tun hätte, hatte einen roten Kopf bekommen und war völlig verschwitzt aus dem Kiosk gekommen. Auch hatte ich Angst, sonst wie mit schwulen Inhalte in Berührung zu kommen. Filme mit Schwulen guckte ich nicht an, zum Beispiel, schließlich könnte ich ja danach doch feststellen, daß ich "anders rum" bin. An der Braunschweiger Uni gab es damals der "Men Dance" mit dem Motto "Wach geküsst?". Man, hatte mein Herz gepocht, als ich die Plakate sah. Hingegangen war ich trotzdem nicht. Eben so schlimm war die Schwimmbäder, die ich immer gemieden hatte, mit all den Jungs, die oben ohne rumlaufen. Schließlich könnte jemand ja merken, daß ich ihn anstarre. Oder noch schlimmer, ich könnte mich selbst beim Anstarren erwischen.
Der Wenderpunkt hatte ausgerechnet meine Eltern herbeigeführt. Als ich 30 wurde, einen gesicherten Job angenommen hatte, begannen sie, sich ständig bei mir rumzunürgern wegen das Fehlen einer Freundin. Am Ende waren sie so weit gekommen, daß sie Eigeninitiative ergriffen, um Kontakte nach China zu knüpfen und versucht hatten, mir eine Frau zu suchen, wie in dem Film "Hochzeitsbankette". Das war der Moment, an dem ich zu mir gesagt hatte, jetzt mußt Du wissen, was Sache ist, Du kannst Dich selbst nicht Dein Leben lang belügen. Ich kaufte mir ein Buch zum Coming Out, und wagte den ersten Schritt.
Die erste Menschen, denen ich mich offenbart hatte, waren meine beste Freunde Sönke und Martina. An einem warmen Sommertag spazierten wir durch das Mainzer Volkspark, ließen uns an einem Biergarten nieder. Ich nahm mich zusammen und fing so an:"Ich weiß mittlerweile, warum ich bislang keine Freundin habe." "Warum?" fragten sie. "Naja, " wurde ich wieder unsicher. Dann platzte Martina raus:"Du bist schwul." Ich grinste verlegen. Am nächsten Tag schrieb ich dann eine Mail an meinen besten Freunden, darunter auch mein Bruder. Einige reagierten anfangs unglaublich, aber ich hatte von allen Zuspruch bekommen, der mich weiter bestärkte. Bei mein Bruder war ich mir gar nicht so sicher gewesen. Als er nach Deutschland kam, hatte er eine Woche in Köln verbracht. Eines Abends spazierte er am Rheinufer und wurde von jemanden angesprochen. Er konnte damals noch kaum Deutsch. Der Mann nahm ihn nach Hause und fing an, ihn zu betatschen. Da hatte er einen Panik bekommen. Der Mann hatte ganz cool reagier, hatte gesagt, es war alles ok und hatte ihn dann zur Tür begleitet. Es war also keine schlimme Erfahrung, aber er hatte doch einen Schock bekommen. Und später hatte ich mal, sozusagen als Vortest, ihn gefragt, was er so von den Schwulen hielte. Und die Antwort war für mich damals nicht besonders ermutigend, woraufhin ich diese Frage nicht mehr weiter erörtert hatte. Aber diesmal hatte er wirklich sehr warmherzig reagiert, hatte mir Unterstützung für meinen Eltern gesichert. Und so weiter. Nach und nach hatte ich dann vor meinem gesamter Umgebung geoutet: Arbeitskollegen, Vorgesetzten, Nachbarn.
Bei meinen Eltern war das etwas schwieriger. Es hatte drei Gespräche gebraucht, bis ich mit ihnen ganz ruhig über alles bereden konnte. Ganz akzeptieren können sie die Tatsache bis heute nicht ganz, aber sie haben mittlerweile eingesehen, daß ich mein Leben leben muß, und wir haben Waffenstillstand geschlossen.
Offen Leben ist schön. Es ist, als ob man eine Haut abgestreift hatte, das einen bislang fast erstickt hätte. Das Leben präsentiert völlig andere Seite, die ich bislang nicht gekannt habe, und ich entdecke an mir selbst Eigenschaften, Vorliebe, von denen ich bislang nicht gewußt habe, oder nicht ausleben konnte. Irgendwie finde ich das wunderschön. Mittlerweile bin ich soweit, daß ich gar nicht mehr meinen Gesprächspartner extra darauf hinweise, daß ich schwul bin. Im Gespräch wird man irgendwann einfach merken, daß ich auf Männer stehe.
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