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Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade
1. Die
Substanz
ist ein der Tätigkeit fähiges Wesen. Sie ist entweder einfach oder
zusammengesetzt. Die
einfache Substanz
ist diejenige, welche keine Teile hat. Die
zusammengesetzte
ist die Ansammlung der einfachen Substanzen oder
Monaden. Monas
ist ein griechisches Wort, das Einheit heißt oder das, was eines ist.
Die zusammengesetzten Dinge oder Körper sind Vielheiten; die einfachen
Substanzen, das Lebendige, die Seelen, die Geister sind Einheiten. Nun muß es wohl
überall einfache Substanzen geben, weil es ohne die einfachen keine
zusammengesetzten gäbe. Infolgedessen ist die ganze Natur voller Leben.
2. Da die Monaden keine Teile haben, so können sie weder erzeugt noch i vernichtet
werden. Sie können - auf natürlichem Wege - weder einen Anfang noch ein Ende
haben und dauern daher ebensolang wie das Universum, das zwar der Veränderung,
aber nicht der Vernichtung unterliegt. Sie können keine Gestalten haben, denn sonst
hätten sie Teile: folglich läßt sich eine Monade, als solche und in einem Zeitpunkt
verstanden, von einer anderen nur durch ihre inneren Eigenschaften und Tätigkeiten
unterscheiden, die in nichts anderem bestehen können, als in ihren
Perzeptionen
(d. h.
in den Darstellungen des Zusammengesetzten oder des außerhalb ihrer sich
Befindenden im Einfachen) und in ihren
Begehrungen
(d. h. in ihren Bestrebungen, von
einer Perzeption zur anderen überzugehen), welche die Prinzipien der Veränderung
sind. Denn die Einfachheit der Substanz hindert keineswegs die Vielheit
verschiedener Zustände, die sich in dieser selben einfachen Substanz
zusammenfinden und in der Mannigfaltigkeit ihrer Beziehungen zu den äußeren
Dingen bestehen müssen. Das ist wie bei einem
Zentrum
bzw. einem Punkt, wo - so
einfach er ist - sich eine unendliche Anzahl von Winkeln findet, die durch die in ihm
zusammentreffenden Linien gebildet werden.
3. In der Natur ist alles erfüllt. Überall gibt es einfache Substanzen, die sich
voneinander tatsächlich durch ihnen eigentümliche, beständig ihre Beziehungen
wechselnde Tätigkeiten unterscheiden. Jede einfache Substanz nun oder jede
ausgezeichnete Monade, die das Zentrum einer zusammengesetzten Substanz (wie z.
B. eines Tieres) und das Prinzip ihrer
Einzigkeit
ausmacht, ist umgeben von einer
Masse,
die sich aus einer unendlichen Anzahl anderer Monaden zusammensetzt. Diese
bilden den
Eigenkörper
dieser zentralen Monade, dessen Affektionen gemäß sie, wie
in einer Art
Zentrum,
die außer ihr sich befindenden Dinge darstellt. Dieser Körper ist
organisch, wenn er eine Art Automat oder natürlicher Maschine bildet, die nicht nur
im Ganzen, sondern auch in den kleinsten Teilen, die sich bemerkbar machen können,
Maschine ist. Da nun infolge der durchgängigen Erfüllung der Welt alles miteinander
in Verbindung steht und jeder Körper, je nach der Entfernung, mehr oder weniger auf
jeden anderen Körper einwirkt und so durch dessen Reaktion betroffen wird, so folgt
daraus, daß jede Monade ein lebendiger, der inneren Tätigkeit Fähiger Spiegel ist, der
das Universum aus seinem Gesichtspunkte darstellt und
ebenso eingerichtet ist wie das Universum selbst. Die Perzeptionen in der Monade
entstehen auseinander nach den Gesetzen des Strebens oder den
Zweckursachen des
Guten
und des
Bösen,
die in geordneten oder ungeordneten bemerkbaren Perzeptionen
bestehen - wie die Veränderungen der Körper und die äußeren Erscheinungen nach
den Gesetzen der
Wirkursachen,
d. h. der Bewegungen, auseinander hervorgehen.
Daher besteht eine vollkommene
Harmonie
zwischen den Perzeptionen der Monade
und den Bewegungen der Körper, die von Anbeginn an zwischen dem System der
Wirkursachen und dem der Zweckursachen prästabiliert ist; und eben darin besteht
die Übereinstimmung und die natürliche Vereinigung von Seele und Körper, ohne daß
eines die Gesetze des anderen zu ändern vermöchte.
4. Jede Monade bildet im Verein mit einem ihr eigentümlichen Körper eine lebendige
Substanz. Demnach gibt es nicht nur überall Leben, das an Glieder oder Organe
gebunden ist, sondern sogar unendlich viele Grade unter den Monaden, da die einen
mehr oder weniger über die anderen herrschen. Besitzt nun die Monade zweckvoll
beschaffene Organe, kraft deren es hervortretende und sich abhebende Unterschiede
in den Eindrücken, die sie empfangen, und folglich in den diese wiedergebenden
Perzeptionen gibt (wie so z. B. mittels der Gestalt der Augensäfte die Lichtstrahlen
konzentriert werden und mit größerer Kraft wirken), so kann das bis zur Empfindung
führen, d. h. bis zu einer von Gedächtnis begleiteten Perzeption, von der ein gewisses
Echo lange Zeit zurückbleibt, um sich bei Gelegenheit vernehmen zu lassen. Ein
solches Lebewesen nennt man
Tier,
wie seine Monade
Seele
genannt wird. Wenn
diese Seele nun bis zur
Vernunft
erhoben wird, so ist sie etwas Erhabeneres und man
zählt sie zu den
Geistern,
wie ich bald näher erklären werde.
Allerdings befinden sich die Tiere zuweilen in der Verfassung einfacher Lebewesen
und ihre Seelen im Zustande einfacher Monaden, nämlich dann, wenn ihre
Perzeptionen nicht hinreichend distinkt sind, um sich ihrer entsinnen zu können, wie
das bei einem tiefen traumlosen Schlafe oder in der Ohnmacht vorkommt. Aber auch
solche Perzeptionen, die bereits völlig verworren geworden sind, müssen sich in den
Tieren wieder entwirren Tassenaus weiter unten (§ 12) dargelegten Gründen. Man tut
deshalb gut daran, eine Unterscheidung zu machen zwischen der
Perzeption
oder dem
inneren Zustand der Monade, der die äußeren Dinge darstellt, und der
Apperzeption,
die das
Selbstbewußtsein
oder die reflexive Erkenntnis dieses inneren Zustandes ist.
Dies letztere ist keineswegs allen Seelen, ja nicht einmal derselben Seele allzeit
gegeben. In dieser mangelnden Unterscheidung liegt der Fehler der Cartesianer, die
die Perzeptionen, deren man sich nicht bewußt ist, nicht mit in Betracht ziehen, so wie
man in der populären Auffassung die sinnlich nicht wahrnehmbaren Körper außer
Betracht läßt. Das hat auch die Cartesianer zu der Meinung veranlaßt, einzig und
allein die Geister seien Monaden, Tierseelen aber, geschweige denn andere
Lebensprinzipien,
gebe es nicht. Indem sie den Tieren die Empfindung absprachen,
haben sie einerseits die gängige Meinung der Menschen zu sehr verletzt; anderseits
und im Gegensatz hierzu sind sie den vulgären Vorurteilen zu weit
entgegengekommen, indem sie eine lange
Betäubung,
die von einer großen Verwirrung
der Perzeptionen herrührt, mit dem
Tode
im strengen Sinne
verwechselt haben, worin alle Perzeption aufhören würde. Dadurch
ist die schlecht begründete Annahme von der Vernichtung einiger Seelen und die
verderbliche Ansicht einiger sehr hochtrabender Geister, die die Unsterblichkeit
unserer Seele bekämpft haben, bestärkt worden.
5. Es gibt unter den Perzeptionen der Tiere eine Verbindung, die eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem
Vernunftschluß
hat, aber diese ist auf nichts anderes als die
Erinnerung an
Tatsachen oder Wirkungen
gegründet, keineswegs aber auf die
Erkenntnis der
Ursachen.
Deshalb flieht ein Hund vor dem Stock, mit dem man ihn
geschlagen, weil die Erinnerung ihm den Schmerz vorstellt, den dieser Stock ihm
verursacht hat. Und insofern die Menschen empirisch verfahren, d. i. zu drei Vierteln
ihrer Handlungsweisen, handeln sie nicht anders als die Tiere. So erwartet man z. B.,
daß es morgen Tag sein wird, weil man es stets so erfahren hat: der Astronom sieht
das aus Vernunftgründen voraus. Aber selbst diese Vorhersage wird schließlich
versagen, wenn einst die Ursache des Tages, die keineswegs ewig ist, nicht mehr
sein wird.
Das
wahrhaft vernünftige Schlußfolgern
aber hängt ab von den notwendigen oder
wenigen Wahrheiten, wie es die der Logik, der Arithmetik, der Geometrie sind, die
eine unzweifelhafte Verknüpfung der Ideen und unfehlbare Folgerungen herstellen.
Diejenigen Lebewesen, bei denen sich diese Folgerungen nicht beobachten lassen,
werden
Tiere genannt; die
aber, die diese notwendigen Wahrheiten erkennen, heißen
vernunftbegabte Lebewesen
im eigentlichen Sinne, und ihre Seelen werden
Geister
genannt. Diese Seelen sind der Reflexion fähig und in der Lage, das in den Blick zu
fassen, was man
Ich,
Substanz, Seele, Geist nennt, mit einem Wort: die immateriellen
Dinge und Wahrheiten. Eben dieses befähigt uns zur Wissenschaft oder zu
beweiskräftigen Erkenntnissen.
6. Die neuzeitlichen Forschungen haben uns belehrt, und die Vernunft bestätigt es,
daß die Lebewesen, deren Organe uns bekannt sind, d. h. die Pflanzen und Tiere,
nicht -wie die Alten geglaubt haben- einem Fäulnisprozeß oder einem Chaos
entstammen, sondern präformierten Samen, und daß sie daher nur eine Umwandlung
präexistierender Lebewesen sind. In den Samen der großen Tiere gibt es kleine, die
mittels der Empfängnis ein neues Gewand anziehen und sich zu eigen machen, das
es ihnen ermöglicht, sich zu ernähren und zu vergrößern, um so auf einen größeren
Schauplatz überzugehen und die Fortpflanzung des großen Tieres zu bewirken.
Allerdings sind die Seelen der menschlichen Samentiere nicht vernunftbegabt,
sondern werden es erst dann, wenn die Empfängnis diese Tiere zur Menschennatur
bestimmt. Wie nun im allgemeinen die Tiere bei der Empfängnis oder
Zeugung
niemals völlig neu entstehen, so gehen sie auch in dem, was wir
Tod nennen, nicht
völlig zugrunde. Denn die Vernunft sagt uns, daß dasjenige, was nicht auf
natürlichem Wege anfängt, ebensowenig innerhalb der natürlichen Ordnung sein
Ende findet. Indem sie also ihre Maske oder ihre Hülle ablegen, kehren sie nur zu
einem winzigeren Schauplatz zurück, wo sie indes ebenso empfindungsfähig und
wohlgeordnet sein können wie auf dem größeren. Und was hier von den großen
Tieren gesagt wurde, gilt gleicherweise für die Zeugung und den Tod der Samentiere
selbst, d. h., sie entstehen wieder aus dem Wachstum
anderer, kleinerer Samentiere, an denen gemessen sie als groß gelten können; denn
in der Natur geht alles ins Unendliche.
Demnach sind sowohl die Seelen wie auch die Tiere unerzeugbar und unzerstörbar:
sie werden nur entwickelt, rückentwickelt, bekleidet, entkleidet, umgestaltet. Die
Seelen trennen sich niemals völlig von ihren Körpern und wandern auch nicht von
einem Körper in einen anderen, ihnen gänzlich fremden hinüber. Es gibt also keine
Metempsychose,
wohl hingegen eine
Metamorphose.
Die Tiere wechseln nur einzelne
Teile, nehmen diese an und geben jene auf; und was sich bei der Ernährung nach
und nach und an kleinen, unsinnlichen Teilchen, aber kontinuierlich vollzieht, das
tritt mit einemmal und deutlich bemerkbar, wenn auch selten, bei der Empfängnis und
beim Tode ein, bei denen sie mit einemmal viel erwerben oder verlieren.
7. Bis hierher haben wir nur einfach als
Physiker
geredet; jetzt wird es nötig, sich zur
Metaphysik zu
erheben, indem wir uns des
bedeutenden,
obgleich gemeinhin wenig
angewandten Prinzips
bedienen, wonach nichts ohne zureichenden Grund geschieht, d.
h.
daß sich nichts ereignet, ohne daß es dem, der die Dinge hinlänglich kennte, möglich
wäre, einen zureichenden Bestimmungsgrund anzugeben, weshalb es so ist und
durchaus nicht anders. Ist dieses Prinzip aufgestellt, so wird die erste Frage, die man
mit Recht stellen darf, die sein,
warum es eher Etwas als Nichts gibt.
Denn das Nichts
ist einfacher und leichter als irgendetwas. Setzt man ferner voraus, daß es Dinge
geben muß, so muß man einen Grund dafür angeben können,
weshalb sie so existieren
müssen wie sie sind
und nicht anders.
8. Nun läßt sich dieser zureichende Grund für die Existenz des Universums nicht in
der Reihe der zufälligen Dinge, d. h. der Körper und ihrer Vorstellungen in den
Seelen, finden: denn da die Materie als solche sich gegen Bewegung und Ruhe, wie
auch einer bestimmten Bewegung gegenüber indifferent verhält, so kann man in ihr
auch nicht den Grund für die Bewegung überhaupt und noch weniger für eine
bestimmte Bewegung entdecken. Und obgleich die gegenwärtige in der Materie
vorhandene Bewegung aus der vorhergehenden stammt und diese ebenfalls aus
einer vorhergehenden, so ist man dadurch doch nicht weitergekommen, man mag so
weit zurückgehen wie man will: denn stets erhebt sich die gleiche Frage. Also muß
der
zureichende Grund,
der keines anderen Grundes bedarf, außerhalb dieser Reihe
der zufälligen Dinge liegen und sich in einer Substanz vorfinden, welche die Ursache
der Reihe und ein notwendiges Wesen ist, das den Grund seiner Existenz in sich
selbst trägt; denn sonst hätte man noch immer keinen zureichenden Grund, bei dem
man stehenbleiben könnte. Dieser letzte Grund der Dinge wird
Gott
genannt.
9. Diese einfache ursprüngliche Substanz muß alle die Vollkommenheiten in
höchstem Maße in sich schließen, die in den abgeleiteten Substanzen, ihren
Wirkungen, enthalten sind. Daher wird sie an Macht, Wissen und Willen
vollkommen, d. h. allmächtig, allwissend und allgültig sein. Da ferner die
Gerechtigkeit
im allgemeinsten Sinne nichts anderes ist, als die der Weisheit entsprechende Güte,
so muß Gott auch die höchste Gerechtigkeit zukommen. Kraft des Grundes, durch
den die Dinge von ihm ihre Existenz haben, hängen sie auch in ihrer Fortdauer und
in ihren Tätigkeiten von ihm ab und erhalten
von ihm unaufhörlich alles das, was ihnen eine gewisse Vollkommenheit verleiht;
dasjenige aber, was ihnen an Unvollkommenheit bleibt, kommt aus der dem
Geschöpf eigenen wesenhaften und ursprünglichen Beschränkung.
10. Aus dieser höchsten Vollkommenheit Gottes folgt, daß er bei der Hervorbringung
des Universums den bestmöglichen Plan gewählt hat, in dem sich die größte
Mannigfaltigkeit mit der größten Ordnung vereinigt: wo das Land, Ort und Zeit in
der besten Weise verwendet und die größte Wirkung auf die einfachste Weise
erzielt wird; wo den Geschöpfen die größte Macht, das größte Wissen, das größte
Glück und die größte Güte gegeben wurde, die das Universum überhaupt zulassen
konnte. Denn da im göttlichen Verstande alle Möglichkeiten, nach dem Maße ihrer
Vollkommenheit, zur Existenz streben, so muß das Ergebnis aller dieser
Bestrebungen die wirkliche Welt als die vollkommenste aller überhaupt möglichen
sein. Ohne diese Voraussetzung wäre es unmöglich, einen Grund dafür aufzuzeigen,
warum die Dinge eher diesen als einen anderen Lauf genommen haben.
11. Die höchste Weisheit Gottes hat ihn vor allem die passendsten und den
abstrakten oder metaphysischen Gründen angemessensten
Bewegungsgesetze
wählen
lassen. Danach erhält sich stets die Quantität der totalen und der absoluten Kraft
oder der Tätigkeit, die gleiche Quantität der bezüglichen Kraft oder der Reaktion und
endlich die gleiche Quantität der Richtungskraft. Außerdem ist die Aktion stets der
Reaktion gleich und die Gesamtwirkung immer äquivalent ihrer vollen Ursache. Nun
ist es überraschend, daß man bei Betrachtung der
Wirkursachen
oder der Materie
allein diese Bewegungsgesetze, die in unseren Tagen, und zum Teil von mir selbst,
entdeckt wurden, nicht beweisen kann. Man muß dazu vielmehr, wie ich erkannt
habe, zu den
Zweckursachen
seine Zuflucht nehmen, weil diese Gesetze nicht - wie die
logischen, arithmetischen und geometrischen Wahrheiten- von dem
Prinzip der
Notwendigkeit
abhängen, sondern von dem
Prinzip der Angemessenheit,
d. h. von der
durch die Weisheit getroffenen Wahl. Es ist dieses einer der wirksamsten und
sinnfälligsten Beweise der Existenz Gottes, für alle, die imstande sind, diesen Dingen
auf den Grund zu gehen.
12. Es folgt weiter aus der Vollkommenheit des höchsten Urhebers, daß nicht nur die
Ordnung des Universums die vollkommenste überhaupt mögliche ist, sondern auch,
daß jeder lebendige Spiegel, der das Universum unter seinem Aspekt darstellt, d. h.
jede
Monade,
jedes substantielle Zentrum, die bestgeregelten Perzeptionen und
Strebungen haben muß, die mit der Gesamtheit der übrigen Dinge verträglich sind.
Hieraus folgt wiederum, daß die
Seelen,
d. h. die alle überragenden Monaden, ja sogar
die Tiere aus dem Zustande der Betäubung, in den sie durch den Tod oder einen
anderen Unfall geraten sind, wieder erwachen müssen.
13. Denn alle Dinge sind ein für allemal nach größtmöglicher Ordnung und
Übereinstimmung eingerichtet, da die oberste Weisheit und Güte nicht anders als in
vollkommener Harmonie handeln kann: die Gegenwart trägt die Zukunft in ihrem
Schoße, aus dem Vergangenen könnte man das Zukünftige ablesen, das Entfernte
wird durch das Naheliegende ausgedrückt. Die Schönheit des Universums könnte
man an jeder Seele erkennen, wenn man alle ihre verborgenen Falten entfalten könnte, die sich jedoch erst merklich mit der Zeit entwirren.
Da aber jede deutliche Perzeption der Seele eine unendliche Anzahl undeutlicher
Perzeptionen enthält, die das ganze Universum einschließen, so erkennt die Seele die
Dinge, die sie perzipiert, nur insofern, als diese Perzeptionen deutlich und
abgehoben sind, und ihre Vollkommenheit mißt sich an ihren deutlichen
Perzeptionen. Jede Seele erkennt das Unendliche, erkennt alles, freilich in
undeutlicher Weise, so wie ich etwa, wenn ich am Meeresufer spazierengehe und
das gewaltige Rauschen des Meeres höre, dabei auch die besonderen Geräusche
einer jeden Woge höre, aus denen das Gesamtgeräusch sich zusammensetzt, ohne
sie jedoch voneinander unterscheiden zu können. Unsere undeutlichen Perzeptionen
sind eben das Ergebnis der Eindrücke, die das gesamte Universum auf uns ausübt;
gleicherweise verhält es sich mit jeder Monade. Gott allein hat eine deutliche
Erkenntnis von allem, denn er ist der Ursprung alles Seienden. Man hat sehr gut von
ihm gesagt, daß sein Zentrum überall, seine Peripherie indes nirgends sei, da ihm
alles unmittelbar, ohne irgendeine Entfernung von diesem seinem Zentrum,
gegenwärtig ist.
14. Was die vernunftbegabte Seele oder den
Geist
anbetrifft, so liegt in ihm etwas
mehr als in den Monaden oder selbst in den einfachen Seelen. Er ist nicht nur ein
Spiegel des Universums der Geschöpfe, sondern außerdem ein Ebenbild der
Gottheit. Der Geist hat nicht nur eine Perzeption der Werke Gottes, sondern er ist
selbst auch imstande, etwas ihnen Ähnliches-wenn auch nur im kleinen -
hervorzubringen. Denn, ganz zu schweigen von den Wundern der Träume, in denen
wir mühelos (aber auch ohne es zu wollen) Dinge erfinden, über die man lange
nachdenken müßte, wollte man sie im Wachsein finden - so verfährt unsere Seele
auch in ihren gewollten Handlungen wie ein Baumeister; und indem sie die
Wissenschaften entdeckt, denen gemäß Gott die Dinge eingerichtet hat (nach
Gewicht, Maß, Zahl
etc.), ahmt sie innerhalb ihres Bereiches und ihrer kleinen Welt, in
der sie sich betätigen darf, das nach, was Gott in der großen tut.
15. Deshalb gehen alle Geister, seien es nun Menschen oder reine Geister, kraft der
Vernunft und der ewigen Wahrheiten mit Gott eine Art Gemeinschaft ein und sind
Angehörige des Gottesreiches, d. h. des vollkommensten Staates, der vom größten
und besten aller Monarchen gegründet und regiert ist. In diesem gibt es kein
Verbrechen ohne Bestrafung, keine guten Taten ohne entsprechende Belohnung
und schließlich soviel Tugend und Glück wie überhaupt möglich. Und das geschieht
nicht durch eine Umwälzung der Natur, so daß, was Gott den Seelen bestimmt, die
Gesetze der Körper störte, sondern gemäß der Ordnung der natürlichen Dinge selbst,
kraft der Harmonie, die zwischen dem Reiche der Natur und dem Reiche der Gnade,
zwischen Gott als Baumeister und Gott als Monarchen seit aller Zeit prästabiliert ist;
nämlich so, daß die Natur selbst zur Gnade hinführt, wie anderseits die Gnade die
Natur vervollkommnet, indem sie sich ihrer bedient.
16. Wenngleich uns somit die Vernunft auch nicht die Einzelheiten der großen
Zukunft lehren kann, was der Offenbarung vorbehalten ist, so können wir doch
durch sie versichert sein, daß alle Dinge in einer unsere Wünsche übertreffenden
Weise beschaffen sind. Denn da Gott als die vollkommenste und glücklichste
zugleich auch die liebenswerteste der Substanzen ist, und da die
reine
und
wahrhafte
Liebe
darin besteht, an den Vollkommenheiten und der Glückseligkeit des geliebten
Gegenstandes Freude zu finden - so muß uns diese Liebe, deren Gegenstand Gott ist,
der größten Freude, deren wir fähig sind, teilhaftig machen.
17. Und es ist leicht, ihn in der rechten Weise zu lieben, wenn man ihn in der
angegebenen Weise kennt. Denn wenn Gott auch mit unseren äußeren Sinnen nicht
wahrnehmbar ist, so ist er dennoch höchst liebenswert und schenkt uns höchste
Freude. Wir sehen, wie sehr Ehrungen die Menschen erfreuen, auch wenn sie nicht
die Eigenschaften äußerlich wahrnehmbarer Dinge haben.
Die Märtyrer und die Fanatiker (obwohl der letzteren Affekt schlecht geleitet ist)
zeigen, was die geistige Freude vermag. Ja, was von noch größerer Bedeutung ist: die
Sinnenfreuden selbst führen sich auf unklar erkannte intellektuelle Freuden zurück.
Die Musik entzückt uns, obschon ihre Schönheit in nichts anderem als in der
Entsprechung von Zahlen und der uns unbewußten Zählung besteht, welche die
Seele an den in gewissen Intervallen zusammentreffenden Schlägen und
Schwingungen der tönenden Körper vornimmt. Die Freuden, die das Auge an den
Proportionen findet, sind gleicher Art, und auch die der übrigen Sinne werden von
ähnlichen Dingen herrühren, obwohl wir sie nicht so deutlich erklären können.
18. Man kann in der nämlichen Weise sagen, daß die Gottesliebe uns schon jetzt
einen Vorgeschmack der zukünftigen Glückseligkeit genießen läßt; und wenngleich
sie uneigennützig ist, so wirkt sie doch durch sich selbst unser größtes Gut und
unseren größten Nutzen, selbst wenn man danach gar nicht suchte und nur die
Freude, die sie schenkt, als solche in Erwägung zöge, ohne auf den Nutzen zu achten,
der aus ihr entspringt; denn sie verleiht uns ein vollkommenes Vertrauen in die Güte
unseres Urhebers und Meisters, das eine wahre Ruhe des Geistes schafft, die nicht,
wie bei den Stoikern, aus erzwungener Geduld stammt, sondern aus einer
gegenwärtigen Zufriedenheit, die uns auch eines künftigen Glückes gewiß macht.
Außer dieser gegenwärtigen Freude kann nichts für die Zukunft nützlicher sein. Denn
die Gottesliebe erfüllt auch unsere Hoffnungen und führt uns den Weg des höchsten
Glückes. Kraft der vollkommenen Ordnung des Universums ist nämlich alles in der
bestmöglichen Weise gemacht, sowohl für das allgemeine Wohl, als insbesondere
auch zum Besten derer, die dieser Überzeugung und mit der göttlichen Regierung
zufrieden sind, was bei denen der Fall sein wird, die die Quelle alles Guten zu lieben
verstehen. Allerdings kann die höchste Glückseligkeit (von welcher
seligen Vision
oder
Erkenntnis Gottes sie auch begleitet sein mag) niemals vollständig erreicht werden;
denn da Gott unendlich ist, so wird er niemals ganz erkannt sein.
Somit wird und soll unser Glück niemals in einem vollkommenen Genießen bestehen,
bei dem nichts mehr zu wünschen übrig bliebe und das unseren Geist abstumpfen
würde, sondern in einem immerwährenden Fortschritt zu neuen Freuden und neuen
Vollkommenheiten.
LEIBNIZ GOTTFRIED WILHELM: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hrsg. von HERBERT HERRING. Hamburg 1956, S. 3-25.
LEIBNIZ, GOTTFRIED WILHELM: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hrsg. von HERBERT HERRING. Hamburg 1956, S. 27-31.