Woher kommt Punk?
In diesem Kapitel soll versucht
werden den geschichtlichen Ablauf von Punk, insbesondere von Punk-Rock, zu
skizzieren. Dieses Unterfangen ist nicht einfach, da es hier natürlich keine
allgemein gültige Anschauung geben kann. Punk selber tendiert ja eher dazu,
jegliche geschichtlichen Vorläufer oder Einflüsse zu negieren und sich selbst
als wegweisenden Bruch zu sehen. Trotzdem soll versucht werden ein paar
Richtungen anzuführen die als Vorläufer angesehen werden können. Auch die
Darstellung der Entwicklung von Punk-Rock seit den Sex Pistols ist natürlich
strittig, da nicht einmal die Musiker selbst sich oft einig sind, was nun als
Punk-Band zu bezeichnen ist und es außerdem kein Anfangsdatum für eine
Subkultur geben kann. Dennoch ist dieses Kapitel natürlich für eine spätere
empirische Einbettung unumgänglich, und es soll versucht werden, einen
vorsichtigen Mittelweg zu finden. Zuvor jedoch wird es nötig sein, das Wort
Punk selbst zu definieren.
Definition der Wortes Punk
Zu Beginn dieses Kapitels soll
zuerst eine Definition des Wortes Punk erfolgen. Diesem Wort, das uns heute
allen so leicht über die Lippen kommt, obwohl viele etwas anderes damit
verbinden, wurden im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen zugeschrieben. Der
Ursprung des Wortes ist unbekannt, jedoch kommt es aus dem Amerikanischen und
taucht erstmals um 1600 auf. Es bedeutet zunächst, ohne etwas damit zu tun zu
haben was wir heute darunter verstehen, soviel wie:
- prostitute, strumpet
- something or someone
worthless or inferior (devoid of worth or sense; poor in quality;
disappointing; nonsensical; rotten)
- nonsense
- a youth used as a
homosexual partner
- a young and inexperienced
person
- a young tramp
- a stupid naive or foolish
person
- a young untrained circus
elephant
In den Englisch - Deutschen Wörterbüchern
finden sich zu einem großen Teil die Übersetzungen der oben genannten
Beispiele wieder, angeführt werden aber auch
- A. Abfall, Mist
- B. wertloses Zeug
- C. faules Holz, Zunderholz
Nach dieser kurzen, willkürlichen
und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden Auflistung fällt bereits
auf, daß dem Wort Punk eigentlich immer nur "negative" Bedeutungen
mitschwingen, daß es am Rand der Gesellschaft stehende Personen beschreibt. Im
Jahr 1976 erhält das Wort Punk dann eine weitere, völlig neue Bedeutung dazu.
Mit der Bezeichnung einer völlig neuen Musikrichtung wird in den Wörterbüchern
"Punk-Rock" hinzugefügt:
- i. (late 1970) loud, vast,
violent style of rock music
- ii. a form of hard-driving
rock music characterized by an extremely bitter treatment of alienation and
social unrest
- iii. a loud, fast-moving
style of rock music characterized by aggressive and deliberately outrageous
lyrics and performance
Einflüsse und Vorläufer von
Punk
Über jeweilige Vorläufer oder
Einflüsse von Punk gibt es viele verschiedene Vermutungen, Ansichten und
Meinungen. In der vorhandenen Literatur wird unterschiedliches geäußert, wobei
zumeist jedoch zumindest die einhellige Ansicht besteht, daß derartige Einflüsse
nicht gänzlich zu negieren sind. Prinzipiell wäre dabei zuerst einmal zwischen
Vorläufern zu unterscheiden, die aus den Bereichen der Kunst stammen, und
jenen, die sich eher aus den Bereichen der Jugendsubkulturen und Musikstilen
rekrutieren. Zu ersterem zählen nachweislich Dadaismus, Lettrismus bzw.
Situationismus, als wichtige Musikstile wären aufzuzählen Rasta, Raggae und
auch die Beatgeneration mit Protagonisten wie Alan Ginsberg. Als eine
Bezugsquelle ist auch der New York Nihilismus zu sehen, eine Szene aus Musikern
und anderen Avantgardekünstlern. Als gewissermaßen Wegbereiter für Punk-Rock
muß oft auch der englische Pub-Rock herhalten, da Pub-Rock bereits Wege außerhalb
der etablierten Musikindustrie beschritten hatte, sowohl was Auftritte als auch
Aufnahmen betraf.
Eine eben solche Uneinigkeit
herrscht über die Frage aus welcher sozialen und gesellschaftlichen Klasse sich
Punk entwickelte. Punk als eine Art Weiterentwicklung der 68-Generation zu
betrachten wäre sicherlich falsch, zumal Punks ja ihre Abneigung gegenüber
"Hippies" klar zum Ausdruck bringen. Ebenso falsch wäre es, Punk als
ein reines Unterklasse Phänomen darzustellen, obwohl natürlich von den Wurzeln
her eine starke Verbindung zu den Arbeiterklassesubkulturen besteht. Im Folgen
soll näher auf die einzelnen Punkte eingegangen werden.
Dadaismus
Die Dadaisten der 20er Jahre
werden häufig als Vordenker und Vorläufer der Punkbewegung bezeichnet. Diese
Verbindungen werden gezogen da Dada, ebenso wie Punk, vehement gegen
Konventionen und Normen, gegen den herkömmlichen Kunstbegriff und für eine
unkonventionelle und respektlose Haltung gegenüber dem Bildungsbürger und
seinen Wertvorstellungen auftritt. Kunst und Alltag waren für Dadaisten nicht
unterscheidbar, potentiell war alles Kunst, es mußte nur in diesen Rang erhoben
werden. Eines der berühmtesten Beispiele von Dada war wohl das Versehen einer
Mona Lisa Kopie mit Schnurr- und Ziegenbart durch Marcel Duchamp. Die turbulente
Geschichte der Dada-Zentren war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Anfänge sind
mit etwa 1912 datiert, der Höhepunkt erreicht wurde aber zwischen 1916 und
1923, wobei in den meisten Zentren wie Zürich, Paris, Berlin, New York u. a.,
die Bewegung nur zwei bis drei Jahre andauerte. Die bekanntesten Protagonisten
waren etwa Raoul Hausmann, Hugo Ball, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara u. a.
Die Dadaisten waren in den Bereichen der Kunst, Literatur und Musik aktiv und
von hier hat Punk sicherlich einige Stilelement aufgegriffen. So wurde zum
Beispiel die Technik der Fotocollage von Dada geprägt, was auch in den späteren
Punk-Fanzines wieder zu finden ist.
So sehr es sicherlich möglich
ist Parallelen zwischen Dada und Punk zu ziehen, so klar treten jedoch auch die
Unterschiede zwischen den beiden Kunstformen zu Tage. Zum einen blieb Dada
gewissermaßen immer auf Künstlerateliers beschränkt, die Provokation fand
fast ausschließlich im Separee statt, während Punk ganz besonders in der Öffentlichkeit,
auf der Straße und im alltäglich Leben zu schockieren sucht. Weiters blieb
Dada, ganz im Gegensatz zu Punk, eigentlich hauptsächlich auf die Produzenten
beschränkt, während die Rezipienten von dieser Geisteshaltung weitgehend
ausgeschlossen blieben. Darin zeigt sich ein krasser Gegensatz zu Punk, da sich,
um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem Publikum der ersten Punk-Bands meist sehr
schnell neue Bands rekrutierten.
Situationismus
Die Situationisten greifen später
dann einige der Traditionen der Dadaisten auf. Hervorgegangen waren sie aus der
1952 gegründeten Lettristischen Internationale (L. I.), einer kleinen in Paris
beheimateten Gruppe von Intellektuellen, die in poetischer Form eine Kritik an
der modernen Gesellschaft aufgestellt hatten. Aus der L. I. wurde dann 1957 auf
der Konferenz der europäischen Avantgarde die Situationistische Internationale
gegründet. Die Situationisten beriefen sich auf den Dadaismus, den Surrealismus
und den Marxismus und erregten 1968 die meiste Aufmerksamkeit als sie ihre
Gesellschaftskritik in derbe Slogans umarbeiteten und auf die Mauern von Paris
sprayten. Die einflußreichsten Hauptfiguren waren Guy Debord und Raoul Vaneigem.
Um 1970 herum erlebte diese Philosophie dann eine Renaissance an den britischen
Kunsthochschulen und hier wurde unter anderem auch Malcolm McLaren, der spätere
Gründer der Sex Pistols beeinflußt: "Man kann meine Ideen in Zusammenhang
mit dieser Bewegung bringen. Es handelt sich um eine sehr Kunst-bewußte
Bewegung und man ging von der Überzeugung aus, man müsse ungeheure
Ansammlungen chaotischer Zustände produzieren, um daraus ein Stückchen Leben
zu gewinnen. Mich und andere Kunststudenten inspirierten einige Dinge, auf die
sie sich einließen - die Situationisten waren einfach die visuellen
Protagonisten. Sie erfanden marxistische Parolen, kritisierten die Konsumkultur
und schrieben wahnsinnige Slogans, verwendeten dabei pornographische Elemente
und inszenierten wunderbare Happenings, welche die Leute in bißchen
verunsicherten.
Reggae
Punk und Reggae lassen sich zwar
nicht kausal zueinander in Verbindung bringen, aber dennoch herrschte, besonders
in der Anfangsphase des Punk, eine Art von Akzeptanz zwischen den beiden Lagern.
In Großbritannien fand Reggae durch die westindische Einwanderergemeinde
Verbreitung, und war zu Beginn eine der wenigen Musikformen, die Punk neben sich
duldete. Beeinflußt davon zeigten sich unter anderem die britischen Punk-Bands
"Clash" und "Slits" sowie die amerikanische Hardcoreband der
"Bad Brains", die als einzige Hardcoreband gänzlich aus
Afroamerikanern besteht und alle drei Elemente - Punk, Hardcore und Reggae -
nebeneinander verwendet. Gemeinsam hatten die beiden, Punk und Reggae, auch die
fast gleich stark erfahrene Ablehnung, wie zum Beispiel durch Skinheads, was
auch als einer der Gründe für die kurzzeitige Akzeptanz gesehen werden kann.
Trotz dieser Verwandtschaft
waren beide Richtungen jedoch weit davon entfernt sich zu ähneln oder sogar
voneinander zu kopieren. Wie bei den meisten anderen Aspekten auch, entwickelte
sich Punk in die genaue Gegenrichtung zu seinen Quellen, und Reggae und Punk
stehen heute in hörbarem Gegensatz zueinander.
New York Nihilismus
Als wichtiger Einflußfaktor für
den britischen Punk wird heute auch der etwa um 1974 anzusetzende New York
Nihilismus gesehen. "Anknüpfend an die Pop Art der frühen 60er Jahre
suchten Künstler der unterschiedlichsten Sparten hier eine `Punk-Art´ zu
schaffen. Alles als wertlos und trivial angesehene sollte als Ausgangspunkt für
Kunst dienen und durch eine möglichst schockierende Darstellung dieses
Wertlosen sollte das herrschende Wertesytem in Frage gestellt, die Kehrseite
dieses Systems ausgestellt werden. Die Szene setzte sich zusammen aus
Kunststudenten, Musikern, Jungfilmern, Videokünstlern, Fotografen und
Journalisten, als typische musikalische Vertreter dieser neuen Avantgarde sind
Patti Smith, die New York Dolls, Iggy Pop, die Ramones u. a. zu nennen. Zunächst
waren die Sex Pistols ganz in diesem Sinne auch eher ein künstlerischer Versuch
gewesen, "mit dem McLaren den Ansatz des New Yorker Nihilismus in eine
situationistische Performance Art umzusetzen und nach seinen Vorstellungen
weiterzuentwickeln versuchte. Die Verbindungen zu New York waren auch deshalb
sehr stark ausgeprägt, weil Malcolm McLaren zwischen 1974 und 1975 Manager der
Band New York Dolls war, die einen wichtigen Eckpfeiler der exzentrischen New
Wave Avantgarde darstellten. Der Unterschied zu dem aus Großbritannien
stammenden Punk war aber der, daß sich die amerikanischen New Wave Bands nie
als Vorreiter eines sozialen Wandels sahen und ihr kommerzieller Erfolg auch den
Mainstream Pop und die kommerzielle Plattenindustrie nicht in dem selben Maße
zu beeinflussen vermochte, wie dies beim britischen Punk gelang.
Verbindung von Punk zu der
68er Generation und zu Arbeitersubkulturen
Obwohl Punk und die
protestierende Bewegung der 68er Genreration in gewisser Weise die selben bürgerlichen
Werte anprangerten und verurteilten, wäre es mehr als nur falsch eine direkte
Verbindung von dem einen zu dem anderen zu ziehen. Ganz im Gegenteil, Johnny
Rotten, Sänger der Sex Pistols, bringt seine Abneigung mehr als nur deutlich
zum Ausdruck. "Ich hasse Hippies und alles wofür sie stehen, ich hasse
langes Haar, ich hasse Pub Bands. Ich will das verändern, so daß es mehr Bands
wie uns gibt... Es ist sogar so, daß Hippies in der Skala der am meisten gehaßten
Personen bei Punks einen absoluten Spitzenplatz einnehmen. "Bob Dylan brach
sich den Hals. "Zu schön um wahr zu sein" schreiben Parsons und
Burchill 1978 in ihrem Buch "The boy looked at Johnny". Diese extreme
Abneigung mag auf den ersten Blick verwundern, bei genauerem Hinsehen zeigen
sich die Unterschiede jedoch bereits sehr deutlich. Der Vision einer von Liebe
und Frieden überschwemmten Welt setzt Punk seine Bestandsaufnahme gegenwärtiger
Zustände entgegen, in denen Liebe und Frieden seiner Meinung nach "no
future" hat. Außerdem besetzten ehemalige Hippies zur Zeit des Punk
bereits einige wichtige und hohe Schaltstellen in der Musikindustrie und anderen
gesellschaftlichen Bereichen.
Dennoch ähnelt Punk in
gewisser Weise dem Lebensstil der Hippies, auf Grund des durchaus ähnlichen
"Feindbildes", immer noch mehr, als dem von Arbeiterklasse
Subkulturen, mit denen er auch oft in Verbindung gebracht wird. Der Unterschied
dieser Kulturen zeigt sich schon deutlich in der Einstellung zur Arbeitsmoral. Während
Punks die Teilnahme am gesellschaftlichen Arbeitsprozeß ablehnen, das
"Recht auf Arbeitslosigkeit" proklamieren und ihr Leben nicht selten
durch betteln finanzieren, ist Arbeit für die Identität der anderen
essentiell. Der Ausländerhaß der Skinheads beispielsweise, stützt sich ja auf
die Behauptung, daß ihnen diese die Arbeit wegnehmen würden. Außerdem halten
Skinheads zumeist regen Kontakt zu ihren Familien aufrecht, während Punks die
Autorität des Elternhauses strikt ablehnen. Die Bekenntnis zu Punk alleine
reicht hier meist bereits aus um einen Bruch mit dem Elternhaus herbeizuführen.
"In 1983 I decided after going to school for a few semesters that I just
want to get into Punk Rock, just Hardcore Punk. So I shaved a mohawk, I started
hanging out with people and my father threw me out of the house for being a Punk
Rocker.
Natürlich hat Punk von seinem
Ursprung her eine starke Verbindung zu der Arbeiterklasse, da ohne deren trüben
Aussichten die Bewegung wohl kaum entstanden wäre, jedoch entfernte sich Punk
dann im Laufe der Zeit immer stärker von diesen Wurzeln. Diese Tatsache bringt
Jay von der Hardcoreband Bad Religion auf den Punkt. "Wir waren keine
Ausgestoßenen, keine Opfer der Gesellschaft, sondern wir waren alle, wenn ich
ehrlich bin, richtige kleine Streber. Viele Punk Musiker gehören eher der
Mittelklasse an, Jugend mit reichen Eltern, die die Unfreiheit durch bürgerliche
Wertvorstellungen genauso langweilig finden, wie die Armen ihr Eingeschränkt
sein durch Armut. In diesem Sinne ist Punk eigentlich klassenlos, da in
zerfetzten Kleidern alle gleich aussehen