ST. LAURENTIUS ALS VORGÄNGER DES FRANZISKANERKLOSTERS

HERZOG (1740, 63) und GREIDERER (1777, 400f) verweisen auf die Existenz einer vorklösterlichen Laurentius-Kapelle, wobei nicht klargestellt wird, ob diese Kapelle selbständig neben dem Kloster geführt wurde oder in die Klosterkirche umgewandelt wurde. WEIGL (1972, 22 u. 1981, 319) nennt weitere Urkunden, welche sich auf ein St. Laurentius bei Ried beziehen. So wird in den passauischen Matriken 1476 ein "S. Laurentii prope Ried" erwähnt (SCHMIEDER 1885, 24) und in den Regesten der Stadt Tulln ist die Rede davon, daß mehrere Nachbarn von Ollern um 1435 dafür Sorge tragen, daß ein nach "St. Lorenzen bei Ried" gestifteter Kelche nicht veräußert werde (KERSCHBAUMER 1874, 400; nach KOLLER 1983 stammt die Urkunde von 1429).

Mit dem nahe bei Ried liegenden Ollern (Alaren, Olaren) wird in Freisinger Urbaren mehrmals eine St. Laurentius-Kirche genannt: 1315 die "ecclesia sancti Laurencii prope Alaren" (FRA II/36, 51), 1305/06 ein "plebanus de sancto Laurencio" (FRA II/36, 372), 1296 die "capella sancti Laurencii" (FRA II/36, 375). In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die Urkunden des 15. Jhdts. von einer Kirche bei Ried sprechen, die freisingischen Urbare sich jedoch auf das weiter entfernte Ollern beziehen. Auch der kirchenrechtliche Status läßt sich nicht eindeutig festlegen, wie z. B. im Freisinger Urbar von 1305/06, wo ein "plebanus de Ried" und ein "plebanus de sancto Laurencio" erwähnt werden, gleichzeitig aber von einer "capelle in sancto Laurencio" die Rede ist (FRA II/36, 374).

KOLLER (1983) hat sich mit diesen Urkunden auseinandergesetzt und zieht für die Laurentius-Kirche noch ein weiteres Freisinger Urbar von 1160 heran, in welchem der Nutzen einer Kapelle in Ollern erwähnt wird (FRA II/36, 16). Er kommt zu folgenden Ergebnissen: Im 9. Jhdt. war St. Laurentius Kapelle der Mutterpfarre Abstetten, Anfang des 12. Jhdts. bestand bereits mit Sicherheit eine Laurentius-Kirche als Kirche von Ollern (obwohl der Ort mehrere Kilometer vom Standort des späteren Klosters entfernt liegt !), welche spätestens um 1305/06 den Rang einer Pfarrkirche besaß. Um 1330/40 wurde die Kirche widerrechtlich an die Habsburger verkauft und im Anschluß daran der pfarrlichen Stellung enthoben (KOLLER 1983, 29f). Von der historisch nicht haltbaren Schenkung an Franziskaner vor der Mitte des 15. Jhdts. war schon die Rede.

Sieht man sich die Urkunden genauer an, insbesondere jene von 1305/06 (FRA II/36, 374) gewinnt man den Eindruck, daß zwischen einer Pfarre mit Leutpriester (plebanus de sancto Laurencio) und einer Filialkirche (capelle in sancto Laurencio) unterschieden werden muß, wobei letztere aufgrund der Grenzbeschreibung im Gebiet des späteren Klosters lag. Von den heute noch bekannten Namen werden in der Grenzbeschreibung die Tulbinger Au (Dultigesawe), der Alerbach, der Mauerbach, der Schliefgraben (Chlepfenden graben) und die Gablitz erwähnt (siehe Österreichkarte 1:50.000). Dieses große Gebiet kann sich nun wieder nicht auf die Kapelle St. Laurentius beziehen, sondern gehört zur "ecclesia" bei Ollern (vgl. FRA II/36, 51).

Auch die archäologischen Befunde sprechen für eine Unterscheidung zwischen der Kapelle und der mit einem Leutpriester besetzten Kirche. Zu letzterer gehört unter anderem das Begräbnisrecht. Es haben sich bis jetzt jedoch weder konkrete Hinweise auf einen Friedhof im Bereich des Klosters gefunden, noch Spuren einer vorklösterlichen Siedlung (vgl. BORS 1986). Man wird mit Recht annehmen dürfen, daß die bei HERZOG und GREIDERER erwähnte Laurentius-Kapelle bereits im 14. Jhdt. bestand, jedoch mit der ehemaligen Pfarrkirche von Ollern nicht identisch ist.

Die Annahme KOLLERs (1983, 27), daß wegen des Patroziniums der Kapelle und des Klosterbründls eine bis auf römische Zeit zurückreichende Kultkontinuität nachzuweisen sei, kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Die von ihm beobachteten "römischen Dachziegel" im Mauerverband der Klosterruine stammen eindeutig aus der Zeit des Klosters. Auch die bisher unpublizierten Grabungen im Klosterbereich durch das Österr. Archäologische Institut in den Siebzigerjahren haben keinerlei Funde oder Hinweise aus vorklösterlicher Zeit erbracht.

Die gleichzeitige Nennung von S. Maria in Paradyso und St. Laurentio (HERZOG 1740, 83: "in Paradyso ad B. V. & Laur.") läßt den Schluß zu, daß wahrscheinlich die ehemalige Laurentius-Kapelle ihr Patrozinium beibehielt, aber zusätzlich als Klosterkirche diente.


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