Religion und Krieg im Islam -der Djihad und sein Einfluß auf die
christliche Lehre vom heiligen Krieg

 
Mit der vorliegenden Arbeit verfolge ich die Absicht, einerseits einen kurzen Überblick über das Verhältnis von Religion und Krieg im Islam zu geben und andererseits einige Überlegungen anzustellen, ob und wie Theorie und Praxis des islamischen "heiligen Krieges" die sich entwickelnden christlichen Vorstellungen zu diesem Thema beeinflußt haben. Bei letzterem Vergleich möchte ich mich zeitlich weitestgehend auf die Epoche der Kreuzzüge beschränken. Verzichten werde ich auf eine ausführlichere Darstellung der Entwicklung der Idee vom "religiös gerechtfertigten Krieg" zu dieser Zeit auf christlicher Seite, da dieses Thema im Gegensatz zu den beiden Hauptaspekten meiner Arbeit bereits sehr gut untersucht ist und auch in vielen Einzelthemen Gegenstand des Seminars war.

Zunächst werde ich die Frage der theologischen Grundlagen der Verbindung von Religion und Krieg im Islam untersuchen. Dabei ergeben sich gleich zwei methodische Probleme: Erstens mußte ich, da ich des Arabischen nicht mächtig bin, bei der Wiedergabe von relevanten Koranversen und Aussprüchen des Propheten auf Übersetzungen zurückgreifen. Dabei stellte ich fest, daß ein und derselbe Koranvers in verschiedenen Arbeiten mit oftmals sinnverändernden Unterschieden in der Übersetzung angeführt wurde. Die Versionen, die ich letztendlich zitiere, entsprechen deshalb wohl nicht mit letzter Sicherheit dem Original.

Zweitens existieren seit frühesten Zeiten im Islam selbst unterschiedliche Traditionen der Interpretation und Bewertung von Glaubenstexten. Ich habe mich für diese Arbeit darauf beschränkt, die Ansichten der zu jener Zeit einflußreichsten Rechtsschulen der sunnitischen Glaubensrichtung wiederzugeben. Andere Haltungen zum Glaubenskampf habe ich nur dann angeführt, wenn sie entweder stark von der vorherrschenden Meinung abwichen oder besonderen Einfluß auf den Austausch mit dem christlichen Abendland entwickelt haben könnten (wie die der schiitischen Schulen während der Herrschaft der Fatimiden in Ägypten, Syrien und Palästina ).

Als zweiten Schritt, eng verbunden mit dem ersten, werde ich einige Anmerkungen zur praktischen Durchführung des "heiligen Krieges" im Islam machen und die Frage zu beantworten suchen, ob und in welchem Maße sich Bedeutung und Charakter dieses Krieges in den Jahrhunderten von Mohammeds Tod bis zu den Kreuzzügen verändert haben.

Im Anschluß daran komme ich zum schwierigsten Teil meiner Arbeit - schwierig deshalb, weil es für die Beeinflussung der hochmittelalterlichen christlichen Kriegstheorie durch die bereits seit langem existente islamische Lehre vom Djihad so gut wie keine hieb- und stichfesten schriftlichen Beweise gibt. Die Quellen sind äußerst dürftig, und dementsprechend hat das Thema auch noch nicht das Augenmerk und die Arbeit vieler Historiker auf sich gezogen.

Es gibt aber meiner Meinung nach einige Indizien, die dafür sprechen, daß der islamische Einfluß keinesfalls für einfach nicht vorhanden und alle christlichen Theorien für völlig eigenständige Entwicklungen erklärt werden können. Diese Anhaltspunkte werde ich vorstellen und ebenfalls überlegen, auf welchem Wege islamische Einflüsse zum Thema des "heiligen Krieges" Westeuropa und damit die führenden römisch-katholischen Theologen möglicherweise erreicht haben. Letzte Sicherheit wird sich hier jedoch nicht erzielen lassen. Es bleibt hier noch eine Menge Forschungsarbeit für die bislang etwas eurozentrierte Geschichtswissenschaft zu leisten.

I

Der Begriff Djihad, der in den meisten Quellen schlicht als "(islamischer) heiliger Krieg" übersetzt wird und auch heute noch vor allem als Selbstbezeichnung für die Aktionen arabischer Terroristen geläufig ist, hat von seiner Etymologie her zunächst erstaunlich wenig mit Krieg und Blutvergießen zu tun. Djihad bezeichnet in vorislamischen Quellen ein "starkes Bemühen, eine Anstrengung um einer Sache willen". Und auch im Koran, in dem dieses Wort insgesamt an fünfunddreißig Stellen vorkommt, lassen sich von diesen nur zehn überhaupt in kriegerischem Sinne interpretieren. Nichtsdestoweniger hat sich dieser Begriff in der islamischen Welt des Mittelalters als Synonym für den Kampf auf dem Wege Gottes durchgesetzt, und der Koranvers der Sure "Die Buße" wurde allgemein als Aufforderung zum bewaffneten Kampf gegen Ungläubige gedeutet:

"Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören - von denen, die die Schrift erhalten haben - bis sie demütig aus der Hand Tribut entrichten !" An diesem Vers, in dem das zu Djihad gehörende Verb mit "Kämpft!" übersetzt wird, sind noch zwei Dinge bemerkenswert: Zunächst richtet sich die Aufforderung ausschließlich gegen die "Schriftbesitzer", das heißt zunächst nur die Juden und Christen. Auch an anderen Stellen des Koran erfahrenen diese Religionen gesonderte Erwähnung, während des öfteren nur allgemein von "Ungläubigen" die Rede ist. Dies sollte später noch zu Problemen bei der Herleitung und Begründung praktischen Verhaltens gegenüber den beiden Schriftreligionen auf der einen und "echten" Heiden auf der anderen Seite führen.

Außerdem benennt dieser Vers das konkrete Ziel des Kampfes im Auftrage Gottes: Nicht die Bekehrung der Schriftbesitzer zum Islam ist das Ziel, sondern ihre politische Unterwerfung und finanzielle Abhängigkeit. Dies paßt auch zu anderen Koranversen, wie dem berühmten:

"In der Religion gibt es keinen Zwang." Einen gewissen Widerspruch dazu bildet ein später von den Mudjahidun, den "heiligen Kriegern", gern zitiertes Hadit, ein Ausspruch des Propheten: "Ich habe den Auftrag erhalten, die Ungläubigen zu bekämpfen, bis sie bezeugen: ,Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet’". Diese Art des Krieges würde dann allerdings eine vollständige Bekehrung der Unterworfenen zum Ziel haben. Neben den Zweifeln an der Echtheit dieses Hadits, das wie viele andere erst lange nach Mohammeds Tod "aufgeschrieben" wurde, spricht aber auch der tatsächliche Verlauf der großen islamischen Eroberungszüge gegen einen solchen Rigorismus. Selbstverständlich war und blieb die Hinwendung der Unterworfenen zum Islam zumindest aus theologischen Gründen erwünscht, aber der Djihad war nicht das Mittel, um sie zu erreichen.

Der Koran bietet darüber hinaus wenig konkrete Anweisungen, wie der Djihad praktisch durchzuführen sei. Ich möchte hier nur noch zwei Verse anführen, der eine die Aufforderung zur Mäßigung auf dem Kriegszug, der andere die deutlichste Lohnversprechung für den Kämpfer:

"Und kämpft um Gottes willen gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen! Aber begeht keine Übertretung! Gott liebt die nicht, die Übertretungen begehen."

"Gott hat den Gläubigen ihre Person und ihr Vermögen dafür abgekauft, daß sie das Paradies haben sollen. Nun müssen sie um Gottes willen kämpfen und dabei töten oder selbst den Tod erleiden."

Neben dem Aufruf, Ausschweifungen auf Kriegszügen zu unterlassen, ist es für eine Religion, die letztendlich sehr viel Wert auf das kämpferische Auftreten ihrer Anhänger legt, bemerkenswert, daß das im Koran entworfene Bild des Paradieses, in das der kämpfende Gläubige einziehen sollte, insgesamt auffällig frei von kriegerischen Zügen ist. Es gibt dort keine glänzenden Waffen, keine heroischen Zweikämpfe und keine ruhmreichen Schlachten voller Kampfeslust, wie sie sonst in den Nachweltsvorstellungen stark durch Krieg geprägter Religionen - man nehme zum Vergleich das nordische Walhall - typisch sind. Auch anderswo lassen sich in der Offenbarung Mohammeds einige sonst für das Leben der damaligen Araber sehr prägende Begriffe aus der Alltagswelt des Kriegers, zum Beispiel einige Ausdrücke für Tapferkeit, männlichen Mut, physische Stärke und vor allem Bezeichnungen für Waffen wie Lanze und Säbel, nicht finden.

Dieser Mangel machte es notwendig, vor allem in der Zeit, als die Feldzüge der Araber immer größere Dimensionen annahmen, den Korantext hinsichtlich des Djihad zu ergänzen und zu kommentieren. Zu diesem Zwecke dienten als Vorbild die Taten (Sira) und die Aussprüche (Hadit) Mohammeds, zusammengefaßt Sunna ( etwa Brauch, Lebensweise ) genannt. Das Problem dieser Traditionen ist es, daß sich nur wenige von ihnen mit Sicherheit wirklich auf den Propheten zurückführen lassen. Ein großer Teil von ihnen trägt zu deutlich die Handschrift späterer Jahrhunderte, als man neue, im Koran nicht bedachte Problemstellungen unter Zuhilfenahme der Autorität Mohammeds zu lösen versuchte. Trotz oder gerade wegen dieses Nachteils sind Sira und Hadit jedoch besonders aussagekräftig, wenn es darum geht, die praktische Umsetzung des Korans und die Kontroversen darüber zu betrachten.

Ein erster großer Streit zwischen den Theoretikern des Djihad entbrannte alsbald um die Frage, ob es denn für den Genuß der geistlichen Vorteile (den "Kauf" des Paradieses, siehe oben) auf die Reinheit der Motive des Mudjahid ankomme oder ob die Teilnahme am Feldzug allein schon genüge. Ziel der Kritik war vor allem das in der arabischen Kriegstradition fest verwurzelte Streben nach Beute. Dieses wurde an sich auch nicht verurteilt, es sollte nur nicht den Hauptbeweggrund für die Teilnahme am Djihad verdrängen - den Kampf um Gottes, nicht der Beute willen. So sagt ein Hadit:

"Ich habe Erlaubnis erhalten, Beute zu machen, ein Privileg, das noch kein Apostel vor mir innehatte." Gleichzeitig aber wurde oft eine gegensätzliche Geschichte aus dem Leben Mohammeds zitiert. In dieser kommentiert er die Worte seiner Gefährten, daß ein Mitkämpfer, der soeben im Kampf mit dem heidnischen Besitzer eines von ihm begehrten Esels gefallen war, für die Sache Gottes gestorben sei, mit der Bemerkung: "Er starb für die Sache des Esels."

Letzten Endes setzte sich aber aus pragmatischen Gründen die Einsicht durch, daß die Aussicht auf Beute als Kampfanreiz und bei der Werbung genügend großer Zahlen von Kämpfern unverzichtbar sei, und obwohl die Kritik nie verstummte, beschränkte sie sich doch bald weitgehend auf kleinere religiöse Gruppen am Rande der Orthodoxie. Es bildeten sich im Gegenteil komplizierte Rechtsvorschriften heraus, die nicht bestimmten, ob, sondern wie die Beute zu verteilen sei. Die im Krieg erworbenen Güter ( zu denen auch die besiegten Menschen zählen konnten ) wurden in bis zu fünf verschiedene Kategorien untergliedert, die jeweils nach anderen Verfahren und Verteilungsschlüsseln an die erfolgreichen Kämpfer auszugeben waren. Die Beute galt als irdische Belohnung Gottes für die Bemühungen seiner Anhänger, im Gegensatz zur "himmlischen Beute", dem Einzug ins Paradies im Todesfalle. Ein Fünftel der Beute war stets der "Anteil Gottes", der zunächst dem Propheten und später den Finanzinstitutionen der einzelnen Herrscher und Heerführer zustand.

Eine weitere praktische Schwierigkeit ergab sich daraus, daß die Aufforderung zum Djihad im Koran weder zeitlich noch in Bezug auf den Kreis der Teilnehmer begrenzt war. Der Kampf auf dem Wege Gottes sollte ohne Unterlaß bis zum Ende der Welt dauern und die Pflicht eines jeden Moslems, ganz gleich welchen Geschlechts, Alters oder Zustands sein. Eine solche Doktrin ließ sich in unveränderter Form praktisch kaum durchführen, besonders dann, als das Gebiet des Islam schon soweit ausgedehnt worden war, daß nur noch eine Minderheit der Moslems überhaupt noch ständigen Kontakt zu Ungläubigen hatte. Auch eine ununterbrochene Kriegführung und eine Teilnahme aller Moslems, insbesondere der Frauen, Kinder und Alten, ließ sich wirtschaftlich beziehungsweise gesellschaftlich nicht verwirklichen. So hielt man zwar die Idee von der Ewigkeit des Djihad aufrecht und ließ Mohammed sprechen:

"Der Djihad wird andauern von dem Zeitpunkt, an dem Gott mich gesandt hat, bis zu demjenigen, an dem die letzte Kämpferschar meiner Gemeinde den Antichristen (Djabbal) töten wird, ohne daß dieser Kampf jemals unterbrochen wird, nicht durch Recht und nicht durch Unrecht." Und Fragen nach einer etwaigen geographischen Grenze des Islam wurden beantwortet mit dem Satz aus dem Munde des Propheten: "Ich wurde zu allen Menschen gesandt." Doch daneben interpretierte man die Koranstelle, in der davon die Rede war, daß Gott den Gläubigen Person und Vermögen für das Paradies abgekauft habe ( siehe Seite 3 ), dahingehend, daß der Gläubige auch Djihad führen könne, indem er zwar nicht persönlich ins Feld ziehe, aber mit seinem Vermögen andere dazu befähigte. Das als Untermauerung dieser Anschauung benutzte Hadit lautete wie folgt: "Wer immer einen Kämpfer auf dem Wege Gottes ausrüstet ( oder in anderen Versionen: unterhält ), wird ins Paradies kommen." Dazu trat noch eine dritte mehr oder weniger akzeptierte Form des Djihad, nämlich die mit der "Zunge" oder dem Wort, worunter das Verfassen von religiöser Propaganda, die Verspottung des Unglaubens und die Erbauung der Gläubigen durch gottgefällige Reden verstanden wurden.

Die Beteiligung von Kindern, Alten und insbesondere von Frauen wurde sehr schnell auf passive Rollen zurückgedrängt. Sie durften zwar an einigen Zügen teilnehmen, jedoch nicht als aktive Kämpfer, sondern lediglich als Hilfspersonal. Dafür wurden die verschiedensten Gründe aufgeführt, die neben dem Vorwurf der körperlichen Schwäche vor allem der islamischen Familien- und Sittengesetzgebung entstammten. Der kämpfende Mudjahid mußte nach Ansicht der führenden Rechtsgelehrten folgende Kriterien erfüllen: Er mußte Moslem, männlich, volljährig, frei von Verpflichtungen jeglicher Art, zurechnungs- und handlungsfähig sein, sich für die Dauer des Kriegszuges selbst unterhalten können und ausreichende physische Fähigkeiten aufbringen. Den Kreis derjenigen Frauen, die in Ausnahmefällen als Begleiterinnen zugelassen waren, beschränkte man meist entweder auf die legalen Ehefrauen der Mudjahidun, oder aber auf Sklavinnen. Für gewöhnlich aber sollten die Frauen, einem Hadit zufolge, die Pilgerfahrt nach Mekka als ihren Djihad betrachten.

Eine weitere im Koran ungeklärte Frage war die nach der Organisationsform des Djihad. War er die Sache eines jeden Moslems als Individuum, das ihn je nach Gelegenheit und eigenen Möglichkeiten führen konnte, oder sollte er die Sache der ganzen Gemeinde ( Umma ) sein und von ihren Führern organisiert werden ?

Zu Beginn der Entwicklung des Islam war es ungeschriebenes und unausgesprochenes Gesetz, daß selbstverständlich der Prophet in eigener Person und niemand sonst die Gläubigen in den Kampf auf dem Weg Gottes führte. Diese Vollmacht ging, wenn auch schon nur unter einigen Problemen, auf die ihm unmittelbar nachfolgenden Kalifen über. Der erste große Bruch in dieser bisher stark zentralistischen Form des Djihad ergab sich spätestens nach der nahezu explosionsartigen Ausdehnung des Machtbereichs des Islam im ersten Jahrhundert nach seiner Entstehung. Den Kalifen wurde es nun physisch unmöglich, binnen für die Kriegführung relevanter Zeiträume ( nach dem Verständnis der Rechtsgelehrten einem Jahr entsprechend ) gleichzeitig Mudjahidun an den Grenzen Chinas, Numidiens, Byzanz’ und des Frankenreiches anzuführen. Selbst nach der Teilung in mehrere Kalifate blieb es unumgänglich, die vorher schon in Einzelfällen praktizierte Delegierung des Oberbefehls an Emire genannte Heerführer als Regelfall einzurichten. Mit der Veränderung des Charakters der islamischen Heere, von der weiter unten noch zu berichten sein wird, vom Freiwilligen- zum Söldnerheer entstand schließlich die Klasse der Mutatawwia, der Freiwilligen aus Gründen des Glaubens, die keiner offiziellen Verpflichtung, sondern nur ihrem eigenen Bedürfnis zum Dienst an der Sache Gottes nachkamen. Auch der Übergang des Stils der Kriegführung von großen Kampagnen zum Grenzkampf förderte die Individualisierung des Djihad: Es bildete sich die besondere Kampfform des Ribat, die bisweilen als Synonym für Djihad behandelt werden kann, in einigen Fällen jedoch auch nur mittelbar damit verwandte Dinge bezeichnet. Im allgemeinen verstand man darunter den sowohl defensiven als auch offensiven Kampf von einem befestigten Grenzplatz aus, der gleich häufig entweder ebenfalls als Ribat oder als Tugur bezeichnet wurde. Dieser wurde meist von für eine bestimmte Zeit angereisten Freiwilligen betrieben, die im Ribat lebten und dabei eine religiös geprägte Lebensform entwickelten, die noch am ehesten mit dem Leben in einem Kloster verglichen werden kann.Neben diesen individuellen Betätigungen auf dem Wege Gottes gab es aber weiterhin, wenn auch bisweilen nur in sehr großen Intervallen, von regionalen und überregionalen Machthabern ausgerufene und angeführte Kriegszüge, die im Rahmen des Djihad geführt wurden. Es bildete sich also schließlich eine Praxis des Djihad heraus, in der individueller und zentral organisierter Glaubenskampf gleichwertig nebeneinander bestanden und sich zu bestimmten Zeiten auch ergänzen konnten.

Die oben aufgeführten Gründe sowohl geographischer, wie die Ausdehnung des Weltreichs des Islam, als auch religiös-politischer Natur, wie die Beschränkung des Teilnehmerkreises auf die wehrfähigen Männer, machten es schon bald der Mehrheit der moslemischen Bevölkerung unmöglich, aktiv am Djihad teilzunehmen. Auch die angebotenen Ersatzformen, wie die materielle Unterstützung anderer Kämpfer oder der Kampf durch das Wort waren verständlicherweise für die weniger wohlhabenden und nicht rhetorisch begabten Moslems kein Weg zur Erfüllung des koranischen Gebots. Dies mag wahrscheinlich der Grund sein, weshalb der Djihad, obwohl er im Koran und in der Sunna als eine der Hauptaufgaben der Gläubigen beschrieben wird, außer bei wenigen Theoretikern nie Aufnahme unter die "Fünf Pfeiler des Glaubens" gefunden hat, die die unbedingten Pflichten eines Moslems festlegen. Im Gegensatz zum Glaubensbekenntnis, dem fünfmaligen täglichen Gebet, dem Fasten im Ramadan, der Wallfahrt nach Mekka und dem rituellen Almosen, die von allen Glaubensrichtungen einhellig als "Pfeiler" anerkannt werden, erkennt nur die haridjitische Koranschule auch dem Djihad einen solchen rechtlichen Status zu. Andere rechnen ihn nur zu den "Wahrzeichen" des Glaubens, das heißt zu den Handlungen, die zwar einem Moslem als fromme Werke anerkannt werden, jedoch nicht zwingend vorgeschrieben sind und dementsprechend auch weniger hoch angesehen wurden. Da diese Wertung allerdings auch in keinem Verhältnis zur hervorragenden Bedeutung des Djihad in der Offenbarung steht, versuchen die meisten Rechtsschulen, den Zwiespalt zwischen theoretischem Anspruch auf höchste Würdigung und der praktischen Undurchführbarkeit des Djihad als allgemeiner Pflicht durch diverse rhetorisch geschickte Umschreibungen seines rechtlichen Charakters, die sonst in der Rechtsliteratur nirgends vorkommen, zu überbrücken. So erhält der Djihad als "Glaubenstat", als "Handlung, deren Unterlassung als Sünde nur noch von der Ungläubigkeit selbst übertroffen wird", eine Art exklusiver Rechtsstellung zuerkannt.

Die fortschreitende Entwicklung der islamischen Theologie und die oben beschriebenen Gründe, aus denen die Mehrzahl der Moslems immer weniger Gelegenheit hatten, den Djihad in seiner kriegerischen Form zu betreiben, führten schließlich dazu, daß man dem Kampf auf dem Wege Gottes bald auch noch eine völlig andere inhaltliche Bedeutung zuschrieb. Der Kampf für den Glauben wurde von der körperlichen Ebene auf die seelische übertragen. Dabei mögen ähnliche Entwicklungen in den älteren Religionen, die den Moslems nach ihren Eroberungszügen bekannt geworden waren, als begünstigendes Vorbild gedient haben. Ebenso wie der Mudjahid physische Feinde mit physischen Waffen bekämpfte, sollte er den großen Feind seines Seelenheils, die durch den Teufel ( Iblis ) verursachte ständige Versuchung zur Sünde, in seinem Inneren bekämpfen. Dies sollte durch frommen Lebenswandel, aber auch durch Meditation und die unablässige spirituelle Suche nach der Nähe zu Gott erreicht werden. Dabei wurde dieser "innere" Djihad bald höher bewertet als sein "äußeres" Gegenstück. Auch bei der Begründung dieser Doktrin nahm man einen Ausspruch des Propheten zu Hilfe, den er nach der Rückkehr von einem erfolgreichen Kriegszug getan hatte:

"Wir kehren hier vom minderen Djihad zurück. Es verbleibt uns die Aufgabe, den höheren Djihad zu führen: Denjenigen der Seelen." Diese Form des Kampfes auf dem Wege Gottes wurde zwar sehr schnell allgemein akzeptiert, wurde jedoch wegen ihrer starken Individualität und Verinnerlichung in den praktischen Aufrufen zu vermehrten Bemühungen auf dem Wege Gottes, die auf die Werbung von Kriegsfreiwilligen zielten, falls überhaupt, nur kurz am Rande erwähnt. Verbinden konnten sich die Ideen vom äußeren und inneren Aspekt des Kampfes für Gottes Sache besonders in der Lebensform des Ribat ( siehe oben ), in der sich bewaffneter Kampf und fromme Meditation als Aufgaben des Murabit abwechselten. Im Verlauf der Zeit wurde die gleichzeitige Ausübung beider Arten des Djihad zum Ideal für jeden Mudjahid, auch wenn sich aus wohlbegreiflichen Gründen die Bewährung im inneren Kampf noch schwieriger nachweisen und überprüfen ließ als etwa die Abwesenheit von Beutesucht in der Motivation eines Kriegszugsteilnehmers.

Ein weiterer bedeutender Punkt der islamischen Lehre vom Djihad, der vielerlei unterschiedliche Meinungen und Spekulationen hervorbrachte, ist das konkrete Verhalten den Ungläubigen gegenüber. Mußte man nicht die Heiden, bevor man die Kriegshandlungen eröffnete, nicht zunächst auf friedlichem Wege "zum Glauben einzuladen" versuchen ? War es auf einem Kriegszug für die Sache Gottes erlaubt, Kriegslisten und Spionage als Mittel des Kampfes einzusetzen, oder sollte man darauf verzichten ? Wie war es möglich, theoretisch nicht vorgesehene, aber in der Praxis bisweilen notwendige Unterbrechungen des Djihad zu rechtfertigen ? Was sollte schließlich mit den besiegten Feinden geschehen, wenn sie sich nicht sogleich dem Islam zuwenden wollten ? Solche und ähnliche Fragen, auf die es in Koran und Sunna entweder keine oder aber nur widersprüchliche Antworten gibt, mußten nachträglich von den Rechtsgelehrten geklärt und in eine einheitliche Kriegsdoktrin eingefügt werden.

Zunächst einmal ging es darum, inwieweit der Brauch Mohammeds, seine Feinde vor dem Kampf zur Annahme seines Glaubens aufzufordern, die Grundlage für das Verhalten auf künftigen kriegerischen Unternehmungen bilden sollte. Diese Methode stellte ein gewisses militärisches Problem dar, da sie es erforderlich machte, den Gegner vor dem Angriff über die Absichten der Moslems zu unterrichten und somit jedes Überraschungsmoment zunichte zu machen. Eine Lösung dieser Frage fand man schließlich darin, daß man diese Einladung zum Glauben nur noch denjenigen Völkern zubilligte, von denen man annehmen mußte, daß ihnen die Lehre des Islam unbekannt war. Anderen potentiellen Gegnern, wie Byzanz, dem Frankenreich und anderen an das Gebiet des Islam unmittelbar angrenzenden Staatswesen, unterstellte man, daß sie durch die geographische Nähe und den langen Kontakt zum Islam bereits um dessen Vorteile wissen müßten. Ihr bisher unterlassene Übertritt zum Islam sei daher bereits als negative Antwort zu betrachten, ein unangekündigter Angriff also rechtens.

Die Anwendung von List und Betrug inner- und außerhalb des Kampfes wurde allgemein akzeptiert, wenn auch empfohlen wurde, "grobe Lügen" zu unterlassen - doch die Verwendung "frommer Halbwahrheiten" blieb erlaubt. Wo die Grenze zwischen diesen beiden Formen der Irreführung des Gegners verlief, war jedoch letztendlich Gegenstand der Entscheidung des Einzelnen und sorgte so noch für zahlreiche Kontroversen. Die Befürworter einer Kriegführung mit nur geringen moralischen Restriktionen im Hinblick auf den Umgang mit den Gegnern konnten sich dabei wieder einmal auf den Propheten berufen. Hatte er nicht zu diesem Thema kurz und bündig erklärt:

"Krieg ist Betrug"? Und so war es erlaubt und wurde sogar für erwünscht erklärt, wenn Moslems unter Vorspiegelung einer falschen Identität im Hinterland des Feindes Spionage betrieben oder wenn sie den Gegner durch defätistische Rufe von verkleideten Mitkämpfern, die sich in dessen Schlachtreihen eingeschlichen hatten, demoralisierten. Offener Verrat und ähnliche Dinge wurden allerdings von den meisten Theoretikern nicht zu den zugelassenen Mitteln gezählt.

Den islamischen Herrschern und Heerführern stellte sich alsbald noch ein weiteres Problem. Per Definition sollte der Djihad ununterbrochen bis zum Ende der Welt andauern. Der Bereich des Islam ( Dar al-Islam ) sollte sich auf Kosten des Bereichs des Unglaubens ( Dar al-Kufr ), bisweilen bezeichnender Weise auch Bereich des Krieges ( Dar al-Harb ) genannt, ausdehnen, bis von diesem nichts weiter als das Gebiet übrigbleiben sollte, in das dann die letzten Mudjahidun zur Bekämpfung des Antichristen ziehen sollten ( siehe das Hadit auf Seite 3 ). Eine solche Vorstellung vom Krieg ließ sich jedoch zu dem Zeitpunkt, an dem die nahezu kontinuierliche islamische Expansion endgültig zum Stehen gekommen war. Ein ohne Unterbrechung geführter Grenzkrieg, in dem der Gegner nicht entscheidend geschwächt werden konnte, drohte auch das islamische Staatswesen zu überfordern. Darüber hinaus bestand die Gefahr, daß bei einer ständigen Verausgabung aller Kräfte auf diese Weise der Gegner möglicherweise zum Gegenschlag ansetzen konnte und Gebiete des Dar al-Islam zurückerobern konnte - eine fürchterliche Vorstellung für einen gläubigen Moslem jener Zeit.

Aus diesem Grunde wurden nun, wenn möglich, wieder im Rückgriff auf Beispiele aus dem Leben Mohammeds, Regeln ausgearbeitet, wann und in welcher Form eine Unterbrechung des aktiven bewaffneten Kampfes zulässig sei. Dabei entwickelten sich mehrere verschiedene Formen, denen allen die obligatorische genaue zeitliche Begrenzung als Merkmal gemeinsam war. Man unterschied den kurzen Waffenstillstand, der vier Monate nicht überschreiten durfte, eine längere Waffenruhe, die vorherige Verhandlungen erforderte und auf maximal zehn Jahre befristet sein konnte, und einen "Friedensvertrag", der auf längere Dauer abgeschlossen sein konnte, jedoch die jährliche Entrichtung eines Tributs durch den Vertrags"partner" voraussetzte. Für alle diese Verträge war es stets notwendig, daß ein hinreichender Grund vorlag, weshalb die jeweiligen Gegner nicht im regulären Djihad unterworfen werden konnten. Es ergab sich aus diesen Verträgen keine Verpflichtung für den islamischen Herrscher, zumindest nicht aus Sicht der Rechtsgelehrten, diese Verträge korrekt einzuhalten, falls sich die ihnen zugrundeliegende Situation änderte und sich die Gelegenheit bot, den Gegner doch noch vollständig zu unterwerfen. In der Praxis erwies sich jedoch bald der dadurch entstehende Verlust an Glaubwürdigkeit als Verhandlungspartner als schwerwiegender als der Verzicht auf die Wahrnehmung meist doch recht zweifelhafter Chancen auf kurzfristigen Geländegewinn.

Vor allem zu Beginn der islamischen Expansion hatten sich die Rechtsgelehrten mit einer ganz anderen Fragestellung zu beschäftigen: Nicht die Frage, wie mit gleichrangigen Ungläubigen außerhalb des Dar al-Islam auskommen sollte, war zu beantworten, sondern die, wie man mit den großen Mengen Ungläubiger verfahren sollte, die in kurzer Zeit unter die Herrschaft des Islam geraten waren und nur sehr zögerliche Neigung zeigten, sich auch auf religiösem Gebiet ihren Eroberern anzupassen. In vielen Gebieten stellten die Ungläubigen, zumindest anfänglich, die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung dar.

Der Koran bot zur Lösung diese Problems eine gewisse Handhabe. Gegenüber den Schriftbesitzern war das Ziel des Djihad ja auch nur mit der Unterwerfung und der Entrichtung eines Tributs festgelegt ( siehe das Zitat auf Seite 2 ). Dafür galt es nun Institutionen zu entwickeln.

Für Ungläubige, die nicht dem Judentum oder der christlichen Religion angehörten, waren die Anweisungen weit weniger klar. Wenn man auf sie nur die allgemeinen Bestimmungen zum Djihad anwandte ( wie zum Beispiel das Hadit auf Seite 3 ), so kam man fürs erste zu dem Schluß, ihnen nur die Wahl zwischen Übertritt zum Islam oder dem Tod zu lassen.

Eine solche Lösung war selbstverständlich mit großen Nachteilen behaftet. Zum einen drohte bei konsequenter Anwendung im Ernstfall die Entvölkerung ganzer Regionen, zum anderen erwies sich das Einziehen von Tributen von Nichtmoslems als bedeutend lohnender als die Probleme, die sich aus der Existenz großer Gruppen zwangsbekehrter Moslems ergeben konnten, die für heterodoxe Lehren naturgemäß besonders anfällig waren.

Bei der Klärung dieses Punktes half wiederum ein Beispiel aus dem Leben des Propheten. Er hatte bei der Unterwerfung einer Gemeinde zoroastrischen Glaubens diese zu den Schriftbesitzern gezählt und ihnen die gleichen Bedingungen wie diesen eingeräumt. Diesem Beispiel folgend, wurden im Verlauf der weiteren militärischen Expansion Angehörige verschiedenster heidnischer Religionen ihrerseits zu "Zoroastriern" erklärt und in dieselben Rechtsverhältnisse wie die "echten" Schriftbesitzer übernommen - sogar Berber und Normannen konnten so wenigstens de iure Anhänger der alten persischen Feuerreligion werden.

Der Koran hatte die Form der Abhängigkeit, in welche die Schriftbesitzer zu bringen seien, nur mit der "demütigen Errichtung von Tribut aus der Hand" bestimmt. Dies bedurfte zur praktischen Handhabung noch einiger detaillierterer Erläuterungen und Ergänzungen.

Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte sich das Prinzip der Schutzherrschaft über Ungläubige, Dhimma genannt. Dem Nichtmoslem, der die Oberherrschaft des Islam anerkannt hat und bereit ist, die geforderte Art des Tributs zu zahlen, wird dafür die Sicherheit von Leib und Leben und das Recht auf die weitere Ausübung seiner Religion zugestanden. Frei kann die genehmigte Art der Glaubensausübung jedoch nicht genannt werden, und auch auf nichtreligiösem Gebiet ist der Dhimmi ein vielfachen Restriktionen ausgesetzter Bürger zweiter Klasse. Ein typisches Beispiel für die Beschränkungen, denen er unterworfen war, sind die sogenannten "Anordnungen Omars", die dem zweiten Kalifen zugeschrieben wurden, höchstwahrscheinlich jedoch späteren Zeiten entstammen. Nach ihnen war es den Dhimmis untersagt, neue Religionsstätten ( wie z.B. Kirchen und Synagogen ) zu bauen, öffentlich zu beten, den eigenen Glauben zu loben oder gar Mission zu betreiben. Sie mußten ein bestimmtes Zeichen am Gürtel tragen, sich Moslems gegenüber ehrerbietig verhalten, Wohngebiete der Moslems meiden, diese jedoch auf Wunsch hin beherbergen. Sie durften keine Waffen, keine Sättel für ihre Pferde und keine moslemischen Sklaven besitzen.

Die Gesamtheit der Dhimmis wurde in Milet genannte Gruppen entsprechend der Zugehörigkeit zu den einzelnen Religionen eingeteilt. Innerhalb dieser Gruppen herrschte relative Selbständigkeit in Fragen des öffentlichen Lebens. Die Oberhäupter der einzelnen Religionen übten unter ihren Anhängern eine Art staatliche Gewalt aus und vertraten ihre Glaubensgenossen auch gegenüber den moslemischen Behörden. Der Aufstieg in die eigentlichen öffentlichen Ämter und Würden blieb einem Dhimmi zumindest vom Anspruch her versagt. Besonders in der Anfangszeit des Kalifats gab es jedoch durchaus die Situation, daß die Verwaltung sogar in der Mehrheit in den Händen von nichtmoslemischen Fachleuten lag. Später hingegen wurde dieser Weg für Dhimmis immer mehr versperrt, und die Aussicht auf eine öffentliche Karriere bildete einen der stärksten Anreize zur Konversion.

Die hauptsächliche Bedeutung der Dhimma für den islamischen Staat und gleichzeitig die schwerste Form der Diskriminierung der Nichtmoslems lag jedoch auf fiskalischem Gebiet. Im Gegensatz zu den Moslems, die wenigstens dem Recht nach frei von direkten Steuern waren, zahlten die Dhimmis relativ hohe Abgaben, entweder in Form einer Kopfsteuer ( Djizya ) oder einer an das von ihnen bearbeitete Land gebundene Grundsteuer ( Haradj ). Bei den Zöllen, die auf Handelsgüter erhoben wurden, waren Nichtmoslems ebenfalls benachteiligt. Sie zahlten bis zum Doppelten desjenigen Betrages, den ein gläubiger Händler entrichten mußte, wenngleich sie gegenüber ungläubigen Kaufleuten aus dem Dar al-Harb wiederum Vorteile genossen. Damit wurden die Nichtmoslems zum Hauptträger der Finanzen der islamischen Herrscher. Dies erklärt auch, weshalb die doch eigentlich zu erwartenden Bekehrungsversuche von Seiten des Staates meist nur halbherzig und nur zur Wahrung des Scheins geführt wurden. Obwohl damit der Fortbestand von religiösen Minderheiten über mehr als ein Jahrtausend hinweg gesichert wurde, was in der Geschichte von Staatsreligionen und ihrem Umgang mit andersgläubigen Minoritäten recht selten ist, kann man hier nicht uneingeschränkt von Toleranz sprechen. Neben den oben schon aufgeführten Restriktionen von offizieller Art waren die Dhimmis auch immer wieder Feindseligkeiten von Seiten der moslemischen Bevölkerung ausgesetzt. Diese traten vorwiegend in Krisenzeiten auf und konnten in Extremfällen, wie etwa der Bedrohung des Islam durch Glaubensgenossen ( z.B. in den Kriegen mit Byzanz oder während der Kreuzzüge ) für einzelne Gemeinden existenzbedrohende Züge annehmen. Insgesamt jedoch muß angemerkt werden, daß ein Vergleich etwa zwischen Islam und Christentum, die Grausamkeit und Intoleranz beim Umgang mit Andersgläubigen in ihrer Geschichte bis heute betreffend, wohl kaum zugunsten des letzteren ausgehen würde.
 
 

Im folgenden will ich kurz auf die Frage eingehen, welche Entwicklung die Bedeutung des Djihad in den Jahrhunderten zwischen den ersten Eroberungen noch unter Mohammeds Führung und der Zeit der Kreuzzüge genommen hat. Einige der Veränderungen, die dabei einen gewissen Einfluß ausübten, habe ich bei der Besprechung der einzelnen Aspekte des Djihad schon angedeutet, wie die Entwicklung vom Freiwilligen- zum Berufsheer.

Wenn von einem Wandel in der Bedeutung des Djihad die Rede ist, so darf dies keineswegs als ein plötzlicher Wechsel zwischen zwei absoluten Gegensätzen verstanden werden. Es gab im Herrschaftsbereich des Islam nicht etwa Epochen, in denen entweder ausschließlich "politische Kriege" gegen Ungläubige geführt wurden oder in denen Feldzüge rein religiösen Charakter trugen. Dazu sind im Islam Staat und Religion zu eng miteinander verbunden. Jeder Feldzug gegen Ungläubige, selbst wenn es sich bei den Beweggründen nach objektiven Maßstäben um politische handelte, konnte mit Fug und Recht als Djihad deklariert werden, denn es waren Ungläubige unterworfen und dem Dar al-Islam ein weiteres Teil des Dar al-Harb hinzugefügt worden. Nur wenige sehr strenge Rechtsgelehrte hätten dem aufgrund der fehlenden religiösen Absicht, die im übrigen sehr schwer nachzuweisen gewesen wäre, widersprochen. Wenn ich also im weiteren von geringer oder von großer Bedeutung des Djihad sprechen werde, so liegt der Unterschied zwischen beiden Bewertungen eher in der jeweiligen Gewichtung der Motive zwischen Religion und Politik und vor allem in dem Maß der Begeisterung der breiten Öffentlichkeit für den bewaffneten Kampf auf dem Wege Gottes. Ein Zeitraum, in dem die Idee des Glaubenskampfes nur wenig Einfluß hatte, ist demzufolge einer, in dem die Bezeichnung Djihad für einen Feldzug ein bloßes schmückendes Attribut darstellte, das Interesse der nichtkriegerischen Bevölkerung daran äußerst mäßig war Der Abschluß von Allianzen mit ungläubigen Staaten lag im Bereich des Alltäglichen und wurde kaum öffentlich kritisiert.

Eine Epoche, in der dem Djihad hoher Stellenwert beigemessen wurde, wird nach dieser Definition durch Kriegszüge bestimmt, die um der Religion willen auch gegen politische Vernunftsgründe geführt werden. Bündnisse mit Ungläubigen sind dabei selbstverständlich ausgeschlossen, die Öffentlichkeit ist stark interessiert und nimmt durch eine hohe Zahl von Freiwilligen aktiv am Krieg gegen die Feinde Gottes teil. Eine solche Zeit ist darüber hinaus für die unsere Erkenntnis über den Djihad sehr ergiebig, da sie eine Unzahl von Pamphleten und Büchern zum Thema des Glaubenskampfes und seiner richtigen Durchführung hervorbringt.

Der Zeitraum von Mohammeds Prophetentum bis zum Ende der Herrschaft der frühen Kalifen ist ein solcher Zeitraum. Die räumlichen und organisatorischen Verhältnisse ermöglichten es noch jedem dazu fähigen Moslem, am Djihad persönlich teilzunehmen. Das Heer basierte vollständig auf Freiwilligen, die alle demselben Volk entstammten und einem einheitlichen Oberbefehl folgten.

Doch schon die ersten Kalifen legten die Grundlage zu einer kompletten Umstrukturierung. Mit der Einführung des Diwans, einer Finanzinstitution, die ursprünglich nur die Zahlung einer Art Verdienstprämie an erfolgreiche Mudjahidun vornehmen sollte, begann der Übergang zu einer Heeresorganisation, die bald auf bezahlten Kriegern beruhen sollte. Begünstigend auf diese Entwicklung wirkte sich die inzwischen immense Ausdehnung des Dar al-Islam aus sowie die Tatsache, daß die im Vergleich dazu geringe Gesamtzahl der Araber zur Aufnahme von Angehörigen fremder Völker ins Heer zwang. Ein Teil der Liste des Diwan entwickelte sich nun zu einer Art Soldliste, die den, der auf ihr erschien, dann auch zur ständigen Teilnahme am Militärdienst verpflichtete.

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Bedeutung des Djihad für den einzelnen Moslem lag in der einsetzenden Zersplitterung des islamischen Gesamtgebiets, die sowohl politischer Natur, wie die Entstehung der Teilkalifate und schließlich der vielen Kleinstaaten der Kreuzzugszeit, als auch religiöser Natur war, wie das große Schisma zwischen Sunniten und Schiiten. Damit trat auch erstmals ein Problem auf, für das der Koran überhaupt keine Vorschrift bot: Es kam zu Kriegen zwischen einzelnen islamischen Staaten. Dies schuf einen gewissen Rechtfertigungsdruck für die Beteiligten: Entweder mußten sie eingestehen, daß sie Unrecht begingen, oder sie mußten einen Weg finden, ihre kriegerischen Unternehmungen in die Form des laut Koran einzig legitimen Kampfes, des Djihad, zu pressen. Der einzige Weg hierzu war, den Gegner als Feind des Glaubens, als Ungläubigen darzustellen. Während dies in Kämpfen zwischen Parteien verschiedener Glaubensrichtungen, wie etwa der sunnitischen Seldschuken gegen die schiitischen Fatimiden im 11. Jahrhundert, noch halbwegs glaubhaft zu machen war, riefen andere Kämpfe zwischen islamischen Herrschern immer wieder den Unmut strenggläubiger Gelehrter hervor. Doch auch dessen öffentliche Äußerung konnte dieses Problem nicht beseitigen.

Innerislamische Konflikte und die innere Erholung und Konsolidierung der ungläubigen Gegner führten schließlich dazu, daß der Djihad gegen die Nichtmoslems seit etwa dem 8. Jahrhundert an Umfang verlor. Das heißt jedoch nicht, daß an den Grenzen des Dar al-Islam völlige Ruhe und Frieden geherrscht hätten. Konflikte mit den andersgläubigen Nachbarn waren schon aus politischen Gründen unvermeidlich, und sie wurden auch von einer gewissen Anzahl Moslems aus religiösen Gründen gesucht. Diese waren zwar nicht mehr mit den großen Armeen der Anfangsjahre zu vergleichen, aber ihre Existenz auch in eher ungünstiger militärischer Gesamtlage zeugt von der ungebrochenen religiösen Anziehungskraft des Djihad.

Von den Grenzen des Dar al-Islam zur Christenheit sind uns von verschiedenen Orten die Aktivitäten von Moslems auf dem Wege Gottes überliefert. So taucht in den Berichten über moslemische Heere in Spanien im 10. Jahrhundert die Kategorie der Mutatawwia auf, der Freiwilligen, die sich offiziellen (Sold-) Truppen anschlossen, um den Djihad zu betreiben.

Ebenfalls in Spanien sammelte ein Asket zu Beginn desselben Jahrhunderts regelmäßig freiwillige Truppen, um mit ihnen in das christliche Galizien zu reiten und den Weg Gottes zu beschreiten.

Von der Grenze zu Byzanz erfahren wir im 9. Jahrhundert von Freiwilligen, die trotz der gegensätzlichen Stimmung in Syrien von den Grenzfestungen aus Ribat gegen das griechische Kaiserreich betrieben, von religiös motivierten Expeditionen Mitte des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts, und schließlich von den seldschukischen Kleinfürsten im Anatolien des späten 11. Jahrhunderts, die trotz der entgegenlautenden Befehle ihres Sultans, der sich auf den Marsch nach Ägypten vorbereitete, die Angriffe auf byzantinisches Gebiet nicht einstellten.

Auch einzelne Herrscher benutzten die Idee des Djihad, entweder um dadurch besonderen Ruhm für ihre Kriegstaten zu erringen, oder um in akuten Notlagen die Bevölkerung zu mobilisieren. Ein Beispiel für ersteres ist der spanisch-muslimische Feldherr Al-Mansur, der in der Mitte des 10. Jahrhunderts Santiago de Compostela "vom Unglauben reinigte", für letzteres steht der nordsyrische Emir Sayf al-Dawla, dem der byzantinische Kaiser Nikephoros Phokas im Jahre 969 sein Fürstentum abnahm.

Im ganzen aber verfolgten die meisten islamischen Herrscher unmittelbar vor dem Beginn der Kreuzzüge eine Politik des Ausgleichs. In Spanien verfügten die vielen islamischen Kleinkönige gar nicht über die Kraft, um offensiv gegen die christlichen Königreiche vorzugehen, und im Nahen Osten kämpften Seldschuken und Fatimiden selbst nach Manzikert mehr miteinander als mit den Byzantinern.

Der Übergang der Christen in die Offensive an beiden Berührungspunkten mit dem Dar al-Islam rief unterschiedliche Effekte bei den betroffenen islamischen Staatswesen hervor. Während in Spanien, wo sich der christliche Vormarsch allmählich vollzog, kam es meines Wissens nicht mehr zu einer starken Wiederbelebung des Djihad in einer Form, die breite Bevölkerungsschichten erfaßt hätte. Spanien ging langsam, aber sicher ins christliche Abendland auf.

Im Nahen Osten verliefen die Dinge anders. Der aggressivere Charakter des christlichen Vorgehens, die stärker ausgeprägte religiöse Propaganda und die Nähe zum Kernland des Islam riefen, wenn auch erst nach einiger Verzögerung, ein Echo bei den betroffenen Moslems hervor, das letztendlich zur Vertreibung der Kreuzfahrer vom Boden Syriens und Palästinas führte. Vor allem unter Saladin wurde die Tradition des Djihad in einem Maße wiederaufgenommen, das es ermöglichte, Jerusalem zurückzuerobern und die Versuche der Kreuzfahrer, es wieder in ihren Besitz zu bringen, abzuweisen. Doch auch diese Entwicklung hatte bald ihre Grenzen erreicht. Obwohl Saladin sich redlich darum bemühte, erhielt er keinerlei Unterstützung aus anderen Teilen des Dar al-Islam. Selbst der sunnitische Kalif hielt es für angebrachter, sich um die Schaffung einer Hausmacht im Gebiet um Bagdad zu kümmern, als sich Sorgen wegen der Heiligen Stadt Jerusalem zu machen. Der Lieblingstitel Saladins, "einziger Sohn des Islam", nahm so ungewollt tragische Züge an.

Während der Regierungszeit der Nachfolger Saladins kam denn der Djihad als bestimmendes Prinzip der Politik auch bald wieder zum Erliegen. Die politische Lösung, mit der der Kreuzzug Friedrichs II. beendet wurde, ist dafür ein beredtes Beispiel. Die lautstarken öffentlichen Proteste einer Vielzahl von Rechtsgelehrten zeigten allerdings, daß das Bewußtsein der Allgemeinheit für den Kampf auf dem Wege Gottes nicht ganz verschwunden war. Konsequenzen für die Politik der ayyubidischen Herrscher ergaben sich daraus jedoch nicht.

Die letzte große Welle des Djihad, die schließlich zur Auslöschung der letzten Kreuzfahrerstaaten führen sollte, kam dann wiederum nur durch eine existentielle Bedrohung des Islam zustande. Diese wurde allerdings nicht durch die Christen ausgelöst, sondern durch die Mongolen. Der einmal wiedererwachte Kriegsgeist der Moslems richtete sich, nachdem eine erste Angriffswelle der Mongolen bei Ain Dschalut zurückgeschlagen worden war, gegen die Franken, die bei der fortdauernden Auseinandersetzung mit den Mongolen ein Sicherheitsrisiko im Rücken darstellten. Allerdings war auch diese Phase der Begeisterung für den Djihad nur vorübergehender Natur und auch regional begrenzt. Die spanischen Moslems hatten keinerlei Nutzen davon, und im Nahen Osten setzten sich bald wieder die internen Streitigkeiten fort, bis die Osmanen dem schließlich ein Ende bereiteten.
 

II

Die Beurteilung des Krieges im frühen Christentum ist grundverschieden von der im frühen Islam. Wo Christus davon spricht, Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln, fordert Mohammed zum Kampf gegen die Feinde seines Glaubens auf. Auf der einen Seite heißt es, daß derjenige, der das Schwert zieht, durch das Schwert umkommen wird und daß man demjenigen, der einen auf die linke Wange schlage, auch noch die rechte hinhalten soll - auf der anderen: "Und tötet sie, wo immer ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben! Der Versuch, Gläubige zum Abfall vom Islam zu verführen, ist schlimmer als Töten." Nur wenige Stellen des Alten Testaments können mit der Härte dieser Worte mithalten, doch bevorzugten die frühen Christen im Zweifelsfalle ihnen gegenüber die Worte Jesu. Und doch waren es Angehörige derselben Glaubensgemeinschaft, die ein Jahrtausend später voller religiöser Kriegsbegeisterung ins Heilige Land einfielen und den dortigen Moslems erst wieder ins Gedächtnis zurückrufen mußten, daß eigentlich sie es unter den Schriftreligionen waren, die den Krieg auf dem Wege Gottes erfunden, mittlerweile aber in die Zuständigkeit von Gelehrten und einigen religiösen Eiferern verwiesen hatten. Im Zeichen der gewaltlosen Leiden Christi "reinigten" sie Jerusalem von Moslems und nichtkatholischen Christen und hofften, dafür die Vergebung aller Sünden und einen Platz im Himmelreich zu erhalten.

Ist eine solche Entwicklung einer Religion und ihres Verhältnisses zum Krieg ohne äußere Einflüsse vorstellbar? Genügt es, dafür den Kirchenvater Augustin und seine Ausführungen zum bellum iustum verantwortlich zu machen, und den Rest der Entwicklung der Anpassung der Kirche an die politischen Gegebenheiten des 10. und 11. Jahrhunderts zuzuschreiben ?

Der Islam hat während seiner Entwicklung und Ausbreitung viele Elemente von Christentum und jüdischer Religion in sich aufgenommen. Ein mögliches Beispiel dafür ist im von mir untersuchten Bereich die Übernahme gewisser Ideen des Mönchtums in die Konzeption des "inneren" Djihad. Andere Beispiele ließen sich leicht finden. Weshalb sollte also nicht auch umgekehrt das Christentum in Bereichen, die von seinen bisherigen Lehren nicht abgedeckt wurden, Anregungen vom Islam bezogen haben? Hier stößt man allerdings auf ein Problem in der Beziehung beider Religionen, das bis heute nichts von seiner Brisanz verloren hat. Während der Islam als im eigenen Selbstverständnis zuletzt offenbarte Religion, die Thora und Evangelium bereits integriert hat, nur wenig Schwierigkeiten theologischer Art darin sehen mußte, Ideen der beiden älteren Religionen zu übernehmen, war dies von der Warte des Christentums aus nicht ganz so einfach. Öffentlich zuzugeben, daß man Ideen vom Islam übernommen hatte, war schon beinahe gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß Mohammed recht gehabt hatte und das Christentum als von der neuen Offenbarung überholt anzusehen war. Der Historiker kann also nicht darauf hoffen, in entsprechenden christlichen Quellen die Spur der in ihnen enthaltenen Gedanken bis zu ihrem Ursprung offengelegt zu finden, falls dieser Ursprung der Islam war.

Vielleicht ist dieses Thema deshalb bis heute nur ungenügend erforscht und beschränkt sich in der Literatur hauptsächlich auf Vermutungen. Ich will an dieser Stelle einige Überlegungen dazu anstellen und Beispiele anführen, die mir bei der Bearbeitung der Thematik des Djihad aufgefallen sind.

Zunächst einmal stellt sich die Frage, in welcher Form eine Beeinflussung der christlichen Kriegsdoktrin durch islamische Quellen überhaupt möglich gewesen wäre. Welche Übertragungskanäle gab es? Wo und wann konnte ein Ideenaustausch zwischen Moslems und Christen stattfinden? Diese Fragestellung lenkt den Blick naturgemäß zuerst auf die Regionen des Mittelmeerraumes, wo sich die Gebiete von Islam und Christenheit direkt berührten und somit ständige Kontakte möglich waren. Ich möchte mich im folgenden auf die vier meines Erachtens wichtigsten von ihnen konzentrieren, nämlich Byzanz, den Bereich von Unteritalien und Sizilien, Spanien und schließlich - seit Beginn der Kreuzzüge - auch das Heilige Land selbst.

Für den Kontakt zwischen den Angehörigen der beiden Religionen war neben der geographischen Nähe ein weiteres Kriterium von entscheidender Bedeutung - die Möglichkeit zur sprachlichen Verständigung. Es mußte eine größere Anzahl Menschen auf wenigstens einer Seite geben, die sowohl des Arabischen als auch der jeweiligen Landessprache oder des Lateinischen auf christlicher Seite mächtig waren. War diese Hürde erst einmal übersprungen, so boten sich mehrere Formen und Gelegenheiten des Gedankenaustauschs an. Möglich wären zum Beispiel die Befragung Gefangener, wobei ein begeisterter Mudjahid wohl kaum mit den Motiven seines Kampfes hinter dem Berg gehalten hätte, das Zusammentreffen von Diplomaten beider Seiten oder sogar ein theologischer Disput. Allen diesen Formen haftet jedoch der Nachteil an, daß sie einer Mitschrift bedurft hätten, um heute noch zur Untersuchung verfügbar zu sein.

Andere Arten des Gedankenaustauschs, die dieses Manko nicht aufweisen, wären dagegen die diplomatische Korrespondenz zwischen Herrschern beider Seiten oder die Arbeiten von Gelehrten mit dem Gegenstand des Glaubens und der Lebensweise des jeweils anderen, worunter auch religiöse Streitschriften fallen würden. In den meisten Fällen jedoch sind die Beweise für die Existenz aller dieser Quellengattungen so dünn gesät, daß nur ein einfacher Vergleich der Erscheinungen möglich ist.

Byzanz war das erste christliche Land, das mit dem Islam und seinen expansiven Tendenzen in Berührung gekommen war. Gleichzeitig war der griechische Osten bisher der Teil der christlichen Welt gewesen, in dem die Lehre von der Gewaltfreiheit des christlichen Glaubens den fruchtbarsten Boden gefunden hatte. Wie im Seminar erwähnt, hatten die griechischen Kirchenväter Augustins neue Doktrin scharf kritisiert und abgelehnt. Krieg war eine Sache des Staates, und die Buße nach dem Kriegszug für jeden Soldaten Pflicht. Diese Region war nun die erste, die sich mit der neuen, gewaltbereiten Religion auseinandersetzen mußte. Griechische Gelehrte, seit jeher theologischen Diskussionen gegenüber aufgeschlossen, nahmen sich anscheinend auch der neuen Herausforderung an. Einer von ihnen, Anastasios Grammatikos, der im 9. Jahrhundert lebte, verfaßte zum Beispiel eine Biographie Mohammeds, die später wiederum von westeuropäischen Autoren als Vorlage benutzt wurde. Über weitere Einzelheiten aus der byzantischen Islamrezeption schwieg sich die von mir konsultierte Literatur jedoch leider aus.

So kann ich auch nicht im Detail nachweisen, wie es dazu kam, daß der byzantinische Kaiser Nikephoros Phokas und sein Nachfolger Johannes Tzimiskes, als sie sich Mitte des 10. Jahrhunderts an die Aufgabe machten, Syrien und Palästina für Byzanz zurückzugewinnen, eine Entwicklung vorwegnahmen, die in Westeuropa noch einhundertfünfzig Jahre auf sich warten lassen sollte. Ihre Heere zogen unter Fahnen, die das Zeichen des Kreuzes trugen, in das Land des moslemischen Gegners ein und zerstörten seine Moscheen. Den eigenen Gefallenen wurde der Titel eines Märtyrers zuerkannt, und der Kalif al-Muti erhielt einen Brief, in dem erklärt wurde, daß es sich bei diesem Kampf nicht um den Kampf zwischen zwei beliebigen Staaten, sondern um den zwischen Christentum und Islam handele. Diese Praxis des Krieges endete jedoch bald wieder, nachdem die neuerliche innere Schwäche Byzanz’ eine Fortführung der Kampfhandlungen unmöglich gemacht hatte.

Gerade im Falle dieser byzantinischen Entwicklung würde ich meine These von der Beeinflussung christlicher Kriegstheorie durch die Idee des Djihad bekräftigen wollen. Allerdings muß ich einschränkend bemerken, daß meine Kenntnisse der inneren Entwicklung des griechischen Kaiserreichs in jenen Jahrhunderten zu mangelhaft sind, als daß ich eigenständige Entwicklungen zum Heiligen Krieg, vergleichbar etwa der Gottesfriedensbewegung in Westeuropa, als Ursache des oben beschriebenen "Kreuzzugs" ausschließen könnte. Es ist ebenfalls fraglich, inwieweit die neuen byzantinischen Standpunkte zum Heiligen Krieg die gleichzeitige Entwicklung in Westeuropa beeinflußt haben, da ja neben der zusätzlichen Sprachbarriere auch die ständigen Religionsstreitigkeiten zwischen Rom und Byzanz nicht gerade ein fördernder Faktor für den Austausch neuer Ideen waren.

Die Region Sizilien und Unteritalien spielte meines Erachtens bei der möglichen Übertragung der Idee des Djihad in die christliche Kriegsdoktrin kaum eine Rolle. Diejenigen, die dort auf christlicher Seite einen "Heiligen Krieg" führten, interessierten sich wenig für Lehren und Kultur des Gegners. Die Normannen, die selbst erst vor relativ kurzer Zeit zum Christentum bekehrt worden waren, waren durch den Wechsel des Glaubens nicht plötzlich zu friedfertigen Menschen geworden, die erst lange nach einer religiösen Rechtfertigung für militärische Aktionen suchen mußten. Sie führten Krieg um des Gewinns willen, und wenn man ihnen dabei den kirchlichen Segen gab, war das eine willkommene Zugabe - nicht mehr und nicht weniger. Wenn sich die normannischen Herrscher später zu Förderern auch arabischer Gelehrter entwickelten, so galt ihr Interesse doch hauptsächlich den Wissenschaften und nur selten religiösen Themen. Gegenteilige Behauptungen, wie etwa der Vorwurf der heimlichen Konversion zum Islam im Falle Friedrichs II., sind meist Produkte päpstlicher Propaganda. Der Djihad jedenfalls war am Hofe Siziliens kein Thema.

Gänzlich andere Voraussetzungen für den Austausch kulturellen und religiösen Gedankenguts bot dagegen Spanien. In den Jahrhunderten seit der Unterwerfung des Westgotenreiches durch die Araber hatte zwischen dem moslemischen Süden, der bald sogar zum eigenständigen Kalifat aufgestiegen war, und dem christlichen Norden eine Art dynamisches Gleichgewicht geherrscht. Die kriegerischen Auseinandersetzungen, die auf der iberischen Halbinsel stattfanden, waren überwiegend politischer Natur. Selbstverständlich wurde der religiöse Gegensatz zur zusätzlichen Motivation der Kämpfer genutzt, wo sich dies als den eigenen Zielen förderlich erwies - sei es, um im Falle der Moslems Hilfe aus dem Maghreb und anderen Teilen des Dar al-Islam zu erhalten, sei es, um auf christlicher Seite fränkische und später französische Ritter zum Zug über die Pyrenäen zu bewegen. Daneben konnte es jedoch durchaus passieren, daß man mit dem ungläubigen Gegner, mit dem man eben noch Djihad oder Heiligen Krieg geführt hatte, kurzerhand Frieden schloß und sich sogar mit ihm verbündete, um gegen einen Glaubensgenossen ins Feld zu ziehen, der eine leichtere Beute zu werden versprach.

Insgesamt bildete sich so ein politisches Klima heraus, das die Entstehung von Kenntnissen über den jeweils anderen, die gegenseitige Akzeptanz und sogar eine gewisse "interkonfessionelle" gesellschaftliche Mobilität ermöglichte. So verbrachte der von der klassischen spanischen Geschichtsschreibung gern als Vorkämpfer und Held der Reconquistà gefeierte Heerführer El Cid insgesamt mehr Jahre in Diensten moslemischer Herrscher als in denen seines "offiziellen" Lehnsherrn Alfons VI. Nicht die Religion stellte für ihn die politische Entscheidungsgrundlage dar, sondern die bessere Bezahlung. Alfons VI. zeigte seinerseits eine sehr großzügige Einstellung gegenüber denjenigen Moslems, die unter seine Herrschaft geraten waren, und legte sich den pompösen Titel eines "Kaisers beider Religionen" zu. Die arabischen Herrscher ihrerseits achteten die Bestimmungen der Dhimma sehr genau. Diese Bestimmung des islamischen Rechts, wie mit andersgläubigen Minoritäten umzugehen sei, diente dann auch als Vorbild für entsprechende Regelungen auf christlicher Seite. Die Regelungen zur Gewährung religiöser Freiheit mit Einschränkungen im Hinblick auf den Kontakt mit Christen ( Missionsverbot, Beschränkung der Lautstärke der Rufe der Muezzin ), die Selbstverwaltung innerhalb der Minderheitengruppe und die zahlreichen Bestimmungen zum Verhältnis zwischen den einzelnen Gruppen der Gesellschaft lassen an vielen Stellen ihr islamisches Vorbild erkennen. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie auch christliche Herrscher bereit waren, für sie vorteilhafte Regelungen aus der islamischen Tradition zu übernehmen.

Natürlich gab es auch Gruppen und Strömungen, die den religiösen Antagonismus weitaus ernster nahmen und darauf bestanden, den ungläubigen Gegner mit allen Mitteln zu bekämpfen. Die freiwilligen Mudjahidun, die sich offiziellen moslemischen Heeren anschlossen oder auch ganz "privat" den Djihad betrieben, hatte ich bereits weiter oben ( Seite 15 ) berichtet. Auch auf christlicher Seite gab es Fanatiker, wie die Märtyrer von Cordoba, die immer wieder bereit waren, für ihren Glauben ihr Leben einzusetzen. Auch die französischen Ritter, die zum Kampf für den Glauben über die Pyrenäen kamen, blickten meist nur mit Entsetzen auf den fast tolerant zu nennenden Umgang mit Andersgläubigen, den ihre spanischen Glaubensgenossen praktizierten.

Für die mögliche Übertragung von Ideen des Djihad in die christliche Doktrin in Spanien möchte ich noch drei meines Erachtens wichtige Anhaltspunkte anführen.

Zum ersten führte das langjährige Zusammenleben von Moslems und Christen auch zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Sprache. Neben der Übernahme von Lehnwörtern aus vielerlei Bereichen des menschlichen Lebens findet sich darunter auch eins, das direkt der Terminologie des Djihad zugehörig ist. Das Wort rebato, im mittelalterlichen Spanisch auch als arrebata oder rebata in der Bedeutung von "plötzlicher Überfall" vorkommend, läßt sich zweifelsfrei auf das Ribat zurückführen, den Glaubenskampf von einer Grenzfestung aus. Noch bis zum heutigen Tage hat sich im Spanischen die Redewendung tocar a rebato im Sinne von "die Alarmglocken läuten" erhalten. Eine solche sprachliche Bildung setzt voraus, daß im damaligen Spanien eine rege Ribat-Tätigkeit geherrscht haben oder zumindest der Grenzkampf von moslemischer Seite aus mit diesem Namen bedacht worden sein muß.

Ein weiteres Beispiel für die Nachahmung islamischer Formen des heiligen Krieges ist wiederum mit dem Spezialfall des Ribat verbunden. Als sich im Jahre 1090 christliche Ritter aufmachten, um die erst vor kurzem eroberte Stadt Tarragona zu besiedeln und zu schützen, erklärten sie, dort wohnen zu wollen "aus Liebe zu Gott und zur Vergebung aller Sünden". Eine solche Ausführung des Heiligen Krieges als Grenzkampf war bis dahin in der christlich-abendländischen Welt unbekannt. Ihre nunmehrige Einführung auf die Initiative spanischer Ritter und Geistlicher hin macht eigentlich jeden Erklärungsversuch, der im Ansatz nicht von einem prägenden Einfluß des Ribat ausgeht, äußerst schwierig.

Ein letztes Indiz für das Ausmaß des Gedankenaustausches zwischen Islam und Christentum im mittelalterlichen Spanien ist die Tatsache, daß sich die christliche Seite nun nicht nur für die Erscheinungsformen des islamischen Glaubens, sondern auch für deren Grundlagen zu interessieren begann. Dabei spielte der Orden der Cluniazenser eine hervorragende Rolle. Maßgeblich an der Organisation des Kampfes gegen die Moslems, das heißt vor allem der Werbung französischer Ritter, beteiligt, begannen einige seiner Mönche, den Kampf auch im theologischen Bereich aufzunehmen. Dazu war es notwendig, zunächst einmal Kenntnis von der Glaubensgrundlage des anderen zu erlangen. Der französische Cluniazenserabt Petrus Venerabilis ließ deshalb 1142 den Koran und einige kleinere religiöse Schriften ins Lateinische übertragen. Mit dieser Übersetzung kehrte er nach Frankreich zurück und bot sie auch Bernhard von Clairvaux zur Benutzung an. Ob dieser sie jedoch erhielt, ist nicht zweifelsfrei belegt. Die im Auftrage des Petrus Venerabilis vorgenommene Übersetzung erfuhr indes eine solche Verbreitung und öffentliche Beachtung, daß sie bis ins 17. Jahrhundert die im europäischen Bereich meistgelesene blieb.Da Bernhard von Clairvaux darüber hinaus an einigen Stellen seiner Kreuzzugspredigt mögliche Einflüsse des Korans erkennen läßt - dazu später -, sollte die Beweislast eher bei denjenigen liegen, die nachweisen wollen, daß der nicht gerade als denkfaul und uninteressiert bekannte Zisterzienser den ihm angebotenen Text der Offenbarung Mohammeds nicht dankend angenommen und studiert haben sollte.

Soweit zu Spanien, das man anhand der aufgeführten Beispiele wohl mit Fug und Recht als den bei weitem fruchtbarsten und einflußreichsten Ort der Übertragung islamischen Ideengutes bezeichnen kann. Das Heilige Land erwies sich, obwohl oder gerade weil sich hier die christlichen und islamischen Konzepte des religiös motivierten Krieges in sehr viel ausgeprägterer und radikalerer Form als in Spanien gegenüberstanden, als ungeeigneter für den Transfer religiöser Anschauungen von einer Seite zur anderen. Die Kontakte beschränkten sich mehr auf kriegerische Auseinandersetzungen, diplomatische Gespräche und weltlichen Ideenaustausch, als daß sie theologische Fragen berührten. Nur wenige Gelehrte, wie der im 13. Jahrhundert lebende Wilhelm von Tripolis, bemühten sich um eine sachlichere Auseinandersetzung mit den Lehren des Islam. Ihr Einfluß war jedoch begrenzt. Allerdings übernahmen die Kreuzfahrer auch hier die Institution der Dhimma, um das Verhältnis zu den unterworfenen Moslems zu regeln. Hier wie in Spanien genossen sie passive Religionsfreiheit, zahlten eine Kopfsteuer und besaßen ein für ihre internen Angelegenheiten zuständiges Gericht, die Cour du Rais. Die Einschränkung der Missionstätigkeit aufgrund der finanziellen Vorteile, die ein hochbesteuerter Moslem gegenüber einem christlichen Siedler versprach, erinnert ebenfalls an die entsprechende ältere Entwicklung im islamischen Raum.

Trotz des fehlenden Austauschs auf religiösem Gebiet im engeren Sinne ist es aber doch nicht auszuschließen, daß das Zusammenleben von Christentum und Islam in dieser geographischen Region einige Aspekte des Glaubens auf beiden Seiten beeinflußt hat.

Zum einen entstanden dort schon relativ bald nach der Eroberung durch die Kreuzfahrer die Ritterorden, die das Ideal des gerade erst von der Mehrheit der Geistlichen akzeptierten christlichen Ritters mit dem des bis dahin unkriegerischsten aller christlichen Stände, dem des Mönchs, verbanden. Auch hier ist wieder zu fragen: Stellte auf christlicher Seite dieser Schritt zur Schaffung eines kämpfenden Mönchtums, der vor äußerst kurzer Zeit im Abendland noch unvorstellbar gewesen wäre und daher auch geharnischte Proteste vieler Geistlicher hervorrief, eine eigenständige Entwicklung dar? Oder hatte hier der ideale Mudjahid, der mönchische Kämpfer gegen innere und äußere Feinde des Glaubens, Pate gestanden?

Gelegenheit zu einer solchen Beeinflussung, auf die ich bei der Beschäftigung mit Bernhard von Clairvaux nochmals eingehen werde, oder wenigstens die Möglichkeit zur Kenntnis vom Ideal des Mudjahid, hat es im Heiligen Land gegeben. So wurde einer der großen Ritterorden, die Johanniter, schon um 1080, nach anderen Quellen bereits 1070, in Jerusalem gegründet. Zunächst eine laikale Kaufmannsbruderschaft mit dem Zweck der Krankenpflege, wurde daraus bald ein vollgültiger Mönchsorden, der in der Zeit vor den Kreuzzügen seinen Dienst vor allem an christlichen Pilgern versah. Der rechtliche Status des Ordens unter moslemischer Herrschaft ist mir allerdings unbekannt. Doch ganz gleich, ob er zu den Dhimmis gezählt oder seine Mitglieder als Inhaber des besonderen Status des islamischen Rechts für Reisende, Diplomaten und Händler, des Aman, betrachtet wurden, waren Kontakte zu den moslemischen Behörden und zu Moslems allgemein nicht zu vermeiden Und es ist unwahrscheinlich, daß den christlichen Mönche nicht des öfteren die islamische Polemik gegen ihren Stand zu Ohren kam, deren wichtigste Basis der Spruch des Propheten ist:

"Es gibt kein ( rein ) mönchisches Leben im Islam. Jeder Prophet verkündete irgendein Mönchtum, und das Mönchtum dieser Gemeinschaft ist der Djihad." Ob und wie die Johanniter auf die Einflüsse ihrer andersgläubigen Umwelt reagierten, ist nicht schriftlich verbürgt. Der Vorwurf der Übernahme ketzerischer Lehren, wie er den großen Ritterorden bisweilen gemacht wurde - zuletzt den Templern bei ihrem berühmten Prozeß 1311/12 - erscheint jedoch in diesem Zusammenhang noch in einem ganz anderen Licht.

Ein weiterer Anhaltspunkt, welche Wirkung allein schon die Propaganda des Gegners auf die eigenen religiösen Vorstellungen haben konnte, ist die Entwicklung der Vorstellung von der Heiligkeit Jerusalems im Islam während der Kreuzzüge. Der Name der Stadt Jerusalem wird im Koran nie genannt. Nur einmal wird der Tempel Salomonis, ihre heiligste Stätte, erwähnt. Mohammed selbst hatte die wichtigsten religiösen Funktionen, die Jerusalem für die Schriftreligionen bisher innehatte, wie den Anspruch, Mittelpunkt der Welt zu sein, die Ausrichtung der Gebetshaltung und anderes, auf die Kaaba in Mekka übertragen. Nach der arabischen Eroberung wurden Jerusalem einige neue Qualitäten zugeschrieben. So lokalisierte man hier Mohammeds nächtliche Reise und schließlich seine Himmelfahrt. Felsendom und Al-Aqsa-Moschee wurden Bauwerke von beträchtlicher Bedeutung. Nichtsdestoweniger blieb Jerusalem in der religiösen Wertschätzung weit hinter den beiden großen Zentren des Islam, Mekka und Medina, zurück. Die Versuche mancher Rechtsgelehrter, ihm wenigstens einen gleichrangigen dritten Platz zuzusprechen, wurden von der Mehrheit ihrer Kollegen abgelehnt. Und so war denn auch eine religiös verursachte Reaktion der islamischen Welt auf die Eroberung der Stadt durch die Kreuzfahrer praktisch nicht vorhanden. Die Chronisten berichteten, wenn man einmal von dem Entsetzen über das dort angerichtete Blutbad absah, von ihr wie von der Eroberung jeder anderen syrischen Stadt.

Diese Haltung zu Jerusalem änderte sich binnen eines halben Jahrhunderts. Bereits Nur ad-Din stellte die Rückgewinnung der Stadt als oberstes Ziel seines Djihad dar. Eine solche Fixierung des islamischen Glaubenskampfes auf ein geographisches Ziel hatte es bisher noch nicht gegeben. Die heiligen Qualitäten Jerusalems wurden nun mehr als zuvor hervorgehoben, die Kritiker der Vorkreuzzugszeit waren verstummt. Jetzt wurde verkündet:

"Gott liebt al-Sham ( Syrien und Palästina ) mehr als jedes andere Land der Welt, und er liebt Jerusalem mehr als jeden anderen Ort in al-Sham." Nachdem Saladin die Stadt zurückerobert hatte, blieb die religiöse Begeisterung ungebrochen. Ein reger Pilgerverkehr, den die Stadt vor den Kreuzzügen von islamischer Seite kaum gekannt hatte, setzte ein, ermutigt von den folgenden Sprüchen:

"Derjenige, der vom Glauben bewegt, Jerusalem besucht, wird ins Paradies eingehen."

"Ein Gebet in Jerusalem wiegt tausend gewöhnliche Gebete auf."

oder:

"Die Gabe eines Brotes als Almosen in Jerusalem wird so betrachtet, als ob man das Gewicht aller Berge der Erde in Gold gegeben hätte."

Der Sturm der Entrüstung, der die öffentliche Meinung der islamischen Staaten aufwühlte, nachdem al-Kamil Jerusalem als Preis des Friedens an Friedrich II. abgetreten hatte, läßt sehr deutlich den Wandel in der Bedeutung der Stadt für den Islam erkennen. Obwohl die religiösen Stätten der Moslems in deren Hand blieben, was bei der ersten Eroberung der Stadt selbstverständlich nicht der Fall gewesen war, wurde der Verlust im Gegensatz zu damals zu einem Unglück sondergleichen erhoben. Eine solche Entwicklung wäre ohne das Auftreten der Kreuzfahrer und ihre Wertschätzung Jerusalems wohl kaum möglich gewesen, auch wenn kein islamischer Schriftsteller jener Zeit dies jemals explizit in seinen Werken als Grund für die Veränderung seiner Haltung angegeben hat.

Ich habe bisher anhand der vier wichtigsten Grenzregionen zwischen Islam und Christentum einige Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung aufgezeigt und mehrere Einzelfälle erwähnt, in denen meiner Meinung nach islamische Einflüsse auf die christliche Vorstellung vom Krieg um der Religion willen erkennbar waren. Im Falle der Jerusalemidee habe ich darüber hinaus zu zeigen versucht, daß eine Idee des andersgläubigen Gegners - wenn auch in der entgegengesetzten Richtung, vom Christentum zum Islam - nachvollziehbar wesentliche Punkte des eigenen Glaubens verändert hat, obwohl sich der Weg dieser Beeinflussung ebenfalls nicht ohne Zweifel aus den relevanten Quellen belegen läßt.

Zum Abschluß meiner Arbeit möchte ich nun noch zwei Kreuzzugsaufrufe daraufhin untersuchen, ob sich in ihnen Zeichen für den Einfluß der Lehre vom Djihad finden lassen. Der erste davon ist der Aufruf Urbans II., hier in der Version des Schreibens an die Bolognesen.

Anschließend komme ich zu dem für mein Thema ergiebigeren Text Bernhards von Clairvaux zum 2. Kreuzzug. Vom selben Autor stammt das Liber ad milites templi de laude novae militiae, das deshalb noch kurz auf weitere Hinweise zur bereits erwähnten Ähnlichkeit zwischen Ordensritter und idealem Mudjahid hin überprüft werden soll.

In Urbans Schreiben fallen mehrere Ähnlichkeiten mit islamischen Schriftstücken, die sich mit dem Djihad befassen, auf. Bei zwei von diesen, die Albrecht Noth noch als mögliche Ergebnisse islamischen Einflusses benennt, würde ich diesen jedoch bestreiten. Es handelt sich dabei erstens um die Abhängigkeit des geistlichen Lohnes von der inneren Einstellung des Kämpfers, zum anderen um die Rücksicht, die ein Krieger auf dem Wege Gottes auf seine Familie zu nehmen habe. Die Festlegung, daß nur der geistliche Vorteile erlange, der sich auch in reiner Absicht darum bemühe, ist im Christentum seit seinen Anfängen unumstritten. Sie war so zum Beispiel bei jeder beliebigen Bußleistung erforderlich. Ihre Übertragung auf die Idee des Heiligen Krieges ist deshalb nicht zwingend von der Kenntnis entsprechender islamischer Vorschriften abhängig, zumal die reine Absicht des Mudjahid, besonders was das Verhältnis zum Beutemachen anging, nicht unbedingt das war, was Urban II. darunter verstand. Die Zustimmung der Familie, die sich überdies nicht einmal auf denselben Personenkreis bezieht, ist wohl eher ein pragmatisches Mittel, das zur Selbsterhaltung der sozialen Strukturen dient, und bedarf deshalb ebenfalls keines Vorbilds von außen.

Anders steht es mit der Formulierung Urbans, der Kämpfer solle "Hab und Gut und seine eigene Person aus Liebe zu Gott und dem Nächsten aufs Spiel setzen". Hierzu gibt es ein klares, in der islamischen Literatur oft zitiertes koranisches Gegenstück:

"Ihr müßt an Gott und seinen Gesandten glauben und mit eurem Vermögen und in eigener Person um Gottes willen Krieg führen." Die Ähnlichkeit ist erstaunlich. Es bleibt jedoch die Frage zu klären, wie der Papst in Kenntnis eines solchen Koranverses gelangen konnte. Möglich ist hier zum einen, daß der Papst als geistliches Oberhaupt der katholischen Christen seine Informationen von Untergebenen aus Regionen bezog, die Kontakt zum Islam hatten. Spanische Bischöfe reisten zum Beispiel öfters nach Rom.

Daneben hatten die Päpste aber auch noch direkten Kontakt zur islamischen Welt. Sie erfüllten nämlich, wie die byzantinischen Kaiser bei den syrischen Christen, die Rolle des Schutzherrn und religiösen Oberhauptes derjenigen Katholiken, die als Dhimmis in Spanien und Nordafrika lebten. Im Zusammenhang mit Bischofsernennungen und ähnlichen kirchlichen Angelegenheiten von größerer Bedeutung kam es dabei auch zu Kontakten mit den arabischen Herrschern. So ist ein Briefwechsel Gregors VII. mit dem hammadidischen Emir Nasir aus dem Jahre 1076 erhalten, in dem es um eine Bischofswahl in Hippo Regius, der Stadt Augustins, geht. In seinem Antwortschreiben an Nasir betont Gregor sehr diplomatisch die Punkte, in denen Christentum und Islam übereinstimmen - was zumindest eine gewisse Grundkenntnis des Islam seinerseits erfordert - und findet im Brief die Worte:

"... denn wir glauben an einen Gott und bekennen uns zu ihm, wenn auch auf verschiedene Weise, und wir preisen und verehren ihn täglich, ihn, den Schöpfer der Welten und Herrscher dieser Welt." Das Auffällige an diesem Satz ist nicht nur die außerordentlich tolerante Ausdrucksweise, die mit der Beurteilung des islamischen Glaubens während der Kreuzzugszeit stark kontrastiert, sondern vor allem die Beinamen, die Gott zugelegt werden. Sie sind sonst in christlichen Dokumenten in dieser Form nicht belegt und erinnern eher an die erste Sure des Korans, wo Gott als "Herr der Menschen in aller Welt" gepriesen wird.

Während es also bei Urban II. höchstens möglich ist, daß er sich von einzelnen Zitaten aus dem Koran inspirieren ließ, die ihm und seinen Vorgängern in ihren Kontakten mit der islamischen Welt zugegangen waren, hatte Bernhard von Clairvaux bereits zumindest die theoretische Chance, über eine vollständige Übersetzung des heiligen Buches des Islam zu verfügen.

Zudem sind in seiner Kreuzzugswerbung die Parallelen zum Koran zahlreicher und direkter. So predigt Bernhard den Deutschen:

"Du tapferer Ritter, du Mann des Krieges, jetzt hast du eine Fehde ohne Gefahr, wo der Sieg Ruhm bringt und der Tod Gewinn." Dies stimmt mit der Hoffnung des Mudjahid auf eine der "sehr schönen Belohnungen" überein, zu denen es in Bezug auf die Aussichten des Einzelnen im Djihad heißt: "Sag: Erwartet ihr für uns vielleicht etwas anderes als eine der beiden besten Möglichkeiten, die in Betracht kommen, nämlich den Sieg oder das Paradies ?" Bernhard fährt seinerseits fort: "Bist du ein kluger Kaufmann, ein Mann des Erwerbs in dieser Welt - einen großen Markt sage ich dir an, sieh zu, daß er dir nicht entgeht. Nimm das Kreuzeszeichen, und für alles, was du reuigen Herzens beichtest, wirst du auf einmal Ablaß erhalten. Die Ware ist billig, wenn man sie kauft, und wenn man fromm für sie bezahlt, so ist sie ohne Zweifel das Reich Gottes wert." Mohammeds Version des Aufrufs lautet: "Ihr Gläubigen! Soll ich euch zu einem Handel weisen, der euch vor einer schmerzhaften Strafe retten wird? Ihr müßt an Gott und seinen Gesandten glauben und mit eurem Vermögen und in eigener Person Krieg führen....Dann vergibt er euch eure Schuld und läßt euch in Gärten eingehen, in deren Niederungen Bäche fließen, und in gute Wohnungen in den Gärten von Eden." Hierher paßt auch nochmals der bereits auf Seite 3 zitierte Koranvers, nach dem Gott den Gläubigen Vermögen und Person für das Paradies abgekauft habe. Auch dies wird im weiteren Text als erfreulicher Handel bezeichnet, weil Gott derjenige sei, der seine Verpflichtungen am ehesten von allen halte.

Ist es möglich, diese recht augenscheinlichen Übereinstimmungen nur damit zu erklären, daß sie unabhängig von islamischem Einfluß der Zeitgeist einer Epoche hervorgebracht habe, in welcher der ( westeuropäische ) Fernhandel einen kräftigen Aufschwung erfuhr? Die völlige Abwesenheit einer solchen Terminologie noch in der Kreuzzugspredigt Urbans II. scheint mir eher gegen diese Theorie zu sprechen. Der große Aufschwung des Fernhandels begann nicht erst nach dem ersten Kreuzzug, vor allem nicht der im nichtmediterranen Raum Westeuropas. Entweder kam erst Bernhard selbständig auf die revolutionierende Idee, die merkantil geprägte Sprache zu benutzen, die Urban noch nicht gekannt hatte, oder er verdankte diese Anregung doch dem Studium des Koran.

Für Bernhards Liber ad milites templi ist die Frage des möglichen islamischen Einflusses noch schwerer zu beantworten. Von seinem Entstehungszeitpunkt her ( 1128 ) liegt es vor der Koranübersetzung des Petrus Venerabilis. Eventuelle Anregungen aus der Religion Mohammeds bei der Behandlung des Problems der Ordensritter können also entweder nur den Weg über Spanien genommen haben oder Bernhard von bereits islamerfahrenen Mönchen aus dem Heiligen Land selbst überbracht worden sein, falls meine weiter oben aufgestellte Hypothese zu diesem Thema als zutreffend angenommen wird. Ich werde hier nur einige auffällige Punkte einander gegenüberstellen.

Bemerkenswert ist, daß Bernhard von Clairvaux den Hauptverdienst des Templers wie seine islamischen Kollegen den des Mudjahid in der Bekämpfung geistiger Feinde sieht. Diese ist der vornehmliche Grund für die Gewährung des Heils, deren sich der fromme Templer sicher sein kann. Er erlangt aber auch durch seinen Tod im Kampf die Seligkeit, er "verbindet sich mit Gott", wenn er für diesen stirbt.

Das Zugeständnis eines eigenen Kriegsrechts und die Unabhängigkeit von Befehlen geistlicher oder weltlicher Befehlshaber ist ebenfalls eine merkwürdige Parallele zum Selbstverständnis der Rolle des Mudjahid. Zahlreiche islamische Rechtsquellen bezeugen immer wieder, daß im Falle von Uneinigkeit zwischen dem einzelnen Mudjahid ( oder einzelnen Gruppen von diesen ) und dem militärischen Oberbefehlshaber eines Kriegszuges der Glaubenskämpfer berechtigt ist, seinem eigenen Gewissen gemäß unabhängig zu handeln.

Wenn Bernhard schließlich die Templer unter Bezug auf alttestamentarische Bräuche zu unbedingtem Gottvertrauen auffordert und dazu, ungeachtet des tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisses jeden Gegner anzugreifen, so ruft das unweigerlich Assoziationen an entsprechende Aufrufe im Koran wach. Dort heißt es:

"Prophet! Ermutige die Gläubigen zum Kampf! Wenn unter euch zwanzig sind, die Beständigkeit zeigen, werden sie über zweihundert, und wenn unter euch hundert sind, so werden sie über tausend von den Ungläubigen siegen, denn diese sind ein Volk das nicht versteht." Mit diesen Betrachtungen möchte ich meine Arbeit beenden. Der Schluß des letztgenannten Koranverses möge mir als Entschuldigung dienen, wenn ich mangels intensiverer Kenntnisse und genaueren Verständnisses von Religion und Kultur des Islam bei meiner Argumentationsführung, besonders im ersten Teil der Arbeit, Sachverhalte übersehen habe, die meine Interpretation des Djihad relativieren oder ihr sogar entgegenstehen würden. Auch im zweiten Teil konnte ich wohl eher neue Fragen aufwerfen als bestehende endgültig beantworten. Ich hoffe aber, trotz aller objektiven Schwierigkeiten des Themas letzten Endes eine Arbeit vorgelegt zu haben, die den eingangs selbst gestellten Ansprüchen gerecht wird.

Literaturliste
 
 
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Erdmann, Carl, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Nachdruck Darmstadt 1965. 
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Hehl, Ernst-Dieter, Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit, Stuttgart 1980.
Kelsay, John, and Johnson, James Turner (Hrsg.), Just war and jihad. Historical and theoretical perspectives on war and peace in Western and Islamic traditions, Westport 1991.
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Watt, W. Montgomery, Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter, Berlin 1988.

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