Pavia war seit seiner Eroberung 572 Hauptstadt des Langobardenreiches in Oberitalien. Es war für den Handel sehr günstig gelegen, da es die letzte bedeutendere Stadt war, die man den Po ( und ein kurzes Stück den Ticino ) flußaufwärts mit dem Schiff erreichen konnte. Hier war folgerichtig ein Umschlagplatz vom Wasser- zum Landhandel entstanden. Pavia genoß dank seiner politischen Stellung auch handelspolitische Sonderrechte, wie zum Beispiel das Privileg, daß im gesamten Königreich Italien nur hier und in Ferrara Seidenstoffe aus dem Orient zum Verkauf gebracht werden durften. Allerdings hatte die Stadt in der Entstehungszeit des vorliegenden Einkünfteverzeichnisses bereits einige Rückschläge hinnehmen müssen. Die Stadt war einmal während eines Zuges der Ungarn 924 und ein anderes Mal während des Aufstandes gegen Heinrich II. 1004 vollständig Opfer der Flammen geworden. Die unmittelbar benachbarten Konkurrenzstädte Mailand und Piacenza, selbst weniger hart betroffen, hatten in dieser Zeit der Bedeutung nach schon beträchtlich aufgeholt.
Der Text verwendet als Geldeinheiten den Pfennig, den Schilling oder Solidus und das Pfund. Seit den Zeiten Karls des Großen standen diese untereinander in der Relation von zwölf Pfennigen auf einen Schilling und zweihundertvierzig Pfennigen auf das Pfund. Von diesen Einheiten war nur der Pfennig eine tatsächlich gemünzte und im Umlauf befindliche Währung. Schillinge kamen als Münzen nur sehr selten in Form echter oder nachgemachter byzantinischer solidi mancusi vor, während sie meist wie das Pfund eine reine Rechenwährung oder eine Gewichtseinheit für ungemünztes Silber darstellten. So erklärt sich auch, wieso an einigen Stellen von "20 Schilling Pfennigen", "50 Pfund lötigen Silbers" oder "12 Pfund guter Mailänder Pfennige" die Rede ist.
In den Paragraphen 1 bis 5 sind nun die der königlichen Kammer zustehenden Einkünfte aus Zöllen und Abgaben niedergelegt, die von fremden Kaufleuten direkt oder indirekt erhoben wurden. Zunächst werden die zehn königlichen Zollerhebungsstellen im transalpinen Handel aufgeführt, die von Susa und Fort Bard ( am kleinen St. Bernhards-Paß ) im Westen über Bellinzona im Norden ( an der Straße vom St. Gotthard-Paß ) bis Aquileja im Osten an allen wichtigen Handelsstraßen über die Alpen lagen. Im selben Paragraphen werden auch die Haupthandelsgüter im transalpinen Handel genannt, von denen Zoll, und zwar in Höhe des zehnten Teils der Waren, erhoben wurde. Dies sind zum ersten Pferde, die entweder als Tragtiere der Händler dienten oder aber als Ware aus West- und Mitteleuropa eingeführt wurden. Als nächste zu verzollende Ware sind Sklaven und Sklavinnen genannt - in Italien, wo die Sklaverei seit der römischen Zeit kontinuierlich fortbestanden hatte, ein begehrtes Handelsgut. Hauptquelle für Sklaven in jener Zeit nördlich der Alpen waren diejenigen Gebiete, in denen Kämpfe zwischen Christen und Heiden stattfanden, also vor allem das Grenzgebiet zwischen Deutschem Reich und seinen slawischen Nachbarn, aber auch noch Gebiete Skandinaviens. Im Zuge dieser Kämpfe wurden große Mengen Kriegsgefangener versklavt und hauptsächlich in mediterrane Länder verkauft. Christliche Sklaven waren weitaus seltener, da die Kirche den Besitz eines Christen durch einen anderen zwar nicht durchweg verbot, ihm aber eher ablehnend gegenüberstand, besonders dann, wenn es sich um den Verkauf eines christlichen Sklaven in andersgläubige Länder handelte.
Die nächsten Handelsgüter, die Erwähnung finden, sind Tucharten aus drei unterschiedlichen Materialien. Zum einen ist dies Schafswolle, die, vorwiegend aus England stammend, in dieser Zeit entweder dort oder im Auftrage friesischer Kaufleute in den Gebieten der südlichen Nordseeküste verarbeitet wurde. Die zweite genannte Gewebeart ist das Leinen, das aus den Fasern der Flachspflanze hergestellt wird und das hauptsächlich in der Champagne, im Rheinland und im Gebiet der späteren Niederlande produziert wurde. Kanevas, das dritte Material, ist ein Stoff, der aus den Fasern des Hanfs ( lat. canabis ) vor allem im Süden Frankreichs gefertigt wurde.
Auf die Tuche folgen in der Aufzählung Zinn und Schwerter. Seit römischer Zeit kam der Zinn, mit dem in Europa gehandelt wurde, aus den Bergwerken Cornwalls. Erst viel später wurden auch andere Vorkommen entdeckt, z.B. in Böhmen. Auch die Produktion von handelswerten ( das heißt höherwertigen ) Schwertern war seit alters her auf wenige Orte konzentriert, an denen trotz der primitiven Technologie geeignetes Rohmaterial verfügbar war. Dies waren im Raum nördlich der Alpen vor allem die deutschen Städte Passau und Solingen.
In der letzten Bestimmung des ersten Paragraphen werden die Rompilger ausdrücklich von der Verzollung ausgenommen - eine Selbstverständlichkeit für einen gläubigen Christen, die ebenso selbstverständlich zuweilen von Kaufleuten in betrügerischer Weise ausgenutzt wurde.
Die nächsten beiden Paragraphen befassen sich mit Ausnahmeregelungen für den ersten, und zwar für bestimmte Gruppen von Kaufleuten.
Die Kaufleute der Angeln und Sachsen, die in jener Zeit ein sehr aktives Händlervolk waren und damit wohl auch einen zahlenmäßig bedeutenden Anteil an der Kaufmannschaft stellten, werden von allen in Paragraph 1 genannten Zollpflichten befreit. Als Gegenleistung mußte ihr König jährlich eine feste Abgabe an die königliche Kammer zahlen, die zum Teil aus Geld in Form von Silber, zum Teil aber auch in Sachleistungen bestand, und zwar Jagdhunden, Schmuck, Kleidung und Waffen. Hier zeigt sich auch das allgemein verbreitete Verständnis von der Stellung der Kaufleute in der feudalen Ordnung, das sie in der Rolle von direkten Schutzbefohlenen ihres Königs sah, der für sie in Fällen wie diesen aufkam. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der König der Angelsachsen eine angemessene Gegenleistung für diese Zahlung von seinen Kaufleuten verlangt haben wird.
Die zweite Zollbefreiung betrifft die Venezianer. Auch ihr Doge erwirkt durch eine jährliche Zahlung von Geld und Sachleistungen die Aussetzung der gewöhnlichen Zölle. Sie waren allerdings nur für zwei Warenarten, nämlich Korn und Wein, völlig vom Zoll befreit. Für andere Waren war ihnen der Zoll ermäßigt - sie zahlten nur den vierzigsten statt den zehnten Teil von ihren Waren - allerdings war für dieses Privileg gemäß § 4 noch eine weitere Sonderleistung einmal pro Jahr fällig, die in orientalischen Luxuswaren wie Gewürzen, Elfenbein und speziellen Stoffen bestand. Die Handelsbeziehungen mit den Venezianern nahmen seit jeher eine Sonderstellung ein, die in der politischen Situation Venedigs begründet war. Diese Handelsstadt erkannte zwar formell in mehreren Verträgen ( "Pakten" ) die Oberhoheit des italienischen Königs bzw. des Kaisers an, blieb jedoch de facto unabhängig. Als Gegenleistung errangen die Venezianer in den "Pakten" besondere Handelsrechte im Königreich Italien. Das Recht, Korn und Wein, also Güter des täglichen Bedarfs, die zu dieser Zeit kaum im Fernhandel eine Rolle spielten ( und auch im § 1 keine Erwähnung finden ), zollfrei in Italien zu handeln, ist ein deutliches Kennzeichen des besonderen Verhältnisses Venedigs zu seinem Hinterland.
Sehr ähnliche Privilegien - mit Ausnahme der Zollfreiheit für Korn und Wein und der damit verbundenen jährlichen Zahlung - genossen auch die Kaufleute der süditalienischen Handelsstädte Gaeta, Salerno und Amalfi, die zu jener Zeit noch nahezu gleichrangige Bedeutung mit den großen Hafenstädten Oberitaliens wie Venedig besaßen. Nominell gehörten diese drei Städte - wie früher auch das schon erwähnte Venedig - noch zum Byzantinischen Reich, was zwar für die Innenpolitik der Städte kaum noch von Bedeutung war, ihnen jedoch für ihre Handelsbeziehungen in den Orient große Vorteile gegenüber allen anderen europäischen Kaufleuten brachte, da für sie die sehr strikten Handelsbeschränkungen der griechischen Kaiser für fremde Kaufleute wegfielen.
Der Verzicht auf die vollständige Verzollung der tatsächlich gehandelten Waren und ihr Ersatz durch eine durchaus als Schenkung zu bezeichnende Abgabe einer Fixsumme Geldes und ausgesuchter Luxuswaren ist eine auffällige Besonderheit des Einkünfteverzeichnisses von Pavia, die in vergleichbaren Zolltarifen der gleichen Zeit wie etwa dem von London in dieser Form nicht auftaucht.
Im sechsten Paragraphen des Einkünfteverzeichnisses wird allen einheimischen Kaufleuten im Bereich des Königreiches Schutz versprochen und , wenn man das in den §§ 2 und 3 bereits im Sinne von "Zollerhebung" verwendete Wort "Belästigungen" auch hier so auslegt, auch die Zollfreiheit. Für die Verletzung des königlichen Gebotes wird eine Geldbuße festgesetzt. Diese ist, wenn man sich die Goldknappheit im christlichen Abendland zu dieser Zeit vor Augen führt, recht hoch und beträgt ebensoviel wie der Geldanteil der Jahreszahlungen des angelsächsischen Königs oder des venezianischen Dogen, wenn man von der Relation 20 solidi mancusi = 1 Pfund ausgeht.
Mit diesem Paragraphen endet der Teil des Einkünfteverzeichnisses, der sich mit dem Handel beschäftigt. Die nächsten Abschnitte legen die Aufgaben und die Abgaben der Münzer in Pavia und in Mailand fest. Die hier festgelegte Gewinnspanne von einem Sechstel des zu münzenden Silbers erklärt auch, weshalb die Münzer zu dieser Zeit zur obersten Schicht der städtischen Gesellschaft zählten. Dabei werden die Paveser Münzer gegenüber denen von Mailand noch stark bevorteilt - ihre Pfennige sind, obwohl von gleichem Silbergewicht, ein Dreizehntel mehr wert als die Mailänder. In den beiden Paragraphen wird auch die Zahl der Münzmeister streng begrenzt, was ihre Stellung wohl noch gefördert haben wird. Die Abgaben der Münzer in die königliche Kammer sind eine Fixsumme und völlig unabhängig von dem tatsächlich von den Münzern gemachten Gewinn.
Mit Belangen des Geldwesens befaßt sich auch noch der neunte Abschnitt. Die Goldwäscher an den Flüssen des Königreichs Italien, die damals noch erschließenswerte Mengen an Gold führten, werden darin zur Abgabe der Hälfte des gewaschenen Goldes an die königliche Kammer und zum Verkauf der anderen Hälfte an die Münzer verpflichtet. Als Organisationsform der Goldwäscher wird der Schwurverband angegeben, der nur als Ganzheit überhaupt handlungsfähig ist - dem einzelnen Goldwäscher ist es verboten, die Ergebnisse seiner Arbeit privat zu verwerten. Gemeinsam mit den hohen Strafen für Falschmünzerei gibt es den Bemühungen des Königs um die Bewahrung des Münzregals und damit einer stabilen Währung Ausdruck.
In den folgenden Paragraphen ( 10 bis 13 ) ist die Rede von vier ausgewählten Berufsverbänden der Stadt Pavia und deren Abgaben an die königliche Kammer beziehungsweise den für diese zu leistenden Diensten. Weshalb nur die Fischer, Gerber, Schiffer und Seifenmacher neben den Münzern und Goldwäschern als Berufe im Einkünfteverzeichnis auftauchen ist nicht klar ersichtlich. Es kann jedoch angenommen werden, daß die anderen Berufe zu dieser Zeit noch keine derartige Organisationsform kannten und ihre Angehörigen ihre Tätigkeit noch "frei" ausübten.
Die Fischer, Gerber und Seifenmacher liefern an die Kammer regelmäßig die Produkte ihrer Arbeit. Die Fischer müssen daneben noch eine Geldabgabe an ihren Meister leisten, die ihnen allerdings im Fall eines Besuchs des Königs in Pavia selbst wieder zugute kommt. Die Schiffer sind sogar nur bei einem königlichen Besuch überhaupt zu Diensten verpflichtet. Bei Gerbern und Seifenmachern findet sich bei der Begründung ihrer Abgaben der Hinweis auf ein für sie geltendes Gewerbemonopol, bei den Gerbern auch die Bedingung dafür, in den Genuß dieses Monopols zu gelangen, nämlich die Zahlung eines nicht unbeträchtlichen Betrages zur Hälfte an die königliche Kammer und zur Hälfte an den Berufsverband. Die bisher erwähnten Berufsverbände sind allerdings noch unterschiedlich stark ausgeprägt. Während bei Kaufleuten (§ 6), Fischern (§ 10) und Schiffern (§ 12) von Vorstehern bzw. Meistern die Rede ist, wobei das Vorhandensein letzterer sogar obligatorisch ist, werden sie bei Gerbern und Seifenmachern zumindest nicht erwähnt.
Der fünfzehnte Paragraph regelt die Höhe der Abgaben derjenigen Frauen, die sich mangels männlicher Verwandter nach germanischem Recht in der Vormundschaft des Königs befanden und eine Ehe eingehen wollten. Diese Abgabe besteht erstaunlicherweise - obwohl von einem nicht wehrfähigen Mitglied der Gesellschaft gefordert - aus Waffen. Bemerkenswert ist auch die ganz selbstverständliche Einschränkung dieser Regelung auf die Frauen, "die reich sind"; weniger begüterten Frauen ohne Vormund wird wohl nur der Weg ins Kloster oder ein Leben ohne Ehe offengestanden haben.
Des weiteren erscheint ein Abschnitt, der eigentlich kaum in ein Einkünfteverzeichnis paßt, da er ausschließlich Ausgaben aufführt. Die Kleriker der beiden angegebenen Kirchen ( St. Syrus und Groß-St. Michael, der Bischofs- und der Krönungskirche ) werden für ihre Tätigkeit von der königlichen Kammer regelmäßig mit Kleidung und dem für die Erleuchtung eines Lampenrostes nötigen Öl versorgt. Diese Ausgabe der königlichen Kammer ist die einzige, über die im Einkünfteverzeichnis berichtet wird. Die Gründe für ihre Aufführung bleiben unklar.
Im Paragraphen 16 wird eine weitere Abgabe in Höhe des zehnten
Teils der Erträge von den Berufsverbänden dafür verlangt,
daß nun für alle von ihnen von königlicher Seite das Gewerbemonopol
verliehen und seine Verletzung unter Strafe gestellt wird. Dieser Abschnitt
ergänzt und erweitert die in den §§ 10 bis 13 getroffenen
Aussagen und ist deshalb wohl eines späteren Entstehungsdatums als
diese. Derselbe Paragraph entzieht auch den Vorstehern der Berufsverbände
jegliche Gerichtsgewalt innerhalb ihrer Organisation und verweist sie an
den König oder den Kammermeister. Dieser "Ergänzungsparagraph"
gibt anschaulich die allgemeine Entwicklung im städtischen Gewerbe
des Hochmittelalters von der "freien"
Berufsgemeinschaft hin zum Zunftmonopol wieder, die allerdings nicht überall
zwangsläufig war.