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 Repräsentative Demokratie versus plebiszitäre Demokratie

1. Einleitung

,,Mehr Demokratie wagen!" Dieser Ruf eines ehemaligen Bundeskanzlers wurde und wird, gerade in Deutschland, immer lauter.
Nach den Ende der 60er Jahre aufgetretenen gesellschaftlichen Veränderungen und der damit einhergehenden Entstehung neuer politischer Bewegungen wurde auch das Thema direkte Demokratie aktuell. Die zumeist jüngeren Anhänger dieser alternativen politischen Initiativen erhofften sich von mehr plebiszitären Elementen ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen der damaligen politischen Landschaft der Bundesrepublik. Nach dem eher problemlosen und einfachen Regieren des wohlstandsverwöhnten Nachkriegsdeutschlands, zeigte die zu diesem Zeitpunkt einsetzende wirtschaftliche Stagnation in den Augen der Kritiker die Unfähigkeit der Parteien, unter erschwerten Rahmenbedingungen ein Land zu regieren. Die Lösungsrezepte der aktuellen Politik schienen überholt, neue Konzepte scheiterten aber an dem ,,Platzhirschdenken" der politischen Führung und an der alles überwuchernden Bürokratie, die jegliches nonkonformes Engagement im Keim erstickte.
Dennoch etablierte sich die Forderung nach mehr direkter Demokratie durch die immer stärker werdende Präsenz der alternativen Kräfte auf der politischen Bühne in Form der ,,Grünen". Durch die Institutionalisierung der ,,68er-Ideen" in Form einer Partei - die 1983 sogar den Sprung in den Bundestag schaffte - wurde das ehemals ,,revolutionäre" Gedankengut in das System integriert und neutralisierte sich somit selbst. Mit der Aufnahme in ein Parteiprogramm (das der Grünen) erschien vielen ein erstes Etappenziel erreicht, und die Bewegung verstummte; einerseits aus Zufriedenheit über das Erreichte; andererseits aus zunehmender Desillusionierung.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene sind Gründe für den Ruf nach mehr Demokratie zu suchen. Nicht zuletzt Ingleharts Postmaterialismus-These zeigt, daß ein allgemeiner Wertewandel stattgefunden hat. Zu der Forderung nach mehr Freiheit und mehr Bürgerrechten gesellte sich der Wunsch nach zunehmender demokratischer Mitbestimmung. Man wollte sich nicht mehr nur mit einer materiell sicheren Position zufriedengeben; statt dessen erlangten Werte wie Selbstbestimmung und Freiheit, aber auch Hedonismus und eine individualisierte Lebensweise mehr Bedeutung. Eine (eher negative) Folge dieses Wertewandels war denn auch ein zunehmendes Desinteresse an allgemeinpolitischen Themen und ein Rückgang der Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement.
Als Folge der Politikverdrossenheit im Zuge des Wertewandels einerseits und der Institutionalisierung der 68er-Idee andererseits verschwand das Thema ,,Direkte Demokratie" in den 80er Jahren in der Versenkung. Erst die Wiedervereinigung 1990 führte zu einem stärkeren Hinterfragen der politischen Struktur.
Die einsetzende Euphorie aufgrund der Demokratisierung der neuen Bundesländer und der osteuropäischen Staaten brachte ein neues Interesse an Politik und Demokratie hervor. Vor allem die ostdeutsche Bürgerrechtsbewegung drängte auf die Aufnahme neuer Ideen in das politische Programm. Auftrieb bekam die Idee der direkten Demokratie auch durch die in Aussicht gestellte Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Die Aufnahme direktdemokratischer Elemente in eine neue Verfassung schien einfacher als die Änderung des aktuellen Grundgesetzes, zumal nach Meinung einiger Verfassungsrechtler Artikel 20, Absatz 21 jegliche Plebiszite verbietet. Da dieser Artikel aufgrund von Artikel 79 nicht geändert werden darf, könnte die Aufnahme der direkten Demokratie nur durch eine neue Verfassung, niemals durch eine Änderung des bestehenden Grundgesetzes, erfolgen. Darauf wird jedoch in unseren Ausführungen zur direkten Demokratie im Grundgesetz noch eingegangen.
Auch dieses Mal war es den Verfechtern des bisherigen politischen Systems möglich, etwaige Veränderungen rechtzeitig abzuwenden, indem es einfach keine Neufassung des Grundgesetzes gab. Doch anders als in den vorhergehenden Jahrzehnten blieb dieses Mal der Wunsch nach Veränderung erhalten. Schuld daran waren die Politiker und Parteien selbst, indem sie durch ihr Verhalten und ihre Aussagen den Bürgern den Glauben an die repräsentative Demokratie nahmen.
Doch bringt uns das Plebiszit wirklich den erhofften Gewinn an Demokratie, den sich einige Politiker und Bürgerrechtler von ihm versprechen? Oder behalten jene Stimmen, die gerade nach der Unterschriftenkampagne der CDU/CSU zum Staatsbürgerschaftsrecht vor den unausweichlichen Defekten direkter Demokratie warnen, letztendlich doch recht? Populismus und Trivialität, so der Vorwurf der Kritiker, seien die Folge von mehr plebiszitären Elementen. Sie verweisen dabei gern auf die Weimarer Republik, in der sich - in ihren Augen - die Unfähigkeit des Volkes, direkt zu entscheiden, bereits gezeigt hat.
Diesen zentralen Fragen ist die folgende Arbeit gewidmet. Daß das Thema aktueller denn je ist, zeigt das zunehmende journalistische Interesse an demselben. Vor allem vor dem Hintergrund des ,,Demokratiedefizits" wird diskutiert, inwiefern die Einführung direktdemokratischer Züge unsere bisherige politische Landschaft reformieren und ,,wieder auf Trab" bringen könnte.

2. Repräsentative Demokratie
2.1 Einführende Bemerkungen

Elemente repräsentativer Demokratie wurden schon im alten Athen angewandt, allerdings in sehr abgewandelter Art und Weise. Die aristotelische Lehre meint dabei mit Demokratie vor allem "Herrschaft der Vielen" oder besser "Herrschaft der Volksversammlung"2. Das Wesen der repräsentativen Demokratie besteht darin, daß der Demos, also das Volk nicht direkt am Regierungsprozeß beteiligt ist, sondern durch Repräsentanten vertreten, die, je nach Verständnis, weisungsgebunden oder frei über die Geschicke des Volkes entscheiden. Organisiert sind die potentiellen Kandidaten in politischen Vereinigungen wie Parteien oder andere Interessenvertretungen. Üblicherweise erfolgt der Prozeß der Selektion der Repräsentanten durch Wahl, in geheimer oder offener Form auf Zeit (meist mit einer Periode von drei bis fünf Jahren). Die gewählten Repräsentanten bilden ihrerseits aus dem Parlament heraus die Regierung, wobei sich meist gewisse Fraktionsmehrheiten zusammenfinden. Dies erleichtert das Gesetzgebungsverfahren, weil durch die so entstandene Mehrheitsbildung Entscheidungen, die im Parlament gefällt werden, schneller und effektiver durchsetzbar sind.
Der große Vorteil repräsentativer Demokratie, deshalb setzte sie sich fast überall gegenüber der (im dritten Abschnitt behandelten) plebiszitären Demokratie durch, liegt darin, auch größere Menschenmengen, ja sogar ganze Völker auf demokratischer Basis regierbar zu machen. Diese Ansicht setzte sich jedoch erst spät durch. Erste wissenschaftliche Betrachtungsweisen sind Ende des 18.Jh. im Zuge der französischen Revolution und natürlich nach Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika anzutreffen. Mitte des 19. Jh. setzten dann Tocqueville und Mill den Grundstein repräsentativer Demokratietheorien. Mit diesen Theorien werden wir uns zuerst befassen (Kap.2.2.1), um dem Leser die Entwicklung repräsentativdemokratischer Regierungsweisen näherzubringen. Im Anschluß folgt eine Analyse neuerer Demokratietheorien auf ökonomischer Basis (Kap.2.2.2), die sich dadurch auszeichnen, nicht nur den idealistischen Gehalt repräsentativer Demokratie zu beleuchten, sondern die Handlungsschemata von Gewählten und Wählern mit in die Analyse aufnehmen und deshalb für die Praxis relativ gut anwendbar sind. Weber und Schumpeter leisteten hier die Pionierarbeit. Als naheliegendes praktisches Beispiel zeigen wir anhand der demokratischen Entwicklung Deutschlands, welchen Chancen, aber auch Gefahren repräsentativdemokratische Regierungsformen unterliegen (Kap.2.3).
2.2 Geschichte der repräsentativen Demokratietheorie
2.2.1 Mill und Tocqueville als Vordenker
Tocqueville kann als der erste Theoretiker der Massendemokratie auf erfahrungswissenschaftlicher Basis verstanden werden. Er analysierte Anfang des 19. Jahrhunderts das Modell der amerikanischen Demokratie vor dem Hintergrund der französischen Versuche der demokratischen Regierungsbildung und seiner eigenen aristokratischen Vergangenheit. Er selbst meint, daß er damit relativ objektiv zwischen den Fronten ,,Aristokratie" und ,,Demokratie" stehe.
Vor seiner Studie war die demokratische Regierungsform nach Ansicht der Wissenschaftler nur in Stadtstaaten und kleineren Gebieten möglich. Doch das Beispiel Amerikas zeige, so Tocqueville, daß die Demokratie der unausweichliche und nicht revidierbare Weg aller modernen Regierungsformen sei, und auch Europa sei früher oder später davon betroffen. Er sieht ,,...Demokratie als universalhistorisches Prinzip der Moderne..."3
Man könnte nun meinen, für Tocqueville wäre die Demokratie die ideale Regierungsform. Jedoch beschreibt er sie eher als ,,second-best-Lösung", da auch sie viele Nachteile in sich birgt, ihr aber die Alternativen fehlen. Sein großes Problem mit der Demokratie als Regierungsform ist der Gegensatz zwischen Gleichheit, dem propagierten Ziel demokratischer Regierungen und der Freiheit des Einzelnen. Diese Freiheit sieht er in der demokratischen Gesellschaft unterdrückt. Allerdings sagen Kritiker, unter anderem Mill (siehe später in diesem Kapitel), daß Tocqueville hier die Wirkungen der modernen sozialen Entwicklung der Zivilisation mit denen der Demokratie verwechselt. Für Mill benutzt Tocqueville einen überweiteten Demokratiebegriff. Doch außer diesem sehr weit gefaßten Begriff der ,,social democracy" engt Tocqueville seine Theorie ein auf die ,,political democracy". In ihr analysiert er die entstandenen politischen Institutionen und ihre Entwicklung. Erstmals ist Demokratie nicht mehr auf direktdemokratische Merkmale in Stadtstaaten o.ä. begrenzt, sondern weitet sich auf eine repräsentative Demokratieform, im Gefolge mit Institutionen-, also Regelbildung aus. Im folgenden werde ich die Vor- und Nachteile der amerikanischen Repräsentativdemokratie nach Tocqueville erläutern.
Für Tocqueville entscheidet nämlich der Saldo von positiven und negativen Erscheinungen einer Staatsform über ihre Qualität.
Ein grundlegender Fehler der amerikanischen Demokratie liegt in der mittelmäßigen Qualifikation ihrer Repräsentanten. Die Auswahl eher mittelmäßiger Führer wird durch eine mangelnde Kompetenz der Wähler und das verstärkte Gefühl des Neides aufgrund des Gleichheitsbestrebens begünstigt. Diese Unterqualifikation der politischen Regierungskräfte führt zu überhasteten Entscheidungen, da die Prämisse mehr auf die Wiederwahl als auf gesamtgesellschaftlich fördernden Entscheidungen gerichtet ist - ein Hauptproblem der kurzen Wahlperiode. Die dadurch entstandenen Fehler können aber aufgrund dieser kurzen Wahlperiode auch schnell wieder behoben werden. Trotzdem treten noch eine Reihe Probleme in den Vordergrund. Tocqueville sieht in der Demokratie ein großes Feld für Bestechlichkeit und den Hang zu Lastern der politischen Führungskräfte, ausgelöst durch die unverhältnismäßige Vergütung im Vergleich zur Wirtschaft. Außerdem seien Demokratien im allgemeinen zu ineffizient. Sie würden primär die gegenwärtigen Ansprüche der Wähler durch überhöhte Ausgaben im Blickfeld haben, um deren Gunst zu erringen. In diesem Zusammenhang sagt Tocqueville, die Führer der repräsentativen Demokratie würden ,,...Bedürfnisse des Augenblicks zugunsten der Zukunft unterdrücken..."4.
Trotz alledem diagnostiziert Tocqueville eine positive Entwicklung in Amerika, weil durch die schon angesprochene Institutionenbildung, z.B. begrenzte Beamtenzeit oder Begrenzung der Machtbefugnis, ein Gegengewicht zur eigendynamischen Entwicklung der Nachteile gefunden wurde. Die Gesetze des Landes würden aufgrund des Gefühls des Vetorechts der Bürger stärker angenommen. Sie etablierten sich also durch das ,,Regieren im Namen der großen Zahl". Außerdem stellt Tocqueville auch in seiner Analyse eine größere Innovationsfähigkeit und Tatkraft fest, die zunehmend in die bürgerliche Gesellschaft Amerikas übergreife.
Ein weiteres Problem der Demokratie stellt sich in Kriegszeiten ein. In solchen Krisensituationen sei die Demokratie anderen absolutistischen Herrschaftsformen unterlegen, weil die demokratische Regierung nicht in der Lage wäre, eine dauerhafte Mobilisierung der Ressourcen zu gewährleisten und so längerfristig im Kriegszustand mit einem absolutistischen Land standzuhalten. In Zeiten des Friedens jedoch sieht Tocqueville eine größere Kompetenz der Demokratie gegenüber anderen Regierungssystemen. Im Zusammenhang damit muß wohl ihr ausgezeichnetes Meistern der Innenpolitik genannt werden. Wie keine andere Regierungsform verstehe es die Demokratie, Wohlstand, Staatsbürgerlichkeit und Achtung vor dem Gesetz in der Bevölkerung zu schaffen. In der Außenpolitik allerdings sei sie nicht in der Lage, langfristige Konzepte und Strategien zu verfolgen und werde so im direkten Vergleich mit absolutistischen Herrschern unterliegen.
Nach all diesen speziellen Problemen der Demokratie in Amerika steht für Tocqueville noch immer ein grundsätzlicher Nachteil imVordergrund: der Zielkonflikt zwischen Freiheit und Gerechtigkeit. Seiner Ansicht nach unterdrücke die Allmacht der Mehrheitsmeinung, die aus sich heraus eine neue Form des Despotismus hervorbringe, die Freiheit und Individualität des Einzelnen in der Gesellschaft. Eine Lösung dieses Problems gibt es nicht, jedoch könne man diesem Prozeß durch institutionelle Schranken und Gegenkräfte entgegenwirken, so z.B. durch Unabhängigkeit der Judikative und größere Entscheidungsgewalt in förderalen Verwaltungen. Eine Dezentralisierung und größere Kontrollierbarkeit der Machtausübung dämpfe dann den Prozeß.
Im Vergleich zu vielen anderen Wissenschaftlern der damaligen Zeit bezieht Tocqueville sein Wissen auf erfahrungswissenschaftlicher Basis aus der Praxis. Ganz im Gegensatz dazu versuchte der britische Demokratieforscher John Stuart Mill, in Anlehnung an Tocqueville, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Liberale Theorie der Repräsentativdemokratie auf rein theoretischer Basis ohne großen Praxisbezug zu verfassen. Was bewog ihn dazu?
Mitte des 19. Jh. setzten einige Probleme der Durchführbarkeit bisheriger Demokratieformen beträchtliche Grenzen, so z.B. der Vormarsch der Industriegesellschaft, die zunehmende gesellschaftliche Gleichheit, die allmähliche Erweiterung des Wahlrechts, das Emporkommen immer neuer politischer Parteien, das Voranschreiten der Mittelschicht und der unteren Schichten und letztendlich das Spannungsverhältnis von Demokratie und Gleichheit einerseits und Freiheit andererseits. Aus der Tradition der gemäßigten Demokratie von Locke und insbesondere Montesquieu entwickelte Mill durch Verknüpfung von repräsentativdemokratischen und partizipationstheoretischen Überlegungen sein eigene repräsentative Demokratietheorie.
Danach lassen sich die Hauptmerkmale der idealen Repräsentativverfassung in 13 Regeln darstellen. Ich werde sie hier in verkürzter Fassung wiedergeben.
Es gibt in jedem Volk zwei unterschiedlich stark ausgeprägte Bestrebungen, nämlich einerseits das Streben nach Machtausübung und andererseits der Wille sich der Macht anderer möglichst zu entziehen. Wer den zweiten Fall beherrscht, ist nach Mill in der Lage eine Repräsentativverfassung aufzubauen und langfristig zu stützen. Die dabei anberaumte repräsentative Regierung sollte auf Entscheidungen verzichten und sich nur auf Diskutieren und Aushandeln beschränken. Die Entscheidungen könnten jeweils Experten viel besser treffen, da sie in den jeweiligen Themen kompetenter sind. Sogar Gesetzgebungen fielen in ihren Bereich. Eigens dafür gegründete Kommissionen, die auch Teile der Versammlung sein können, wären die Voraussetzung für gerechte Gesetze. Allerdings liege ein Problem in der Beeinflussung des Gesetzgebungsverfahrens durch Sonderinteressen. Aus diesem Grund müßte jede Schicht und Minderheit im Parlament vertreten sein. Nur so könne für alle die beste Lösung gefunden werden. Mill geht es dabei nicht um möglichst große Vorteile aller Schichten, sondern um die Vermeidung einseitiger Vorteile durch Mehrheitsbildung. Unerläßlich dafür sei eine Minderheitenregierung mit striktem Verhältniswahlrecht (siehe Kap. 2.3.2 - Weimarer Republik). Aus diesem Grund lautet die vierte Regel auch "Bekämpfe die falsche Demokratie..."5, die hier wohl für die Regierung mit absoluter Mehrheit steht. Die nächsten Regeln befassen sich mit dem Wahlrecht. Zwar hält Mill am Mehrfachstimmrecht fest, doch koppelt er es an Bildung und nicht an Wohlstand oder materiellen Besitz, denn nur ein gebildeter Bürger könne gegenüber einem ungebildeten bessere Entscheidungen treffen, beim Faktor Vermögen wäre diese Feststellung unsinnig und völlig falsch. Ebenso tritt Mill für eine Erweiterung des Wahlrechts ein, indem er auch für Frauen jenes Wahlrecht einfordert. Auch das Geschlecht, letztendlich nichts anderes als eine Einteilung der Menschen nach einem unabhängigen biologisch bedingten Merkmal wie auch die Haar- oder Hautfarbe, habe keinen Einfluß auf die Qualität der Stimmabgabe. Die indirekte Wahl über Wahlmänner findet Mill dazu völlig überholt. Erste Aufgabe der Demokratie sei es, die Menschen politisch zu bilden und die politische Partizipation zu fördern. Dies könne nur durch direkte Beeinflussung der Wahl durch die Bevölkerung geschehen. Einen letzten Punkt des Wahlrechts sieht Mill in der öffentlichen Wahl. Eine geheime Wahl ist der Wahrung von Vertrauen und Vertrauensbeziehungen zwischen Regierung und Wählern abträglich. Die Wahlperiode müßte zwischen drei und fünf Jahren liegen, so kurz, um den Abgeordneten an seine Pflicht dem Volke gegenüber zu erinnern und lange genug, um Entscheidungsprozesse in Ruhe durchzuführen.
Jetzt geht Mill auf sein System der Repräsentativregierung näher ein. Regel zehn beinhaltet beispielsweise das Verbot des imperativen Mandats. Ein Abgeordneter sollte nichts und niemandem etwas schuldig sein, schon lange keine Rechenschaft. Dadurch würde er nur in seiner Kompetenz gehindert. Auch zu hohe Diäten brächten Nachteile. Die Möglichkeit der Einflußnahme der Abgeordneten auf die Wähler in ökonomischer Hinsicht dürfe nicht möglich sein. Auch sollte ein Abgeordneter nicht nur wegen seiner Diäten und der damit zusammenhängenden Macht seinen Abgeordnetenposten weiter pflegen. In der zwölften Regeln stellt sich Mill gegen den Dualismus eines Zweikammersystems, weil durch Verhältniswahlrecht und Pluralstimmabgabe schon genug Machtstreuung stattfindet und schließlich plädiert er in der letzten Regel: "Konzentriere die Autorität in der Exekutive!"6 - will heißen, daß Autorität und Verantwortlichkeit für Entscheidungen gebündelt werden und nicht, wie heutzutage eigentlich praktiziert, eine dezentrale Entscheidungsgewalt den Vorrang erhält. Dazu gehört auch seine typisch britische Meinung, die zentralistische sei einer förderalen Regierung vorzuziehen.
Die Unterschiede zu Tocqueville sind augenscheinlich. Während dieser aufgrund zu großer Nachteile der repräsentativen Demokratie, vor allem Machtbildung, eine dezentrale Struktur anvisiert, hält Mill dies für unsinnig. Auch das Gehalt, die sogenannte Diät, wird von beiden unterschiedlich interpretiert. Tocqueville sieht in ihr eine Determinante für eigennütziges und der Gesellschaft abträgliches Verhalten der Abgeordneten, die hinzunehmen sei, aber als Problemfaktor bestehen bleibt. Mill dagegen tritt idealistischerweise für eine niedrige Diät ein und appelliert damit an den uneigennützigen Gedanken eines Vertreters des Volkes.
An der Millschen Theorie scheiden sich die Geister. Einerseits kommen sehr moderne, wenn nicht revolutionäre Gedanken zum Ausdruck, andererseits gibt es genug Kritiker. Was ist an seiner Theorie schlecht und was ist lobenswert?
Eindeutige Prämissen in Mills Theorie sind die politische Erziehung der Bürger, die Sicherung der Demokratie gegen Eigeninteressen und die Bündelung der Entscheidungsgewalt auf kompetente und gebildete Bürger. Ihm ist dabei besonders wichtig, daß die Demokratie immer und jederzeit gesichert ist. Besonderes Augenmerk verdient dabei die Einbeziehung der Frauen in das Wahlrecht und die plurale Stimmabgabe an die Bildung zu koppeln, ein Vorschlag, der sehr futuristisch anmutet. Schließlich kam erst im 20. Jh. die Ansicht auf, auch durch Bildung könne die Bevölkerung geschichtet werden.
Kritikpunkt Nummer eins ist, ironischerweise, genau die Koppelung des Wahlrechts an Bildung und Wissen. Hier wird Mill vorgeworfen, den Einfluß der aufstrebenden Arbeiterschaft zu beschneiden. Auch sein Beharren auf zentralistischer Regierungsform weckt Kritik. Berechtigt, denn in gewisser Weise ist der Förderalismus gut für die Demokratie, sichert er sie doch ab vor zu großer Machtbündelung und der Unterdrückung von Minderheiten.
Trotz alledem sehen ihn viele - zusammen mit Tocqueville - als Wegbereiter der heutigen apologethischen Demokratietheorie, die Repräsentativverfassung und wahre Demokratie gleichsetzt7.

2.2.2 Neuere Demokratietheorien - Weber und Schumpeter
Als Beispiel für zahlreiche neuere Demokratietheorien (besonders zu nennen wären da die pluralistische Demokratietheorie oder die Theorie der sozialen Demokratie) wollen wir nun den ökonomischen Demokratiebegriff Webers und Schumpeters, der sich in vielerlei Hinsicht ähnelt, näher erläutern.
Weber entwickelte während des ersten Weltkrieges in mehreren Schriften seine, wie er nannte, elitistische Demokratietheorie. Das zentrale Argument war die Notwendigkeit einer politischen Elite, aus der sich die politischen Führungskräfte rekrutieren. Dies sollte durch das sogenannte Konkurrenzmodell geschehen, welches besagt, daß durch Werben um Wählerstimmen und Konkurrenzkampf um politische Ämter die Qualität der letztendlichen Führungsspitze stiege und die Kompetenz erreicht werde, mit der ein Land zu regieren sei. Damit kritisierte er in erster Linie die bis dahin in Deutschland regierende demokratische Monarchie Kaiser Wilhelms und rief vehement zu einer umfassenden Reform der bestehenden Strukturen auf. Seiner Meinung nach zeigten sich in Deutschland um diese Zeit etliche Strukturdefekte, die es zu verbessern galt.
Der erste Strukturdefekt äußere sich, so Weber, in der Machtlosigkeit der Parlamente. Zwar würden die Institutionen demokratisch gewählt, doch ist ihre Entscheidungsgewalt sehr bescheiden. Alle Entscheidungen träfe der Kaiser. Als schwerwiegende Folge daraus sieht Weber die unzureichende Befähigung der Parteien und des Reichstages zur politischen Leitung. Die Rekrutierung "...kompetenter und verantwortungsbewußter politischer Führer..."8 sei dadurch stark gefährdet, eine Einschätzung, die sich in der Zukunft durchaus als richtig erweisen sollte (siehe Kap. 2.3.1 in dieser Arbeit).
Zweitens gäbe es in Deutschland der Kaiserzeit eine zu starke Beamtenschaft, was sich auch in den politischen Führungspositionen äußere. Denn das zwingend notwendige Gegenstück zur Beamtenschaft fehle durch die Machtlosigkeit des Parlaments. Dadurch hätte das Fachbeamtentum auch Anspruch auf politische Führung anmelden können. Somit verkomme die politische Entscheidungselite zur reinen Staatsverwaltung. Eine vor allem in der Außenpolitik zu beobachtende "negative Politik", wie Weber es nennt, würde Deutschlands politische Stellung in der Welt stark schwächen. Verantwortlich dafür sind seiner Meinung nach der Monarch, sein großer Beraterstamm und die Bürokratie im Hintergrund.
Drittens zeigten die Parteien einen starken Defekt. Sie seien zu reinen Gesinnungsparteien verkommen, die einer bestimmten Weltanschauung auf Klassenbasis anhingen und so produktive politische Kräfte unnötig fesselten.
Demzufolge besitzt natürlich auch der Typus des deutschen Politiker selbst ein starkes Defizit. Er habe weder Macht noch Verantwortung, könne so in keiner Weise seinen Aufgaben gerecht werden und neige dazu, aus den Parteien bloße Zünfte zu machen, die sich gegen Konkurrenz und Diskurs abschließen und so ihren eigentlichen Auftrag aus der elitistischen Theorie verfehlen würden.
Aus dies allem resultiert der fünfte Webersche Defekt: Das Wilhelminische Kaiserreich habe sich zu einer führerlosen Demokratie herausgebildet.
Dem möchte Weber mit seinem Idealbild des liberal verfaßten Kapitalismus entgegenwirken. Sein Leitmotiv lautet: "Emanzipation des Kapitalismus aus feudalpatriarchalischer Bevormundung und Befreiung der Politik aus bürokratischen Sachzwängen". Weber stellt klar, daß für ihn "...die Demokratie eine bestimmte Ordnung der Institutionen öffentlicher Willensbildung ist, die vor allem durch die Wahl und Abwahl von politischen Führungsstäben bestimmt wird."9. Die zentralen Variablen sind für Weber also die Institutionen, die durch das Konkurrenzmodell mit politisch geeigneten Führungskräften besetzt werden. Dabei geht er von einer Massendemokratie aus, zu der er die gesamte erwachsene Bevölkerung eines Staates zählt. Der Wille des Volkes sei in seinen Augen allerdings bloße "Fiktion", weil die Willensbildung aus dem Wertkonflikt der führenden Elite heraus entstehen würde.
Im wesentlichen gibt es vier Punkte an Webers Theorie zu kritisieren. Einmal durchzieht seine Argumentationslinie permanent eine spekulative Komponente. Nicht einmal die damals schon fortschrittlichen Demokratien in Amerika und England konnten ihn zu solchen Schlußfolgerungen bringen. Auch wird sein einfaches hierarchisches Politikmodell als unzureichend bei der Analyse der komplexen Politikmodelle und der vielgliedrigen Gesellschaft angesehen. Außerdem sei seine Unterstellung, harter Konkurrenzkampf sei das Richtige zur Herausbildung fähiger politischer Führer, falsch. Er würde die Dynamik der "politischen Konkurrenz" überschätzen.
Trotz allem war der Versuch Webers, demokratische Strukturen durch ökonomische Gesetzmäßigkeiten darzustellen, die Grundlage für einige weitere ökonomische Demokratietheorien. Zu nennen wären da Schumpeter und, ihm folgend, Anthony Downs. Wir werden uns im folgenden mangels Umfang nur kurz mit der Schumpeterschen Theorie aus den 40er Jahren unseres Jahrhunderts beschäftigen.
Ähnlich Weber stehen bei Schumpeter die politischen Führungsstäbe im Mittelpunkt. Auch er sieht die Demokratie als eine Institutionenordnung an, innerhalb der die Konkurrenz um Führungspositionen in einer Elitenbildung resultiert. Kritische Grundlage für seine weiteren Ausführungen bildet die sogenannte Klassische Theorie der Demokratie (u.a. Rousseau) aus dem 18. und 19. Jh. Sie stellt Demokratie dar als "...ein Delegationssystem von Machtbefugnissen des Volkes, wobei jedoch die Delegierten den Delegierenden gegenüber eine ständige Rechenschaftspflicht haben,..."10.
Schumpeter kritisiert die klassische Theorie aus mehreren Blickwinkeln heraus. Erstens gibt es für ihn, im Gegensatz zu Rousseau, kein Gemeinwohl. Dazu sei die Gesellschaft in ihrer Verhaltens- und Gefühlsstruktur zu pluralistisch. Zweitens, angenommen, es gäbe ein allgemein definiertes Gemeinwohl wie z.B. maximales wirtschaftliches Wohlergehen, so stelle sich das Problem, wie dieses Gemeinwohl realisiert werden könne. Aus den vorhergehenden Argumenten resultiere - drittens - daß es den Begriff "Volkswillen" als solchen auch nicht gebe, denn Voraussetzung dafür wäre eine ausreichende Definition des von allen anerkannten Gemeinwohls. Als vierten Punkt kritisiert Schumpeter den in der klassischen Theorie vorausgesetzten mündigen Bürger. Einen Wähler als Vernunftwesen gebe es nicht. Wähler seien bei Entscheidungen, die sie persönich angehen, durchaus einigermaßen rational, doch bei anderen Entscheidungen legten sie ein schlechtes Zeugnis ihres rationalen Entscheidungsvermögens ab. Schuld daran sei die zu kurze Sichtweise eines normalen Bürgers, der noch nicht einmal eigene langfristige Grundsatzentscheidungen treffen könne.
Aus dieser Kritik heraus entwickelte Schumpeter seine Konkurrenztheorie der Demokratie: "Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen des Volkes erwerben."11 Was heißt das?
Wie schon angesprochen existiert für Schumpeter kein Allgemeinwille des Volkes als solcher. Dieser Wille konkretisiert sich in der Dynamik der Konkurrenz mindestens zweier Parteien. Also entsteht er erst durch die Tätigkeit der Repräsentanten. Somit wird die rein technische Lösung der Repräsentanz, wie in der klassischen Theorie, bei Schumpeter zu einem Muß für die Bildung des Volkswillens. Die Tätigkeit der für Schumpeter unmündigen Bürger ist dabei auf die Teilnahme an Wahlen für die Personalentscheidungen beschränkt. Er wird als reines Privatwesen angesehen und hat kaum noch etwas mit dem "homo politicus" des 19. Jh. zutun. Auch wird klar, daß die technische Angemessenheit der Institutionen und Normen des politischen Systems primär an die Erfordernisse einer "permanenten" Regierbarkeit gekoppelt ist. Dabei nimmt das Volk nur noch die Rolle ein, die es heute hat: den Gang zur Wahlurne, beschränkt auf etwaige Personalentscheidungen. Primär sieht Schumpeter die Regierbarkeit des Volkes als demokratische Funktion und nicht die Bestimmung des Volkswillens. Aus der klassischen Maxime `Demokratie ist die Regierung des Volkes!' Wird bei ihm `Demokratie ist die vom Volk gebilligte Regierung!' (Lenk 1972)
Wir können also feststellen, daß nach Schumpeter die Elitenbildung und die reine Repräsentation die wichtigsten Postulate für dauerhafte demokratische Regierbarkeit sind.
Schumpeter selbst sieht folgende Vorteile seiner ökonomischen Demokratietheorie gegenüber der klassischen Definition. Seine Methode liefere ausreichende Kriterien zur Unterscheidung demokratischer und nichtdemokratischer Regierungsformen. Auch die politische Führungsposition als überragende Rolle im Prozeß der Entscheidung hebt er hervor (gegenüber der rein technischen Erklärung der klassischen Theorie). Die Willensäußerung der Bürger, die solange im Dunkeln verborgen bleibt, bis sie von politischen Führern thematisiert wird, findet eine größere Berücksichtigung. Dabei ist die Kontrolle dieser politischen Führer realistisch gesehen sehr begrenzt und nur durch Wahl und Abwahl auf seiten der Wähler möglich. Das ist scheinbar bei Schumpeter nicht von Bedeutung, argumentiert er doch mit der Kompetenz der politischen Elite bei der Besetzung der Führungspositionen als Folge des Konkurrenzmodells. Dieser Konkurrenzkampf erzeuge auch ausreichend Diskussionsfreiheit, so daß der Gegensatz von Demokratie und individueller Freiheit insofern auch kein zentrales Thema in der Schumpeterschen Theorie darstellt. Trotz alledem sieht er auch Schwachpunkte im demokratischen Konzept. Als Folgen des Konkurrenzkampfes um politische Ämter seien besonders folgende Punkte problematisch: (1) die Verschwendung von Regierungsenergie, (2) die Konzentration auf kurzfristige Politik und politisch verwertbare Projekte und (3) das Problem gutes Führungspersonal zu gewinnen, denn "In einer Demokratie gleiche der Ministerpräsident einem Reiter(...), der durch den Versuch sich im Sattel zu halten, so völlig in Anspruch genommen wird, daß er keinen Plan für seinen Ritt aufstellen kann,..."12. Es könnte sich also in einer Demokratie der Effekt einstellen, daß bei aller Konkurrenz um irgendwelche Positionen die Zielvorgaben aus den Augen verloren werden.
Trotzdem kann für Schumpeter die Demokratie bei Abwägung aller Alternativen nur gewinnen. Doch ist ihre Funktionsfähigkeit an folgende Voraussetzungen gekoppelt: an hochqualifizierte Parteiarbeiter und Minister; an die Zügelung der Staatsinterventionen in Wirtschaft und Gesellschaft; an die Existenz einer hochgradigen Bürokratie; an ein hohes Maß demokratischer Selbstkontrolle und an die Bereitschaft der Mehrheit sich diesen Regeln zu beugen und sie zu akzeptieren.
Schumpeters Theorie resultierte aus der Erfahrung mit Massenpolitik und der Umwandlung demokratischer Formen zu Faschismus bzw. Nationalsozialismus. Aus diesem Hintergrund heraus ist seine "schlechte" Meinung von der Mündigkeit der Bürger verständlich. Auch das hohe Maß der demokratischen Selbstkontrolle, das von ihm gefordert wird und der Schwerpunkt auf der Kompetenz der politischen Elite als Anforderungen an eine demokratische Ordnung ist nachvollziehbar. Das Webersche Modell als Vorbild ist unübersehbar, auch wenn in einigen Punkten Differenz zwischen den beiden Theorien herrscht. Doch den Kerngedanken der ökonomischen Theorie der Politik als Markt um Tauschwerte wie Machterhalt oder Machterwerb haben beide gemeinsam.
Diese umfassende Darstellung der neueren parlamentarischen Demokratie erntete jedoch nicht nur Ruhm. Auch Kritik wurde laut. So würde Schumpeter den Demokratiebegriff zu sehr auf die Führungsauswahl beschränken. Parteien, Verbände oder Initiativen als Vermittlungsinstanzen zwischen Volk und Regierung hätte er völlig vernachlässigt. Auch wurde angezweifelt, ob der Begriff des Gemeinwohls wirklich als abhängige Variable anzusehen sei, also als Resultat des Konkurrenzkampfes um politische Ämter. Außerdem herrsche ein Widerspruch in der Theorie Schumpeters vor, denn wie sollten die von ihm als unfähig titulierten Wähler befähigt sein, die richtigen Führer zu wählen? Dieser Widerspruch wurde auch als das "Schumpeterianische Dilemma" bekannt. Letztendlich wirft man Schumpeter einen verengten Blick auf die ökonomische Theorie bei der Definition des Demokratiebegriffs vor, denn die gesamte politische Gestaltung außerhalb des Kampfes um politische Ämter und Positionen bleibe unbeleuchtet.
Aus diesen genannten Gründen avanciert Schumpeters (von ihm selbst getaufte) realistische Demokratietheorie mangels Realismus zum wirklichkeitsfremden Konzept. "Ihr entgehe, daß Demokratie Markt und zugleich Form ist. Dort werden folglich sowohl Güter als auch Argumente gehandelt und in ihr treten die Wähler in mindestens zwei Rollen auf: in der des am Kosten-Nutzen-Prinzip orientierten homo oeconomicus und der des kommunikativ handelnden, verständigungsorientierten und am intrinsischen Wert der Beteiligung interessierten Bürgers."13

2.3 Deutschland und die repräsentative Demokratie
2.3.1 Deutschland nach 1871 - Kaiserreich und Weimarer Republik
Nach den bisherigen theoretischen Überlegungen und Theorien haben wir hoffentlich dem Leser nähergebracht, wie sich verschiedene Gelehrte die idealtypische Form parlamentarischer Demokratie vorstellten. Nun wollen wir herausarbeiten, wie sich diese theoretischen Gebilde in der Praxis darstellten. Am naheliegenden Beispiel Deutschlands zeigen wir die Entwicklung eines Landes von den Anfängen der Demokratie in einem monarchistischen Regime bis hin zum fortschrittlichen System des demokratischen Staates von heute auf.
Im frühen 19. Jh. stellte sich für viele Menschen die Demokratie in ihrer Reinform dar. Es gab zwar schon Parteien, doch hatten diese keine Parteiprogramme in dem heutigen Sinne. Ihre Mitglieder fühlten sich sehr stark ein und derselben sozialen Schicht verbunden. Die Organisation in Parteien hinderte sie dementsprechend auch nicht daran, sich voll als Individuen in der Pflicht ihrer Wähler darzustellen. Den Fraktionszwang, die Parteirichtlinien, all die Beschränkungen, in deren Rahmen heutzutage Politik betrieben wird, waren damals undenkbar. Doch mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in der zweiten Hälfte des 19. Jh. erfuhr diese Entwicklung eine jähe Wende. Die große Masse der Unterpriviligierten benötigte zunehmend straffere Parteienstrukturen, um ihren politischen Willen artikulieren zu können. So entstand auch nach und nach eine Parteienkultur in Deutschland.
Gehemmt wurde die langsame Etablierung der Demokratie in Deutschland allerdings aufgrund der immer noch herrschenden aristokratischen Schicht, angeführt vom deutschen Kaiser, der Parteien als absolut nutzlos ansah und sie dementsprechend behandelte. Der Höhepunkt dieser Abwertung der Parteiendemokratie gipfelten in den Sozialistengesetzen von 1884, die eine deutliche Absage der herrschenden Klasse an die Demokratie und ein großer Rückschritt Deutschlands auf dem Weg zu einer fortschrittlichen Industrienation darstellten.
Zwar gab es den Reichstag, der durch geheime Wahlen ermittelt wurde, doch konnte man bei einer Profiluntersuchung desselben nicht gerade von Pluralismus sprechen. Es herrschten immer noch die alten Adelsfamilien, deren Mitglieder unter dem Deckmantel der demokratischen Regierungsbildung an die Macht kamen. Das damals aufstrebende Bürgertum wurde durch Wohlstand und wirtschaftliche Macht ruhiggestellt.
Aufgrund dieser Entwicklung hatten die demokratischen Parteien im Deutschland des 19. Jh., allen voran die SPD, keine Macht, sie hatten nie gelernt, mit Macht und Verantwortung umzugehen. Sie waren nicht in der Lage, Beschlüsse durch Kompromißbildung herbeizuführen oder zu koalieren. Mit diesen Mängeln ausgestattet standen sie dann plötzlich 1918/19 als "Nachlaßverwalter" der Monarchie vor einem völlig verarmten und führungslosen Deutschland.
Der erste Weltkrieg war der Anfang vom Ende der Monarchie in Deutschland. Durch ihn und die Novemberunruhen 1918 entstand die Weimarer Republik, die sowohl auf demokratischen Grundprinzipien beruhte (Wahlen, Parteiensystem, freie Meinung...) als auch durch eine Verfassung bestätigt war.
Diese frisch entstandene Demokratie der Weimarer Republik mußte in der kurzen Zeit ihres Bestehens gleich vor mehreren Gegnern verteidigt werden. Einmal waren da die alten Anhänger der Monarchie, die alles versuchten, um die junge Republik zu schädigen. Und dann kam natürlich der Druck sowohl von links als auch von rechts. Sogar in der vielfältigen Parteienlandschaft des Reichstages spiegelte sich dies wider. Außer der SPD konnte man nur noch die liberale DDP und das katholische Zentrum als demokratisch und republikbejahend einstufen.
Durch die fehlende politische Praxis der Parteien war es nicht möglich, auch nur eine stabile Regierung zu bilden. In 14 Jahren wurde Deutschland von 20 Kabinetten regiert, nie saßen weniger als 11 Parteien im Parlament14. Ursache war das uneingeschränkte Verhältniswahlrecht, das einer Partei auch schon bei weniger als fünf Prozent ermöglichte, in den Reichstag einzuziehen. Dieses Problem hätten die Parteien untereinander durchaus lösen können, doch dazu saßen einfach zu viele antidemokratische Kräfte im Parlament, die sich nichts sehnlicher wünschten als das Scheitern der Republik. Ein weiterer kritischer Punkt war die Macht, ja fast schon Allmacht des Reichspräsidenten. Er wurde direkt vom Volk gewählt und sollte eigentlich als Gegenkraft zum Parlament bei der politischen Führung des Landes mitwirken. Dieses Amt, in das man beliebig oft hineingewählt werden konnte, hatte weitreichende Kompetenzen. So ernannte und entließ der Reichspräsident Kanzler und Minister, durfte, wann immer er wollte, das Parlament auflösen, hatte den Oberbefehl über die Wehrmacht und, was wahrscheinlich am bedeutsamsten war, hatte durch Art. 48 der Reichsverfassung die Möglichkeit "...die...Grundrechte ganz oder teilweise außer Kraft [zu] setzen"15. Von diesen genannten Möglichkeiten machten die verschiedenen Präsidenten auch oftmals Gebrauch, so daß eine konkrete Linie bei der Regierbarkeit des Landes gar nicht möglich war.
Zusätzliche Probleme bekamen die demokratischen Kräfte im Land durch den negativen Einfluß von Inflation 1923 und Weltwirtschaftskrise 1930/31. Diese Ereignisse nutzten Gegner der Demokratie aus, um das Vertrauen der Bevölkerung in diese Demokratie zu schwächen und ihre eigene Position ins Licht zu stellen.
Und aus der Inkompetenz der Parteien, den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen und den Schwächen der Verfassung heraus entstand dann 1933 das nationalsozialistische Regime unter Führung Hitlers, das die Demokratie in Deutschland für 12 Jahre auf Eis legte und die Welt in einen Weltkrieg stürzte. Das Resultat dieses furchtbaren Ereignisses waren ein zerstörtes Europa und über 50 Millionen Tote - und zwei deutsche Staaten.

2.3.2 DDR
In der sowjetischen Besatzungszone des damaligen, vom Krieg völlig zerstörten Deutschlands, entstand die nach sowjetischem Vorbild gegründete sozialistische DDR. Anfänglich gab es jedoch noch westlich-demokratische Züge. So lautete schon 1945 der sogenannte Befehl Nr.2 der sowjetischen Befehlshaber, es sollten Parteien gegründet werden. Tatsächlich entstanden, genau wie in den anderen drei Besatzungszonen, sowohl CDU als auch SPD und LDPD (vergleichbar der heutigen FDP). Die kommunistischen Machthaber hatten es anfangs auf ein geeintes Deutschland abgesehen, natürlich unter der Herrschaft des Proletariats, doch mit zunehmenden demokratischen Tendenzen verfiel dieser Wunschtraum zu Staub. Nachdem erst die SPD im Frühling 1946 mit der KPD zwangsvereinigt wurde und die neue Partei in SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) umbenannt wurde, merkten auch die anderen großen Parteien in der sowjetischen Besatzungszone, wie sie lamgsam aber sicher von kommunistischen Kräften unterwandert und geschwächt wurden. Vor allem nach den Wahlen im Herbst 1946, in denen die SED nur dritte Kraft hinter CDU und LDPD wurde, gaben die politischen Führer der Sowjetunion das Vorhaben vereintes Deutschland auf und gründeten am 7. Oktober 1949 die DDR. Alle vorhandenen Parteien wurden in einen Parteienbund, die sogenannte "Nationale Front" zusammengeschlossen, deren politische Führung die SED innehatte. Es entstand ein zentralistischer Staat nach dem Leninschen Prinzip des demokratischen Zentralstaats. Nach außen täuschten repräsentativ-demokratische Leitlinien wie geheime Wahlen, die Volkskammer als Parlament, einen Ministerrat und Abstimmungen bei politischen Entscheidungen über die wahren zentralistischen Verhältnisse hinweg. Allerdings sah das Ganze von Nahem betrachtet nicht mehr so demokratisch aus. Bei den Wahlen gab es keine Alternativmöglichkeit, denn außer dem Parteienverbund der Nationelen Front gab es keine weiteren Alternativen zur Auswahl. Die politischen Entscheidungen wurden mehrheitlich von Ministerrat und vor allem Staatsrat getroffen und dann in fertiger Fassung von der Volkskammer abgesegnet. Die Sitze wurden nach einem Schlüsselprinzip auf die einzelnen Parteien verteilt, wobei man natürlich stark auf Linientreue achtete. Die Mandatsträger der einzelnen Parteien hatten, sogar verfassungsmäßig festgelegt, keine freie Entscheidungsmöglichkeit. Sie mußten sich den Entscheidungen der SED-Spitze beugen.
Es läßt sich wohl leicht herausarbeiten, daß in der DDR jegliche Demokratieprinzipien fehlten. Es handelte sich um einen rein diktatorisch geführten Staat, der nach außen, um seine politische Akzeptanz nicht zu verlieren, demokratische Strukturen aufwies. Ganz im Gegenteil dazu entstand im westlichen Teil des geteilten Deutschlands der wohl erste langfristig tragbare demokratische Staat auf deutschem Boden.
2.3.3 Bundesrepublik Deutschland - ein Idealbeispiel für repräsentative Demokratie?
Im folgenden werden wir die politischen Eigenschaften des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik Deutschland erörtern. Das Hauptaugenmerk sei dabei auf die einzelnen politischen Institutionen gerichtet, die am Entscheidungsprozeß beteiligt sind. Dabei beschränken wir uns auf eine grobe Abschätzung, da dieses Kapitel nur als Verständnishilfe und Praxisbezug für unser eigentliches Thema dienen soll.
Zu Anfang einige allgemeine grundlegende Anmerkungen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde bei der Konzipierung des Grundgesetzes sehr von den eher schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik Gebrauch gemacht. Es sollte nie wieder vorkommen, daß eine Partei oder eine einzelne Person in der Lage sein könnte, die Demokratie zu gefährden. Aus diesem Grund versuchte man soweit wie nur möglich die Entscheidungsgewalten zu dezentralisieren und für jedes Entscheidungsorgan Kontrollinstanzen einzuführen. Außerdem hielt man seinerzeit die Stabilität für die wichtigste Eigenschaft einer Regierung. Aus diesem Grund gibt es in der BR Deutschland die sogenannte "Fünf-Prozent-Klausel". Diese Klausel besagt, entgegen der Weimarer Verfassung, daß tatsächlich nur die Parteien in den Bundestag einziehen dürfen, die bei einer Wahl über 5% der Stimmen bekommen bzw. mindestens vier Direktmandate in den Wahlkreisen erlangen. Dadurch bildete sich in den 50ern ein Drei-Parteien-System aus CDU/CSU, SPD und FDP heraus. In den Spitzenzeiten der 70er Jahre vereinigten diese drei Parteien bis zu 80% der Stimmen auf sich. Anfang der 80er wurde die Parteienlandschaft durch die Grünen und nach der Wiedervereinigung die PDS komplettiert.
Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland erhielten ohnehin einen besonderen Stellenwert. Ohne sie war (und ist) die politische Willensbildung in der Bevölkerung nicht mehr möglich. Nur durch sie kann eine gezielte Rekrutierung des politischen Nachwuchs erfolgen. Auf diese Art und Weise wurden die Parteien "...aus dem Bereich des politisch-soziologischen in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben."16 Langsam aber sicher entwickelte man sich von der parlamentarischen zur Parteiendemokratie.
Nun zu den einzelnen Institutionen des politischen Raumes in Deutschland. Im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen steht der Bundestag. Er wird als einzige Institution direkt vom Volk gewählt, und dies geschieht alle vier Jahre. Ihm obliegen im wesentlichen vier zentrale Funktionen, die auszufüllen seine Aufgabe ist. Als erstes wäre da die Artikulationsfunktion zu nennen. Sie besagt, daß die im Volk vorhandenen politischen Auffassungen im Bundestag Ausdruck finden sollen. Es handelt sich um eine allgemein zu begreifende Grundfunktion, die alle Bereiche des Regierens durchzieht. Die dafür um so direkter zu greifende Wahlfunktion beinhaltet im Wesentlichen den direkten und indirekten Einfluß des Bundestages (gemeinsam mit Bundesrat) auf personelle Entscheidungen aller anderen zentralstaatlichen Organe. Die dritte zentrale Funktion, besteht in der Kontrolle des Handelns der jeweiligen Bundesregierung unter den drei Gesichtspunkten der politischen Richtungskontrolle, der Effizienzkontrolle und der Rechtskontrolle. Als Letztes wäre dann noch die legislative Funktion als vierte der zentralen Funktionen zu nennen. Sie beschreibt allgemein die Funktion der Gesetzgebung, zumindest die Verantwortung, die der Bundestag dabei trägt.
Daraus ergibt sich der erste große Unterschied zur Weimarer Republik. Er liegt im Dualismus zwischen Parlamentsmehrheit und Parlamentsopposition. In Weimar konnte man von keiner kontrollierenden und demokratisch anerkannten Opposition sprechen (siehe Kap. 2.3.2). Aus diesem Grund war es dem Reichstag auch kaum möglich, diese Grundfunktionen nur annähernd auszufüllen. Jedoch hat auch der Bundestag seine kleinen Probleme. Das erste liegt in der großen Zahl der Abgeordneten, die eine eindeutige Mehrheitsmeinung kaum möglich machen. Aus diesem Grund ist man dazu übergegangen, diese Vielfalt in Fraktionen (logischerweise Parteien bzw. Regierung/Opposition) zu bündeln ,um - allerdings auf Kosten der Freiheit des Einzelnen - zu Kompromissen zu gelangen. Man spricht in diesem Fall auch von einem Fraktionenparlament.
Wenden wir uns nun in aller Kürze drei anderen wichtigen Institutionen der bundesstaatlichen Repräsentativdemokratie zu. Der Bundesrat stellt das Gegengewicht zum Bundestag dar. Er setzt sich aus den Gesandten der jeweilgen Landesregierungen zusammen. Diese Zusammensetzung erfolgt nicht absolut größen- oder bevölkerungsproportional, denn dadurch wären Länder wie Bremen oder Hamburg bei einer Größeneinteilung, das Saarland beispielsweise nach einem Bevölkerungsschlüssel in ihrem Mitspracherecht eingeschränkt und benachteiligt. So senden große Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg jeweils sechs Mitglieder in den Bundesrat, kleinere Länder abgestuft bis zu drei Abgeordnete (z.B. Hamburg, Berlin). So ist eine etwaige Größeneinteilung vorgenommen worden, die in ihrer Struktur jedoch niemanden benachteiligt. Der Bundesrat agiert als reines Kontrollorgan für den Bundestag, indem er Gesetzesbeschlüsse desselben verwehren kann. Jedes Gesetz muß zur Prüfung durch den Bundesrat gehen. Dabei sind die Abgeordneten nicht ihrer Partei, wohl aber ihrem Land verpflichtet. Es fürfen nur einstimmige Meinungen für jedes Land abgegeben werden.
In seiner Funktion trägt der Bundesrat zusätzlich zum System der dezentralen Entscheidungsgewalt bei, welches in Deutschland, aus den Erfahrungen der Weimarere Republik resultierend, praktiziert wird.
Nun kommen wir zur Bundesregierung. Sie setzt sich aus vom Bundeskanzler vorgeschlagenen und vom Bundespräsidenten gewählten Ministern zusammen. Die Größe der Bundesregierung ist nicht festgelegt, sie variiert je nach Ansicht des Kanzlers. Die Minister sollten bei ihrer Arbeit drei grundlegenden Prinzipien folgen. Als erstes gilt das sogenannte Kanzlerprinzip. Es besagt nichts anderes, als das die allgemeine politische Richtung vom Kanzler vorgeschrieben wird. Nur in diesem Rahmen sollte sich die Arbeit der Minister bewegen. Kommt es doch zu einem Spannungsverhältnis, so ist jeder Minister selbst für sein Ressort zuständig, er muß verantworten wer was wie getan hat und warum. Hier wirkt das Ressortprinzip. Als letztes folgt die Bundesregierung noch dem Kollegialprinzip, was bedeutet, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Ministern die gesamte Bundesregierung darüber entscheidet, welche Meinung nach außen vertreten wird. Sie hat damit mehr Machtbefugnisse, als dies in der Weimarer Republik die Regierung hatte, eine Ausnahme im "deutsch-deutschen" Vergleich.
Als letztes gehen wir noch etwas näher auf den Bundespräsidenten ein. Er wird durch die extra dafür zusammenkommende Bundesversammlung auf fünf Jahre gewählt und hat die Möglichkeit einer Wiederwahl. Nur eine absolute Mehrheit macht aus dem vorläufigen ein endgültiges Ergebnis. Die Funktion des Bundespräsidenten, übrigens auch aus historischer Erfahrung mit der Weimarere Republik heraus, ist es im allgemeinen, Deutschland im Ausland zu repräsentieren, sowie formal gewisse Ernennungsfunktionen innezuhaben. Anders als sein Pendant, der Reichspräsident, der, wie es ihm gefiel, das Parlament und den Reichstag auflöste, darf der Bundespräsident nur in zwei Fällen aktiv in die politischen Entscheidungen eingreifen. Er besitzt ein Auflösungsrecht des Bundestages für den Fall, daß der Bundeskanzler bei der Wahl keine absolute Mehrheit erringen kann sowie ein Vertrauensantrag des Kanzlers scheitert. Ansonsten beschränken sich seine innenpolitischen Aktivitäten auf das Ansprechen heikler Themen sowie das verbale Kommentieren anderer Leistungen.
Diese Darstellung der historischen und aktuellen Verhältnisse der Repräsentativdemokratie in Deutschland soll dem Leser einen praktischen Einblick geben, um dadurch die an späterer Stelle aufgegriffenen Vor- bzw. Nachteile einer parlamentarischen Demokratieform besser nachvollziehen zu können.

3. Plebiszitäre Demokratie
3.1 Einführende Bemerkungen

Direkte Demokratie ist die ursprünglichste Form des mehrheitsgestützten Regierens. Lange bevor die Institutionalisierung der Demokratie im antiken Athen einsetzte, wurden in Stämmen, Dörfern und Familien Entscheidungen durch Abstimmung getroffen. Auch heute noch existiert in vielen ursprünglich lebenden Stämmen direkte Demokratie, wenn sich die Bewohner zur Abstimmung versammeln. Dazu ist natürlich anzumerken, daß diese Formen des Mehrheitsentscheids unseren heutigen Vorstellungen von Demokratie nicht mehr entsprechen. Zum einen läuft die Abstimmung natürlich in einer Form ab, die keineswegs mit der hochinstitutionalisierten direkten Demokratie westlicher Prägung vergleichbar ist. Die Abstimmung erfolgt in einem überschaubaren Kreis bei Anwesenheit vor Ort, nicht in einem mehre Quadratkilometer großen Gebiet. Es gibt kein Wahlgeheimnis und auch von einer ,,gleichen Wahl" kann nicht gesprochen werden. Oft erstreckt sich die ,,Wahlbevölkerung" nur auf Menschen eines bestimmten Geschlechts, bestimmter Herkunft oder eines bestimmten Alters.
Dazu ist aber anzumerken, daß dies kein Problem der direkten Demokratie, sondern der vorherrschenden Kultur ist. Die gleichen Einschränkungen gelten auch im übrigen sozialen Leben.
Lange Zeit war direkte Demokratie - so eingeschränkt sie auch gewesen sein mag - die einzige Form der Mitbestimmung durch das Volk. Ihr gegenüber standen die autoritär geführten Gesellschaften. Erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrtausends wurde die repräsentative Demokratie zur beherrschenden Demokratieform auf der Welt. Mit der Verwestlichung vieler Kulturen und der Entstehung von Staaten, wo das Leben sich vorher vor allem auf Stammes-, Clan und Sippenebene abspielte, geriet die direkte Demokratie fast völlig aus dem Blickfeld. Der Trend schien in Richtung der repräsentativen Demokratie zu gehen. Zwar kennen viele Staaten plebiszitäre Elemente, Bedeutung erlangte die direkte Demokratie in der westlichen Welt aber nur in der Schweiz.
Erst in jüngster Zeit ist sie auch in Deutschland wieder zurück ins Blickfeld geraten. Mit den Reformbewegungen, die ab Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre das politische Leben in Deutschland umkrempelten, kam auch die Idee der direkten Mitbestimmung aller, die Abstimmung durch das Volk, wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Unterschiedliche politische Strömungen haben sich seitdem für mehr plebiszitäre Elemente auf Landes-, Bundes und kommunaler Ebene stark gemacht. Dabei ist leider festzustellen, daß die Bemühungen oft nicht nur von idealistischen Demokratievorstellungen, sondern auch von handfestem politischen Kalkül beeinflußt werden. Befürworter und Gegner direkter Demokratie wechseln schnell. Fürsprecher werden zu Warnern und umgekehrt, sobald sich die Machtverhältnisse geändert haben.
Insgesamt ist aber festzustellen, daß vor allem seit Beginn der 90er Jahre eine Vielzahl von direktdemokratischen Elementen in Deutschland eingeführt worden ist. Im folgenden soll das grundlegende Muster direkter Demokratie in Deutschland aufgezeigt und anhand eines Beispiels erörtert werden. Daneben soll die Bedeutung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene besprochen werden. Dazu nötig ist ein Exkurs über die direkte Demokratie der Weimarer Republik, der zum Verständnis der aktuellen Diskussion über mehr plebiszitäre Elemente auf Bundesebene notwendig ist.
3.2 Grundlagen direkter Demokratie - allgemeine Theorien

3.2.1 Jean-Jacques Rousseau
Jean-Jacques Rousseau (1712 bis 1778) wird häufig als ein früher Verfechter direktdemokratischer Ideen genannt. In der Tat entwirft er in seinen Theorien den Gedanken einer radikalen Volkssouveränität17. Das Volk besitzt die absolute Souveränität und übt diese auch aus. Dies geht soweit, daß durch diese Souveränität des Volkes auch die Selbstbestimmung des Individuums eingeschränkt werden kann. Jean-Jacques Rousseau kennt daher keine Grund- und Menschenrechte. Allerdings ist jedes staatliche und gesetzgebende Handeln dem Interesse und dem Wohl des Volkes verpflichtet. Damit unterscheidet sich dieser ,,Volkstotalitismus" vom Absolutismus.
Die absolute Souveränität, so Rousseau, kann und soll auch nicht an Repräsentanten abgegeben werden. Sie kann nicht delegiert werden. Souverän ist für Jean-Jacques Rousseau nur, wer immer souverän ist. Deshalb behauptet er auch: ,,Jedes Gesetz, das das Volk nicht beschlossen hat ist nichtig."18 Eine Regierung darf es für ihn zwar geben, diese ist aber nur für die Exekutive zuständig. Sie ist ein reines Vollzugsorgan und jederzeit dem Volk Rechenschaft pflichtig. Die klassische Gewaltenteilung kennt Jean-Jacques Rousseau nicht, für ihn würde damit zerstückelt, was zusammengehört.
Jean-Jacques Rousseau bezeichnet sich selbst aber nicht als Anhänger der Demokratie, sondern als Befürworter der Republik. Für ihn kann auch eine Monarchie republikanisch sein, wenn sie im Auftrag des Souveräns handelt. Wie Aristoteles unterscheidet er Aristokratie, Monarchie und Demokratie. Von Demokratie spricht er, wenn mehr Leute ein öffentliches Amt begleiten, also an der Exekutive mitwirken, als umgekehrt. Von einer Aristokratie dagegen, wenn dies nicht der Fall ist aber mehr als eine Person. Für den Fall, daß der Souverän die Macht einem einzelnen anvertraut, spricht er von einer Monarchie. Die Bundesrepublik Deutschland wäre nach dieser Definition also keine Demokratie, sondern eine Aristokratie.
Allerdings bezeichnet Jean-Jacques Rousseau selbst diese Form der Demokratie als nahezu unmöglich. ,,Wenn es ein Volk von Göttern gäbe, würde es sich demokratisch regieren", schreibt er19. Für die Welt, in der er lebt, empfiehlt er dagegen gemäßigtere Staatsformen. So spricht er sich für einen plebiszitär-republikanischen Staat mit einem Monarch an der Spitze als Herrschaftsform für Frankreich aus. Er ist daher nur begrenzt als Fürsprecher direktdemokratischer Ideen zu sehen.
Das liegt nicht zuletzt daran, daß sein ideales Demokratiemodell eine Reihe von Problemen aufwirft. Das Fehlen von Grundrechten wurde bereits angesprochen. Darüber hinaus ist dieses oben beschriebene Modell nur in Kleinstgemeinschaften anzuwenden. Schon eine Hansestadt wäre für die Durchführung einer Demokratie im Sinne von Jean-Jacques Rousseau zu groß. Hinzu kommt, daß er die Beratung des Volkes bei der Gesetzgebung durch Berater fordert. Hier ergibt sich aber die Gefahr, daß diese Berater letztendlich die Macht im Staate haben und den eigentlichen Souverän, das Volk, lenken.
Abschließend läßt sich sagen, daß Jean-Jacques Rousseau nur bedingt als Verfechter einer direkten Demokratie heranzuziehen ist. Er hat aber zweifellos die theoretischen Grundlagen dafür geliefert.

3.2.2 Karl Marx
Generell ist festzustellen, daß man in der Literatur nur verhältnismäßig wenig direktdemokratische Ideen findet. Dies mag damit zu tun haben, daß plebiszitäre Elemente lange Zeit nicht oder nur schwer durchführbar waren. Erst die moderne Technik machte regelmäßige Abstimmungen ohne allzu großen Aufwand möglich. Eine Philosoph, der bereits relativ früh ein plebiszitär geprägtes Demokratiemodell aufstellte, ist Karl Marx (1818 - 1883). Marx vertritt im wesentlichen das Konzept einer sozialistisch revolutionären Direktdemokratie20. Während er in ,,Das Kapital" auf die Demokratie nicht eingeht, sind vor allem seine tagespolitischen Schriften aufschlußreich. Besonders setzt er sich mit der Pariser Kommune des Jahres 1871 auseinander. In ,,Der Bürgerkrieg in Frankreich" beschreibt er diese. Die Kommune besteht aus den durch allgemeines Wahlrecht gewählten Stadträten. Sie hatte legislative und exekutive Befugnisse. Auch Polizei und Verwaltung unterstanden ihr. Sonderrechte für Ämterinhaber und Beamte gab es nicht mehr, das stehende Heer sollte durch ein bewaffnetes Volk ersetzt werden. Auch die Richter wurden abgesetzt. Nach den Vorstellungen der Kommune sollen die Richter demokratisch gewählt werden. Die Beschreibungen von Karl Marx zu der Pariser Kommune sind sehr umstritten. Sie gelten als subjektiv und unkritisch gegenüber den Kommunen.
Es ist aber davon auszugehen, daß Karl Marx aus seinen Eindrücken über die Pariser Kommune das Rätesystem entwickelte, das ebenfalls als sozialistische revolutionäre Direktdemokratie bezeichnet werden kann. Diese Demokratieform hat neun Hauptideale:
1. Die basisnahe Organisation in für den Bürger überschaubare Einheiten, etwa den Betrieb.
2. Die Exekution des Basiswillens. Danach ist die einzige Aufgabe von Behörden und Politikern die Umsetzung des von der Basis zum Ausdruck gebrachten Willens.
3. Zudem sollten alle Ämter durch Direktwahl besetzt werden. Der Umweg über Kommissionen, ein Parlament oder Vertreter sollte nicht gewählt weden.
4. Die Volksvertreter haben nach diesem Modell ein imperatives Mandat, dies heißt nicht nur, daß sie statt ihrem Wissen und Gewissen dem Volkswillen verpflichtet sind, sondern auch, daß sie jederzeit wieder abgewählt werden konnten.
5. Als fünftes Ideal stand die Besoldung der Staatsdiener und Volksvertreter nach dem Durchschnittseinkommen. Die Staatsbediensteten sollten Arbeiterlöhne erhalten und durch die Abschaffung einer Privilegierung sollte der Abstand zwischen Volk und Regierenden vermindert werden.
6. Institutionelle Sperren sollten Bürokratisierungstendenzen und eine Verselbständigung der Führungsschicht verhindern. Dazu zähle beispielsweise die Ämterrotation, nach der die Posten immer nur kurz besetzt würden.
7. Karl Marx forderte zudem, daß die Räte die Sozialstruktur des Volkes wiederspiegeln. Dies bedeutete konkret, daß ein Großteil der Räte Arbeiter gewesen wäre.
8. Um eine möglichst egalitäre und uniforme Gesellschaft zu erhalten, sollte die Organisation von Interessen in Parteien und Verbänden verboten werden. Auch eine Gewaltenteilung und Pluralismus sollte es nicht geben.
9. Als letztes Ideal wäre das universalistische Politikverständnis zu nennen. Danach beziehen sich die direktdemokratischen Ideale nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die Wirtschaft und die Gesellschaft. Karl Marx strebte damit eine Totalpolitisierung der Gesellschaft an.
Für Karl Marx ist diese Demokratieform vor allem ein Mittel zur Erreichung des Kommunismus. Der wissenschaftliche Gehalt ist daher auch umstritten. ,,Unter rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist die Theorie der revolutionären Direktdemokratie auf brüchigen Pfeilern gebaut...", schreibt etwa Manfred G. Schmidt in ,,Demokratietheorien"21. Es wird diesem Modell vor allem vorgeworfen, daß es nur in kleinen, überschaubaren Einheiten funktioniere. Kritiker berufen sich vor allem darauf, daß es auf der Welt keine einzige Räteherrschaft über einen längeren Zeitraum gab.

3.3 Direkte Demokratie in Europa und der Welt

Unter den westlichen Demokratien gibt es eine ganze Reihe, die auch auf nationaler Ebene direktdemokratische Elemente kennen, darunter neben der Schweiz vor allem Italien, Frankreich, Irland,. Dänemark, Australien und Neuseeland22. Man kann diese Staaten grob gesprochen in zwei Gruppen unterteilen. In der einen werden direktdemokratische Elemente vor allem bei wichtigen, weitreichenden Entscheidungen angewandt. Dies ist etwa in Frankreich, in Irland und in Schweden der Fall. So stimmten die Bürger Frankreichs 1960 über das Ende des Algerien-Krieges ab, die Schweden 1980 über den Ausstieg aus der Kernenergie und die Iren entschieden 1986 über das in dem katholischen Land heftig umstrittene Thema Scheidungsrecht.
Dagegen befassen sich die Bürger Australiens, Neuseelands, vor allem aber der Schweiz auch mit "banaleren" Themen. So gab es zwischen 1945 und 1989 in Australien 23 und in Neuseeland 17 Abstimmungen. In der Schweiz gab es im gleichen Zeitraum sogar 227 Referenda23. Als Vorreiter in Sachen direkter Demokratie soll auf die Situation in der Schweiz im folgenden etwas näher eingegangen werden.
Die Schweiz kennt auf nationaler Ebene vier verschiedene Beteiligungsmodelle, nämlich das fakultative Gesetzesreferendum, die Verfassungsinitiative, das fakultative Staatsvertragsreferendum und das obligatorische Referendum24. Das älteste von ihnen ist das fakultative Gesetzesreferendum, das bereits 1874 eingeführt wurde. Danach können vom Parlament erlassene Gesetze und Bundesbeschlüsse durch eine Volksabstimmung zu Fall gebracht werden. Dafür müssen 50 000 Stimmbürger oder acht Kantone sich - per Unterschrift - für eine Abstimmung entscheiden. 1891 wurde die Verfassungsinitiative eingeführt, die den Bürgern das Recht gibt, eigene Vorschläge für eine Verfassungsänderung einzubringen und zu beschließen. Werden für einen Gesetzesentwuft 100 000 Unterschriften gesammelt, müssen Parlament und Regierung darüber beraten. Lehnen sie den Vorschlag ab, muß der Gesetzentwurf dem Volk vorgelegt werden, das dann darüber beschließt. Als drittes direktdemokratisches Element wurde 1921 die Einführung eines fakultativen Staatsreferendums beschlossen. Danach ist eine Volksabstimmung auch über unbefristete internationale Verträge und den Beitritt der Schweiz zu internationalen Organisationen sowie die multilaterale Rechtsvereinheitlichung möglich. Das obligatorische Referendum wurde 1949 eingeführt und erzwingt eine Volksabstimmung über alle Verfassungsänderungen und nicht auf die Verfassung gestützte dringliche Beschlüsse. Letzterer könnte etwa eine Art Notstandsgesetz sein, wie es während der Weltwirtschaftskrise 1929 erlassen wurde. Um die Reaktionsfähigkeit des Staates zu erhalten, kann ein solches Gesetz vom Parlament allein erlassen werden. Es muß sich nach einem Jahr aber einer Volksabstimmung stellen und kann dann vom Volk außer Kraft gesetzt werden. Im Unterschied zur Verfassungsinitiative kommt der Gesetzesentwurf hier nicht aus dem Volk, sondern vom Parlament. Die wahlberechtigte Bevölkerung muß aber abstimmen, und die Entscheidung der Volksabstimmung ist bindend. Eine Gesetzesinitiative für "normale" Gesetze gibt es in der Schweiz auf Bundesebene nicht. Das fakultative Gesetzesreferendum kann nur ein Veto gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz aussprechen. Auf Kantons- und kommunaler Ebene gibt es aber teilweise sehr viel weiter reichende direktdemokratische Elemente. So müssen in einigen Kantonen größere Ausgaben von einem Finanzreferendum bestätigt werden.
Nach Meinung von Manfred G. Schmidt lassen sich aus der Beobachtung des Schweizer Modells einige Erkenntnisse gewinnen25. Zum einen stellt er fest, daß viele Partizipationsmöglichkeiten nicht genutzt werden. Gerade bei komplizierteren, eine hohe Fachkompetenz veraussetzenden Entscheidungen, hielten die Bürger sich zurück. Ergebnis der starken direktdemokratischen Elemente seien auf der einen Seite einer Verkomplizierung und Verteuerung des Gesetzgebungsverfahrens. Andererseits steige durch die Volksabstimmung die Legitimität der Entscheidungen. Zudem hätten die Plebiszite eine integrative Wirkung, nicht zuletzt weil die Regierung und das Parlament von vornherein dazu gezwungen sind, alle Seiten mit einzubeziehen um ein späteres Referendum zu verhindern.
Er betont aber gleichzeitig, daß die Erfahrung mit direkter Demokratie nur bedingt übertragbar ist, weil sie stark vom politischen System, der politischen Tradition und der Mentalität abhängig ist.

3.4 Plebiszitäre Demokratie in Deutschland

3.4.1 Rückblick auf Weimar - ein Argument gegen die Volksabstimmung
Von den Gegnern plebiszitärer Elemente wurden vor allem die angeblich schlechten Erfahrungen in der Weimarer Republik angeführt. Zwischen 1919 und 1933 gab es insgesamt acht Volksbegehren auf Reichsebene, von denen aber nur zwei zur Abstimmung gelangten, nämlich derjenige zur Fürstenenteignung und derjenige zum Youngplan.26 Erfolgreich war keines der beiden Unterfangen, die direkte Demokratie hatte daher letztendlich auf die Gesetzgebung der Weimarer Republik keinen Einfluß.
1919 wurden in die Weimarer Reichsverfassung - vor allem auf Drängen der liberalen Parteien - diverse direktdemokratische Elemente aufgenommen27. Dazu gehörte zum einen die Volksgesetzgebung. Hier konnte das Volk ein außerordentliches Gesetzgebungsverfahren in Gang bringen. Dazu mußten zehn Prozent der Stimmberechtigten einem ausgearbeiteten Gesetzentwurf durch Unterschrift zustimmen. Der Reichstag hatte dann ebenfalls über diesen Gesetzentwurf zu beschließen. Wurde er vom Parlament abgelehnt, kam es zu einem Volksentscheid. Bei der Abstimmung entschied die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Es konnte nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden, das Parlament konnte also keinen Alternativvorschlag unterbreiten. Ein Beschluß des Reichstages konnte vom Volk aber nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligte. An dieser Hürde scheiterten auch die einzigen beiden zur Abstimmung gelangten Volksabstimmungen.
War der Gesetzentwurf verfassungsändernd wurde aus dem Beteiligungs- ein Zustimmungsquorum, es mußte also die Hälfte der Wahlberechtigten zustimmen.
Die Initiatoren der Volksbegehren waren kamen von den radikalen linken und rechten Parteien, aber auch aus Verbänden und - wenngleich seltener - aus den Systemparteien, wie der SPD.
Der Volksentscheid gegen den Youngplan etwa wurde von den rechten Parteien, insbesondere der NSDAP und der DNVP boykottiert. Der Youngplan sah vor, daß die deutschen Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg durch eine 59 Jahre dauernde Zahlung von durchschnittlich jährlich zwei Milliarden Goldmark vorgenommen werden sollten. Zudem wurde eine 5½ prozentige Anleihe über rund 300 Millionen US-$ herausgegeben. Die rechtsradikalen Kräfte lehnten diesen Plan ab, weil sie die Kriegsschuld Deutschlands als nicht gegeben betrachteten28. Sie legten ein ,,Freiheitsgesetz" vor, daß die Annahme des Versailler Vertrags und die Anerkennung der Kriegsschuld rückgängig machen sollte, daneben der Regierung verbieten sollte, Zugeständnisse an ausländische Mächte zu machen und sogar eine Zusammenarbeit mit dem Ausland durch Politiker unter Strafe zu stellen. Das Parlament lehnte den Gesetzesentwurf mit deutlicher Mehrheit ab. Bei der Abstimmung sprachen sich eine Mehrheit der Wahlberechtigten für das ,,Freiheitsgesetz" der nationalen Parteien aus. Nur 5,4 Prozent stimmten mit Nein. Dies läßt sich vor allem damit erklären, daß die Gegner des Gesetzesentwurfs - vor allem die linken und die Systemparteien - ihre Anhänger zum Boykott aufgerufen hatten. Aufgrund der geringen Wahlbeteiligung von 14,9 Prozent war der Volksentscheid aber gescheitert.
Die Initiatoren des zweiten zur Abstimmung gelangten Volksentscheids kamen dagegen aus dem linken Spektrum, vor allem aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Mit dem Volksentscheid sollten die Fürsten, die in manchen Teilen Deutschlands bis zu 55 Prozent des Grundes beherrschten, entschädigungslos enteignet werden29. Von der Umverteilung sollten insbesondere Erwerbslose, Kriegsbeschädigte, Inflationsopfer und andere Benachteiligte profitieren. Ende 1925 wurde mit der Einleitung einer Volksabstimmung begonnen. Im März 1926 hatten die Initiatoren mit 12,5 Millionen Unterschriften dreimal so viele wie notwendig gesammelt. Der Volksentscheid in Juni 1926 scheiterte aber wie der zum Young-Plan an der zu geringen Beteiligung. Auch hier kam es wieder zu einem Boykottaufruf der Gegner dieser Abstimmung.
Lediglich der Vollständigkeit halber seinen neben der gerade dargestellten Form des Volksentscheids mit Volksbegehren noch das appellatorische Plebiszit, bei dem fünf Prozent der Stimmberechtigten die Abstimmung des Volkes über ein vom Parlament beschlossenes Gesetz erzwingen konnte30, genannt. Dieses Verfahren wurde allerdings kein einziges Mal angewandt.
Ebenfalls niemals genutzt wurden der Volksentscheid auf Antrag des Präsidenten, der Volksentscheid auf Antrag von 1/3 der Parlamentarier des Reichstages und der Volksentscheid auf Antrag des Reichsrates.
Die Kritik an der direkten Demokratie in der Weimarer Republik geht dabei in zwei verschiedene Richtungen. Die eine kritisiert, die Auseinandersetzungen über die Volksabstimmungen hätten die Gräben zwischen den politischen Lagern weiter aufgerissen. Durch die Polemik, mit der sie geführt wurden, hätten sie zur Zerrüttung und damit zum Untergang der Weimarer Republik entscheidend beigetragen. Claus-Henning Obst gesteht dies in seiner Dissertation über die Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland auch teilweise ein31.
Ein zweiter Kritikansatz ist die Erfolglosigkeit der direktdemokratischen Bemühungen. Kein einziger Antrag hatte Erfolg32. Dies liegt aber nicht zuletzt an den hohen Anforderungen. So mußte sich mindestens die Hälfte der Wahlbevölkerung an der Abstimmung beteiligen. Dies gestaltete sich vor allem deshalb als äußerst schwierig, weil die Gegner der Anträge ihre Anhänger dazu aufriefen, sich nicht an der Wahl zu beteiligen. So kam es, daß etwa 1924 beim Volksentscheid zur Fürstenenteignung die Abstimmung trotz einer Mehrheit dieser nicht gewertet wurde.
Durch den Boykott spiegeln die Ergebnisse der Abstimmungen in keinster Weise den tatsächlichen Willen des Volkes wieder.
Eine sachliche Auseinandersetzung ist damit nicht gegeben. Für die Initiatoren war es nicht wichtig zu überzeugen, sondern vor allem, möglichst viele Leute an die Wahlurnen zu bringen. Das erklärt auch die Polemik, mit der die Auseinandersetzungen geführt wurden.
Besonders bedenklich ist dabei die Tatsache, daß das Wahlgeheimnis hier nicht mehr besteht. Denn es ist zwar nicht nachzuvollziehen, wie abgestimmt wird, aber durchaus, wer dem Boykott-Aufruf nachkommt. Bedenkt man, daß viele Menschen von den Fürsten, über deren Enteignung abgestimmt werden sollte, finanziell abhängig waren, wird die gesamte Problematik der Direkten Demokratie in der Weimarer Republik deutlich. Wer auf dem Weg zur Wahlurne gesehen wurde, riskierte eventuell seine Arbeitsstelle, für viele ein zu hohes Risiko. Nicht zuletzt aus diesen Erfahrungen heraus haben die meisten modernen Volksabstimmung daher kein Beteiligungsquorum mehr, sondern ein Zustimmungsquorum.
Es ist festzustellen, daß diese Kritik nicht direkt nach dem Krieg, sondern erst in späteren Jahren aufkam33.

3.4.2 Direkte Demokratie im Grundgesetz - rechtliche Voraussetzungen
Direkte Demokratie kommt im 23.Mai 1949 in Bonn - Bad Godesberg von der verfassungsgebenden Versammlung beschlossenen Grundgesetz allein im Artikel 29, Absatz 2 vor. Darin heißt es: ,,Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebiets ergehen durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Die betroffenen Länder sind zu hören". Mit Ausnahme dieses Artikels kommen direktdemokratische Elemente auf Bundesebene nicht vor. Dieser Artikel wurde bisher ein einziges Mal angewandt, nämlich bei der gescheiterten Zusammenlegung der Bundesländer Berlin und Brandenburg. Die bereits 1958 durchgeführte Fusion der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden stützte sich dagegen auf den Artikel 118, in dem das Mitbestimmungsrecht des Volkes für eine Umgestaltung der Landesgrenzen dieser (ehemaligen) Bundesländer wieder eingeschränkt wurde. Es heißt darin: ,,Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 durch Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgen. Kommt eine Neugliederung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muß.
Nach Ansicht einiger Verfassungsrechtler schließt das Grundgesetz direktdemokratische Mitbestimmung sogar aus34. Diese Meinung stützt sich vor allem auf den Inhalt des Artikel 20 Absatz 2. Dort heißt es: ,,Alles Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Da der Artikel 79, Absatz 3 eine Änderung der Artikel eins und 20 verbietet, würde dies plebiszitäre Elemente nicht nur nach jetzigem Stand der Verfassung sondern generell unmöglich machen.
Als Beleg für diese Rechtsauffassung wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Volksbefragungen zur atomaren Aufrüstung am 30. Juli 1958 gewertet. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die geplanten Volksbefragungen in Hamburg, Bremen und Teilen Hessens damals für nicht verfassungskonform. Die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer drängte darauf, das Urteil auch zu einem Urteil gegen plebiszitäre Elemente zu machen. Der zweite von drei Kritikpunkten war der Eingriff der Länder in ein ausschließlich der Bundesgesetzgebung unterliegendes Gebiet. In Artikel 73 heißt es: ,,Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:
1. die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung.
[...]"
Als dritten Anklagepunkt gegenüber Hessen, Bremen und Hamburg sah die Bundesregierung eine Verletzung des Bundesratsprinzips. Durch die Volksabstimmung werde den Vertretern der Länder im Bundesrat eine unzulässige Weisung erteilt. Die Frage nach der Zulässigkeit direkter Demokratie auf Bundesebene war also nur einer von drei Anklagepunkten. Trotzdem sehen Gegner plebiszitärer Elemente in dem Urteil ein Verbot direkter Demokratie auf Bundesebene.
In seiner Dissertation über Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zitiert Claus-Henning Obst den damaligen Innenminister Gerhard Schröder (CDU) mit den Worten: ,,Nach dem in unserem Grundgesetz verankerten Prinzip der repräsentativen Demokratie äußert das Volk seinen Willen durch das von ihm gewählte Parlament. Unmittelbare plebiszitäre Äußerungen der Bundesgewalt durch das Volk kennt die Verfassung der Bundesrepublik in bewußter Abkehr früherer Verfassungsformen nicht. Volksbefragungen sind aber eine Form des Plebiszits und daher unzulässig"35.
Dagegen sieht Claus-Henning Obst selbst in seiner Doktorarbeit den Hauptgrund für den Erfolg der Verfassungsklage in den Eingriff in Bundeskompetenzen durch die Länder, da für Verteidigungsangelegenheiten nach Artikel 73 Absatz 1 ausschließlich die Bundesebene zuständig ist36. Er verweist darauf, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gegen die Länder Hamburg und Bremen die Bemerkung anfügt, daß nicht darauf ankomme, ob die überprüften Gesetze im Widerspruch zur repräsentativen Ausprägung der Bundesrepublik Deutschland stünden. Zur generellen Zulässigkeit direktdemokratischer Elemente nimmt das Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsbegründung keine Stellung.
Der Grund für den Streit der Verfassungsrechtler über die Zulässigkeit von Volksabstimmungen liegt vor allem in der umstrittenen Deutung des Begriffes ,,Abstimmungen" in Artikel 20, Absatz 2. Teilweise wird das Wort als Synonym für Wahlen verstanden, eine andere Auffassung geht davon aus, daß hiermit auch Volksabstimmungen gemeint sein können beziehungsweise daß hier ausdrücklich auch die Möglichkeit zur Durchführung einer Volksabstimmung offengelassen wurde37. In der Weimarer Reichsverfassung wurde der Begriff vor allem auf Volksabstimmungen bezogen. Auch der frühere Verfassungsrichter und heutige Bundespräsident Roman Herzog stellte fest, daß durch den Satz 2 des Artikel 20, Absatz 2, mittelbare und unmittelbare Demokratie scheinbar gleichberechtigt nebeneinander stehen. Zwar verweist er auf andere Stellen des Grundgesetzes, die eine eindeutige Präferenz der repräsentativen Demokratie herausstellen, ein Verbot direktdemokratischer Elemente ist nach dieser Begriffsauffassung durch Artikel 20, Absatz 2 aber nicht mehr gegeben.
Einer anderen Meinung zufolge läßt sich aufgrund der historischen Rahmenbedingungen auf ein Verbot direkter Demokratie durch das Grundgesetz schließen38. Demzufolge geht aus den Reden und Abstimmungen des Parlamentarischen Rates hervor, daß sich die verfassungsgebende Versammlung für eine fast ausschließlich repräsentative Demokratie entschieden hat. So wurden mehrere Anträge auf die Aufnahme plebisziärer Elemente in das Grundgesetz unter anderem mit dem Verweis auf die schlechten Erfahrungen mit Volksabstimmungen während der Weimarer Republik abgelehnt39. Befürworter direkter Demokratie verweisen hingegen darauf, daß sich das Bundesverfassungsgericht in der Praxis um eine möglichst objektive Auslegung des Verfassungstextes bemüht.
Unumstritten ist dagegen die Tatsache, daß das Grundgesetz mit Ausnahme des Artikel 29, Absatz 2 keine plebiszitären Elemente kennt, sieht man von der - in die gleiche Richtung wie Artikel 29 gehenden - Volksbefragung aus Artikel 118 einmal ab. Eine Erweiterung der unmittelbaren Mitbestimmung des Volkes ist daher nicht durch ein Gesetz, sondern nur durch Verfassungsänderung herbeizuführen.

3.4.3 Kommunale und Landesebene
In Deutschland kennen die meisten Bundesländer Direkte Demokratie auf Landes- oder Kommunalebene, wobei dieses Element auf Landesebene seltener, auf kommunaler Ebene häufiger anzutreffen ist. Dabei wird auf kommunaler Ebene von einem Bürgerentscheid beziehungsweise Bürgerbegehren und auf Landesebene von Volksentscheid und Volksbegehren gesprochen werden. Der Einfachheit halber werden im weiteren dieses Kapitels nur noch die Begrifflichkeiten Volksentscheid und Volksbegehren verwendet.
Das Verfahren läuft fast immer gleich ab. Der eigentlichen Abstimmung geht in allen Ländern eine Unterschriftenaktion voraus. Dabei muß eine bestimmte Anzahl von Bürgern, meistens um die zehn Prozent, in einer Liste unterschreiben, mit der sie ihre Unterstützung für einen zuvor ausformulierten Gesetzentwurf zum Ausdruck bringen. Dies wird als Volksbegehren bezeichnet. Dem folgt eine Prüfung des Antrages auf seine rechtliche Zulässigkeit. Zudem sind in fast allen Staaten und in allen deutschen Bundesländern bestimmte Themen von der Abstimmung ausgenommen. Beispielsweise schließen alle deutschen direktdemokratischen Verfahren haushaltspolitische Themen aus. In den meisten Fällen wird dann direkt die Abstimmung über den Gesetzentwurf vorgenommen. Seltener folgt auf diese freie Eintragung noch eine zweite Unterschriftenaktion, die diesmal von einer Behörde durchgeführt werden muß. Die nötige Stimmenzahl für die freie Unterschriftensammlung ist dann im Gegenzug meistens niedriger angesetzt. In diesem Fall wird die freie Unterschriftensammlung nicht als Volksbegehren, sondern als Volksantrag bezeichnet, die zweite Unterschriftensammlung dann als Volksbegehren. Dies ist etwa bei Volksentscheid auf Landesebene in Bayern der Fall.
Ein Sonderweg ist die Initiierung eines Volksentscheids durch das Parlament. In fast allen Staaten, die direktdemokratische Elemente kennen, besteht diese Möglichkeit. Im Normalfall ist dafür die einfache Mehrheit ausreichend.
Anschließend folgt die eigentliche Abstimmung. Meistens gibt es die Möglichkeit für die Legislative, einen eigenen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorzulegen. Dazu wird zumeist die einfach Mehrheit in dem entsprechenden Parlament benötigt.
Bei der Abstimmung entscheidet meist die einfache, nur selten die absolute Mehrheit. Als letzte Hürde muß der Volksentscheid im Regelfall ein Quorum erfüllen. Dies kann ein Zustimmungs- oder ein Beteiligungsquorum sein. Bei einem Zustimmungsquorum muß eine bestimmte Anzahl der Wahlberechtigten, üblicherweise 25 oder 30 Prozent, dem Vorschlag zustimmen. Bei einem Beteiligungsquorum ist die Beteiligung in Prozent der Wahlberechtigten ausschlaggebend; 50 Prozent scheint hier allgemein ausreichend. Es ist aber festzustellen, daß in jüngster Zeit immer seltener Beteiligungs- und immer häufiger Zustimmungsquoren verwendet werden. Dies liegt vor allem an der Möglichkeit, bei einem Zustimmungsquorum durch Boykott den Entscheid ungültig zu machen40.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren direkter Demokratie ist die Versorgung der Bürger mit Information. Fast alle Bundesländer sehen daher eine - im Idealfall - unabhängige Versorgung der Bürger mit Wissen zum Bürger- oder Volksentscheid. Kommunen und Länder sind daher verpflichtet, die Wahlberechtigten im Vorfeld des Entscheids über alle zur Wahl stehenden Gesetzesentwürfe unparteiisch zu informieren. Dies gilt auch dann, wenn Stadt-, Gemeinde, oder Kreisrat bzw. die Landesregierung sich im Vorfeld für oder gegen einen bestimmten Gesetzesentwurf ausgesprochen haben.

3.4.4 Bewegungen für mehr direkte Demokratie auf Bundesebene
Erste Versuche, direkte Demokratie im Grundgesetzt zu verankern gab es schon im Parlamentarischen Rat. Das Ansinnen wurde aber mit Hinweis auf die Erfahrungen der Weimarer Republik zurückgewiesen41.
Der Ruf nach mehr plebiszitären Elementen im Grundgesetz wurde erst mit der Wiedervereinigung lauter. Im Zuge einer geplanten neuen Verfassung sollte nach Meinung nicht weniger auch direkte Demokratie aufgenommen werden42. Nach der Überarbeitung des Grundgesetzes - eine neue Verfassung wurde bekanntlich nicht erstellt - verstummte die Initiative nur kurz. Angespornt durch die Erfolge direktdemokratischer Initiativen, besonders in den südlichen Bundesländern, entstand die Bewegung "Mehr Demokratie in Deutschland". Diese Initiative setzt sich für ein am Aufbau des bayerischen Volksentscheids orientiertes Modell ein. Dieses sieht vier Stufen vor43.
Die erste Stufe stellt der sogenannte Volksantrag dar. Dabei müssen für einen Gesetzentwurf 100.000 Unterschriften gesammelt werden. Die Unterschriftensammlung ist von den Initiatoren durchzuführen und wird frei vorgenommen, also nicht von einer Behörde. Die Einwohnermeldeämter haben darüber zu wachen, daß Unterschriften nicht doppelt abgegeben werden oder für nicht existente Personen unterschrieben wird. Ist der Volksantrag erfolgreich, wird der Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt. Dieser hat innerhalb von sechs Monaten über den Vorschlag zu beraten und zu beschließen. Lehnt das Parlament den Vorschlag ab, hat die Initiative das Recht, ein Volksbegehren einzuleiten. Dazu müssen eine Million Unterschriften gesammelt werden. Hier wird noch darüber diskutiert, ob die Sammlung in Amtsräumen oder frei erfolgen soll. Eine Sammlung in Amtsräumen ist teurer, minimiert aber die Gefahr der Manipulation. Ist das Volksbegehren erfolgreich, wird die vierte und letzte Runde eingeläutet, der Volksentscheid. Der Bundestag ist dabei berechtigt, mit einfacher Mehrheit einen eigenen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorzulegen. Vor dem Volksentscheid soll ein ausreichender Zeitraum für die Diskussion und Information bleiben. Alle Wahlberechtigten erhalten zusammen mit ihrer Wahlbenachrichtigung sachliche, möglichst objektive Informationen über den oder die Gesetzesentwürfe. Bei der Abstimmung entscheidet die einfache Mehrheit. Ein Quorum ist in dem Entwurf der Initiative "Mehr Demokratie in Deutschland" nicht vorgesehen.
Neben dieser Initiative sind es vor allem die Grünen, die sich für die Volksabstimmung auf Bundesebene stark machen. Ein fertig ausgearbeitetes offizielles Konzept gibt es aber nicht. Auch Teile der SPD sprechen sich für mehr plebiszitäre Elemente aus, es ist jedoch unserer Meinung nach unter der Regierung Schröder nicht zu erwarten, daß direktdemokratische Elemente aufgenommen werden. Diese würden eine Schwächung der Machtbasis der regierenden Parteien bilden. Die Unterschriftenaktion von CDU und CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hat gezeigt, daß die Gefahr durch direkte Demokratie, in ihren Beschlüssen überstimmt zu werden, auch für die amtierende Regierung gegeben ist. Zudem bedarf eine Stärkung plebiszitärer Rechte vermutlich einer Verfassungsänderung. Dazu wären aber die Stimmen von CDU, CSU und FDP nötig, die eine Volksabstimmung bisher kategorisch ablehnen.
Der letzte Versuch, direktdemokratische Elemente auf Bundesebene einzuführen scheiterte 1993 in der "Gemeinsamen Verfassungskommision" an den Stimmen von CDU, CSU und FDP.
Auch die Kampagne von "Mehr Demokratie in Deutschland" hat unserer Meinung nach wenig Aussicht auf Erfolg. Nach den Planungen der Initiative soll - wie für die Volksabstimmung geplant - eine Sammlung von einer Millionen Unterschriften durchgeführt werden. Damit hoffen die Planer, den Bundestag unter Druck setzen zu können, daß er entweder mit 2/3-Mehrheit die Durchführung eines einmaligen Volksentscheids über plebiszitäre Elemente zustimmt oder mit einfacher Mehrheit die Durchführung einer Volksbefragung möglich macht. Diese Volksbefragung hätte keine rechtlichen Konsequenzen und wäre nicht bindend. Die Planer dieser Initiative verweisen dabei auf die Erfolge in den Bundesländern. So konnte etwa in Bayern der Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene über einen landesweiten Volksentscheid gegen den Willen der regierenden CSU durchgesetzt werden. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, daß auf Landesebene bereits existierende Rechtsgrundlagen für eine Ausweitung der direkten Demokratie genutzt werden konnten. So war es möglich, mit Hilfe der direkten Demokratie weiter plebiszitäre Elemente einzuführen. Auf Bundesebene existieren solche Einrichtungen nicht. Der Erfolg der Kampagne wäre damit vom Wohlwollen der Politiker abhängig.
Wahrscheinlicher erscheint es daher, daß direktdemokratische Elemente vom Parlament selbst beschlossen werden. Zur Zeit bestehen unserer Meinung nach - wie bereits erwähnt - darauf keine Hinweise. Mittelfristig jedoch, besonders vor einem erwarteten Regierungswechsel, könnte die Möglichkeit dazu bestehen.

3. Plebiszitäre versus repräsentative Demokratie
Nach der ausführlichen Erläuterung beider Demokratieformen anhand von Theorien und praktischen Beispielen, möchten wir nun beide Modelle miteinander vergleichen und einer umfassenden Analyse unterziehen. Dabei gehen wir der Einfachheit halber von der Reinform direkter beziehungsweise indirekter Demokratie aus.
Einer der schwerwiegenden Vorwürfe an die repräsentative Demokratie - und darin besteht auch der scheinbar wesentliche Unterschied plebiszitärer und repräsentativer Demokratie - ist die zu große Distanz zwischen der Regierung und dem Volk. Immer wieder wird die Frage gestellt, ob der Volkswille in der Regierung angemessen umgesetzt wird. Laut Weber und Schumpeter stellt sich diese Frage nicht. Wie angesprochen verneinen sie die Existenz eines Volkswillen (siehe Kap. 2.2.2). Vor allem Schumpeter meint, die Gesellschaft wäre viel zu pluralistisch, als das sie durch die Mehrheitsmeinung ausreichend vertreten sei. Ein sogenannter ,,Volkswille" resultiere erst aus dem dynamischen Prozeß des Konkurrenzkampfes mindestens zweier Parteien, weil nur so auch Minderheitsmeinungen in die politische Landschaft aufgenommen werden. Dies wäre durch eine direktdemokratische Entscheidungsstruktur nicht gewährleistet. Es würde sich wirklich nur die Mehrheit durchsetzen. Von Volkswille kann man dabei nicht sprechen.
Das erste Ergebnis lautet also: Mehrheitsmeinung ist nicht gleich Volkswille. Dieser kann nur in einer parlamentarischen Regierung durch Kompromißbildung realisiert werden.
Kritiker sehen im Zwang zum Kompromiß aber den nächsten Defekt in der repräsentativen Demokratie. Durch Kompromisse werden immer ,,verwässerte" Ergebnisse erzielt, die eine klare Richtungsentscheidung vermissen lassen. Zudem macht die durch Fraktionen geprägte parlamentarische Demokratie oft zu hohe Zugeständnisse an vermeintlich schwächere Koalitionspartner nötig, die gerade kleineren Parteien ein Machtpotential verschafft, das in keinem Verhältnis zu ihrem Wahlergebnis steht. So wurde der FDP in Deutschland jahrelang eine beachtliche Machtfülle zugestanden, weil sie als ,,Zünglein an der Waage" fungierte.
Als zweite Schlußfolgerung ließe sich demnach feststellen, daß der oben angesprochene Kompromiß in der repräsentativen Demokratie auch zu negativen Ergebnissen führen kann; einerseits durch drohende Verwässerung der Ergebnisse, andererseits durch zu große Zugeständnisse an Minderheiten.
Hinzu kommt, daß die Umsetzung des Mehrheitswillens, wie von Befürwortern der direkten Demokratie oftmals proklamiert, nicht das oberste Ziel der Politik sein sollte. Vielmehr gilt es die für den Staat und die Bürger optimale Lösung zu finden. Das würde unter Umständen zwar zu unpopulären Entscheidungen gegen die Mehrheit der Wähler führen (Steuererhöhungen), doch wäre die Entwicklung eines Staates und somit auch die seiner Bürger nachhaltig positiv beeinflußt. Laut Schumpeter ist dabei die Herausbildung einer politischen Elite zwecks besserer Rekrutierung nötig, um die Effizienz und Kompetenz der Entscheidungen auf hohem Niveau zu halten.
These drei: Diese Entscheidungen können eher von parlamentarischen Strukturen gefällt werden, geht man doch idealerweise davon aus, daß die Politiker durch ihre größeren Sachkenntnisse und die professionelle Beschäftigung mit politischen Themen eher in der Lage sind, die ,,richtigen" Entscheidungen zu treffen.
Doch wird hier genau die Kritik an den Politikern laut! Nach Meinung der Kritiker können die Politiker in der Realität ihre - hypothetisch angenommene - Kompetenz nicht voll ausspielen, da ihre Entscheidungsfreiheit eingeschränkt ist. Dies ist beispielsweise durch den Fraktionszwang der Fall. Um die Konstanz der Regierung beizubehalten, ist man in der repräsentativen Demokratie dazu übergegangen, die Maxime ,,Abgeordnete sollten nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden", insoweit einzuschränken, als daß sie sich an von der Fraktion getroffene Entscheidungen zu halten haben. Anderenfalls wäre die Regierungsmehrheit eventuell gefährdet44.
Ein weiterer Kritikpunkt sind oftmals nur auf kurze Sicht ausgerichtete Entscheidungen. Dies liegt vor allem daran, daß das Volk die Regierung an den aktuellen Ergebnissen und Erfolgen mißt, langfristige - über die Legislaturperiode hinausgehende - Entscheidungen aber nicht honoriert.
Ein dritter, die Entscheidungsfreiheit der Politiker einschränkender Punkt liegt in der Orientierung der Politiker an bestehenden Machtgruppen und dem Einfluß der Lobbyisten auf die Politik.
Hierzu ist allerdings festzustellen, daß sich eine Reihe der Kritikpunkte auch auf direkte Demokratie übertragen lassen. Zwar ergibt sich nicht das Problem des Fraktionszwanges, aber die ,,Vorfahrt" kurzfristiger vor langfristigen Entscheidungen bleibt auch in der direkten Demokratie weitgehend erhalten, da es - wie auch von Schumpeter angemerkt - im Wesen des Menschen liegt kurzfristig zu denken. Der Lobbyismus kommt in seiner aktuellen Form zwar in der direkten Demokratie nicht zur Geltung, weil aufgrund der Masse der Abstimmenden eine Beeinflußung durch Überzeugung nur schwer möglich wäre. An seine Stelle treten allerdings andere Mechanismen, beispielsweise die Beeinflussung durch unsachliche (polemisierende) Werbung und durch Milieuzwang. Letzterer spielt marginal auch in der repräsentativen Demokratie eine Rolle, nämlich bei der aktiven Beteiligung des Volkes in Parteien oder bei Wahlen.
Als vierte These läßt sich - als Vervollständigung von These drei - sagen, daß die ,,richtigen" Entscheidungen weder durch die Kompetenz der Politiker noch durch die (scheinbare) Unabhängigkeit der Bürger gewährleistet werden können, da beide von gewissen ,,natürlichen" Restriktionen eingeschränkt sind.
Es läßt sich weiterhin anfügen, daß viele Bürger durch die direkte Demokratie überfordert werden. Die Vielzahl an Möglichkeiten und die Komplexität der Entscheidungen macht es dem Individuum nahezu unmöglich, eine alle Aspekte einbeziehende Betrachtung des Problems vorzunehmen. Dies ist zeitlich, teilweise intellektuell und nicht selten auch durch den fehlenden Willen der Bürger begründet.
Als fünfte These folgt: vielen Bürgern mangelt es an Kompetenz und Willen, in der direkten Demokratie Entscheidungen zu treffen. Wie schon Schumpeter bemerkte, stellt sich der Mensch als Privatwesen und nicht als homo politicus dar.
Dieser Mangel an Kompetenz sollte idealerweise durch die Informationsübertragung von oben nach unten über die Medien gemindert werden. Hier stellt sich aber die Frage nach der Qualität der Informationen. Dies liegt zum einen an der Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen. Man könnte den Informationsträgern - in der repräsentativen Demokratie insbesondere den Politikern - unterstellen, Informationen aufgrund des eigenen Machtinteresses nur unvollständig herauszugeben und somit über die eigene Inkompetenz hinweg zu täuschen oder negative Aspekte auszublenden. Zum anderen muß nach der Qualität der Weitergabe gefragt werden. Im Vordergrund steht vor allem bei privaten Medien - insbesondere dem privaten Fernsehen - der wirtschaftliche Erfolg in Form von Quoten, die man nicht selten durch polarisierende Meinungen und reißerische Schlagzeilen zu erreichen sucht.
Daraus resultiert unsere sechste These. Es ist eine große Informationsasymmetrie festzustellen, die im wesentlichen drei Ursachen hat:. Sie liegt zum einen in der teilweise unvollständigen Informationsvergabe der Politiker begründet. Zweitens erweist sich die Qualität der Berichterstattung durch die Medien als oftmals ungenügend und drittens wirft der Erfolg schlagzeilenträchtiger Berichterstattung die Frage nach der Bereitschaft und Fähigkeit des Volkes zur Verarbeitung sachlicher, politischer Informationen auf.
Welchen Einfluß nimmt die Informationsasymmetrie nun in beiden Demokratieformen auf die Bürger und welche Konsequenzen hat dies? Hier ist zum einen festzustellen, daß die Meinungsbündelung in der repräsentativen Demokratie eine vollständige Information über alle Themen erschwert. Die alle vier Jahre entworfenen Parteiprogramme sind oftmals so komplex und zu allgemein gehalten, als daß sie für den politischen Laien eine ausreichende Alternative zur vollständigen Verarbeitung der Informationen darstellen. Nimmt das Studieren solcher Programme (in Deutschland von mindestens fünf Parteien) sehr viel Zeit in Anspruch, so bleibt dabei unberücksichtigt, inwiefern der Leser die undurchsichtigen Formulierungen auch versteht. Andererseits erleichtern solche Parteiprogramme die Wahlentscheidung, weil durch die Meinungsbündelung eine Konzentration seitens der Wähler auf Grundtendenzen ausreicht. Ein Beispiel: Das Programm der Grünen zu kennen, erfordert viel Zeit und auch Geduld. Doch hat man sich als Wähler auf die Grundtendenz der ökologischen Politik und des Pazifismus eingestellt, so erleichtert dies die Entscheidung, ohne unbedingt alle Programme intensiv gelesen zu haben. Dabei bleibt nicht aus, daß der Wähler bei der Entscheidung eine "second best"-Lösung in Kauf nimmt. Anhand unseres Beispiels würde das bedeuten, daß der Wähler im Grunde die Tendenz zur Ökologisierung und zum Pazifismus vertritt, doch in der Ausländerpolitik eine andere Meinung als die Grünen hat. In der direkten Demokratie dagegen ist eine Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Punkt notwendig. Dies hat einen höheren Arbeitsaufwand zur Folge, zeugt jedoch von einer höheren Demokratisierung.
Daraus resultierend stellt sich die Frage, inwiefern das Volk sich bei einer hypothetischen Einführung der direkten Demokratie bei zu häufigen Abstimmungen beteiligen würde. Bei einer zu geringen Wahlbeteiligung ergäbe sich das Problem der fehlenden Repräsentativität der Ergebnisse bzw. - bei Einführung von Quoren - es würden keine Ergebnisse zustandekommen.
Idealerweise ist - Schlußfolgerung Nummer sieben - die direkte Demokratie nach eingehender Analyse der Informationsauswahl und -aufnahme in ihrer Form demokratischer und auch repräsentativer. Zieht man jedoch die in den letzten Absätzen angesprochenen Faktoren mit in die Betrachtung ein, so wird deutlich, daß die parlamentarische Form der Demokratie sich als "second best"-Lösung herausstellt.
Hinzu kommt, daß sich eine Strategie in der direkten Demokratie nur schwer dauerhaft verfolgen läßt. Eine Strategie bedeutet für uns die Verfolgung gewisser Grundziele, einhergehend mit langfristig wirksamen strukturellen und funktionalen Veränderung. Die Unabhängigkeit der einzelnen Entscheidungen in der direkten Demokratie führt dazu, daß statt einer geschlossenen Strategie eine Aneinanderreihung von mehreren - sich möglicherweise sogar widersprechenden - Abstimmungsbeschlüsse das Ergebnis ist. Dies liegt vor allem daran, daß die Entscheidungen unter der Annahme kurzfristiger Präferenzen getroffen werden. Zudem hätte jede Änderung der politischen Stimmung eine Neuausrichtung der Strategie zur Folge. Politiker hingegen, die in der repräsentativen Demokratie idealerweise unabhängig fungieren können haben die Möglichkeit, zumindest innerhalb der Legislaturperiode eine bestimmte Strategie zu verfolgen. Beispielsweise soll die Arbeitsmarktlage verbessert werden. Dazu müssen die Investitionen angekurbelt, der Standort attraktiv gemacht und die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Im Zuge dessen sind also eine Anzahl von - nicht immer attraktiven - Entscheidungen zu treffen, die eher mittelfristige Auswirkungen haben. Werden diese einzelnen Entscheidungen dem Volk in der direkten Demokratie präsentiert, so würde es nicht unter der Prämisse der Strategieverfolgung, sondern nach individuellen Interessen abstimmen.
Es läßt sich also als achtes Fazit sagen, daß die Verfolgung einer Strategie, die den Staat auf lange Sicht stärkt, in der repräsentativen Demokratie besser durchgeführt werden kann.
Es stellt sich abschließend die Frage nach der Machbarkeit der beiden Demokratieformen. Vor allem für die Durchführung der direkten Demokratie ergeben sich einige Hindernisse. Ein häufig geäußerter Vorwurf ist die lange Vorlaufzeit für die Verabschiedung eines Gesetzes auf direktdemokratischem Wege. Manche Situationen erfordern schnelle Entscheidungen. Bei Volksabstimmungen ist jedoch aufgrund der langen Vorbereitung durch die Sammlung von Unterschriften, die Information der Bürger und die Durchführung einer Wahl (im Normalfall mindestens ein halbes Jahr) kein rasches Ergebnis zu erwarten. Nicht selten ziehen sich jedoch Entscheidungen auch in der repräsentativen Demokratie über einen langen Zeitraum hin, da die Notwendigkeit der Kompromißbildung einen hohen Zeitaufwand verursacht. Doch im Spezialfall kann in dieser Konstellation flexibler reagiert werden.
Daneben sind auch die hohen Kosten des Plebiszits ein Problem. Die große Zahl der Entscheidungsträger und die lange Vorlaufzeit haben einen entsprechenden Finanzbedarf zur Folge. Man stelle sich vor, es sei mehrmals im Jahr Bundestagswahl. Dagegen nehmen sich die Kosten der repräsentativen Demokratie noch vergleichsweise niedrig aus. Zudem lassen sie sich leichter feststellen und sind relativ konstant. Die Kosten der direkten Demokratie sind stark von der Quantität der Entscheidungen abhängig und deshalb nur schwer vorauszusehen.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Analyse praktischer Merkmale wie Zeit und Geld kein eindeutiges Ergebnis hervorbringt. Tendenziell ist die repräsentative Demokratie kostengünstiger, bei umstrittenen Fragen aber auch zeitaufwendiger.

4. Fazit und Schlußbemerkungen
Abschließend wollen wir versuchen, die herbeigeführten Ergebnisse zusammenzutragen und in Abstimmung mit den theoretischen Überlegungen in ein - unserer Meinung nach - praktisch durchführbares Konzept zu transformieren. Dabei steht uns natürlich in erster Linie das Für und Wider des vorherigen Kapitels als Grundlage zur Verfügung. Daß in dieser Analyse nur Reinformen beider Demokratiesysteme betrachtet werden, ist dabei unerheblich. Denn es sind ähnliche, nicht so polarisierte Probleme auch in Mischformen wiederzufinden. Zum besseren Verständnis war es aber notwendig, die Extremmodelle zu analysieren.
Als zentrales Ergebnis unserer Arbeit steht im Raum: Direkte Demokratie ist aus den oben genannten Gründen, hier seien vor allem die mangelnde Kompetenz des Volkes und die fehlende Kontinuität plebiszitärer Entscheidungen zu nennen, in der Praxis nicht durchführbar. Wir halten jedoch die Ergänzung unseres jetzigen Systems um einige plebiszitäre Elemente für durchaus möglich, wenn nicht gar notwendig. Hat doch auch die indirekte Demokratie mit gewissen Problemen zu kämpfen. Hier können Volksabstimmungen möglicherweise helfen.
Im folgenden versuchen wir, dieses Ergebnis in eine praktisch durchführbare Form zu bringen. Dabei hat sich gezeigt, daß mit der Optimierung und unter Berücksichtigung aller - positiver wie auch negativer - Aspekte eine gewisse Komlexität einhergeht. Es kann nicht bloß heißen, für oder gegen das Plebiszit zu sein, sondern es müssen gleichzeitig gewisse Restriktionen und Nebenbedingungen eingeführt werden, um Defekte in der neuen Synthese zu verhindern.
Wir können uns durchaus vorstellen, bestimmte Themen der Politik durch das Volk entscheiden zu lassen. Dabei sollten allerdings von vornherein bestimmte Themen ausgeschlossen werden, die in ihrer Komplexität und ihrer Tragweite zu schwerwiegend sind, als daß "normale" Bürger darüber abstimmen können. Vor allem haushalts- und finanzpolitische Themen sollten weiterhin von Experten behandelt werden. Zu groß wäre die Versuchung, zugunsten einer kurzlebigen Wohlstandssteigerung die Staatsausgaben ins Unermeßliche steigen zu lassen und damit spätere Generationen über Gebühr zu belasten. Außerdem verlangen diese Themen ein Fachwissen, daß beim Bürger nicht vorausgesetzt werden kann. Darüber hinaus sind Stabilität und Kontinuität wesentliche Grundpfeiler einer erfolgreichen Außenpolitik. Dies setzt zum einen langfristiges Denken, zum anderen Entscheidungssicherheit voraus. Der Bürger als Privatwesen ist dabei - nicht zuletzt durch sein kurzfristiges und egoistisches Denken - eine Unsicherheitskomponente in diesem Bereich. Die Außenpolitik wird damit für das Ausland nicht mehr kalkulierbar. Abgesehen von diesen beiden Themenbereichen sind Themen des Gemeinwohls und der sozialen Sicherheit, nicht zuletzt aufgrund des Egoismus, von der Abstimmung durch das Volk auszuschließen. Dazu gehören vor allem die Sozialpolitik sowie Bildung und Forschung.
Behandelt werden könnten dagegen die Umwelt- und Innenpolitik, der Bereich des Verkehrs- und Verteidungswesens sowie Personenentscheidungen, zum Beispiel die Wahl des Bundespräsidenten.
Auch hier sind aber eine Reihe von Einschränkungen vorzunehmen. Es ist eine formale Regelung aufzustellen, die möglichst alle funktionalen und Strukturdefekte ausschließt und gleichzeitig die Vorteile nicht schmälert.
Über die Finanzierbarkeit der zum Volksentscheid vorgelegten Gesetzesentwürfe haben unabhängige Gutachter zu urteilen, die der Regierung gegenüber nicht weisungsgebunden sind. Bereits im Vorfeld haben die Antragsteller eines Volksentscheids aufzuzeigen, wie die von ihnen gewünschten Veränderungen finanziert werden sollen. Aufgabe der Gutachter ist es, die Finanzierungsmodelle auf ihre Seriösität zu überprüfen und die Finanzierbarkeit des Gesetzesentwurfs aus dem laufenden Haushalt sicherzustellen. Die Gelder für den Volksentscheid selbst werden aus der Staatskasse übernommen.
Der Abstimmung geht - wie in den meisten deutschen Bundesländern bereits praktiziert - eine freie Unterschriftensammlung voraus. Die Anzahl der zu sammelnden Unterschriften sollte dabei so festgelegt werden, daß eine reelle Chance besteht, das Zustimmungsquorum in der Abstimmung zu erreichen. Eine zu hohe Grenze ist ebenfalls nicht wünschenswert, da sie direkte Bürgerbeteiligung am Entscheidungsprozeß de facto unmöglich machen würde. Allerdings halten wir eine weitere, formalisierte und überwachte Unterschriftensammlung - woe heutzutage praktiziert - für unnötig und ineffizient. Durch diese zusätzliche Hürde sinkt unserer Meinung nach die Bereitschaft der Bürger, sich direktdemokratisch zu partizipieren.
Die Abstimmung an sich birgt eine weitere Schwierigkeit. Wann ist das Ergebnis eines Entscheides als repräsentativ zu betrachten? Es gibt wie bereits erwähnt zwei Modelle einer Mindestanforderung, das Zustimmungs- und das Beteiligungsquorum. Wir ziehen eindeutig das Zustimmungsquorum dem Beteiligungsquorum vor. Dieses hat den Vorteil, daß die Entscheidung über die Wirksamkeit der Abstimmung lediglich von der Zahl der Zustimmungen, nicht von der der Abstimmungen abhängt. So wird vermieden, daß die Gegner eines Gesetzentwurfes diesen durch Boykott der Wahl zum Scheitern bringen wie das in der Weimarer Republik oft genug der Fall war. Durch das Fernbleiben wird aus dem Beteiligungsquorum de facto ein Zustimmungsquorum, welches aufgrund seiner Auslegung als Mindestbeteiligung viel zu hoch angesiedelt wäre. Aus diesen Erfahrungen präferieren wir ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent; hoch genug um Repräsentativität zu gewährleisten und niedrig genug, um den Volksentscheid nicht von vornherein durch zu hohe Ansprüche auszuschließen. Einen Sonderfall stellt in unseren Augen allerdings eine Initiative zur Auflösung des Bundestages mit anschließenden Neuwahlen dar. Hierzu sollte ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent eingeführt werden, was mit der Tragweite dieser Entscheidung erklärbar wäre und politischer Instabilität wie in der Weimarer Republik vorbeugen soll.
Dem Bundestag räumen wir ebenfalls das Recht ein, einen Volksentscheid in Gang zu bringen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn keine Einigung im Bundestag zustandekäme. Dann könnte durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit das Problem an das Volk weitergegeben werden. Sollte diese Zwei-Drittel-Mehrheit nach drei Wahlgängen noch immer nicht erreicht werden, so kann der Bundespräsident dem Parlament ein Ultimatum stellen, bis zu dessen Ablauf eine Einigung erzielt werden muß. Andernfalls wird von ihm der Volksentscheid in die Wege geleitet.
Es ist darauf zu achten, daß im Vorfeld der Abstimmungen die Bürger ausgewogen und ausreichend informiert werden. Die Verstaatlichung der Medien wäre eine Forderung, die einerseits nicht in unserem Interesse läge, andererseits die Qualität der Berichterstattung unter Umständen verbessern würde. Doch kämen als mögliche Konsequenz Probleme auf, die die Vorteile dieser Verstaatlichung überschatten würden. Einzig die Einführung einer kostenlosen regelmäßig erscheinenden Informationsbroschüre des Bundestages, die in die Haushalte geliefert würde, wäre eine Überlegung wert.

Abschließende Bemerkung
Wir hoffen, mit dieser Arbeit einen kleinen Einblick in das komplexe und vielschichtige Problem repräsentativer versus plebiszitärer Demokratie gegeben zu haben. Dabei ist es uns wichtig anzumerken, daß es keine Ideallösung gibt, da beide Demokratieformen sowohl mit Vorteilen als auch mit Defekten behaftet sind. Es muß, sollte der Versuch zur Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene unternommen werden, einen ausreichenden Konsens geben, um die zahlreichen potentiellen Mißbrauchsversuche zu unterbinden. In jedem Fall muß es Ziel sein, optimale Effizienz mit größtmöglicher Bürgernähe zu verbinden, um die Demokratie in Deutschland dauerhaft zu stärken und zu sichern.

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Lenk, Kurt "Wie demokratrisch ist der Parlamentarismus?"
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Röhrich, Wilfried "Die repräsentative Demokratie"
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Rudzio, Wolfgang "Das politische System der Bundesrepublik Deutschland"
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Schmidt, Manfred G. "Demokratietheorien"
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Seipel, Michael/Mayer, Thomas "Mehr Demokratie in Bayern - und wie es weitergeht"
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1 Artikel 20, Absatz 2 GG: ,,Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."

2 Vgl. Schmidt, M. G. (1995), S.23

3 Aus Schmidt, M.G. 1995, S.82

4 ebenda S.86

5 Aus Schmidt, M.G., (1995), S.96

6 vgl. ebd., S. 101

7 vgl. ebd., S. 102, in Anlehnung an Mittermaier/Mair 1995, S. 156

8 vgl. ebd., S. 122

9 vgl. beide Zitat ebd., S. 124

10 vgl. Lenk ,,Wie demokratisch ist der Parlamentarismus?" (1972), S. 2

11 vgl. Schmidt, M. G. (1995), S. 132

12 vgl. ebd., S. 135

13 vgl. ebd.; S. 138

14 aus Apel 1991 ,,Die deformierte Demokratie", S. 16

15 aus Loch 1983 ,,Der 1. Weltkrieg und die Weimarer Republik", S. 85, Wortlaut der Weimarer Verfassung, Art. 48

16 aus Apel 1991, S. 32

17 vgl. Manfred G. Schmidt, ,,Demokratietheorien" (1995), S. 61 - 78

18 Ebenda S. 66

19 Zitiert aus Manfred G. Schmidt, ,,Demokratietheorien" (1995),S. 69

20 vgl. Manfred G. Schmidt, ,,Demokratietheorien" (1995), S. 107 bis 114

21 Ebenda, S. 117

22 Ebenda, S.253 bis 264

23 Ebenda, S. 255

24 Ebenda, S. 257 - 264

25 Ebenda, S. 259 bis 264

26 vgl. Claus-Henning Obst, ,,Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, (1986), S. 115f

27 Ebenda, S. 9f

28 vgl. Meyers großes Taschenlexikon, B.I.-Taschenbuchverlag, Mannheim 1995

29 vgl. Otmar Jung, ,,Direkte Demokratie in der Weimarer Republik", (1989), S. 49ff

30 Ebenda S. 10

31 vgl. Claus-Henning Obst, ,,Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, (1986), S. 101

32 Ebenda S. 101

33 Ebenda S. 101

34 vgl. Claus-Henning Obst, ,,Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland", (1986) S. 27ff

35 Ebenda, S. 29

36 Ebenda, S. 31

37 Ebenda, S. 57

38 Ebenda, S. 75ff

39 Siehe dazu auch Kapitel 3.2

40 Siehe dazu auch Kap. 3.3.3

41 Siehe dazu auch Kap. 3.3.1 und 3.3.2

42 Siehe dazu auch Kap. 1

43 vgl ,,Triumph der Bürger", München 1997, Seite 168 - 178

44 Siehe Weimar, Kapitel 2.3.1