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Die Bevölkerung und der Allta
Mein Vorgänger erklärte mir, Aeschlen liege auf der Schattseite, und die Bevölkerung sei sehr davon geprägt. Das schreckte mich jedoch nicht ab, meinen Wirkungskreis hier aufzubauen, war ich doch selber etwas konservativ und versuchte mit allen Menschen auszukommen. Im Gegenteil, ich genoss es sehr, dass die Tücken der städtischen Lebensweise hier noch nicht eingezogen waren. Alle neuen Trends erreichten uns erst etwa mit zehnjähriger Verspätung. Also war es ein Leben, das fast aussah wie zu Gotthelfs Zeiten. Viele Kinder der Landwirte brachten die Milch noch jeden Morgen mit einem Hundekarren oder Pferdegespann in die Käserei. Gemäht wurde mit der Sense oder mit einem von Hand geführten Motormäher. Gras, Heu und Getreide luden moderne Bauern mit der Gabel auf ihren Einachser und führten dies mit Motorkraft in die Tenne, wo alles wieder von Hand abgeladen wurde. Viele benutzten dazu aber auch noch das Pferdegespann. Hierzu wurden besonders die grösseren Schüler massiv eingesetzt. Im Herbst zog dann Albrecht Dällenbach mit dem Traktor und seiner riesigen Dreschmaschine von Haus zu Haus. Mit schwerer Handarbeit warfen viele Helfer die Garben in das Vehikel und die Körner füllte man in Säcke ab. Natürlich gab es von der Arbeit und auch vom vielen Staub gewaltigen Durst, der dann (von einigen Helfern) mit Schnaps gelöscht werden musste. Selten waren am Abend noch alle nüchtern, aber gemütlich war es trotzdem. Wenn Steiners oder Brauns neben dem Schulhaus am Dreschen waren, fiel bei mir der elektrische Strom so stark zusammen, dass das karge Licht mir nicht mehr erlaubte, in einem Buch zu lesen und mich auf den nächsten Schultag vorzubereiten.
Eigenartig erschien mir damals, dass viele Personen der Gemeinde nicht mit ihren richtigen Nachnamen, sondern nach dem Hof auf dem sie wohnten benannt wurden: So sassen in der Klasse nicht Rutishauser Hanni, sondern Post Hanni, nicht Aebersold Hedi, sondern Langenegg Hedi, nicht Fahrni Fritz, sondern Alp Fritz, nicht Ramseyer Theres, sondern Zelg Theres, nicht Scheidegger Ruth, sondern Chüeffer Ruth. Solche Namen wurden auch bei erwachsenen Bürgern gebraucht: Mattli Mädi (Beutler Magdalena), Langenegg Wäutu (Aebersold Walter) Zälg Fredu (Ramseyer Alfred), Hüttli Chrigu (Bachmann Christian), Auebärg Ernst (Scheidegger Ernst), Spychere Ernst (Dällenbach Ernst) Chäserei Ernst (Stucki Ernst) Neuhus Fritz (Beutler Fritz) Stäpfli Hans (Walthert Hans) Post Werner (Rutishauser Werner) und viele mehr. Sicher sind solche "Uebernamen" entstanden, weil bei uns viele gleiche Geschlechtsnamen vorkamen, damit man sie auch unterscheiden konnte. Es gab nämlich mehrere Aebersold, Beutler, Dällenbach und Scheidegger. Nicht eingesetzt wurden die Namen der Höfe Mattlischwand, Schwändeli, Unterhaus, Barichti, Oberzelg und einigen weiteren. Dies erinnert uns sehr an die Zeit der Namensbildungen vor einigen hundert Jahren.
Heute kennen wir auch die "Metzgete" kaum mehr: Rudolf Kneubühl vom Schwand und Hans Linder von der Barichti arbeiteten als "Störenmetzger". Die Bauern konnten sie auf einen bestimmten Tag zu sich bestellen, um (meistens) ein fettes Schwein zu schlachten. Das wurde dann zu einem grossen Arbeits- aber auch Festtag in der Familie. Selbstverständlich blieben auch die Kinder des betreffenden Landwirtes der Schule fern. Zu Hause wurde dann das Fleisch zerlegt und in Speckseiten, Schinken, Koteletts, Braten oder Wurstfleisch aufgeteilt. In den noch vorhandenen Rauchküchen (Mattli, Hohrüti) konnten die entsprechenden Stücke für einige Zeit in den Rauch gehängt und so für die nächsten Monate haltbar gemacht werden. Da es noch keine Gefrierschränke gab, sterilisierten die Bäuerinnen sogar Frischfleisch und füllten es in Gläser ab. Einige Landwirte mieteten ausserdem ein Gefrierfach in einem Kühlraum in Oberdiessbach oder Linden, um verderbliche Waren zu lagern. Normalerweise blieben immer noch die Blut- und Leberwürste zur sofortigen Verwendung im Haus. Am Abend gab es deshalb ein reichhaltiges "Metzgessen" zu dem auch Verwandte und Freunde eingeladen waren. Am nächsten Tag merkte oft sogar der Lehrer, auf weichem Hof eine "Metzgete" war, wurde er doch oft mit Blut- und Leberwürsten beschenkt. Mit der Zeit konnte ich den verwendeten Gewürzen nach sogar erahnen, welchen "Störenmetzger" der betreffende Bauer angestellt hatte.
Als ich in die Gemeinde kam, standen fast in allen Haushalten Radios. Wie mir bekannt ist, fehlte es nur bei Rutishausers. Post-Werner erklärte mir einmal: Wozu ein Radio, es bringt ja nur Unruhe in die Stube und in der Zeitung können wir ja lesen was uns interessiert. Der Landessender Beromünster strahlte damals bis gegen Mitternacht Musik und Berichte für die ganze Deutschschweiz aus, dann war Funkstille bis morgens um sechs Uhr. Fernseher gab es noch keine. Erbs besassen als erste um 1960 einen Apparat. Dort durften wir damals mit den Schülern die Beerdigung von General Guisan miterleben. Telefonanschlüsse waren schon fast in jedem Haus, allerdings waren die Leitungen noch nicht auf den neusten Stand ausgebaut, so dass viele Teilnehmer mit einem GA (Gemeinschaftsanschluss) zufrieden sein mussten. Mein Apparat war mit dem von Christen Braun zusammengeschlossen. Zum Glück gab es damals noch kein Internet und man führte nicht so lange Gespräche wie heute, denn hing der Nachbar am Draht, war meine Leitung stumm. Dass nur zwei Autobesitzer in unserem Dorf wohnten, habe ich schon im Kapitel 3.3. erwähnt. So kam es auch praktisch nie vor, dass Schüler durch Eltern in die Schule geführt wurden. Nicht nur wegen ihren z.T. halbstündigen Schulwegen (Aeschlenalp, Bittmoos, Unterhaus) sondern auch wegen der Mithilfe im Stall und dem Käsereigang, wurden die Kinder meist vor sechs Uhr aus dem Bett geholt, um dann rechtzeitig zum Unterricht erscheinen zu können. Da in der Nähe der Unterrichtsräume kein Veloständer war und das Schulareal frei für Pausen und Turnunterricht sein sollte, bestand noch die Regelung, dass die Kinder nicht mit dem Fahrrad zur Schule kommen durften. Trotzdem umgingen dies manchmal einzelne. Sie stellten dann ihr Vehikel bei Steiners Schopf ab und hofften, dass sie nicht erwischt wurden. Ich drückte natürlich beide Augen zu. Heute stehen vor jedem Haus mindestens ein oder sogar mehrere Wagen, und vor Schulbeginn ist besonders im Winter ein recht grosser Autoverkehr in Richtung Schulhaus festzustellen und die grösseren Schüler fahren mit ihrem Mofa zum Unterricht.
Zu Kapitel 7.1.: Der Bau des neuen Schulhauses                                                                   Zurück zu Loschis Homepage